Zimtsterne zum Verlieben (9/10)
Die Feuerwehr löschte das Feuer, doch den Schaden konnten sie nicht rückgängig machen.
Vienne saß vor der Bäckerei auf dem Bordstein und hatte die Arme um sich geschlungen. Sie starrte die abgesperrte Tür an, hinter der sich die verkohlte Küche verbarg. Jemand mit Atemmaske brachte den durchgebrannten Ofen nach draußen. Er rauchte noch immer wie verrückt, aber wenigstens waren die hungrigen Flammen verschwunden.
Biana saß neben ihr und hatte eine Hand auf ihre Schulter gelegt. Sie war blass, dann räusperte sie sich. "Zumindest steht das Haus noch", sagte sie. "Es ist nur die Küche, die erneuert werden muss ..."
Vienne schluckte schwer. "Ich bin am Ende", flüsterte sie und konnte den Blick nicht vom Ofen abwenden, der genauso verkohlt wie ihre Träume aussah. Wie würde sie nun ihre Rechnungen bezahlen? Selbst wenn die Versicherung eingreifen würde, würde es ewig dauern. Noch dazu waren alle Kekse fort. "Gerade habe ich neue Hoffnung geschöpft, aber nun ..."
"Vienne!", riss sie ein Ruf aus den Gedanken.
Die bekannte Stimme ließ sie aufblicken. Eilig schob sich David durch die Menschenmenge, die sich mit etwas Abstand um die Feuerwagenfahrzeuge versammelt hatte und tuschelte. Der junge Mann hatte seine Jacke schief zugeknöpft. Er eilte zu ihr. Ein sorgenvoller Blick funkelte in seinen Augen. "Was ist passiert?"
Vienne zuckte mit den Schultern. Sie hatte nicht die Kraft, die Geschichte nochmal zu erzählen.
Biana erklärte es David, der mit zusammengebissenen Zähnen zuhörte. Am Ende nickte er und hockte sich vor Vienne. Er streckte eine Hand aus. "Willst du erstmal mit zu mir kommen, um dich aufzuwärmen? Deine Hände sind ganz kalt."
"Okay", stimmte sie kraftlos zu. Sie registrierte kaum, wie sie die Innenstadt verließen und in seiner Wohnung ankamen, bis sie den bekannten Klang des Wasserkochers hörte. In den letzten Wochen hatten sie oft hier zusammen gesessen - jedoch stets mit besserer Stimmung.
Der Geruch von frisch gebrühten Apfel-Zimt-Tee stieg ihr in die Nase. "Danke", murmelte sie. Dann schlug sie die Hände vor ihr Gesicht. "Ich hin so blöd! In einer Küche muss man aufpassen, vor allem mit dem Ofen. Wie konnte ich die Kekse vergessen? Und wieso habe ich ihn so hoch gedreht, ohne es zu prüfen? Wie ..."
"Beruhige dich, Vienne." David nahm ihre Hände in seine Hand. "Du bist nicht blöd, es war ein Unfall. Und ich bin froh, dass es dir gut geht."
"Ja", seufzte sie. "Aber ich werde die nächsten Wochen nicht öffnen können."
"Wer sagt, dass du eine Bäckerei brauchst, um deine Weihnachts-Magie zu verbreiten?"
"Welche Weihnachts-Magie habe ich noch?", schnaubte sie und wich seinem Blick aus.
Ein leichter Druck an ihren Händen ließ sie wieder aufsehen. Davids Blick war so weich wie geschmolzene Schokolade. "Dein strahlendes Lächeln, wenn du dich freust", begann er aufzuzählen. "Deine Begeisterung, wenn du über Weihnachten redest. Deine liebevolle Art, mit der du den Kindern Weihnachtsgeschichten erzählst. Vienne, die Magie kommt nicht aus deinen Keksen. Sie geht von dir aus." David lächelte.
"Ehrlich?" Vienne spürte, wie sich eine Träne den Weg nach oben bahnte. Sie holte tief Luft. Sie würde nicht weinen.
"Mich hast du zumindest verzaubert, auch wenn ich Weihnachten davor nicht mochte."
"Nicht nur nicht mochte - du hast es gehasst", korrigierte Vienne mit einem schmalen Lächeln auf den Lippen.
David betrachtete sie. Dann lehnte er sich zurück. "Stimmt. Willst du eine Geschichte hören? Sie handelt von einem Jungen aus meiner Klasse, der deine Weihnachts-Magie gerne früher gebraucht hätte. Aus Gründen des Datenschutzes nenne ich ihn jetzt William."
"Okay." Vielleicht konnte die Geschichte Vienne ablenken, auch wenn sie noch nicht wusste, worauf sie hinauslaufen würde.
"William war damals acht Jahre alt, als sich dieser Vorfall ereignete."
"Ich dachte, du unterrichtest ältere Kinder?"
"Sie alle waren einmal klein. Williams Eltern hatten schon seit einiger Zeit kein gutes Verhältnis mehr. Sein einziger Wunsch zu Weihnachten war es, dass sie sich wieder vertragen würden. Am letzten Schultag vor Weihnachten blieb er lange in der Schule, um seinen Wunschzettel zu schreiben."
"Etwas spät", bemerkte Vienne.
"Vielleicht. Aber für Wunder gibt es keine zeitlichen Fristen."
"Er hat also auf ein Weihnachtswunder gehofft, welches seine Eltern zusammenbringt? Hat es geholfen?"
"Abends rief seine Mutter an, weil er noch nicht zu Hause war", fuhr David fort. "Sie ging davon aus, dass er bei seinem Vater war, da beide in getrennten Wohnungen lebten und kaum miteinander sprachen. Das brachte William auf eine Idee. Er ließ seine Mutter glauben, dass er bei seinem Vater wäre und dort die Weihnachtstage verbringen würde. Dann rief er seinen Vater an und erzählte ihm, er würde Weihnachten bei seiner Mutter feiern. Da seine Eltern nicht miteinander redeten, fiel es keinem auf."
Vienne schnappte nach Luft. "Nein! Und wo ist er wirklich gewesen?
David setzte ein gequältes Lächeln auf. "Unterwegs, den Weihnachtsmann suchen, damit dieser seinen einzigen Wunsch wahr werden lässt."
"Uff. Hat er ihn gefunden?"
"Natürlich nicht. Er hat weder den Weihnachtsmann noch sein Weihnachtswunder gefunden, und sein hoffnungsvoller Glaube ist mit ihm auf den kalten Straßen erfroren."
Vienne fiel der Löffel aus der Hand. "Ist er gestorben?"
David riss erschrocken die Augen auf. "Nein! Nur fast. Jemand hat ihn gefunden und ins Krankenhaus gebracht. Seine Eltern waren wütend - auf ihn und aufeinander. Statt wieder zusammenzukommen, haben sie sich endgültig getrennt und nie wieder ein Wort miteinander gesprochen. Das war's. Seither hasste er Weihnachten. Erst deine Bäckerei hat den Glauben wieder in ihm geweckt und ihm gezeigt, wie schön das Fest sein kann. Ich habe die Tage mit ihm gesprochen und er meinte, dass die Vergangenheit manchmal blöd sein kann, aber die Zukunft entscheiden wird selbst."
Vienne sah David mit nachdenklichen Augen an. "William und du steht euch sehr nah, habe ich Recht?"
Davids Lächeln wurde breiter, weil sie seine Geschichte durchschaut hatte. "Sehr nah."
"Und was will William machen, wenn er groß ist?"
"Einen Ort schaffen, wo andere Kinder wie er ihren Glauben wiederfinden können und eine schöne Zeit haben können, egal wie die Verhältnisse bei ihnen zu Hause sind."
"Das klingt nach einem tollen Plan."
"Und diese Orte gibt es überall. Weil - und das habe ich auch erst jetzt verstanden - es nicht die Orte sind, die dieses Gefühl auslösen. Sondern die Menschen dahinter. Deine Bäckerei ist so besonders, weil du dahinter stehst."
Vienne lächelte dankbar. "Und deine Baumhausanlage ist es, weil du dahinter stehst."
"Du hast es durchschaut."
"Wohl eher habe ich dich durchschaut", lachte Vienne. "David, es tut mir leid, was mit deinen Eltern geschehen ist."
Er zuckte mit den Schultern. "Das war damals. Dann gab es ein Wunder. Glaubst du an Wunder?"
Früher wäre die Antwort sofort "ja!" gewesen. Nach dem Brand hätte sie einen Moment "nein" gelautet. Doch nun ...
"Ja", bestätigte sie und in ihren Augen entflammten wieder die Leidenschaft und die Magie, die sie zwischenzeitlich verloren hatte. "Ja. Ich finde einen Weg, wie ich alles möglich machen kann."
"Wir." David strich ihr vorsichtig eine Strähne aus dem Gesicht und ihre Blicke trafen sich in vollem Vertrauen und funkelnder Verbundenheit. "Ich habe nämlich schon eine Idee."
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro