Kapitel 7: Image
Die meisten Juristen sind gute Juristen.
Aber um perfekt zu sein, müssen sie die Spitze der Rechtswelt mit analytischen Fähigkeiten, überzeugender Kommunikation, effektiver Recherche und tadelloser Rhetorik führen.
Ein herausragendes Urteilsvermögen und Verhandlungsgeschick sind unablässig.
Diese Juristen werden entschieden durch ihre Integrität, doch die Kreise streiten noch immer, ob ein hoher ethischer Standard und ein moralischer Kodex dazu gehört oder nicht.
Denn die umgangssprachliche Regel lautet:
Die besten Juristen unserer Welt sind so schlimm, wie sie es auch perfekt sind.
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In den Augen von
Elijah Colton
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„Ich sage nur, Elijah, es würde deinem Image zu gute kommen."
Es war ein stürmischer Nachmittag, als ich gegenüber des Universitätdirektors in seinem Büro saß. Der Himmel war unheilvoll bedeckt. Es begann zu regnen und das Nass prasselte angenehmer gegen die Scheiben als ich mich gerade fühlte.
Ich lehnte mich im schwarzen Ledersessel zurück, beide Arme auf den Lehnen liegend und atmete tief durch. Versuchte ruhig zu sein. Ich würde "Aggressionsprobleme" haben, wie eine Geschichtsprofessorin es letzte Woche verpackt hatte. Ich lächelte fast.
„Und ich sage dir, es ist keine gute Idee.", erwiderte ich.
Es war nun mehrere Wochen her, dass das Semester angefangen hatte, mein zweites Semester überhaupt als Professor in Deutschland. Es war Mitte November. Das Einzige, was ich genoss, war, dass das Wetter genauso schlecht und stürmisch war wie in London zu dieser Jahreszeit.
„Was wenn ich dir sagen würde, dass du keine andere Option hast?"
Ich lachte.
Philipp Wagner, ein Mann mit silbergrauen Haar und angekommen in seinen 50ern, betrachtete mich eingehend.
Möglicherweise hatte ich ihm viel zu verdanken. Flüchtig kennengelernt bei seinen Besuchen in Oxford bezüglich des Austauschprogramms der beiden Universitäten, hatte er mich Jahre später ohne Hinterfragen meiner Beweggründe als Dozent an seiner Universität angenommen. Nicht ein einziges Mal hatte er gefragt, warum ich Oxford den Rücken gekehrt hatte, oder gleich ganz Groß Britannien. Egal wie zwielichtig oder dubios mein Werdegang für ihn geschienen haben mag, hatten wir kein einziges Mal darüber geredet, für wie verrückt er oder zumindest andere Lehrende mich gehalten haben mussten, eine der prestigeträchtigsten Elite Universität der Welt vorübergehend zu verlassen.
„Und was exakt meinst du damit, Philipp?"
Ich sah ihn unter tiefen Augenbrauen an, beide Hände vor mir verschränkt.
Jeder anderen Bitte hätte ich womöglich noch einen Gedanken geschenkt, aber diese war nicht nur für mich lächerlich nachzugehen, sondern auch für ihn zu fragen. Denn eine Sache war sicher. Ich als Mentor für den Moot Court; ein One on One mit mir und einem Studierenden war womöglich das nervenaufreibendste, was man diesen jungen Leuten antun konnte.
Ich wusste, wer ich war. Ich hatte kein Problem damit, zuzugeben, dass ich durch Affronts lehrte, dass ich eine kalte Person war, dass ich kein nettes Wort für meine Studenten übrig hatte.
Ich hatte kein Problem damit, weil ich ganz genau wusste, dass es die richtigen Studenten resilient machen würde.
Ein guter oder schlechter Professor machte keinen Unterschied in einem sowieso schon miserablen Leben.
„Ich meine damit, dass die Entscheidung nicht meine, sondern die des Ausschusses war. Du stehst auf der Kippe, Elijah." Er räusperte sich.„Und ich meine es ernst. Die studentischen Beschwerden haben sich über dich gehäuft und der Ausschuss schüttelt mit dem Kopf. Es gibt Stimmen im Ausschuss, die dich ohne Job sehen möchten."
Was eine Reihe von kognitiven Idioten.
„Du hast einem Studenten vor versammelter Mannschaft gesagt, dass er ein Muttersöhnchen sei, der glauben würde, dass er mit dem Geld seiner Eltern vor den Gerichtshöfen rumwedeln könne."
Meine Mundwinkel zuckten.
„Bei einer anderen Klausur hast du drunter geschrieben, dass du überrascht seist, dass sie überhaupt volle Sätze schreiben könne, wenn ihre sonstigen Beiträge vollkommen inkohärent seien."
„Ich sehe kein Problem mit deinen Methoden, aber du musst den Ausschuss auch noch davon überzeugen.", bat er mich.
„Ich soll einen Ausschuss überzeugen, der es anprangert, dass ich arrogante Studenten eines besseren belehren möchte? Der soweit in seiner akademischen Welt verharrt, dass er keinen realen Bezug mehr zu dem Praktizieren nach dem Studium hat? Zu der echten Arbeit vor den Gerichten? In ein paar Jahren wird alles, was wir noch haben, verweichlichte, abgehobene Juristen sein, die sich keinen Herausforderungen stellen, weil sie Angst haben, bloßgestellt zu werden."
Ich hob meine Augenbraue, doch sah im nächsten Moment mit mahlendem Kiefer aus dem Fenster auf den Campus.
Alles, was ich in Oxford angestrebt hatte, war Studenten auf die Realität vorzubereiten — ihnen einen Bezug zu den Herausforderungen der Welt zu geben, fernab von ihrem reichen Elternhaus, ihrer sicheren Blase, ihrer Anonymität. Ich wollte damals Menschen lehren, die verstanden, dass es Orte gab, an denen man bitterlich für die Rechtlichkeit kämpfen musste.
Letztendlich konnte Philipp die Entscheidungen des Ausschusses nicht ignorieren. Es würde sich bloß anhäufen und ich musste noch ein paar Monate in Deutschland bleiben. Meine privaten Angelegenheiten hier waren noch nicht sortiert.
Ich sah wieder nach vorne. Mein angehaltener Atem entwich dumpf.
„Also, suche ich mir einfach einen Studenten aus?"
Ein wenig wie im Tierheim.
„Nein.", gab Philipp zu und das Wort kratzte und zehrte unangenehm an meinem Gehör. Noch nicht mal das wurde mir erstattet.
Er nahm eine Akte zu seiner linken Seite in die Hand, an der mir nun auffiel, dass sie die ganze Zeit schon kompromisslos dort gelegen hatte.
„Sie wurden einander zugeteilt. Ein Liebling des Ausschusses. Überraschend, muss ich zugeben, da kein guter familiärer oder finanzieller Hintergrund vorliegt."
Gutmöglich kein vollkommen weltfremder Student also, sondern jemand, der sich alles im Leben selbst erarbeitete. Eine milde Erleichterung.
Auf der anderen Seite gab es auch noch das Szenario, dass es jemand war, der bloß in den Arsch des Ausschusses gekrochen war.
Er schob mir die Akte entgegen.
„Exzellente Leistungen. Vielfältiger Lebenslauf in so jungen Jahren. Sympathisch, wie ich finde. Sehr diszipliniert und anstrebend, habe ich mir sagen lassen. Genau dein Fall, oder nicht?"
Ich antwortete nicht. Stattdessen lehnte ich mich zurück und öffnete belanglos die Akte.
Wenn ich das bloß niemals getan hätte.
Denn als mir ein Foto von dunkelbraunen, langen Haaren,
leuchtend grünen Augen
und rosigen, vollen Lippen verzogen in ein leichtes Schmunzeln entgegenkam,
lehnte sich mein Oberkörper ungewollt ruckartig nach vorne.
Philipps Worte hallten in meinen Ohren.
Das Einzige, was ich tat, war dieses Foto anzustarren.
Wie nervtötend.
Wie hinterlistig.
Wie bezaubernd.
Rosige Haut, lebendiger Blick, und dieses Schmunzeln wie eine Waffe. Als würden Männer vor ihr auf die Knie gehen.
War sie der Teufel? War das, warum sie mich in die Verdammnis zu treiben schien?
Ich konnte nicht wegsehen. Weil es nicht greifbar für mich war, wie diese junge Frau anfing, alles in meinem Leben einzunehmen — mich auf eine parasitische Weise zu belagern.
Ich wollte nichts mit ihr zu tun haben.
Das hatte ich mir zumindest nach unserem ersten Aufeinandertreffen gesagt.
Mein stechender Blick war noch immer an ihrem Foto – die Informationen daneben völlig außer Acht gelassen – aufgehangen, als ich langsam antwortete. Meine Stimme war hohl in meinen Ohren. Ich war in meinen kalkulierenden Gedanken gefangen.
Ein einziger Atemzug.
Rasende Gedanken.
„Ja. Sie ist genau mein Fall."
Was für ein Fehler.
Während dutzende Abschätzungen durch meinen Kopf gingen, meine Gedanken irreversibel verknüpft mit ihrem Antlitz, und ich dieses Bild stoisch studierte, tat Philipp die ganze Situation schon mit einem Schulterzucken ab:
„Der Ausschuss kann nicht von dir erwarten, dass du als Mentor diese Erstsemesterin dazu bringst, den Moot Court zu gewinnen und nach Oxford zu kommen, Elijah. Das wäre eine Tortur. Setz ihr einfach in den Kopf, dass sie gewinnen könnte und sie schafft es vielleicht unter die Top 10."
Philipp warf sich seinen Espresso zurück in den Rachen. Ab und zu hatte sogar er zwei Gesichter.
„Glückwunsch, deine Zukunft an dieser Universität liegt nun in den Händen von Eve Winter."
Gott erbarme sie.
Und mich besonders.
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