12 - Abschied von Hogwarts
Die Schritte von Severus Snape und James Potter hallten durch die stillen Gänge von Hogwarts, während sie auf das Ziel zugingen, das für Harry alles verändern würde. Severus ging mit angespannten Schultern und einem Ausdruck eisiger BeMr.schung, während James hinter ihm herlief, die Hände in den Taschen seiner Robe vergraben. Severus war der Erste, der das Schweigen brach.
»Du kannst dir einbilden, was du willst, Potter«, sagte er, seine Stimme ruhig, aber mit einer Schärfe, die wie ein Messer schnitt. »Aber ich weiß, was du mit deinem Sohn tust. Du misshandelst ihn – körperlich und seelisch. Das Kind trägt die Last deiner Fehler, und du tust nichts, um ihm zu helfen.« James hielt in seinem Schritt inne, sein Gesicht eine Maske aus Zorn und Abwehr.
»Das ist eine dreiste Behauptung, Snape«, sagte er kalt. »Du hast keine Ahnung, was bei uns zu Hause vor sich geht. Harry ist mein Sohn, und es ist allein meine Sache, wie ich ihn erziehe.« Severus blieb ebenfalls stehen und drehte sich zu James um. Seine schwarzen Augen funkelten vor unterdrücktem Zorn.
»Und das ist genau der Grund, warum er so verstört und verschlossen ist, warum er Angst hat, auch nur einen Fehler zu machen. Du hast ihn in einen Schatten gezwungen, aus dem er nie allein herausfinden wird.«
»Hör auf, mir Vorwürfe zu machen!« James' Stimme war nun lauter, seine Hände zu Fäusten geballt. »Du bist nicht besser als ich. Du hast keinen blassen Schimmer, was es heißt, Verantwortung für ein Kind zu tragen.«
»Vielleicht nicht«, entgegnete Severus ruhig, obwohl seine Stimme vor Abscheu bebte. »Aber ich weiß, dass dein Weg ihn zerstören wird. Du denkst, du machst ihn stark, doch in Wahrheit brichst du ihn. Mit jedem Schlag, mit jedem harschen Wort baust du eine Mauer zwischen euch, die eines Tages unüberwindbar sein wird.« James lachte bitter, doch in seinen Augen war ein Hauch von Unruhe zu erkennen.
»Du hast keine Ahnung, wovon du redest. Ich versuche nur, ihn auf das Leben vorzubereiten. Die Welt da draußen wird ihm nichts schenken. Er muss lernen, zu kämpfen.«
»Zu kämpfen?« Severus' Stimme wurde leise, doch jeder seiner Worte war wie ein Peitschenhieb. »Du bringst ihm nicht bei, zu kämpfen. Du bringst ihm bei, sich zu verstecken. Seine Leistungen hier in Hogwarts – all seine ‚Ohnegleichen' – sie sind nicht das Ergebnis von Stolz oder Freude. Sie sind das Ergebnis von Angst.« James schnaubte und wandte den Blick ab.
»Du übertreibst. Harry ist stark. Er wird Durmstrang meistern.«
»Durmstrang wird ihn brechen«, erwiderte Severus sofort. »Du hast keine Ahnung, was du ihm antust, wenn du ihn dorthin schickst. Diese Schule wird ihn nicht zu dem Mann machen, den du dir vorstellst. Sie wird ihm das nehmen, was von seinem Selbstwert noch übrig ist.« James drehte sich abrupt um, sein Blick kalt und voller Abwehr.
»Und wessen Schuld ist das, wenn ich diesen Schritt jetzt gehen muss, hm? Vielleicht hätte ich das nicht tun müssen, wenn du dich nicht in mein Leben eingemischt hättest. Ohne deine ‚Sorge' würde Harry jetzt nicht vor dieser Entscheidung stehen.« Severus' Augen verengten sich, und seine Stimme wurde noch leiser, gefährlicher.
»Du willst mir die Schuld für deine Fehler geben? Wie erbärmlich, Potter. Du hast die Verantwortung für Harry seit Jahren verweigert, und jetzt willst du mir die Schuld an deinem Versagen geben?« James lachte erneut, diesmal süßlich und fast spöttisch.
»Vielleicht hast du recht, Snape. Vielleicht ist es meine Schuld. Aber weißt du was? Am Ende des Tages ist es trotzdem meine Entscheidung. Harry ist mein Sohn, nicht deiner.« Severus trat einen Schritt näher, seine Präsenz bedrohlich wie ein herannahender Sturm.
»Du magst sein Vater sein, aber wenn du ihn weiterhin so behandelst, wird er bald niemanden mehr als Vater ansehen. Du wirst ihn verlieren, Potter.« James verzog das Gesicht, doch er antwortete nicht. Stattdessen drehte er sich ab und setzte seinen Weg fort. Severus blieb einen Moment stehen, bevor er ihm folgte, seine Gedanken schwer und dunkel. Es war, als würde er Harry in ein Loch fallen sehen, aus dem er ihn nicht allein herausziehen konnte – und James Potter war derjenige, der ihn hineinstieß.
Der Gemeinschaftsraum der Slytherins war in der Nachmittagsstunde ungewöhnlich ruhig. Viele Schüler waren draußen, genossen die ersten milden Frühlingstage, oder saßen in der Bibliothek. Harry hatte sich in eine Ecke des Raums zurückgezogen, einen Aufsatz für Verwandlung vor sich, den er jedoch nur halbherzig bearbeitete. Ein seltsames Gefühl der Unruhe hatte ihn den ganzen Tag begleitet, und er konnte nicht genau sagen, warum. Vielleicht lag es daran, dass er wusste, dass sein Vater in Hogwarts war – ein Gedanke, der ihm immer eine Art beklemmendes Unwohlsein bereitete. Die Tür des Gemeinschaftsraums öffnete sich, und als Harry aufblickte, war es, als würde das Blut in seinen Adern gefrieren. James Potter stand dort, in seiner Aurorenrobe, die Haltung aufrecht, das Gesicht ungewöhnlich freundlich. Zu freundlich.
»Harry«, sagte James mit einem Lächeln, das nicht zu seiner sonst so distanzierten Art passte. »Da bist du ja.« Harry legte den Federkiel aus der Hand und erhob sich langsam, seine Bewegungen vorsichtig. Seine Augen suchten instinktiv nach Severus Snape, der einige Schritte hinter James in den Raum trat. Die Anwesenheit des Professors ließ Harry ein wenig durchatmen, doch die Unsicherheit in James' Tonfall ließ ihn auf der Hut bleiben.
»Dad«, sagte Harry leise und sah ihn mit leicht geneigtem Kopf an. James schien einen Moment zu zögern, dann nickte er in Richtung der Tür.
»Können wir kurz in dein Zimmer gehen? Ich muss mit dir sprechen.« Harrys Magen zog sich zusammen. Es war keine Bitte, sondern eine Aufforderung, und sein Vater war nie jemand gewesen, der lange Diskussionen zuließ. Doch bevor Harry antworten konnte, trat Severus vor und sprach mit seiner kühlen, schneidenden Stimme.
»Ich komme mit.« James warf ihm einen giftigen Blick zu, schaffte es jedoch, den Ton freundlich zu halten. »Das ist eine Familienangelegenheit, Snape. Es betrifft niemanden außer meinem Sohn und mich.« Severus verschränkte die Arme vor der Brust, sein Blick fest auf James gerichtet.
»Harry ist in meiner Obhut, während er hier in Hogwarts ist. Und solange du hier bist, werde ich nicht zulassen, dass er sich unwohl fühlt. Also, wenn es dir nichts ausmacht, werde ich dich begleiten.« James knirschte hörbar mit den Zähnen, doch er wusste, dass er gegen Severus' Hartnäckigkeit nicht ankommen würde.
»Von mir aus«, sagte er mit einem falschen Lächeln. »Aber halte dich zurück, Snape.« Severus folgte James und Harry, während sie den Gang zu den Schlafräumen der Jungen entlanggingen. Harrys Herz schlug schneller, seine Hände zitterten leicht, als er die Tür zu seinem, Blaise' und Dracos, spartanischen Raum öffnete. Er hatte gehofft, dass dieser Ort ihm ein Stück Sicherheit bieten würde, doch nun schien er enger und bedrückender als je zuvor. James trat ein und drehte sich zu Harry um. Sein Gesicht war ruhig, doch Harry erkannte den Schatten von Härte in seinen Augen – ein Ausdruck, den nur er lesen konnte.
»Harry«, begann James in einem fast sanften Ton, der jedoch sofort in Harrys Kopf Alarmglocken schrillen ließ. »Ich weiß, dass das plötzlich kommt, aber ich habe eine Entscheidung getroffen, die für dich und deine Zukunft das Beste ist.« Harrys Hände ballten sich an den Seiten zu Fäusten. Er wusste, was kommen würde, bevor die Worte überhaupt gesprochen wurden.
»Du wirst Hogwarts verlassen«, sagte James, seine Stimme ruhig und bestimmt. »Wir reisen heute ab. Morgen beginnst du in Durmstrang.« Harry starrte ihn an, seine Augen weit aufgerissen.
»Was?«, flüsterte er. »Aber ... aber warum?«
»Es ist besser für dich«, fuhr James fort, bemüht, einen verständnisvollen Tonfall beizubehalten, während Severus sich mit verschränkten Armen an die Wand lehnte und jedes Wort genau beobachtete.
»Durmstrang ist strenger. Es wird dir Disziplin beibringen und dir helfen, dein Potenzial voll auszuschöpfen. Hier in Hogwarts – na ja, es ist einfach nicht der richtige Ort für dich.«
»Aber ich ... ich habe gute Noten«, stammelte Harry, seine Stimme zitterte. »Ich habe alles getan, was du wolltest.«
»Das weiß ich, Harry«, sagte James, und sein Tonfall klang fast wie eine Beruhigung. »Aber das ist nicht genug. Du wirst in Durmstrang besser aufgehoben sein.« Harrys Beine fühlten sich plötzlich schwach an, und seine Brust zog sich zusammen.
»Ich will nicht nach Durmstrang!«, rief er, die Tränen liefen ihm jetzt über die Wangen. »Ich ... ich kann mich noch mehr anstrengen! Ich werde besser sein, ich verspreche es! Aber bitte, lass mich hierbleiben!« James machte eine Geste, die wie eine halbherzige Beruhigung aussehen sollte.
»Harry, das ist keine Bestrafung. Es ist eine Chance. Du wirst verstehen, warum ich das tue, wenn du älter bist.« Severus, der sich bisher zurückgehalten hatte, trat vor. Seine Stimme war schneidend, aber kontrolliert.
»Das ist keine ‚Chance', Potter. Das ist Zwang. Du reißt ihn aus einem Umfeld, in dem er Freunde gefunden hat, und schickst ihn an einen Ort, der ihn zerstören wird.« James warf Severus einen warnenden Blick zu.
»Das ist nicht deine Angelegenheit, Snape. Ich bin sein Vater. Ich entscheide, was für ihn das Beste ist.« Harry stand da, sein ganzer Körper zitterte vor Angst und Verzweiflung. Er wusste, dass es keinen Sinn hatte, weiter zu widersprechen. Sein Vater ließ sich nicht umstimmen. Er hatte diese Härte schon oft gesehen, und sie ließ keinen Raum für Verhandlungen. Mit zitternden Händen begann Harry, seine wenigen Habseligkeiten zu packen, während die Tränen weiter über sein Gesicht liefen. Severus beobachtete ihn, sein Blick voller Sorge, doch er wusste, dass er Harry in diesem Moment nicht aufhalten konnte. Der Junge würde seinem Vater folgen, wie er es immer getan hatte – aus Angst, aus Pflichtgefühl, aus Hoffnungslosigkeit.
Die Nachricht traf Draco, Blaise und Ron wie ein Schlag ins Gesicht. Sie saßen im Gemeinschaftsraum, als Harry mit gesenktem Kopf und geröteten Augen vor ihnen stand. James hatte ihm erlaubt, sich von seinen Freunden zu verabschieden, doch die Zeit war knapp, und die Worte blieben Harry im Hals stecken.
»Was?«, rief Draco entsetzt, seine blassen Augen weiteten sich. »Du ... du verlässt Hogwarts? Aber warum?« Harry konnte ihn nicht ansehen. Seine Hände umklammerten seinen Koffer so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten.
»Mein Vater will es so«, murmelte er.
»Durmstrang?« Blaise klang ungläubig. »Das kann nicht dein Ernst sein, Harry! Warum solltest du da hingehen?«
»Ich weiß es nicht«, stammelte Harry, seine Stimme brüchig. »Er sagt, es wäre besser für mich ...«
»Besser?« Ron sprang auf, sein Gesicht rot vor Wut. »Das ist doch Quatsch! Das kannst du doch nicht einfach so hinnehmen, Harry!«
»Ich habe keine Wahl«, flüsterte Harry und blickte endlich auf. Tränen standen ihm in den Augen, und sein Blick war von einer solchen Hilflosigkeit erfüllt, dass selbst Draco sprachlos wurde.
»Harry«, begann Draco leise und trat näher. »Das ist nicht richtig. Du ... du gehörst hierher. Wir sind deine Freunde. Du kannst das nicht einfach aufgeben.«
»Ich will nicht gehen!«, rief Harry plötzlich, und die Worte brachen aus ihm heraus wie ein Damm, der nicht länger gehalten werden konnte. »Aber ich kann nichts tun! Es ... es ist mein Vater. Er hat entschieden.« Ron schüttelte wütend den Kopf, seine Hände ballten sich zu Fäusten.
»Das ist unfair! Warum sagt niemand etwas dagegen?«
»Professor Snape ...« Harry schluckte schwer. »Er hat versucht, mit ihm zu reden, aber ... es hat nichts gebracht.« Eine bedrückende Stille legte sich über die Gruppe, während die Realität über sie hereinbrach. Draco legte Harry eine Hand auf die Schulter.
»Wir werden dich nicht vergessen«, sagte er leise. »Und du vergisst uns nicht, klar?« Harry nickte stumm, unfähig, noch etwas zu sagen. Blaise und Ron traten ebenfalls näher, und für einen Moment standen sie schweigend beisammen, als könnten sie die Zeit anhalten.
»Wir schreiben dir«, sagte Blaise schließlich, seine Stimme war fest. »Jeden Tag, wenn es sein muss.«
»Und du schreibst zurück«, fügte Ron hinzu, sein Gesicht noch immer voller Zorn, aber auch mit einer Spur von Traurigkeit. Harry nickte erneut, doch die Tränen liefen ihm jetzt unaufhaltsam über die Wangen. Schließlich kam James in den Raum, seine Haltung ungeduldig, aber streng.
»Harry«, sagte er scharf. »Es ist Zeit.« Harry wandte sich langsam um, seine Beine fühlten sich schwer an, als würde jeder Schritt ihn weiter von seinem Leben wegführen. Er folgte seinem Vater zur Tür, doch bevor er sie durchquerte, spürte er eine Hand, die ihn aufhielt. Severus Snape stand da, seine dunklen Augen ungewöhnlich weich, und bevor Harry reagieren konnte, zog der Professor ihn in eine unerwartet feste Umarmung. Harry erstarrte, überrascht von der plötzlichen Nähe, doch die Wärme und die Sicherheit in diesem Moment ließen ihn beinahe zusammenbrechen.
»Ich werde alles tun, um dir zu helfen«, flüsterte der Lehrer leise, seine Stimme so ernst wie nie zuvor. »Das verspreche ich dir.« Harry konnte nicht antworten, aber seine Hände klammerten sich an Severus' Umhang, als wollte er diesen letzten Moment der Hoffnung festhalten. Doch die Umarmung dauerte nur kurz, bevor Severus ihn losließ, seine Hand kurz auf Harrys Schulter, ehe er sich zurückzog. James, der das Ganze mit finsterem Blick beobachtet hatte, zog Harry an sich.
»Los jetzt«, sagte er knapp, bevor er Harry mit sich zog. Severus blieb zurück und beobachtete, wie sie durch die Gänge gingen. Er folgte ihnen in angemessenem Abstand, bis sie das Schloss verließen und sich auf den Weg nach Hogsmeade machten. Harry lief stumm neben seinem Vater her, sein Kopf gesenkt, seine Schultern gebeugt. Er sah aus wie ein gebrochener Junge, der seine Hoffnung in den Fluren von Hogwarts zurückgelassen hatte. Severus folgte ihnen in einigem Abstand und blieb am Rand des Schlossgeländes stehen, sein Blick folgte Harry und James, bis sie in der Ferne verschwanden. In seinem Inneren brannte eine Wut, die er lange nicht mehr gespürt hatte, und ein Entschluss formte sich in seinem Geist. Er hatte Harry ein Versprechen gegeben – und Severus Snape hielt seine Versprechen.
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Das Gasthaus war klein und spärlich beleuchtet, ein Holzgebäude, das sich inmitten der schneebedeckten norwegischen Berge versteckte. Ein knisterndes Feuer brannte im Kamin, doch die Wärme schien Harry nicht zu erreichen. Er saß stumm auf einem schlichten Holzbett in einem kleinen, kargen Zimmer. Der Raum war genauso trostlos wie Harrys Gemütszustand – nur ein Schrank, ein Tisch und das Bett, auf dem er saß. Er hatte seit ihrer Abreise aus Hogwarts kein Wort gesprochen. Der Abschied von seinen Freunden, die versteinerten Blicke von Draco, Blaise und Ron, und die letzten Worte von Professor Snape hallten immer noch in seinem Kopf nach. Doch jetzt fühlte er nichts mehr. Seine Augen starrten auf die knorrigen Holzdielen unter seinen Füßen, während sein Vater die Sachen auspackte, die er für ihn besorgt hatte. James Potter war in Bewegung, das Rascheln von Papier und der dumpfe Klang von Büchern, die auf den Tisch gelegt wurden, waren die einzigen Geräusche im Raum. Harrys Herz fühlte sich schwer an, wie in einem eisernen Griff. Er hörte kaum, wie sein Vater sprach, bis James sich mit einem neuen Bündel Stoff vor ihn stellte.
»Hier schau«, sagte James, seine Stimme ruhig, fast beiläufig. »Das ist deine neue Uniform.« Harry hob den Kopf nur leicht und sah auf den Stoff, den James ausgebreitet hatte. Die Robe war aus schwerem, dunkelrotem Stoff, verziert mit schwarzen Nähten und einem steifen, hohen Kragen. Sie sah beeindruckend aus, aber auch einschüchternd. Am Rand der Robe war ein schmaler, silberner Faden eingearbeitet, der in schwachem Licht funkelte. Dazu gehörten schwarze Stiefel und ein Umhang aus dicker Wolle, der mit einem kleinen, stilisierten D-Emblem am Verschluss versehen war.
»Durmstrangs Farben«, erklärte James, als Harry nichts sagte. »Rot und Schwarz. Es ist eine Uniform, die Respekt verlangt.« Harry streckte zögernd die Hand aus, um den Stoff zu berühren, doch die Schwere der Robe fühlte sich wie eine Last an. Er hatte in Hogwarts nie eine so strenge Kleiderordnung gehabt, und jetzt schien es, als würde selbst seine Kleidung ihn in eine Welt zwingen, die ihm völlig fremd war. James schien Harrys Zögern nicht zu bemerken oder er ignorierte es. Er legte die Robe auf den Tisch und öffnete dann eine schwere Ledertasche.
»Hier sind deine neuen Schulbücher«, sagte er und zog nacheinander dicke, in Leder gebundene Bände heraus. Ihre Titel waren in runenähnlicher Schrift geschrieben, die Harry nicht entziffern konnte. James bemerkte seinen Blick.
»Die Titel sind auf Norwegisch oder Schwedisch, aber die Bücher selbst sind zweisprachig. Die meisten Kurse werden auf Englisch unterrichtet. Du musst dir also keine Sorgen machen.« Harry nickte kaum merklich, seine Hände lagen schwer auf seinen Knien. James sprach weiter, als wollte er die unangenehme Stille übertönen.
»Das hier ist dein Zauberstab-Arbeitsbuch, das wird dir in den praktischen Fächern helfen.« Er legte ein weiteres Buch auf den Tisch. »Und hier ist das Lehrbuch für Verteidigung gegen die dunklen Künste. Durmstrang legt besonderen Wert auf praktische Übungen. Du wirst viel über Duelle und Verteidigungstechniken lernen.« Harrys Magen zog sich zusammen. Verteidigung gegen die dunklen Künste war immer eines seiner Lieblingsfächer gewesen, aber der Gedanke, es an einem Ort zu lernen, der angeblich ein offenes Interesse an dunkler Magie hatte, machte ihn nervös. Er erinnerte sich an die wenigen Worte, die er über Durmstrang gehört hatte – von seinen Freunden, von Professor McGonagall und selbst von Hagrid. Es war eine Schule, die Stärke und Disziplin forderte, wo die Schwachen keinen Platz hatten.
»Du wirst dich schnell anpassen«, sagte James schließlich und richtete sich auf, während er die Bücher ordnete. »Durmstrang wird dir guttun, Harry. Es ist eine Chance, dich zu beweisen.« Harry schwieg. Er wusste, dass es keinen Sinn hatte, zu widersprechen. Er hatte versucht zu kämpfen, zu bitten, zu weinen – und nichts davon hatte seinen Vater aufgehalten. Seine Augen wanderten zur Uniform, die auf dem Tisch lag, und er fragte sich, ob er jemals wieder das Gefühl haben würde, irgendwohin zu gehören. Das Fenster hinter ihm klapperte leise im Wind, und draußen heulte ein Sturm durch die Berge. Es fühlte sich an, als würde die Kälte durch die Wände des Gasthauses in den Raum sickern, doch Harry saß reglos da, während James weiterredete, als ob er nicht bemerkte, dass sein Sohn in diesem Moment ein Stück mehr zerbrach.
Die ersten Strahlen der norwegischen Sonne kämpften sich über die verschneiten Berge, als Harry und James das Gasthaus verließen. Der scharfe, kalte Wind biss in Harrys Gesicht, doch er sagte nichts. Seit der Abreise aus Hogwarts hatte nicht mehr gesprochen, und James ließ ihn gewähren, was Harry beinahe mehr verletzte als seine Worte. Die Reise war beschwerlich. Sie benutzten eine alte, knarrende Kutsche, der von magischen Kräften gezogen wurde, und der Weg führte sie durch dichte, dunkle Wälder und durch flache Flüsse. Schließlich, nach Stunden, erreichten sie eine Anhöhe, von der aus Harry zum ersten Mal einen Blick auf Durmstrang werfen konnte. Vor ihnen erstreckte sich ein großer, glasklarer Bergsee, der von hohen Gipfeln eingerahmt wurde. Das Wasser war dunkel, beinahe schwarz, und in der Mitte des Sees lag ein massives Schiff vor Anker, das an ein Wikingerschiff erinnerte. Seine Segel waren eingerollt, doch die Flagge mit dem roten Banner von Durmstrang flatterte im Wind. Auf der anderen Seite des Sees erhob sich eine Festung, die wie eine Trutzburg wirkte. Sie war aus dunklem Stein erbaut, ihre Türme ragten in den Himmel wie drohende Finger. Große rote Banner, bestickt mit dem Wappen der Schule – zwei gekreuzte Runen in Gold – hingen von den Mauern und flatterten im eisigen Wind. Über dem Haupttor, das von massiven Eisenketten gehalten wurde, thronte ein großes Emblem in Form eines Drachens. Harry starrte das Bauwerk an und spürte, wie ihm ein kalter Schauer den Rücken hinunterlief. Es war beeindruckend, ja, aber auch furchteinflößend. Es wirkte, als ob es darauf ausgelegt war, Eindringlinge abzuwehren – und Schüler einzuschüchtern.
»Das ist Durmstrang«, sagte James neben ihm, seine Stimme fast stolz. »Hier wirst du lernen, stark zu sein.« Harry antwortete nicht, seine Augen wanderten weiter über das Bild vor ihm. Alles an diesem Ort wirkte fremd, abweisend, und ein Teil von ihm wollte einfach umkehren. Die Kutsche brachte sie über einen schmalen Pfad direkt zur Burg. Das Tor öffnete sich knarzend, und sie wurden von zwei Schülern in Uniform empfangen, die sie mit kühlem Blick musterten, bevor sie sie wortlos in die große Eingangshalle führten. Die Halle war beeindruckend – ein gewölbter Raum mit hohen Decken, an denen massive Kronleuchter aus Eisen hingen. Rote Teppiche zogen sich über die Steinböden, und an den Wänden hingen riesige Wandteppiche, die Szenen von Duellen, Kämpfen und magischen Riten darstellten. Ein langer Tisch stand am anderen Ende, hinter dem ein Mann mit scharf geschnittenem Gesicht und weißblondem Bart saß. Igor Karkaroff.
»Willkommen, Mr. Potter«, sagte Karkaroff mit einer glatten, freundlichen Stimme, als James und Harry nähertraten. Er stand auf, seine Bewegungen geschmeidig, und reichte James die Hand.
»Eine Freude, dich wiederzusehen, James.«
»Karkaroff«, erwiderte James knapp, bevor er sich zu Harry umwandte. »Das ist der Schulleiter, Harry. Er wird dir alles erklären.« Harry nickte stumm, doch seine Augen blieben auf Karkaroff gerichtet. Der Mann lächelte freundlich, doch Harry spürte, wie ein unangenehmes Gefühl in ihm aufstieg. Etwas an Karkaroff – seine Art, ihn zu mustern, als ob er ihn durchschauen könnte – ließ Harrys Haut kribbeln.
»Du wirst dich hier bald einleben«, sagte Karkaroff mit einem weiteren Lächeln. »Ich habe einen unserer Erzieher, Mr. Rybak, gebeten, dir alles zu zeigen.« Ein großer, schlaksiger Mann mit hagerem Gesicht und schütterem Haar trat vor.
»Willkommen, Harry«, sagte Rybak mit einem neutralen Tonfall. »Komm mit mir, ich zeige dir dein Zimmer.« James legte eine Hand auf Harrys Schulter, und für einen Moment hoffte Harry, dass sein Vater bleiben würde. Doch als James sich abwandte, griff Harry nach seinem Arm.
»Bitte geh nicht«, flüsterte er, seine Stimme war brüchig. James hielt inne und sah ihn an, ein Hauch von Unsicherheit in seinen Augen. Doch dieser verschwand schnell, und sein Gesicht wurde hart.
»Harry«, sagte er scharf. »Ich habe Dinge zu tun. Du bist hier gut aufgehoben.« Harry schüttelte den Kopf, seine Augen glänzten vor Tränen.
»Bitte«, flehte er leise. »Ich ... ich will nicht allein hierbleiben.« James seufzte laut, sein Tonfall wurde ärgerlich.
»Hör auf, dich so aufzuführen! Du bist ein Potter, verdammt noch mal. Reiß dich zusammen!« Die Worte trafen Harry wie ein Schlag. Er ließ den Arm seines Vaters los und trat zurück, seine Schultern sanken, und er sah zu Boden. James, sichtlich ungeduldig, wandte sich an Karkaroff.
»Ich überlasse ihn Ihnen.« Ohne ein weiteres Wort verließ James die Halle, und Harry fühlte sich, als hätte man ihm den Boden unter den Füßen weggezogen.
Alexej Rybak führte Harry durch die Burg, seine Schritte hallten durch die kalten Korridore.
»Hier wirst du schlafen«, sagte der Erzieher schließlich und öffnete eine schwere Holztür. Der Schlafsaal war spartanisch. Elf Stockbetten standen in einer Reihe, die Matratzen waren dünn, und jedes Bett hatte eine einfache Wolldecke. Es gab keine persönlichen Gegenstände, nur kleine Truhen am Fußende der Betten.
»Hier schlafen alle Erstklässler«, erklärte Rybak. »Ihr seid nach Jahrgängen getrennt. Durmstrang ist eine reine Jungenschule, das wirst du bald merken.« Harry nickte stumm und sah sich um. Es war so anders als der gemütliche Schlafsaal in Hogwarts. Hier gab es keinen Hauch von Wärme, keine Spur von Heimatgefühl. Rybak führte ihn weiter in die Waschräume – kalte, steinerne Räume mit einfachen Waschbecken und Duschen. Alles war funktional, nichts wirkte einladend.
»Dein Unterricht beginnt sofort«, sagte Rybak schließlich. »Ich bringe dich zu Kräuterkunde. Beeil dich, du bist schon spät dran.« Harry folgte ihm, seine Beine schwer wie Blei, während er sich fragte, wie lange er an diesem fremden, kalten Ort überleben konnte.
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