VI
Ein gellender Schrei hallte durch den Saal. Großmaegister Gerald hielt die Hand einer hochschwangeren Frau, die sich qualvoll wand. Wieder packte sie eine Wehe und sie bäumte sich schmerzhaft auf. Erneut stieß sie einen verzweifelten Aufschrei aus.
Lewins Blick war verzückt auf ihren bebenden Körper gerichtet. Er und ein Dutzend anderer Novizen durften zu Schulungszwecken den Großmaegistern bei der Geburt zusehen. Das war der Höhepunkt seines Tages.
Zwei Hebammen wuselten um die Schwangere herum und wechselten die schmutzigen Tücher und das Wasser gegen frisches aus.
„Atmet ruhig, meine Dame", bat Großmaegister Gerald. Er machte es ihr vor und sie passte ihre Atmung der seinen an. Ihr Blick war flehentlich auf seine kantigen Gesichtszüge gerichtet. Da packte sie die nächste Wehe. Sie schrie sich die Seele aus dem Leib.
„Ihr habt es bald geschafft, ich kann schon das Köpfchen sehen", munterte Maegister Eugene sie auf.
Bei der Dame handelte es sich um eine Hure aus dem Hafenviertel, die ihren ersten Bastard zur Welt brachte. Gegen eine geringe Menge Münzen hatte sie sich gerne in die Obhut der Maegister begeben, um als Forschungsobjekt zu dienen.
Die Dirne begann wieder regelmäßig zu hecheln und starrte den Großmaegister mit geweiteten Augen an. Als sie die nächste Welle packte, konnte Lewin ein schmatzendes Geräusch vernehmen und er sah gespannt hin. Der Säugling wurde von Maegister Eugene elegant aufgefangen. Dieses rosafarbene fleischige Würmchen regte sich nicht und Lewin fürchtete, es wäre tot.
Der Maegister drehte das Neugeborene auf den Rücken und verkündete stolz, als wäre er selbst der Vater: „Ich gratuliere, es ist ein Junge."
Begeistert applaudierten die Hebammen und freuten sich mehr als die Mutter, die erschöpft auf der Liege zusammengesackt war. Noch hatte sich das Baby nicht bewegt und Lewin fragte sich, warum alle so gelassen waren. Es starb, sah es denn keiner außer ihm?
Eine Hebamme klemmte die Nabelschnur ab und durchtrennte sie einen Moment später. Die andere wickelte den Säugling in Handtücher und strich ihm grob das Blut und Fruchtwasser aus dem Gesicht. Das Gesicht des kleinen Bubens färbte sich immer dunkler und Lewin wollte aufspringen und helfen. Es bekam keine Luft und würde elendig ersticken, wenn keiner einschritt. Doch die Furcht hielt ihn zurück. Die letzte Tracht Prügel, die er hatte einstecken müssen, hatte ihm das Bewusstsein gekostet. Er war erst auf der Krankenstation wieder zu sich gekommen.
Er fixierte den Säugling mit seinen grünen Augen, während eine Hebamme ihn den anwesenden Novizen präsentierte. Noch immer rührte er sich nicht. Lewin ballte seine Hände zu Fäusten und spannte jeden Muskel seines Körpers an. Er stellte sich vor, wie er über das Geländer sprang und das Neugeborene rettete. Noch einen Augenblick würde er verstreichen lassen, doch dann müsste er handeln.
Plötzlich regte sich der Bube und gab einen gellenden Schrei von sich. Lewin hatte nicht bemerkt, dass er die Luft angehalten hatte. Doch jetzt gab er sie mit einem langen Seufzen frei und seine Hände entspannten sich.
Überwältigt klatschte er in die Hände und die anderen Novizen stimmten verhalten mit ein. Er wischte sich verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel. Diese Szenerie nahm ihn mehr mit, als er gedacht hätte. Nach diesem Erlebnis freute er sich auf seine erste Geburt. Es würde zwar nicht sein Kind sein, das er auf die Welt holte, da es Maegistern verboten war, sich fortzupflanzen, doch es kam dem Gefühl nahe.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro