
03 - In der Winkelgasse
Es vergingen einige Minuten, vielleicht sogar Stunden, bis Harry das Geräusch von Schritten hörte, die langsam den Flur entlang kamen. Die Stille war fast erdrückend gewesen, aber jetzt war da diese leise, scharrende Bewegung, und Harry wusste, dass James zurück war. Die Tür zu seinem Zimmer öffnete sich leise, und der Geruch von warmer Suppe strömte in den Raum. Es war ein seltsamer, beruhigender Duft, der jedoch keinen Trost in Harrys Brust auslöste. James trat mit einem Tablett in den Raum. Darauf stand eine dampfende Schüssel Suppe und ein Stück Brot. Seine Schritte waren vorsichtig, fast zaghaft, als er sich dem Bett näherte und das Tablett auf dem kleinen Nachttisch abstellte. Für einen Moment sagte er nichts, stand nur da und betrachtete Harry, als würde er überlegen, was er sagen oder tun sollte. Harry wollte sich aufsetzen, doch sein Körper verweigerte ihm den Dienst. Der Schmerz, auch wenn er durch die Tränke gedämpft war, war immer noch da, wie ein drückendes Gewicht, das ihn in die Matratze presste. Jeder Versuch, sich zu bewegen, löste ein leises Zucken in seinen Gliedern aus, und er gab es schließlich auf. James bemerkte Harrys vergebliche Bemühungen und setzte sich widerwillig auf die Bettkante. Sein Gesicht war schwer von Müdigkeit und Schuld, doch seine Bewegungen waren plötzlich so sanft, dass es fast unwirklich schien, als wäre er nicht derselbe Mann, der Harry in der Nacht zuvor so brutal misshandelt hatte.
»Du solltest etwas essen«, murmelte er, während er die Schüssel aufnahm und den Löffel darin eintauchte. Harry sagte nichts, er konnte es nicht. Er fühlte, wie James den Löffel zu seinen Lippen führte, und öffnete den Mund, ohne groß darüber nachzudenken. Die Suppe war warm und schmeckte mild, aber Harry hatte keinen Hunger. Dennoch ließ er es geschehen, ließ seinen Vater ihn füttern, weil er wusste, dass es keinen Sinn hatte, sich zu wehren. Die Stille zwischen ihnen war fast erdrückend, während James Löffel für Löffel der Suppe an Harrys Mund führte. Es war eine seltsame, beklemmende Fürsorge, die nur nach solchen Ausbrüchen kam. Harry kannte dieses Muster. Es war nicht das erste Mal, dass James ihm nach einem Wutanfall auf diese Art und Weise zu zeigen versuchte, dass es ihm leidtat. Es war, als würde James glauben, dass ein warmes Essen und ein paar sanfte Worte die gebrochenen Knochen und die noch tiefer gehenden Wunden heilen könnten.
»Morgen ...«, begann James leise, als er Harry das letzte Stück Brot reichte, »morgen könnten wir in die Winkelgasse gehen. Deine Sachen für Hogwarts kaufen.« Seine Stimme klang bemüht, als wolle er Harry versichern, dass es diesmal anders wäre, dass er es diesmal besser machen würde. Harry schluckte das Brot, sein Magen war inzwischen voller Suppe, aber das Gefühl von Schwere und Schmerz war immer noch da. Er wagte es nicht, seinen Vater anzusehen. Stattdessen starrte er auf die Decke, während die Worte in seinem Kopf widerhallten. James hatte ihm schon einmal etwas versprochen. Er erinnerte sich nur zu gut daran, wie dieser vor Jahren – als Harry gerade sechs Jahre alt gewesen war – ihm versprochen hatte, ihn zu einem besonderen Ausflug mitzunehmen, nachdem er ihn verletzt hatte. Damals hatte er es eilig gehabt und Harry versehentlich die Treppe hinuntergestoßen. Der Junge war die Stufen hinabgestürzt, seine Arme in einem ungelenken Winkel verdreht, und der Schmerz, der seine Glieder durchzuckt hatte, war überwältigend gewesen. Beide Arme waren gebrochen, und während Harry vor Schmerz weinte, hatte James ihn mit leeren Versprechen von einem Abenteuer zu trösten versucht. Ein Abenteuer, das nie stattgefunden hatte. Harry wusste, dass es auch diesmal nicht anders sein würde. Die Winkelgasse, Hogwarts, seine Sachen – all das war jetzt in greifbarer Nähe, aber trotzdem fühlte es sich weit entfernt an, als wäre es nur eine vage Hoffnung, die jederzeit wieder zerbrechen könnte. James hatte oft versprochen, es besser zu machen, doch am Ende blieb immer nur die Entschuldigung. Leer und bedeutungslos, wie der leise, tonlose Klang, den sie jedes Mal trug.
»Du solltest dich ausruhen«, sagte James schließlich und stand auf. Er stellte die leere Schüssel wieder auf das Tablett und sah kurz auf Harry herab. Seine Augen waren müde, und der Ausdruck auf seinem Gesicht war schwer zu deuten. War es Bedauern? Scham? Oder einfach nur Erschöpfung?
»Bleib liegen, bis die Tränke vollständig wirken. Ich ... ich werde dir noch mehr Suppe bringen, wenn du Hunger hast.«
Harry nickte kaum merklich, obwohl er wusste, dass er weder mehr essen noch sich besser fühlen würde. Es war das gleiche Spiel, das sie immer spielten – James verletzte ihn, entschuldigte sich, fütterte ihn, und Harry ließ es geschehen. Denn was blieb ihm anderes übrig? Der Mann verließ den Raum und schloss die Tür leise hinter sich. Das Zimmer versank wieder in Stille, und Harry blieb zurück, starrte auf die Decke. Der Schmerz in seinem Körper ließ langsam nach, doch der Schmerz in seinem Herzen blieb.
Am nächsten Morgen fühlte sich Harry viel besser. Die Tränke hatten ihre Wirkung nicht verfehlt, und der Schmerz, der ihn am Vorabend noch überwältigt hatte, war kaum mehr als ein dumpfes Pochen in seinem Körper. Er wusste, dass er Glück gehabt hatte. Die Verletzungen hätten viel schlimmer sein können, und obwohl er sich noch immer geschwächt fühlte, konnte er sich jetzt bewegen, ohne dass es ihn fast in die Knie zwang. Leise stand er auf, um James nicht zu wecken – doch ein Blick aus dem Fenster verriet ihm, dass es bereits heller Vormittag war. Sein Vater war sicher schon zur Arbeit gegangen. Harry schlich sich aus seinem Zimmer und ging den Flur entlang zum Badezimmer. Die vertraute Dunkelheit der oberen Etage wurde durch das Licht, das durch die Gardinen drang, ein wenig gemildert, doch es fühlte sich noch immer bedrückend an. Wie so oft in diesem Haus. Im Badezimmer angekommen, schloss Harry die Tür hinter sich ab und sah sich im Spiegel an. Der Anblick, der ihm entgegenblickte, ließ ihn einen Moment lang innehalten. Sein Gesicht war blass, viel zu blass für einen Jungen, der den ganzen Sommer draußen hätte verbringen sollen. Seine Wangen waren hohl, und die Augen, die ihn anstarrten, wirkten leer und ausdruckslos. Dann fiel sein Blick auf die Narbe auf seiner Stirn – die Blitznarbe, die ihn, seit jeher zeichnete. Er konnte sie nicht ausstehen. Sie war ein permanenter Teil seines Gesichts, eine Erinnerung an etwas, das er nicht einmal verstand. Manchmal hatte er das Gefühl, dass die Narbe ihm die Vergangenheit, die er kaum kannte, ins Gesicht brannte. Eine Vergangenheit, die er mit seiner Mutter geteilt hatte, die er jedoch nie wirklich erleben durfte. Sein Blick wanderte weiter über seinen Körper, und die Blutergüsse, die von der letzten Nacht übrig geblieben waren, zeichneten sich in dunklen, violetten Flecken auf seiner Haut ab. Obwohl die schlimmsten Schmerzen verschwunden waren, sahen die Verletzungen immer noch schrecklich aus. Seine schmalen Arme, sein viel zu kleiner Oberkörper – alles an ihm war ein Bild der Schwäche und Zerbrechlichkeit. Harry war klein für sein Alter. Viel kleiner als die anderen Jungen, die er kannte. Sein Körper wirkte unterernährt, und das war er wahrscheinlich auch. In den letzten Wochen hatte er oft gehungert. Seine Kleidung hing lose an ihm, selbst wenn sie ohnehin schon viel zu klein und abgetragen war. Kein Wunder, dass er von den anderen Kindern gemieden wurde. Er sah nicht so aus, als gehöre er dazu. Und vielleicht war das auch wahr. Vielleicht gehörte er nirgendwo wirklich dazu. Harry drehte sich von seinem Spiegelbild weg. Er wollte sich nicht länger ansehen. Es war zu schmerzhaft, sich mit den Augen zu betrachten, die so leer wirkten, und sich vorzustellen, dass auch James ihn auf diese Weise sehen musste. Er verstand nicht, warum sein Vater ihn so hasste, aber in Momenten wie diesen konnte er es nachvollziehen. Wenn er anstelle seines Vaters wäre, würde er sich auch hassen. Mit einem Seufzen schob er sich unter die Dusche und ließ das heiße Wasser über seinen Körper laufen. Der Dampf füllte schnell den kleinen Raum, und für einen kurzen Moment konnte er die Sorgen, die ihn so fest umklammerten, ein wenig abschütteln. Das warme Wasser spülte die Müdigkeit und den Schmerz von seiner Haut, und für einen Augenblick konnte er vergessen, was in den Tagen zuvor passiert war. Nachdem er sich gewaschen und abgetrocknet hatte, zog Harry die saubersten Kleider an, die er finden konnte, obwohl sie auch schon längst abgetragen und zu klein waren. Doch es war egal. Heute, so hatte James gesagt, würden sie in die Winkelgasse gehen, um seine Schulsachen für Hogwarts zu kaufen. Ein Teil von Harry wollte das glauben. Er wollte daran festhalten, dass es diesmal anders sein würde, dass James sein Versprechen halten würde. Aber tief in ihm nagte die Erinnerung daran, wie oft sein Vater schon ähnliche Versprechungen gemacht und sie dann gebrochen hatte. Er verließ das Badezimmer und ging die Treppe hinunter in die Küche. Zu seiner Überraschung stand tatsächlich ein kleines Frühstück auf dem Tisch. Eine Schale Müsli, ein Toast und ein Glas Saft. Daneben lag ein Zettel, auf dem James' hastig hingekritzelte Schrift zu lesen war:
»Ich bin arbeiten. Wir gehen am Nachmittag in die Winkelgasse, um deine Sachen für Hogwarts zu kaufen. Nimm den Trank, der auf dem Tisch steht.« Harrys Blick wanderte zu dem kleinen Fläschchen neben dem Zettel. Der Trank, den James ihm dagelassen hatte, war einer von denen, die ihm in der Nacht zuvor gegeben worden waren. Er sollte wahrscheinlich die letzten Schmerzen lindern. Für einen Moment starrte Harry auf den Zettel, die Worte »Winkelgasse« und »Hogwarts« blitzten vor seinen Augen auf, wie ein Versprechen auf etwas Neues, etwas Besseres. Aber die Erinnerung an die früheren Versprechungen schlich sich ebenfalls in seine Gedanken. Wie damals, als James ihm nach dem Treppensturz geschworen hatte, dass sie zusammen einen Ausflug machen würden, um alles wieder gut zu machen. Doch dieser Ausflug war nie passiert. Trotzdem war da dieses leise Flüstern in ihm, das ihm sagte, dass es diesmal anders sein könnte. Vielleicht wollte James es wirklich besser machen. Vielleicht ...
Harry nahm den Trank, schraubte das kleine Fläschchen auf und trank ihn in einem Zug aus. Der bittere Geschmack brannte kurz in seinem Mund, doch fast sofort fühlte er, wie sich seine Muskeln ein wenig entspannten und der letzte Rest des Schmerzes, der in seinem Körper verblieben war, nachließ. Er setzte sich an den Tisch und begann das Frühstück zu essen. Es war einfach, nichts Besonderes, aber es stillte den Hunger, der tief in seinem Bauch nagte. Während er aß, kehrten seine Gedanken immer wieder zu Hogwarts zurück. In wenigen Wochen würde er dort sein, in einer Welt voller Magie, einer Welt, die er sich kaum vorstellen konnte. Es war seine einzige Hoffnung auf ein besseres Leben – ein Leben, das anders war als dieses.
Und vielleicht, nur vielleicht, würde James heute sein Versprechen halten.
Am Nachmittag hörte Harry die Haustür mit einem dumpfen Knall ins Schloss fallen. Er wusste sofort, dass James nach Hause gekommen war. Die schweren Schritte, die durch den Flur hallten, verrieten ihm, dass sein Vater in keiner guten Stimmung war. Es war immer ein riskantes Spiel, den Gemütszustand von James zu erraten – und heute war einer der Tage, an denen Harry sich am liebsten unsichtbar gemacht hätte. Doch heute stand etwas Wichtiges auf dem Plan: Die Reise in die Winkelgasse. Und Harry hoffte verzweifelt, dass sie diese Möglichkeit nicht auch verlieren würden. Er saß im Wohnzimmer und wartete nervös, den Blick starr auf die alte Uhr gerichtet, die leise tickte. Er trug das Beste, was er noch besaß: eine dunkelgraue Stoffhose, die ihm zwar etwas zu groß war und bei jedem Schritt rutschte, aber wenigstens nicht zu kurz war. Dazu hatte er ein kariertes Hemd angezogen, das ihm fast schon zu eng an den Schultern saß. Seine Schuhe waren alt und abgetragen, doch sauber, und er hatte sein Haar, so gut es ging gekämmt. Er wollte zumindest halbwegs ordentlich aussehen für ihren Ausflug. James trat ins Wohnzimmer, noch in seiner Auroren-Uniform, die ihn immer größer und imposanter erscheinen ließ. Sein Gesicht war angespannt, der Ausdruck auf seinen Zügen hart und erschöpft. Harry wagte es kaum, ihn anzusehen. Die schlechte Laune seines Vaters war sofort spürbar, wie eine Gewitterwolke, die den Raum füllte. Doch er sagte nichts zu Harrys Aufzug, musterte ihn nur kurz und kniff die Augen zusammen.
»Hast du den Zettel von der Schule?«, fragte James tonlos, ohne Harry direkt anzusehen. Seine Stimme klang rau, als hätte er einen anstrengenden Tag hinter sich. Harry nickte hastig und zog den zerknitterten Zettel aus seiner Tasche. Es war die Liste mit all den Dingen, die er für Hogwarts brauchte – Bücher, Zauberstäbe, Uniformen und noch viel mehr.
»Ja, Sir«, sagte er leise und reichte seinem Vater den Zettel mit zitternden Händen. James nahm den Zettel mit einem kurzen, knappen Nicken entgegen.
»Gut«, murmelte er nur und ging dann ohne weitere Worte zum Kamin. Harry atmete vorsichtig aus, als James mit einer knappen Handbewegung das Flohpulver nahm und es in den Kamin warf. Die grünen Flammen loderten sofort auf, und James drehte sich zu Harry um.
»Komm her«, sagte er, und es klang mehr nach einem Befehl als nach einer Einladung. Harry erhob sich schnell von seinem Platz und eilte zu seinem Vater, der ihn mit einem unschuldigen Kopfnicken bedeutete, näher zu treten. Gemeinsam traten sie in das warme, grüne Feuer. Es fühlte sich eigenartig vertraut an, und gleichzeitig war es für Harry jedes Mal aufs Neue ein Abenteuer. Es war so lange her, dass er das letzte Mal die Flohnetzwerke genutzt hatte.
»Florish und Blotts!«, rief James, und im nächsten Moment wurden sie von den Flammen verschluckt.
Harry spürte das übliche Schwindelgefühl, das ihn jedes Mal überkam, wenn er durch das Flohnetzwerk reiste. Die Welt um ihn herum wirbelte, und dann, mit einem plötzlichen Ruck, standen sie auf dem knarrenden Holzboden vor dem Kamin von »Florish & Blotts«, dem berühmten Buchladen in der Winkelgasse. Die Luft roch nach altem Papier und Leder, und das leise Rascheln von Seiten, die umgeblättert wurden, erfüllte den Raum. Harry blinzelte, als er sich umsah, und fühlte ein vertrautes, warmes Gefühl der Faszination in seiner Brust aufsteigen. Er hatte die Winkelgasse lange nicht mehr gesehen, und doch kam es ihm gleichzeitig so vor, als hätte er diesen magischen Ort nie vergessen. Die hohen Regale, die sich bis zur Decke stapelten, die verwinkelten Gänge voller Bücher, die schimmernden Titel auf den Einbänden – all das zog ihn sofort in seinen Bann. Das letzte Mal, als er hier gewesen war, musste er noch sehr klein gewesen sein, vielleicht fünf oder sechs Jahre alt. Die Erinnerungen daran waren verschwommen, doch die Magie dieses Ortes hatte sich tief in sein Gedächtnis eingebrannt. James hingegen wirkte alles andere als fasziniert. Mit grimmigem Gesichtsausdruck nahm er den Zettel fest in die Hand und sah sich nach einem Verkäufer um. Harry bemerkte den Ärger in seiner Haltung, die Art, wie seine Schultern verspannt waren, als wäre selbst dieser Ausflug nur eine lästige Pflicht für ihn.
»Bleib hier«, sagte James schroff und ging in Richtung eines Angestellten, der gerade dabei war, Bücher in ein Regal einzusortieren. Harry blieb am Kamin stehen, die Hände nervös ineinander verschlungen, und sah seinem Vater nach, während dieser ungeduldig den Zettel vor den Verkäufer hielt. Während James sprach, nutzte Harry die Gelegenheit, sich weiter umzusehen. Die Winkelgasse war so viel mehr, als er sich in seinen Träumen ausgemalt hatte. Obwohl er wusste, dass er sich still verhalten sollte, konnte er die kindliche Faszination nicht unterdrücken, die ihn ergriff. Zwischen den Regalen erhaschte er einen Blick auf andere Hexen und Zauberer, die geschäftig durch den Laden streiften, und er fragte sich, ob sie alle auch für Hogwarts einkauften. Für einen kurzen Moment konnte Harry die Dunkelheit seines Lebens vergessen und sich ganz der Welt der Magie hingeben.
Nachdem sie die Schulbücher bei »Florish & Blotts« besorgt hatten, traten Harry und James gemeinsam hinaus auf die belebte Winkelgasse. Die Tür schloss sich hinter ihnen, und sofort wurde Harry von einer Woge aus Geräuschen, Gerüchen und Farben überflutet. Die Kopfsteinpflasterstraße war voller Menschen – Hexen und Zauberer in schimmernden Roben, Kinder, die fröhlich zwischen den Ständen umherliefen, und Händler, die lautstark ihre Waren anpriesen. Es war ein geschäftiges Treiben, das Harry auf einmal überwältigte und gleichzeitig in seinen Bann zog. Er konnte kaum genug davon bekommen, alles in sich aufzunehmen. Sein Blick wanderte von Geschäft zu Geschäft, von Stand zu Stand, wo Gläser mit schillernden Zutaten, magische Spielzeuge und allerlei zauberhafte Gegenstände ausgestellt waren. Es war, als wäre die Welt, die er so lange nur aus Träumen gekannt hatte, plötzlich Wirklichkeit geworden. Doch so faszinierend diese magische Welt auch war, Harry fiel es schwer, mit James Schritt zu halten. Sein Vater ging schnellen Schrittes voraus, den Blick geradeaus gerichtet, während er stolpernd hinter ihm herlief. Die Menge war dicht, und Harry, der solche Menschenmassen nicht gewohnt war, begann sich unwohl zu fühlen. Sein Herz klopfte schneller, während er versuchte, in dem Gedränge nicht den Anschluss zu verlieren. Plötzlich schien die Menschenmenge ihn von allen Seiten zu erdrücken, und ein unbewusster Drang nach Halt überkam ihn. Instinktiv griff er nach James' Hand. Es war eine verzweifelte, kindliche Geste, die er fast ohne nachzudenken tat – eine Suche nach Sicherheit, nach etwas Vertrautem inmitten der überwältigenden Eindrücke. Doch kaum hatte er James' Hand berührt, riss dieser sie sofort los, als hätte ihn ein Insekt gestochen.
»Nicht«, sagte dieser knapp, ohne Harry auch nur anzusehen, und ging unbeirrt weiter. Es war keine harsche Zurückweisung, aber es war genug, um Harry klarzumachen, dass sein Vater diesen kindlichen Griff als unangebracht oder lästig empfand. Harry zog seine Hand schnell zurück, spürte, wie seine Wangen heiß wurden, und ließ den Kopf sinken. Er folgte James weiter, den Blick nun auf den Boden gerichtet, als wolle er sich unsichtbar machen. Schließlich blieben sie vor einem schmalen, altmodischen Laden stehen. Das Schild über der Tür verkündete in geschwungenen, goldenen Buchstaben: Ollivanders – Hersteller feiner Zauberstäbe seit 382 v. Chr.
Harry spürte einen leisen Schauer der Aufregung, der ihm über den Rücken lief. Dies war der Ort, an dem er seinen Zauberstab bekommen würde – das Werkzeug, das ihn endgültig in die Welt der Magie einführen würde. Es war ein Moment, auf den er gewartet hatte, seit er den Brief von Hogwarts bekommen hatte. Doch bevor er den Laden betreten konnte, hielt James ihn zurück.
»Du gehst da allein rein«, sagte er, und seine Stimme klang erschöpft, als wäre der Gedanke, Harry zu begleiten, eine weitere Bürde, die er nicht tragen wollte. »Ich besorge den Rest deiner Sachen. Wir treffen uns später beim Laden für die Uniformen.« Er drückte Harry ein paar Münzen in die Hand – einen kleinen Beutel voller Galleonen, Sickel und Knuts. Es war mehr Geld, als Harry je zuvor in seinen Händen gehalten hatte, und er starrte es einen Moment lang an, bevor er langsam nickte.
»Beeil dich«, fügte James hinzu, bevor er sich von Harry abwandte und in der Menge verschwand, ohne ein weiteres Wort. Harry blieb vor dem Laden stehen, die Münzen noch in seiner Hand, während er seinen Vater davongehen sah. Mit einem tiefen Atemzug schob er die Tür vorsichtig auf und trat in den dunklen, engen Laden. Es roch nach Staub und altem Holz, und das leise Knistern der Magie schien in der Luft zu liegen. Der Raum war klein und voller schmaler Regale, die von oben bis unten mit schmalen Schachteln gefüllt waren. Jeder Zauberstab, den Ollivander je hergestellt hatte, schien in diesen Regalen Platz zu finden. Harry fühlte sich winzig inmitten all dieser Geschichte, all dieser Magie. Er schluckte nervös und trat weiter in den Laden hinein, unsicher, was ihn hier erwarten würde. Ein leises Geräusch ließ ihn aufschrecken, und aus den Schatten tauchte eine schmale, alte Gestalt auf. Ein Mann mit silbrigem Haar und durchdringenden Augen, die hinter einer altmodischen Brille funkelten, kam auf Harry zu. Es war Ollivander, der berühmte Zauberstabmacher.
»Ah«, sagte Ollivander mit einer leisen, fast wispernden Stimme, als er Harry musterte. »Ich habe dich erwartet. Harry Potter.« Er trat leise näher, und Harry konnte seinen intensiven Blick auf sich spüren. Es war nicht nur Neugierde, die in den alten, silbrig-glänzenden Augen funkelte, sondern etwas Tieferes. Etwas, das Harrys Unsicherheit und Nervosität wie ein offenes Buch zu lesen schien. Der Laden war dunkel und eng, und die Stille schien jeden Atemzug schwerer zu machen.
»Es ist schon einige Jahre her, seit ich deine Eltern hier hatte. Lily ... so begabt, so strahlend. Und James ...« Ollivander hielt inne und sah Harry tiefer in die Augen, als ob er etwas suchte, das nicht leicht zu finden war. Harry senkte den Blick. Der Name seines Vaters hallte in seinen Ohren wider, und für einen Moment spürte er ein unangenehmes Gewicht auf seiner Brust. James hatte ihm niemals erzählt, wie es war, als er selbst seinen Zauberstab bekam. Und doch spürte Harry, dass dieser Moment für ihn nun etwas war, das seinen Vater nicht interessierte. Ollivander schien dies zu spüren. Seine Augen schärften sich, und für einen Moment verengte er sie, als ob er die Schwere der Gedanken, die Harry mit sich trug, sehen konnte. Der alte Mann trat einen Schritt näher und legte den Kopf leicht schief.
»Du hast viel durchgemacht, nicht wahr, Mr. Potter?«, fragte er leise, doch es war keine Frage, die eine Antwort erwartete. Es war mehr eine Feststellung, und in diesen Worten lag etwas Tiefgründiges, etwas, das Harry das Gefühl gab, dass Ollivander mehr wusste, als er sagte. Harry blickte auf, überrascht. Wie konnte dieser alte Mann etwas von seinem Leben wissen? Von dem, was er erlebte? Doch bevor Harry etwas sagen konnte, fuhr Ollivander fort: »Die Zauberstäbe wählen ihre Besitzer, Mr. Potter. Manchmal ... sehen sie mehr, als der Zauberer selbst erkennt.« Mit einem leisen Rascheln drehte Ollivander sich um und trat zu den hohen, verstaubten Regalen, die bis zur Decke reichten. Seine Finger glitten vorsichtig über die Schachteln, bis er eine hervorholte, als hätte sie auf ihn gewartet. Er öffnete die schmale Schachtel und zog einen feinen, dunklen Zauberstab hervor.
»Probieren wir es mit diesem«, sagte Ollivander und reichte Harry den Zauberstab mit ruhiger Hand. Harry zögerte einen Moment, dann nahm er den Zauberstab vorsichtig in die Hand. Doch kaum hatte er ihn berührt, spürte er, wie sich die Luft um ihn herum veränderte. Eine warme Energie durchzuckte ihn, und er hob den Arm, als hätte der Stab ein eigenes Leben. Doch bevor er etwas tun konnte, nahm Ollivander ihm den Zauberstab wieder aus der Hand.
»Nein, nein, das ist nicht der richtige«, murmelte er, als er den Stab zurück in die Schachtel legte. Seine Augen funkelten konzentriert, als er erneut zu den Regalen trat. Harry spürte, wie seine Unsicherheit zurückkehrte. Er fühlte sich so verloren, so fehl am Platz, als gehöre er nicht wirklich hierher. Die unbestimmte Hoffnung, die er auf Hogwarts gesetzt hatte, schien für einen Moment in der Luft zu hängen, als wäre sie unerreichbar. Doch Ollivander spürte all das, ohne dass Harry etwas sagen musste.
»Es wird schon«, sagte er sanft, während er eine weitere Schachtel hervorzog. »Jeder Zauberer hat einen Stab, der auf ihn wartet. Manchmal dauert es nur etwas länger, bis wir den richtigen finden.« Er holte einen neuen Zauberstab hervor, diesmal aus hellerem Holz, und reichte ihn Harry. Doch auch dieser fühlte sich fremd an, als Harry ihn in die Hand nahm. Wieder schüttelte Ollivander den Kopf und nahm ihn zurück. Er murmelte etwas Unverständliches, seine Augen ruhten auf Harry, während er die Regale weiter durchforstete. Schließlich blieb er vor einer besonders alten, schmalen Schachtel stehen. Seine Finger zögerten kurz, bevor er sie langsam herunternahm und öffnete. Der Stab darin war schlank, dunkel, und hatte eine Aura, die Harry sofort spüren konnte.
»Ah, ich denke, wir haben ihn gefunden«, sagte Ollivander mit einem leisen Lächeln, als er den Stab aus der Schachtel hob. »Stechpalme und Phönixfeder. Elf Zoll. Sehr biegsam.« Er reichte Harry den Zauberstab, und diesmal, als Harry ihn umfasste, spürte er sofort eine Welle von Wärme, die durch seinen Arm strömte. Ein leises, goldenes Glühen erfüllte den Raum, als ein zarter Windstoß durch den Laden ging, und Harry wusste, dass dies der richtige Zauberstab war. Es fühlte sich an, als würde der Stab ihn erkennen, als würde etwas in ihm widerhallen – etwas, das ihn vollständig machte. Ollivander nickte langsam, ein zufriedenes Lächeln auf seinem Gesicht.
»Ja, das ist der Richtige«, sagte er leise. »Interessant ... sehr interessant.« Harry sah verwundert auf.
»Was ist daran interessant?« Ollivander schien einen Moment in Gedanken versunken, bevor er antwortete.
»Der Phönix, der die Feder für deinen Stab gespendet hat, gab nur zwei Federn. Die andere Feder steckt in einem anderen Zauberstab ... einem, der große Dinge vollbracht hat. Große und schreckliche Dinge.« Harrys Herz klopfte schneller.
»Wer hat den anderen Stab?« Ollivander musterte Harry lange, bevor er antwortete, seine Stimme kaum mehr als ein Flüstern.
»Voldemort.« Der Name ließ die Luft im Raum gefrieren. Harry konnte die Bedeutung dieser Worte kaum fassen, und doch war da diese unausgesprochene Verbindung, die zwischen ihm und dem Zauberstab lag. Es war ein Band, das ihn mit der Vergangenheit verknüpfte – mit einer Vergangenheit, die er nicht einmal vollständig verstand. Ollivander neigte den Kopf, als würde er Harrys innere Unruhe spüren.
»Aber«, fügte er hinzu, »der Zauberstab wählt den Zauberer. Und dein Schicksal liegt nicht fest. Es liegt in deiner Hand, Harry Potter.« Harry nickte langsam, immer noch überwältigt von den Geschehnissen, und legte den Stab vorsichtig zurück in die Schachtel. Ollivander packte sie ein und reichte sie Harry mit einem nachdenklichen Blick.
»Hogwarts wird dir helfen«, sagte er schließlich, als Harry die Schachtel nahm. »Du wirst dort deinen Weg finden.« Harry nickte stumm, dankbar für die Worte des alten Mannes, die in ihm einen Funken Hoffnung weckten.
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