#22. Erinnerungen
Wenn sie es unbedingt wissen wollte, dann würde er nicht der Grund dafür sein, dass sie es nicht erfuhr. Ruckartig drehte er sich um, zeigte anklagend auf das Parkett, da, wo er Lucius gesehen hatte und ranzte: „Er hat genau da gestanden! Er hat geflennt! Als wäre es nicht seine Schuld, sondern ein tragischer Umstand! Er hat geflennt, sich den Zauberstab an die Schläfe gehalten und mich angesehen! Und es hätte ja nicht schlimmer kommen können, nein. Er sagte Es tut mir leid und dann hat er sich selbst in die Luft gesprengt! Gesprengt Granger! Ich hatte ihn verflucht noch mal auf meiner Haut kleben! Und ich kann ihn nicht abwaschen, so oft ich dusche! Es geht einfach nicht!"
Sie sah ihn an. Starr. Er selbst atmete tief, vor Aufregung pulsierte das Blut in seinen Ohren. Diese Wut hatte er damals ebenfalls verspürt, neben der Schuld und der Erinnerung an sich. Mehrere Male hatte er damit gerungen sie zu entfernen und nie wieder zurückzuholen. Andererseits wollte er nicht vergessen, wieso er einmal gegangen war.
Dann tauchte Granger auf, während er versuchte sich zurecht zu finden und stahl sich in sein Gehirn, lächelte ihn an und nannte ihn Draco. Sie tat es ja nicht mit Absicht, eigentlich wollten sie diese unverfängliche Affäre führen, aber er wurde immer närrischer deshalb. Zumindest dachte er das. Er sah sich schon im St. Mungo Hospital, wie er in einer Zwangsjacke auf dem Bett saß und ihren Namen rief, weil sie ihn so fertig machte.
Granger erwiderte seinen gehetzten Blick still, setzte sich in Bewegung.
„Du kannst nicht... nein!", verteidigte er sich, wich zurück, als sie eine Hand ausstreckte. Er bildete sich ein zu verbrennen, wenn sie ihn jetzt berührte.
Ohne Rücksicht zu nehmen, nahm sie seine Hand und er fror ein, war nicht mehr dazu fähig sich zu wehren, weil ihn diese unglaubliche Geste durchströmte, wie eine heiße Quelle. „Es ist nicht deine Schuld.", wisperte sie. Schloss beide Hände um seine einzelne, kam ganz nah an ihn heran.
„Doch. Meine Mutter hat mich immer beschützt, hat sogar Voldemort angelogen. Und wie bedanke ich mich dafür? Ich lasse sie ihm Stich."
„Es war ein Unfall. Was hättest du denn tun sollen?", beharrte sie weiter, legte eine Hand auf seinen Rücken, aber ließ seine nicht los.
„Ihn schocken. Das Ministerium rufen. Irgendwas.", er schüttelte seinen Kopf. Im ersten Moment hatte es sich in Ordnung angefühlt den Raum zu betreten, aber jetzt war es anders. Die Wände erdrückten ihn, raubten ihm die Luft zum Atmen. Und dann war da wieder ihre ruhige und beschwichtigende Stimme, die ihm so viel Verständnis entgegenbrachte, dass er sich fast fragte, womit er das verdiente.
Ihre Finger schlangen sich erneut fester um seine Hand: „Lass los. Es ist vorbei. Ich glaube dir, dass es dich aufwühlt und ich bin hier, um dich aufzufangen."
Wieder sah sie ihn mit diesem einfühlsamen Blick an. Seine Hemmungen lösten sich in Luft auf. Ich glaube dir. Die Wärme, die sie ausstrahlte, drang durch seinen Pullover und den Umhang und hüllte ihn ein. Ich bin hier, um dich aufzufangen. Er beugte sich langsam nach unten, sie stand sowieso schon nah vor ihm, also konnte er auch...
Ihre Lippen berührten sich sanft.
Ihre Hand, die auf seiner lag, spannte sich an. Und es war so wundervoll. Seit Monaten versuchte er sich vorzustellen, wie es sich anfühlen würde, aber er musste seine Vorstellung anscheinend noch trainieren, denn das hier war viel besser. Granger ließ sich endlich gegen ihn fallen und er legte einen Arm um sie herum, ohne ihre Hand loszulassen.
Es war leicht sie zu küssen, damit hatte er gar nicht gerechnet. Und sie hörte auch nicht auf, erwiderte es und Draco konnte es nicht fassen, dass sie das tat.
Nur unterbrach er den Kuss, um sie prüfend anzusehen. Sie sah nicht aus, als würde sie es schrecklich finden oder ihn nicht mehr sehen wollen.
Ein Räuspern ihrerseits, sie lächelte ein wenig: „Hast du deine Meinung geändert?"
„Wir haben doch gerade keinen Sex, oder irre ich mich? Ich sagte, ich küsse dich nicht, während wir miteinander schlafen."
>*<
Das hatte er so oder so ähnlich ausgedrückt, ja.
Sofort, als er sich von ihr löste, wollte sie das Gefühl seiner Lippen zurückhaben. Es war ein tragischer Verlust, wie der eines geliebten Kuscheltieres aus der Kindheit. Dennoch bildete sich die Frage in ihrem Kopf, ob er es tatsächlich dabei belassen wollte. Ob er weiterhin mit ihr schlafen würde, ohne sie zu küssen.
Und dann war der Moment vorbei. Sie ließen einander los, mit wild klopfenden Herzen und fieberhaften Wangen. Was sollte sie jetzt sagen? Musste sie überhaupt etwas sagen? Waren sie jetzt ein Paar? Vermutlich nicht.
Wollte sie das denn? Ihren Freunden davon zu erzählen stellte eine nie dagewesene Hürde dar, denn sie mochten ihn nicht. Das konnte sie sogar verstehen. Zum Glück hatten sie nicht weiter darüber gesprochen, dass er neben ihr arbeitete, damit musste sie sich keine Ausreden einfallen lassen oder so tun, als würde sie ihm nie begegnen.
„Was meinst du?", fragte er.
Sie blinzelte, war vollkommen in ihren Gedanken versunken gewesen.
„Was? Wozu?", wollte er sofort darüber reden?
„Soll ich es abreißen?", oh. Natürlich. Deswegen waren sie hier.
Hermine machte einen weiteren Schritt zurück und sondierte den Raum. Mit der richtigen Einrichtung konnte er sicherlich etwas hermachen, aber es gab noch eine Unmenge an weiteren Zimmern, die kein normaler Mensch brauchte, um darin zu wohnen.
„Warum interessiert es dich überhaupt, was ich dazu sage?", seit sie vor dem Tor erschienen waren und er sie ansah, als würde er unbedingt wissen wollen, was sie davon hielt, konnte sie es nicht einordnen.
„Deine Beziehung zu diesem Haus ist ähnlich schmerzhaft wie meine.", erklärte er schulterzuckend. „Ich dachte, du würdest mir eine objektive Antwort geben können. Ich glaube, ich bin zu sehr darin involviert, obwohl es mir nicht so viel bedeutet."
„Ich habe eine Idee.", sie sahen sich an, ein Lächeln bildete sich auf ihren Lippen und sie hoffte sehr, er würde es nicht falsch verstehen.
„Die wäre?"
„Ich denke... also...", jetzt, wo sie es näher durchdachte, war es vielleicht doch keine gute Idee. „Du hast nicht nur schlechte Erinnerungen, oder?"
Er überlegte, sie sah es in seinem Gesicht, das ihr unschlüssig zugewandt war.
„Nein. Meine Kindheit war ganz okay."
„Erzähl mir davon. Zeig mir die Räume, in denen Gutes passiert ist.", vielleicht konnte er es so besser verarbeiten. Der Tod war heftig gewesen, die Zeit davor düster und unglücklich. Aber wenn er sich auf die guten Dinge fixierte, konnte er es eventuell leichter ertragen.
„Willst du eine Pro- und Contra-Liste erstellen?", ein leises Lachen drang aus seinem Mund und erfüllte die vier Wände, in denen sie standen.
„So in der Art."
„Aber... es ist heruntergekommen.", versuchte er dagegenzusetzen. „Die Möbel können vermutlich alle auf den Müll. Das Dach ist undicht, Fenster kaputt-"
„-wir sind Magier, Draco.", unterbrach sie ihn sanft. „Man könnte das alles mit wenigen Handgriffen richten."
Das musste er bedacht haben. Oder es war eine Ausrede, weil er es in seinem Inneren bereits wusste, dass er es nicht wollte.
„Also...", er ging ihr voran, blieb neben dem Kamin stehen, auf dem vereinzelte Familienfotos lagen. „Hier haben wir Weihnachten gefeiert. Mutter hat immer dunkelgrüne Socken aufgehangen. Da-", er deutete auf die rechte Seite, „-stand der Baum. Meine Eltern haben jedes Jahr viele Geschenke gekauft. Einmal habe ich ein Buch über Quidditch bekommen, dazu einen Spielzeugbesen. Damit bin ich die ganzen Feiertage herumgeflogen, Vater wäre beinahe ausgerastet.", er lachte. „Er sagte immer: Mein Sohn, so lang du nicht richtig bremsen kannst, hör auf hier herumzufliegen, sonst brichst du dir das Genick. Und er hatte irgendwie recht. Vor Silvester bin ich gestürzt und habe mir das Kinn aufgeschlagen.", er zeigte darauf, Hermine kam näher und entdeckte eine feine Narbe. „Ich habe Mutter noch nie so außer sich erlebt. Sie warf ihm vor, dass er ihn gekauft hatte und wir wegen meiner Gehirnerschütterung nur eine kleine Silvesterfeier machen konnten."
Sie lächelte, als er erzählte und fühlte, wie es etwas wärmer wurde.
„Komm.", forderte er sie auf, sie gingen aus dem Salon und steuerten die nächste Tür an, hinter der sich die Küche befand. An der gegenüberliegenden Wand stand eine niedrige Küchenzeile mit einem Holzofen, auf dem man kochen konnte. Auf der Theke davor waren Waagen, Kessel und verschiedene Messer sorgfältig aufgereiht.
„Hier haben die Elfen gekocht, so lang wir welche hatten. Dobby und Celes. Da war die Küche noch anders aufgebaut, danach wurde sie auf meine Mutter angepasst, die hier Zaubertränke hergestellt hat. Meistens hat sie dann gekocht, obwohl sie es nicht gut konnte. Und nach dem Abendessen habe ich oft die Elfen besucht, als ich noch klein war und habe mir noch ein Stück Kuchen oder sowas geben lassen. Immer, wenn Vater das rausbekommen hat, hat er sie durch das halbe Haus gejagt und ihnen Strafen gegeben. Als die Elfen weg waren, hat Mutter es dann perfektioniert Rühreier mit Speck zu braten und weil die Elfen mir keinen Kuchen mehr backen konnten, haben wir uns manchmal Spätabends in der Küche getroffen und Eier mit Speck gegessen. Jedes Mal hat sie gesagt: Wenn er das sehen würde... er würde einen Tag nicht mit mir sprechen. Er versteht nicht, wie man nach dem Abendessen noch hungrig sein kann. Dann lachte sie und schlug die Eier an der Pfanne auf.", träumerisch nahm er ein Sichelmesser in die Hand und betrachtete den Marmorgriff. Als er sich wieder bewusst wurde, dass Hermine neben ihm stand, räusperte er sich.
Ohne etwas zu sagen ruckte er seinen Kopf Richtung Tür, also folgte sie ihm. Überraschenderweise ging er den Flur nach unten zur Haustür, um dann die Treppe links daneben hochzugehen.
Oben angekommen wandte er sich wieder nach links, öffnete schließlich die Tür am Ende des Ganges und offenbarte das Elternschlafzimmer. Es war riesig, genauso wie das Bett, das vor den Fenstern stand. Daneben befanden sich Kommoden mit kleinen Nachttischlampen, in denen ebenfalls Kerzen brannten. Ein massiver Kleiderschrank stand dem Bett gegenüber, ein Schminktisch mit Spiegel nebenan.
„Mit 6 oder 7 wollte ich meinen Eltern zum Hochzeitstag eine Freude machen und ihnen das Frühstück ans Bett bringen. Ich weiß, sowas machen eigentlich die Elfen, aber ich dachte... egal. Jedenfalls hat mir Dobby dabei geholfen. Ich bin mit dem Tablett nach oben gegangen und habe die Tür geöffnet, ohne zu klopfen.", als er begann zu grinsen, konnte sie beinahe ahnen, was er als nächstes sagen würde. „Sie hatten Sex. Auf der Bettdecke. Mutter hat geschrien vor Schreck, Vater bedeckte sie, so schnell er konnte, mit der Decke.", wieder lachte er. „Der Rest des Hochzeitstages war sehr unangenehm, weil wir immer Essen gegangen sind. Mutter hatte permanent rote Wangen und hat aus Scham kaum ein Wort gesagt. Vater dagegen sah mich mit erschütterter Härte an. "
„Sowas vergisst man nie.", murmelte sie beschämt, weil es auch ihr einmal passiert war.
„Ja, es ist furchtbar.", Draco verzog seinen Mund. „Es gibt noch ein paar mehr Dinge, die ich dir erzählen könnte, aber mir ist dabei etwas bewusst geworden.", bedeutsam sah er sie an, während sie ihre Luft anhielt, damit er weitersprach. „Ich will es nicht. Es hatte gute und schlechte Tage, aber die schlechten sind einfach zu präsent. Ich könnte mich nie im Salon aufhalten, ohne an Miss Burbage zu denken. Oder Nagini. Oder dich. Nicht, dass ich nicht gern an dich denke, aber deine Schreie verfolgen mich."
Betrübt senkte sie ihren Blick. Es war ihr nie in den Sinn gekommen, dass auch das Zusehen bei schrecklichen Taten traumatisch sein konnte, aber eigentlich war es selbstverständlich.
„Du denkst gern an mich?", das war eine Sache, die aus seinen ganzen Worten herausstach.
„Bilde dir bloß nicht zu viel darauf ein. Dein Mund ist sehr talentiert. In vielerlei Hinsicht.", geschockt teilten sich ihre Lippen. War das sein Ernst?
„Du bist ein ziemlicher Idiot.", gab sie zurück, meinte es aber nicht böse. Tatsächlich musste sie sich darum bemühen, ihn nicht belämmert anzugrinsen.
„Ich habe dir gerade gesagt, dass du gut küssen kannst und du beleidigt mich. Das ist so typisch!", er zeigte ein breites Lächeln. „Aber was sagst du zu meinem anderen Entschluss?"
„Ich weiß nicht.", begann sie. „Das Haus gehört dir, du hast lang darin gewohnt. Ich würde es verstehen, wenn du es behalten wollen würdest. Aber wegen der ganzen anderen Erinnerungen kann ich es auch verstehen, dass du es nie wiedersehen willst."
„Ok.", er seufzte, steckte seine Hände in die Hosentaschen. „Dann ist es amtlich."
„Ja."
„Danke, dass du mit mir hier warst.", wisperte er, sah sie so weich an, dass sie ihn dafür anbeten konnte. Es stand ihm so verflucht gut.
„Kein Problem."
„Ich finde, dann können wir jetzt gehen."
Und damit ließen sie das Elternschlafzimmer, den Gang, die Treppe und das Eisentor hinter sich. Sie winkten sich verstohlen zum Abschied und apparierten nachhause.
~*~
A.N.: Es ist passiert! Ich hoffe das freut euch ;)
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