Kapitel 4
An mir rauschte eine grüne eintönige Landschaft vorbei, was bedeutete, dass wir unser Dorf wohl offensichtlich verlassen hatten. Wie lange waren wir eigentlich schon unterwegs? Ich muss irgendwann eingeschlafen sein.
Man vergaß schnell, wie weit das perlmuttweiße Schloss, mit seinen vielen Türmen entfernt lag. Vermutlich lag dies daran, dass man das Schloss selbst im hintersten Winkel des Landes noch erkennen konnte und, dass die Garde auf jedem fleckchen Land patrouillierte. Natürlich trugen auch die "Anekdoten des Lebens" dazu bei. Überall und jederzeit fühlte man sich beobachtet und kontrolliert. Selbst hier, wo es weit und breit nichts gab, außer Wiesen und Wälder und einem Reh in der Ferne. Gäbe es all diese Überwachungsmechanismen nicht, fänd ich diese Gegend absolut herrlich.
Nun quälten mich die Kopfschmerzen vom vielen Weinen heute morgen. Es war bereits später Nachmittag und sobald die Sonne am Horizont versank, machte die Kutsche halt. Unterdessen wechselte der Himmel von blau zu rosa undvon rosa zu orange, bevor die Nacht herein brach. Ich bekam etwas zu essen. Es war einfach aber köstlich und ich ärgerte mich über diesen Gedanken. Ich wollte an nichts von alle dem gefallen finden und noch mehr ärgerte mich, dass ich diese Speise selbst nicht hätte besser zubereiten können. Da ich seit dem Morgen nichts mehr gegessen hatte verschlang ich das Mahl eher, als dass ich gesittet gespeist hätte. Aber das kümmerte mich wenig. Nach dieser Pause fuhren wir, ohne einen weiteren Zwischenstopp, weiter.
Am darauffolgenden Morgen fanden wir dann eine befestigte Straße wieder und konnten die Waldwege und Trampelpfade zum Glück verlassen. Es stellte ein Erleichterung für meine Knochen dar, die bereits völlig durchgeschüttelt waren. Einmal bin ich sogar von der Bank in den Fußraum gefallen und hatte ernsthaft überlegt für den Rest der Fahrt dort zu verweilen. Obwohl ich mich dann doch zurück auf den Sitz gekämpft hatte. Bald war auch der Palast ein gutes Stück näher gerückt, was mich nicht gerade begeisterte. In weniger als einer Stunde würde es also soweit sein. Dann werde ich eine Schreiberin sein und eine Untertanin der Herrin. Aber nicht untergeben- das nahm ich mir fest vor. Wenn sie mich aus diesem Grund hinaus werfen würde, wäre ich froh darüber.
Momentan saß ich, immer noch auf mich allein gestellt, in dieser öden Kutsche, die gemächlich vor sich hin holpert und stolperte. Leider hatte ich mich zu früh gefreut, denn unter uns befanden sich nun mörderische Pflastersteine. Schon wieder wurde ich umher geworfen und versuchte irgendwie auf der Bank halt zu finden. Mit nur wenig Erfolg. Ich wunderte mich nicht, weshalb die Herrin ein Pferd bevorzugte.
Endlich oder auch nicht-endlich erreichten wir den Palast. Vor dem Tor aus Silber, wurden wir kontrolliert und ich musste das Dekret vorzeigen. Ich ließ es direkt bei den Dienern, denn es wog wie Blei in meiner Tasche. Ich war froh es zum zweiten mal los zu sein, denn es trug immerhin Mitschuld an meiner jetzigen Lage. Das erste mal, hatte Ela mir ja das elende Ding abgenommen. Erst kurz vor der Reise hatte sie es mir zurück gegeben.Ich vermisste meine liebe Schwester jetzt schon.
Der Kutscher ließ mich vor einer ausladenden, marmornen Treppe aussteigen. Ohne, dass man mir sagte, wohin ich nun gehen sollte, ließ man mich stehen und die Kutsche fuhr- mit meinem Gepäck- davon. Winkend und rufend lief ich hinterher, gab den Versuch, die Kutsche anzuhalten, jedoch recht bald auf. Ich war einfach zu langsam. Empört stapfte ich zur Treppe zurück. Hinter mir lag ein gepflegter Garten mit einem kleinen Springbrunnen in der Mitte. War das der Hintereingang oder das Hauptportal? Ich wusste es nicht. Hier draußen war aber niemand zu sehen, der mir hätte weiterhelfen können. Also entschloss ich mich dazu erst einmal hinein zu gehen. Auf der obersten Stufe hielt ich einen Moment inne und drehte mich um. Man konnte von hier aus wunderbar das ganze Land überblicken. Ich suchte nach meiner Heimatstadt und fand sie sogleich. Mit einem wirklich allerletzten Blick auf mein Zuhause, ging ich hinein in den Palast, der ganz oben auf dem höchsten Berg des Königreichs thronte. Um den Fuß des Berges drängte sich die Hauptstadt, so wie es die Leute, um die Postkutsche herum stets taten.
Ich ließ meine Hand über das gigantische Portal gleiten, in das verschiedenste Schnitzereien eingelassen waren. Bevor ich mich hatte fragen können, wie ich es aufbekommen sollte, denn die Flügel waren mit Sicherheit alles andere als leicht, ist es wie von Zauberhand auf geschwungen. Zögerlich überwand ich die nächsten Meter und fand mich in einer Art Eingangshalle wieder. Auch hier hielt sich außer mir niemand auf. Das gesamte Gelände wirkte wie ausgestorben. Ich konnte nicht einmal den ein oder anderen Wachposten ausmachen. Warum die Herrin ihr Heim wohl unbewacht ließ? Andererseits musste sich natürlich jeder bereits an der Grundstücksmauer ausweisen. Unterdessen hallten all meine Schritte von den hohen Decken wieder. Es tauchte auch niemand aus einem der unzähligen Seitengängen auf, die in dieser Halle zusammenliefen. Daher, dass ich nicht wusste wohin mit mir, folgte ich dem größten der Korridore. Anschließend endete der Flur bei einer weiteren verzierten Tür. Unschlüssig warf ich einen Blick zurück und widmete mich wieder dem Durchgang. Mehrmals sah ich zwischen dem leeren Gang und der Tür hin und her. Es konnte doch nicht sein, dass hier sonst niemand war. "Hallo?", fragte ich unsicher. Eine Antwort blieb jedoch aus. Was jetzt? Wohin? Hatte ich mich etwa verlaufen? Vermutlich. Allerdings würde ich nun sicher nicht mehr zurück in die Einganghalle finden. Dafür war ich zu oft abgebogen. Dann gab es nur noch einen Weg. Ich griff nach dem Türknauf, drehte ihn um und... bekam die Tür nicht auf. Sie musste verschlossen sein. Langsam wurde mir unheimlich zumute. Ich versuchte es noch einmal und rüttelte an der Türklinke, jedoch gab die Türe keinen Millimeter nach. Ich startete einen letzten Versuch und warf mich mit aller Kraft gegen den rechten Flügel. Nichts. Dann hieß es also doch umkehren.
Es war wirklich gruselig allein durch diese schier endlos erscheinenden Flure zu schleichen. Nur mit viel Mühe gelang es mir, zurück in die Eingangshalle. Plötzlich erklang mich ein metallisches Quietschen und ich erschrak. Nicht eine Tür war es, die sich öffnete, sondern ein Teil der Wand zu meiner linken. Ein Geheimgang?
"Wunderbar, da sind Sie endlich. Sie sind Lou Talan, richtig? Gut, und ich bin Monsieur Herris. Wir haben bereits auf Sie gewartet. Ich hatte insgeheim schon geglaubt, Sie wären davongelaufen. Aber da sind Sie ja. Die Herrin ist nun bereit, Sie zu empfangen. "Ich nickte verwirrt, was der grauhaarige Herr, der gerade vor sich hin plapperte, scheinbar als Zustimmung empfand. "Es freut mich sie kennen zu lernen, Monsier Herris, aber ich fürchte...", wollte ich zu einer höflichen Erklärung meiner Situation ansetzen, konnte allerdings nicht ausreden. Jedenfalls war ich heilfroh, dass ich doch nicht in einem Geisterschloss gelandet war. "Sie sind genau richtig hier!", entschied er und drückte mir den sperrigen Blumenkübel, den der zuvor getragen hatte, in die Hand. Ich stellte ihn jedoch sofort wieder ab, da ich das Gewicht kaum halten konnte. Außerdem würden die Blumen diesem trostlosen Ort mit Sicherheit ein wenig Leben einhauchen - befand ich. "Darum werde ich mich später kümmern. Jetzt erst mal hier entlang." Monsieur Herris führte mich in ein schlichtes Durchgangszimmer und deutete auf die gegenüberliegende Tür. Ich ging darauf zu und drückte die Klinke hinunter. "Verschlossen.", sagte ich. "Aber nein.", Monsieur Herris klopfte dreimal gegen das Holz. Man hörte etwas klicken und rattern, bevor sich die Tür wie von allein bewegte. Wohl doch keine Zauberei, sondern eher simple Meschanik. Ich war überrascht. Ob das hier überall so funktionierte? Also auch bei der Anderen, vor der ich vorhin gestanden hatte? Ich stand noch einen Augenblick staunend da und beugte mich leicht vor, um einen Blick in den Saal werfen zu können, der sich hinter dem Portal auftat. Herris schubste mich ein Stück vorwärts und war dann so urplötzlich, wie er aufgetaucht war, auch wieder verschwunden. Ich befand mich nun im Thronsaal. In der Mitte des Raumes saß die Herrin auf ihrem Thron, zu dem einige Stufen hinauf führten. Wie erstarrt stand ich da, während mich die Herrin unverhohlen musterte.
Ihre Mine zeugte von einer gleichgültigen Distanziertheit, die mich erschaudern ließ. Ich versuchte dem Drang, auf dem Absatz kehrt zu machen, zu widerstehen. "Komm nur Herein.", wies sie mich an und ihr rot geschminkter Mund verzog sich zu einem falschen Lächeln. Der Herrin widersetzte man sich nicht, rief ich mir ins Gedächtnis und trat zögerlich einen Schritt nach dem anderen vor. Schließlich ließ ich mich zu einer Verbeugung herab. "Sie benötigt neue Kleider.", stellte die Herrin unberührt fest. "Wie bitte? Aber das ist mein Lieblingskleid.", protestierte ich sogleich. Was erlaubte diese Tyrannin sich eigentlich? Ich mochte mein Himbeerrotes Sommerkleid. Allerdings ignorierte die Herrin meinen Einwand und entließ mich mit einer Handbewegung.
Eilig huschte ich hinter einer Bediensteten her, die mich aus dem Saal führte.
Als wir durch die seltsam sterilen Flure gingen, kam mir meine Situation irgendwie unwirklich vor. Ich hatte das Gefühl seit Stunden zu laufen, darum stolperte ich, als die junge Brünette abrupt anhielt. Beinahe wäre ich ihr in die Fersen getreten. Unbeeindruckt zog sie einen silbernen Schlüsselbund hervor. Einen besonders kleinen Schlüssel drehte sie im Schloss herum, sodass ein gespenstisches Geräusch durch den Gang hallte. Wozu benötige man überhaupt solch viele Zimmer? Der enge Raum, den sie freigab, ähnelte einer begehbaren Garderobe. Kaum hatte ich die fensterlose Kammer betreten, schloss die Frau die Tür und zerrte eine Bedienstetentracht von einer der Metallstangen, die bis unter die Decke hingen. Sie hielt mir das Kleidungsstück einen Moment vor und drückte es mir dann in die Hand. "Das müsste dir passen. Beeil dich." Ich nahm das Kleid und verschwand hinter dem Vorhang in der Ecke.
Nach dem ich mich umgezogen hatte, dachte ich schon die Dame wäre fertig mit mir und ich könnte an meinen zukünftigen Arbeitsplatz, aber ich hatte mich getäuscht. "Es gibt noch einiges zu erledigen.", erklärte sie, während ich ihr durch den Irrgarten ähnlichen Palast folgte. Später erreichten wir einen prunkvollen Saal von der Größe einer Lagerhalle. Hier bildeten etliche, beleuchtete Vitrinen enge Gänge. Bald fiel meine Aufmerksamkeit auf einen langen, schmalen Tisch. Darauf lagen Schreibfedern fein säuberlich nebeneinander. Erst da viel mir auf, dass sich in all den Vitrinen weitere Federn befanden und Keine der anderen glich. "Diese hier...", die Bedinstete deutete auf den Tisch vor uns, "...stehen dir zur Verfügung. Jedoch darfst du lediglich eine auswählen.", meinte sie schlicht. Die vielen Federn auf dem Tisch waren allesamt sehr verschieden. Es gab kleine und große, sowie bunte und einfarbige und einige mehr. Wie sollte ich mich da entscheiden? Noch komplizierter machte es die Tatsache, dass es mir völlig egal war. Denn ich würde sie hassen. So wie ich alles hier nicht ausstehen konnte.
Letztenendes wählte ich eine schlichte rote Feder, in Anlehnung an das hiesige Wappen. Wenn ich könnte würde ich die Geschichte umschreiben und das Wappen zu einem Symbol des freien Schreibens machen. Ein Symbol dafür, dass die Schreckensherrschaft ein Ende gefunden hätte und das jeder, überall darüber schreiben dürfte, worüber er möchte.
Ich wollte gerade fragen, wo ich denn arbeiten sollte, als mich die strenge Dame schon aus dem Raum zog. Als nächstes landete ich in einer weiteren Halle, in der Schreibtische in Reih und Glied aufgestellt waren. Auch hier war alles steril und monoton gehalten. Ich konnte das schlichtweg nicht mehr mit ansehen. Wir schritten zwischen den ordentlich gehaltenen Tischen hindurch. Auf jedem befanden sich nahezu exakt die gleichen zwei Stapel Papier, ein Tintenfass und das ein oder andere Buch. Mehr nicht. Ich fand diesen Ort durch und durch schrecklich, auch, wenn es kein Kellerraum war. Fenster gab es hier ebenso nicht. "Hier. Setz dich und schreib.", die Bedienstete, die mich hergebracht hatte, wandte sich ab und ließ mich stehen. Die Worte dieser Frau hatten freundlicher denn je geklungen, vor allem seit sie diesen Befehlston mit Vorliebe angeschlagen hatte. Entmutigt ließ ich mich auf den freien Stuhl sinken. Wer auf diesem wohl vor mir gesessen hatte? Was musste mit dieser Person nur geschehen sein? Besser war es wohl, wenn ich es nicht erfuhr. Mit einem Seufzen wandte ich mich den Blättern zu, die sich vor mir auftürmten. Zittrig hielt ich die neue Feder über die Papierbögen. Von dem Pergament ging eine bedrohliche Leere aus, die mich dazu brachte die Feder in Tinte zu tunken und mit dem Schreiben zu beginnen. Ich konnte gar nicht mehr damit aufhören Wort für Wort nieder zu bringen, als sei ich verzaubert worden. Konnte das sein?
Erneut ging mir die Tinte aus, doch ich hielt mich davor zurück die Feder in das Fass zu senken. Mir lief der Schweiss über die Stirn. Hier stimmte definitiv etwas nicht. Mit höchster Konzentration musste ich mich davor zurückhalten weiter zu schreiben. Ob jeder in diesem Saal unter einem Fluch stand? Es fühlte sich an als wäre da nun eine unsichtbare Hand, die sich gegen meine stemmte, damit, die Feder wieder nachgefüllt werden würde. Mit einer gezielten Bewegung gab ich nach, jedoch so, dass ich das Tintenfässchen vom Tisch fegte. klirrend landete es auf dem marmornen Fußboden und zerschellte. Die funkelnden Glassplitter breiteten sich in alle Richtungen aus und vermischten sich mit der verspritzen, schwarzen Tinte. Die anderen Schreiber hielten augenblicklich inne, als hätte man sie aufgeweckt. Jeder im Raum betrachtete das plötzliche Chaos auf dem Boden. Ich hatte diese elende Perfektion des Ortes durchbrochen und freute mich diebisch darüber. Jedoch hatte sich nun auch ein Wachmann in Bewegung gesetzt. "Verzeihung, es war bloß ein Versehen.", log ich lächelnd. Auch eilten sofort weitere Bedienstete herbei, die sich neben den Scherben niederknieten und begannen die Tinte akribisch aufzuwischen. Andere wiederherum gingen zu den Schreibern, die sich verwirrt umsahen. Darüber bekam ich Angst. Unterdessen zerrte mich der Wachmann aus der Halle. Wohin er mich brachte wusste ich nicht. Was würden sie nun mit mir machen?
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