Der Herbst hatte Hogwarts inzwischen fest im Griff, und die Landschaft rund um das Schloss war in lebendige, goldene und orangefarbene Töne getaucht. Die kühlen, nebligen Morgenstunden schienen die Atmosphäre im Schloss zu verändern. Schüler und Lehrer schienen sich auf die bevorstehende Halloween-Feier zu freuen, und die Wärme des großen Kamins im Slytherin-Gemeinschaftsraum war ein willkommener Rückzugsort. Für Harry Potter jedoch war dieser Wandel kaum mehr als eine Kulisse für die ständigen Herausforderungen, die er sich selbst auferlegt hatte. Seit Wochen schon tat er alles, um in Hogwarts zu bestehen, als wolle er die Erwartungen, die in dem Brief seines Vaters so schneidend festgehalten waren, wortgetreu erfüllen. Er war zwar kein Gryffindor geworden, aber er hatte sich in Slytherin ein Ziel gesetzt: Er würde Bestnoten erreichen, den höchsten Respekt seiner Lehrer erlangen und – wie sein Vater es so unmissverständlich gefordert hatte – seinen eigenen Weg in Hogwarts meistern. In fast allen Fächern war er in der Tat weit vorne. Selbst die Lehrer konnten nicht umhin, ihn hin und wieder zu loben. Seine Freunde, Draco, Blaise und Ron, waren erstaunt über seine Entschlossenheit und beeindruckt von seinem Eifer. Doch selbst ihnen fiel auf, dass Harry kaum über sich sprach und die vielen Fragen, die sie ihm immer wieder stellten, oft unbeantwortet ließ. Harry war und blieb ein Rätsel – ein Freund, der sich nur so weit öffnete, wie es für die anderen gerade nachvollziehbar war. Ende Oktober, als die Tage kürzer und die Nächte länger wurden, kam eine Idee in Harry auf, die ihm seither nicht mehr aus dem Kopf ging: Er wollte unbedingt ins Quidditch-Team von Slytherin. Sein Vater hatte erwähnt, dass er von einem »echten Potter« erwarten würde, im Team zu spielen, und obwohl er erst im ersten Jahr war, hatte sich der Gedanke wie ein unerbittliches Ziel in Harrys Kopf festgesetzt. Auch wenn die Ausscheidungen für das Team bereits Wochen zuvor stattgefunden hatten, war Harry entschlossen, trotzdem sein Bestes zu geben und sich die nötigen Fähigkeiten anzueignen.
Es war ein regnerischer Samstagnachmittag, und die Wolken hingen schwer und dunkel über dem Schlossgelände. Das Gras auf dem Quidditch-Feld war nass und glitschig, doch Harry ließ sich davon nicht beirren. Mit seinem Besen in der Hand trat er hinaus auf das Feld, und Draco, Blaise und Ron, die ihn skeptisch dabei beobachteten, folgten ihm. Draco, der von der gesamten Gruppe die meiste Erfahrung auf dem Besen hatte, zog eine Augenbraue hoch und warf ihm einen skeptischen Blick zu.
»Das ist eine wirklich dumme Idee, Harry«, sagte er und schüttelte den Kopf. »Kein Erstklässler kommt ins Quidditch-Team. Dafür musst du wenigstens im zweiten Jahr sein, und selbst dann ist es schwer genug.« Ron nickte zustimmend, während er sich in seinen dicken Umhang kuschelte, um sich vor dem kalten Regen zu schützen.
»Draco hat recht. Du hast ja noch Zeit, bis nächstes Jahr. Außerdem sind die Mannschaftspositionen schon längst besetzt. Niemand wird so kurz vor dem ersten Spiel den Kader ändern.« Harry ließ sich nicht beirren und drehte sich mit ernstem Gesichtsausdruck zu seinen Freunden um.
»Ich weiß, was ihr meint«, sagte er, während er seine Finger fest um den Besenstiel schloss, »aber ich muss es versuchen. Mein Vater erwartet es von mir.« Blaise zog die Schultern hoch und seufzte.
»Harry, selbst wenn du ins Team kommen würdest – du weißt, dass das absolut unrealistisch ist, oder? Du fliegst ja ganz gut im Unterricht, aber Quidditch ist eine andere Sache. Warum willst du es deinem Vater überhaupt recht machen?« Harry senkte den Blick und trat einen Moment von ihnen weg. Es war schwer, die Wahrheit auszusprechen.
»Weil ... weil ich ihm beweisen muss, dass ich keine Enttäuschung bin.« Ein kurzes Schweigen trat ein, und die anderen Jungen tauschten einen verlegenen Blick. Sie waren sich über Harrys Beziehung zu seinem Vater nicht im Klaren, aber die Strenge in seiner Stimme und der feste Ausdruck auf seinem Gesicht ließen keinen Zweifel daran, wie wichtig ihm das war. Er straffte die Schultern und nickte schließlich.
»Ich weiß, dass es schwer ist. Aber ich will es wenigstens versuchen. Wenn ich nicht ins Team komme, dann muss ich wenigstens sicher sein, dass ich alles versucht habe. Ich will trainieren – ich will besser werden.« Er hielt den Besen vor sich und sah die drei entschlossen an.
»Werft mir einfach die Quaffel zu, und ich werde ausweichen. Besser als die Klatscher, also zum Üben« Draco schüttelte den Kopf und grinste leicht, als könne er nicht glauben, was er da hörte.
»Bei diesem Wetter?« Harry nickte.
»Genau das. Egal, ob es regnet oder windig ist. Im Quidditch kann man sich das Wetter auch nicht aussuchen.« Ron warf Blaise einen skeptischen Blick zu, und schließlich seufzte dieser und zuckte die Schultern.
»In Ordnung, Potter. Du bist offenbar entschlossen. Aber nur, weil du es bist.« Widerwillig stiegen alle auf ihre Besen, und Harry schwang sich ebenfalls in die Lüfte. Der Regen peitschte ihm ins Gesicht, und der Wind zerrte an seinen Haaren, doch das alles schien ihm kaum etwas auszumachen. Er schwebte einige Meter über dem Boden und hielt sich bereit, als Draco den Quaffel packte und ihn mit einer geschickten Bewegung in Harrys Richtung warf. Dieser machte einen Satz zur Seite und wich knapp aus, die Quaffel sauste nur wenige Zentimeter an ihm vorbei. Ron grinste und schnappte sich den Ball, um ihn wieder zu werfen. Ein Tropfen kaltes Wasser rann über Harrys Nase, doch er konzentrierte sich voll und ganz auf die Bewegung. Der Regen verwischte seine Sicht, doch es war fast so, als könne er all das ausblenden, um sich nur auf die Flugbahn der Quaffel zu konzentrieren. Draco stieß zu ihm und grinste herausfordernd.
»Du weißt, dass das nur die halbe Miete ist, oder? Quidditch ist kein Spiel für Träumer. Du musst schneller sein. Aber na gut, dann sieh mal zu, dass du mithältst.« Er wirbelte herum und schleuderte die Quaffel mit voller Wucht in Harrys Richtung. Dieser sah sie gerade noch rechtzeitig und lenkte seinen Besen zur Seite. Die Bewegung war scharf und hart, und er verlor beinahe das Gleichgewicht, doch er fing sich wieder und drehte sich triumphierend zu Draco um. Blaise und Ron tauschten einen Blick, bei dem sich Amüsement und Bewunderung mischten, bevor sie sich wieder zum Weiterspielen bereit machten. Der Regen fiel weiterhin unaufhörlich, und der kalte Wind machte das Fliegen zu einer Herausforderung, doch Harry schien in seinem Element zu sein. Jedes Mal, wenn die Quaffel in seine Richtung flog, wich er ihr so geschickt wie möglich aus, auch wenn er hin und wieder den Besen korrigieren musste, um nicht zu stürzen. Die Jungen spielten mit, warfen die Quaffel und riefen ihm Hinweise zu, aber irgendwann wurde klar, dass das Training auch für sie anstrengend wurde. Nach einer Weile, als sie alle erschöpft waren, hielt Draco die Quaffel fest und grinste Harry an, obwohl er außer Atem war.
»Also gut, Potter«, keuchte er. »Vielleicht ... nur vielleicht ... hast du tatsächlich eine Chance, irgendwann ins Team zu kommen. Vielleicht nächstes Jahr.«, sagte er. Harry nickte schwach und wies sie an weiterzumachen. Der Regen peitschte inzwischen unaufhörlich auf das Quidditchfeld nieder, und der Wind war mittlerweile so stark geworden, dass er die Flugbahn der Bälle verzerrte. Draco, Blaise und Ron hatten sich nach fast zwei Stunden erschöpft und durchnässt auf den Boden sinken lassen, während Harry noch immer in der Luft war, seine Augen fest auf den winzigen, goldenen Schnatz gerichtet, der immer wieder durch das trübe Regenwetter aufblitzte. Er war inzwischen dazu übergangen zu versuchen den kleinen Ball zu fangen.
»Harry, das reicht! Du kannst kaum noch auf deinem Besen sitzen«, rief Draco ihm zu und wischte sich das Regenwasser aus den Augen. »Wir sind völlig durchgefroren, und du solltest wirklich aufhören!« Harry schüttelte jedoch energisch den Kopf und klammerte sich weiter an den Besen.
»Nein! Ich muss weitermachen. Ich kann das schaffen.« Ron und Blaise warfen sich einen besorgten Blick zu, doch sie kannten Harrys Sturheit mittlerweile zu gut, um weiter zu diskutieren. Schließlich seufzten sie, gaben sich geschlagen und machten sich dann mit Draco allein auf den Weg zurück zum Schloss. Als sie das warme Foyer erreichten, liefen ihnen die Wassertropfen förmlich von den Umhängen, und die Erschöpfung stand ihnen ins Gesicht geschrieben. Kaum hatten sie die Eingangshalle betreten, als ihnen Professor Snape entgegenkam. Seine Miene war kühl und durchdringend, und er musterte die drei durchweichten Gestalten mit hochgezogener Augenbraue.
»Darf ich fragen, woher Sie drei in diesem Zustand kommen? Und warum sind Sie nicht drinnen wie alle anderen?« Draco, Blaise und Ron warfen sich verlegene Blicke zu. Schließlich trat Draco einen Schritt nach vorne und sprach kleinlaut: »Wir ... wir waren auf dem Quidditchfeld, Professor. Wir haben mit Harry trainiert.« Snapes Blick verdunkelte sich.
»Und wo ist Potter jetzt?« Blaise und Ron sahen beschämt zu Boden, bevor Ron murmelte: »Er wollte weitermachen, Sir. Wir konnten ihn nicht davon abbringen.« Severus' Augen verengten sich vor Zorn und Sorge zugleich. Ohne ein weiteres Wort schickte er die drei zurück in ihre Räume und eilte mit großen Schritten hinaus, in den peitschenden Regen und den scharfen Wind, der ihm um die Ohren wehte. Das Quidditchfeld lag in weiter Ferne, doch sein Blick durchdrang die dichte, graue Luft, als suchte er fieberhaft nach einer Spur des Jungen, der sich in die tobenden Sturmböen gewagt hatte. Als er das Feld erreichte, sah er ihn – eine kleine, schwankende Gestalt, die hoch in der Luft zitternd an ihrem Besen klammerte. Der Wind peitschte unbarmherzig um Harrys Körper, doch seine Augen waren noch immer fest auf den winzigen, goldenen Punkt gerichtet, der vor ihm flimmerte. Doch plötzlich rutschte Harrys Hand ab. Der Regen hatte den Besen rutschig gemacht, und der heftige Windstoß drängte ihn zur Seite. Für einen erschreckenden Moment verlor er die Kontrolle, und ehe Severus reagieren konnte, sah er, wie Harrys Griff endgültig nachließ und der Junge im freien Fall zur Erde stürzte.
»Nein!«, rief Snape verzweifelt und rannte auf ihn zu, doch er konnte den Aufprall nicht mehr verhindern. Harry schlug hart auf dem Boden auf, und Snape erreichte ihn nur Sekunden später, sein schlug ihm bis zum Hals. Er kniete sich neben das offenbar schwer verletzte Kind, das reglos und leblos wirkte. Harrys Gesicht war bleich und nass vom Regen, und eine tiefe Schnittwunde an seinem Kopf blutete in den Schlamm. Seine Augen waren geschlossen, und sein Atem war kaum noch zu spüren. Ohne einen Moment zu zögern, legte Severus eine Hand auf Harrys Schulter, während er mit der anderen seinen Zauberstab zog, den Mantel fest über den verletzten Körper legte, um ihm ein wenig Wärme zu spenden.
»Harry, hörst du mich?« Seine Stimme war leise und drängend zugleich, während er mit dem Zauberstab begann, die ersten Heilzauber zu wirken. Doch er wusste, dass dies nur eine vorübergehende Lösung war. Die Wunde an Harrys Kopf war ernst, und auch seine Hand war geschwollen und blutete. Snape legte eine Hand an Harrys Brust, um seinen Herzschlag zu fühlen, und spürte, wie sein eigenes Herz schneller schlug, als ihm klar wurde, wie schwach der Junge war.
»Sie machen keinen Blödsinn, Potter«, flüsterte er, die Sorge in seiner Stimme kaum noch unterdrückend. Mit einer präzisen Bewegung nahm er den Jungen vorsichtig auf die Arme, hob ihn behutsam auf und drückte ihn fest an sich, bevor er zurück in die Sicherheit des Schlosses eilte.
Auf der Krankenstation herrschte angespannte Stille, als Madam Pomfrey über den reglosen Harry gebeugt stand und die schweren Verletzungen behandelte, die der Junge erlitten hatte. Ihr Gesicht zeigte eine Mischung aus Professionalität und ernster Sorge, während sie mit flinken Händen heilende Zauber und Tränke anwandte, um die schlimmsten Schäden zu beheben. Severus stand daneben, den Blick unverwandt auf das Kind gerichtet, dessen blasses Gesicht und schlaffe Haltung eine beunruhigende Zerbrechlichkeit zeigten. Nachdem Poppy die Wunden so weit versorgt hatte, wandte sie sich schließlich an Severus und machte eine rasche Handbewegung in Richtung Tür.
»Severus«, sagte sie mit ernster Stimme, »bitte komm mit nach draußen.« Severus folgte ihr hinaus, wo die Heilerin sofort das Wort ergriff.
»Das war äußerst knapp. Der Junge hat eine schwere Gehirnerschütterung, ist stark unterkühlt, hat mehrere gebrochene Rippen und ein gebrochenes Handgelenk. Wärst du nur wenige Minuten später gekommen, könnte ich nicht garantieren, dass er überhaupt überlebt hätte.« Severus presste die Lippen aufeinander, während sich eine schwere Last auf seine Brust legte. Die Wut und die Sorge, die ihn seit seinem Anblick von Harrys Fall begleitet hatten, kamen in diesem Moment wieder auf.
»Warum war er da draußen?«, fragte Madam Pomfrey mit scharfer Stimme. Severus zögerte kurz, bevor er antwortete.
»Ich weiß es nicht«, sagte er ruhig, doch seine dunklen Augen funkelten vor innerem Zorn. »Aber ich werde es herausfinden.« Madam Pomfrey nickte streng und seufzte, während sie einen letzten Blick durch die Tür auf den schlafenden Harry warf. »Er wird noch eine Weile schlafen. Lassen ihn sich ausruhen.« Severus nickte und verließ die Krankenstation, wobei seine Schritte nun zielstrebig und schwer klangen. Es war Zeit, Antworten zu finden. Er ging schnurstracks in den Slytherin-Gemeinschaftsraum und befahl Draco und Blaise, ihm in sein Büro zu folgen. Die beiden Jungen tauschten einen beunruhigten Blick und schlossen sich ihm, unsicher, was geschehen war, doch das kalte Schweigen in Snapes Augen ließ sie keine Fragen stellen. Kaum in seinem Büro angekommen, schloss Severus die Tür und fixierte die beiden Jungen mit durchdringendem Blick.
»Harry ist schwer verletzt«, begann er, seine Stimme ruhig und messerscharf. »Er ist auf der Krankenstation und wird eine Weile dortbleiben müssen.« Die Nachricht ließ Draco und Blaise erstarren, und Draco öffnete den Mund, doch Severus hob eine Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen.
»Ich möchte wissen, warum Harry heute Nachmittag so verbissen trainiert hat, warum er meinte, es wäre notwendig, allein im strömenden Regen draußen zu bleiben?« Draco sah Blaise an, und beide schienen kurz zu zögern, doch schließlich sprach Blaise vorsichtig.
»Er ... er wollte unbedingt ins Quidditch-Team, Professor. Obwohl die Aufnahmen längst vorbei waren. Wir haben versucht, ihm zu sagen, dass er warten sollte, aber ...« Draco nickte zustimmend.
»Er sagte, sein Vater wolle unbedingt, dass er im Team spielt. Wir dachten, es sei nur ein Wunsch, aber ... Harry wirkte fast ... verzweifelt.« Severus spürte, wie sich seine Wut und Sorge verstärkten, als er diese Worte hörte.
»Also hat er darauf bestanden, sich diesen gefährlichen Bedingungen auszusetzen, nur um den Erwartungen seines Vaters gerecht zu werden?«, fragte er, und die beiden Jungen nickten zögerlich.
»Er sagte, dass er keine Enttäuschung sein dürfe«, murmelte Blaise leise, und Severus spürte ein Stechen in der Brust. Es war genau das, was er befürchtet hatte – dass Harry sich bis an seine Grenzen drängte, um ein Bild zu erfüllen, das ihm von außen auferlegt wurde, und dass dieses Bild von James Potter selbst geprägt war. Severus nahm einen tiefen Atemzug, um die Wut unter Kontrolle zu halten, die er für James empfand. Er sah die beiden Jungen eindringlich an und sprach leise, aber eindringlich.
»Ich danke euch für eure Ehrlichkeit. Es ist wichtig, dass Harry Freunde hat, die ihn unterstützen und auf ihn achten.« Dann fügte er hinzu, mit einem leichten, warnenden Funkeln in den Augen: »Aber ab sofort bleibt ihr in seiner Nähe und sorgt dafür, dass er keine unüberlegten Entscheidungen trifft. Versteht ihr?« Draco und Blaise nickten beide eifrig, und ein leises Gefühl der Erleichterung huschte durch Severus. Er würde alles tun, um sicherzustellen, dass Harry sich nicht weiter gefährdete – und dass die Worte seines Vaters nicht mehr die Macht hatten, ihn zu zerstören.
Wenig später trat Severus leise an Harrys Krankenbett, als er bemerkte, dass der Junge allmählich die Augen öffnete. Ein verwirrter Ausdruck lag auf Harrys Gesicht, und seine Augen wirkten glasig, als würde er sich nur langsam an die Umgebung und die schmerzhaften Verletzungen erinnern, die ihn hierhergebracht hatten. Snape blieb stehen, seine Arme vor der Brust verschränkt, und sah Harry streng an.
»Potter«, begann er mit scharfem Ton, doch seine Stimme war gedämpft. »Was in aller Welt hast du dir dabei gedacht, dich allein bei diesem Wetter auf das Quidditchfeld zu begeben? Bist du dir über die Risiken nicht im Klaren?« Harry blinzelte, seine Augen schreckhaft auf Severus gerichtet, und in einer instinktiven Reaktion versteifte sich sein ganzer Körper. Das schützende Gefühl der Laken und Decken um ihn herum wich augenblicklich einer Welle der Anspannung, und seine Hände griffen in den Stoff des Bettes, als wolle er sich darin verbergen. Severus erkannte, dass sein scharfer Ton Harry sofort auf Distanz brachte, also versuchte er, seine Stimme etwas zu dämpfen.
»Was treibt dich zu diesem ... Wahnsinn, Potter? Warum versuchst du, deinem Vater um jeden Preis etwas zu beweisen?« Harry schwieg, sein Blick wich dem von Severus aus, und er schien mit jeder Sekunde mehr in sich selbst zu verschwinden. Severus spürte, wie sein Geduldsfaden dünner wurde, und ein Funken Zorn flammte in ihm auf.
»Also gut, Potter«, sagte er, seine Stimme etwas lauter. »Du wirst mir jetzt eine Antwort geben. Warum all diese Selbstaufopferung? Warum lässt du dich von ihm so antreiben?« Harrys Lippen zitterten, und sein Gesicht begann sich in einer Mischung aus Verzweiflung und Wut zu verziehen. Plötzlich brach er aus ihm heraus, seine Stimme laut und heiser.
»Weil er es erwartet! Weil ... weil ich schuld bin!« Die letzten Worte waren fast ein Schrei, der sich in einem erstickten Schluchzen verlor. Severus erstarrte. Für einen Moment war er unfähig, zu antworten, seine eigenen Emotionen hielten ihn in einem inneren Aufruhr gefangen.
»Schuld?«, fragte er schließlich leise und mit einem unerwarteten Hauch von Verwirrung. »Wovon sprichst du?« Doch Harry antwortete nicht mehr. Er krümmte sich nur in sich zusammen, seine kleinen, zitternden Hände vergruben sich in den Decken, und sein ganzer Körper wurde von Schluchzern geschüttelt. Severus war für einen Moment sprachlos. Der Schmerz und die Verzweiflung, die in Harrys Augen aufblitzten, während er sich noch mehr in sich zurückzog, wirkten wie eine Wunde, die weit tiefer reichte als seine körperlichen Verletzungen. Es war wie ein Geistesblitz, der ihn in diesem Moment traf: Harry Potter glaubte, dass er für den Tod seiner Mutter verantwortlich war. Lily - er fühlte sich schuldig für das, was an jenem Abend geschah. Der Gedanke ließ Severus' Herz kurz stocken, und die Härte in seinen Augen verwandelte sich in eine Art unruhiges, fast schmerzliches Mitgefühl. Er zog einen Stuhl an das Bett heran und setzte sich ruhig hin. Er senkte seine Stimme und sprach mit einer Sanftheit, die selten in ihm zu hören war.
»Harry«, begann er langsam, »was auch immer du dir einredest ... du bist an ... an Lil- am Tod deiner Mutter nicht schuld. Nichts, was du hättest tun können, hätte das verhindern können. Du warst ein Baby ...« Seine Worte wurden leiser, als er die Erinnerung an jenen Abend zurückdrängte. Doch Harry gab keine Antwort. Er krümmte sich nur noch enger zusammen, seine Atmung schwer und voller Schmerz, und Severus erkannte, dass dieser junge, gequälte Junge in all den Jahren die Last eines Verlustes getragen hatte, den er nie begreifen konnte. Er saß stumm neben Harry und beobachtete, wie der Junge sich immer weiter in sich selbst zurückzog, unfähig, die Schuldgefühle und die Last, die er sich selbst aufgebürdet hatte, in Worte zu fassen. Ein Gedanke drängte sich in Severus' Geist, ein Verdacht, der ihn gleichzeitig erschütterte und wütend machte. Er beugte sich leicht vor, seine Stimme leise und eindringlich.
»Hat dein Vater dir das eingeredet?«, fragte er, die Worte sanft, aber durchdringend. Harry reagierte nicht, doch die Stille und das starre Schweigen, mit dem er ihm auswich, waren Antwort genug. Severus' Zorn kochte über, und es kostete ihn alle Selbstbeherrschung, um nicht laut zu werden. Er konnte nicht begreifen, dass jemand einem Kind solche Schuldgefühle aufbürden konnte – vor allem einem Kind, das so zerbrechlich war wie Harry. Er richtete sich langsam auf und atmete tief ein, seine Lippen zu einem schmalen Strich zusammengepresst. Mit einem letzten, sorgenvollen Blick auf Harry verließ er die Krankenstation, sein Gesicht ein Ausdruck kalter Entschlossenheit. Seine Schritte hallten laut durch die leeren Gänge, als er in sein Büro ging, die Wut in ihm so heiß und schneidend wie nie zuvor. In seinem Büro angekommen, setzte er sich an den Schreibtisch und griff sofort nach Pergament und Feder. Er schrieb einen kurzen, schneidenden Brief an James Potter, in dem er ihm klar machte, dass sein Sohn in Hogwarts eine gefährliche Verletzung erlitten hatte und dass James unverzüglich herkommen müsse – ohne Ausflüchte. Die Einladung war nicht zu überlesen, und Severus setzte eine scharfe, unmissverständliche Schlusszeile darunter. Mit einer knappen Bewegung versiegelte er den Brief und schickte ihn mit einer Eule direkt an James Potter. Er lehnte sich zurück, die Wut in seinen Augen noch immer brennend, und wartete darauf, dass sich dieser Mann endlich seinen Pflichten stellen würde.
Mitten in der Nacht wurde Madam Pomfrey von einem leisen, zitternden Schluchzen geweckt, das durch die Stille der Krankenstation hallte. Sie erhob sich verschlafen und fand Harry, der in seinem Bett saß, das Gesicht in den Händen vergraben, während leise Tränen über seine Wangen liefen. Sie erhob sich sofort und ging zu ihm, ihre Hände sanft auf seine Schultern legend, um ihn zu beruhigen.
»Harry, Liebes, was ist los?«, fragte sie mit einer Sanftheit, die selten in ihrem beruflichen Tonfall lag. Sie zog den Jungen sanft in ihre Arme, und Harry lehnte sich zögernd an sie, wie ein kleiner, verletzter Vogel, der die Wärme und den Trost einer Umarmung suchte, die er so selten erfahren hatte. Sie hielt ihn still, strich ihm beruhigend über den Rücken, während Harrys schluchzende Atmung allmählich ruhiger wurde.
»Hatte einen ... einen Albtraum«, murmelte er schließlich, seine Stimme heiser und kaum hörbar.
»Das ist in Ordnung«, flüsterte Madam Pomfrey, »es war nur ein Traum.« Sie zog ihn ein wenig fester in die Umarmung und spürte, wie Harry sich endlich ein wenig entspannte, als könne er für diesen kurzen Moment den Schmerz und die Last, die er sonst allein trug, abgeben. Nach einer Weile fragte Harry zögernd, ohne sie anzusehen: »Ist Professor Snape ... wütend?« Poppy hielt einen Moment inne und wählte ihre Worte mit Bedacht.
»Nicht auf dich, Harry«, versicherte sie ihm sanft und sah, wie er leicht nickte, obwohl die Anspannung in seinen Schultern kaum nachließ. Sie überlegte kurz und fuhr dann fort: »Professor Snape hat deinen Vater für morgen Mittag hierher bestellt.« Die Worte schienen sich wie Eiskristalle in Harrys Geist zu graben. Sein Körper erstarrte förmlich, und sie spürte, wie sein Atem schneller wurde, seine Hände sich verkrampften und seine Augen weit und glasig wurden. Sein ganzer kleiner Körper begann unkontrolliert zu zittern, als sich Panik und pure Furcht wie eine Welle über ihn legten.
»Nein ... nein, das ... das geht nicht ...« stammelte er, seine Stimme gepresst und voller Verzweiflung. Harrys Atem beschleunigte sich zu einem gefährlich flachen Keuchen, und Madam Pomfrey erkannte sofort die Anzeichen einer Panikattacke. Behutsam ließ sie ihn los und griff in ihren Beutel nach einem Beruhigungstrank.
»Shhhh, Harry«, murmelte sie und hielt ihm den Trank behutsam an die Lippen.
»Hier, trink das. Alles wird gut.« Harry war kaum noch in der Lage, seine Umgebung bewusst wahrzunehmen, doch er nahm den Trank ein und schluckte vorsichtig. Langsam, fast unmerklich, begann sich seine Atmung zu beruhigen, und seine verkrampften Muskeln lockerten sich. Das Zittern ließ nach, und seine Augen wurden schwer, als die Wirkung des Beruhigungstranks einsetzte. Madam Pomfrey setzte sich an sein Bett, ihre Hände noch immer schützend auf ihm ruhend, bis er wieder eingeschlafen war. Doch die Panik, die sie so deutlich in seinem Verhalten gesehen hatte, ließ sie in tiefer Sorge zurück.
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