)Geister der Vergangenheit(
»Sadako! Athanasia!«, wispern Kaida und Joaquín in einem verwirrten Chor.
»Ihr habe mich doch gerufen. Hier bin ich.« Ich bleibe an dem Baum stehen, weil ich nicht weiß, wie ich mich sonst verhalten soll.
»Das war Joa ganz allein«, knurrt Kaida feindseelig.
»Ich dachte nicht, dass du mich wirklich hören kannst«, staunt dieser, vom Kommentar seiner Freundin völlig unbeeindruckt.
»Ihr seid ja laut genug.«
Verzweifelt kämpfe ich ein belustigtes Lächeln nieder, als die beiden sich nervöse Blicke zuwerfen. Joa löst seine Hand aus der Kaidas und breitet die Arme aus. Erleichtert lasse ich mich in seine Umarmung ziehen. Es fühlt sich erstaunlich vertraut und geborgen an. Doch ich reiße mich zusammen und schiebe ihn vorsichtig wieder von mir weg. Kaidas Blick brennt heftig auf meiner Stirn und ich spüre, wie mir die Röte ins Gesicht schießt. Es war nicht unbedingt klug, ihren Freund vor ihren Augen zu umarmen. Dafür würde eine Abrechnung kommen, da bin ich mir sicher.
»Ist zu Hause alles in Ordnung?«, frage ich, um wieder ein Gespräch in Gang zu bringen.
»Geht so. Deine Hunde machen sich super, die Ausbildung der meisten ist fast abgeschlossen. Aber wir haben wieder zwei Teams verloren. Sie sind in einen Hinterhalt geraten. Drei von ihnen sind in einer Schießerei zu Tode gekommen, der vierte hat sich in Gefangenschaft von Hebis Männern das Leben genommen. Die beiden, die dich nach Tokyo gefahren haben, waren unter den Opfern.«
Ich muss schlucken. Ich habe sie nicht besonders gut gekannt, nur vom Sehen. Aber dennoch geht mir ihr Tod nahe.
»Wie sie wohl in den Hinterhalt geraten sind?«, knurre ich, aufkommende Wut niederkämpfend.
Beide heben gleichzeitig die Hände, um die Schuld von sich zu weisen.
»Wir haben keine Lust mehr auf dieses Gut-und-Böse-Spiel. Deswegen haben wir uns zu Neutralität verpflichtet. Jeder lebt bei seinen Leuten, aber wir reden nicht über das, was auf der jeweiligen Seite als nächstes geplant ist.«, beteuert Kaida.
»Außerdem sind wir nicht die einzigen, die sich nicht an die Regeln halten. Musterschülerin Noa zum Beispiel hat wieder Kontakt zu ihrem Bruder aufgenommen, obwohl sie das aus Sicherheitsgründen nicht darf«, platzt es aus Joa heraus.
Entgeistert sehen Kaida und ich ihn an. »Was bist du denn für eine Tratschtante?«
»Ich wollte doch nur...«
»Halt einfach die Klappe, Joa! Wenn du es schon mit der Treue bei deinen Leuten nicht so hast, wie soll ich dir da je vertrauen?«
»Das hat doch nichts mit dir zu tun!«
»Du wolltest gerade beweisen, dass wir nicht über sowas reden und dir fällt nichts besseres ein, als eine so sensible Information?«
»Aber ihr wisst doch eh, wer Kiano wirklich...«
»Es reicht, Joa! Ich habe zwar keine Angst, von Sia verpfiffen zu werden, aber ich will das alles nicht wissen. Ich liebe meine Eltern, aber ich verabscheue, womit mein Vater sein Geld verdient. Trotzdem ist Blut dicker als Wasser. Ich würde jederzeit zur Waffe greifen für meine Familie. Nur, weil du es mit deiner vermasselt hast, heißt das nicht, dass sich alle Familien auseinanderdrängen lassen.«
Kiano. Der Name klingt in meinem Kopf nach. Hieß der Mann mit der Prothese in der Obdachlosenhilfe Tokyos nicht so? »Kann es sein, dass ich Kiano bereits kennengelernt habe?«, frage ich vorsichtig.
»Das hast du tatsächlich. Noa hat ihn nur wiedergefunden, weil er sich so rührend um dich gekümmert hat.«
Schnell greife ich nach einem dünnen Bäumchen und halte mich daran fest. Alles um mich herum dreht sich. Deshalb hatte er etwas Vertrautes an sich und war nicht nur ein offener und herzlicher Angestellter. Die zunehmende Überforderung verklumpt zu einem festen Ball in meiner Magengegend und macht mir das Atmen immer schwerer. Ich habe heute eindeutig zu viel erfahren und erlebt.
»Ich verlasse euch beide ja nur ungern, aber ich bin hundemüde und muss mich endlich erholen. Morgen wird sicher auch wieder ein anstrengender Tag. Grüß mir Iago, Toro, Fukuro, Noa, die Zwillinge und meine Hunde, Joa.«
»Mache ich. Schlaf gut und pass auf dich auf, Sadako!«
»Ich bin doch hier in bester Gesellschaft.« Ich werfe Kaida schief grinsend einen Blick zu. »Was soll mir da schon passieren?«
»Vorsicht, ganz dünnes Eis, junge Dame!«, antwortet diese drohend, »Wir werden sehen, ob du das Intensivtraining morgen überstehst.«
»Bis morgen!«, rufe ich gespielt fröhlich.
Leise mache ich mich auf den Rückweg. Die Hintertür ist zum Glück nicht abgeschlossen. Im Haus brennt kein Licht und kein Mucks ist zu hören. In der Küche schleiche ich zur Küchenpapierrolle und wische mir die schlammverschmierten Füße ab. Anschließend schrubbe ich noch die Tapsen weg, die ich bereits auf dem Boden hinterlassen habe. Hoffend, dass ich alle erwischt habe, mache ich mich auf den Weg zu meinem Zimmer. Als ich an Juns vorbeihusche, halte ich gespannt die Luft an. Doch aus ihrem Zimmer sind keine verdächtigen Geräusche zu hören. Zögernd öffne ich meine Zimmertür und husche erleichtert hinein, als ich es leer vorfinde. Vollkommen erschöpft kuschele ich mich in meine Decken.
»Ich gebe ehrlich zu: Ich weiß nicht, ob ich das für eines meiner Kinder entscheiden könnte. Aber bitte, bitte, meine Tochter braucht diese Lunge. Sie wird sterben, wenn sie sie nicht bekommt.«
»Das wissen wir. Wenn Sie wüssten, wie viel Last gerade auf unseren Schultern liegt. Aber wir haben von unserem Jungen noch nicht einmal richtig Abschied genommen und da soll er schon wieder unter das Messer? Wir können das nicht, glaube ich.«
Die junge Frau schluchzte auf. »Ihr Kiano ist unsere letzte Chance. Bitte, überlegen Sie es sich noch einmal.«
Ihr Mann nahm die schluchzende Frau in den Arm und redete beruhigend auf sie ein, obwohl ihm selbst nach Weinen zumute war. Die beiden Männer, die dem Pärchen gegenüberstanden, hielten sich fest an den Händen und sahen zu ihrem Sohn hinab, dessen Herz nach wie vor schlug. Doch nicht, weil er wollte, dass es schlug, sondern weil die Maschinen dafür sorgten, an die er angeschlossen war. Einer der Männer strich dem Jungen behutsam durch das gekämmte Haar. Es waren noch nicht einmal 24 Stunden vergangen, seitdem er für hirntot erklärt worden war, und nun sollten die traurigen Eltern bereits entscheiden, ob sie ihrem Sohn zumindest teilweise ein neues Leben schenken sollten. In neuen Körpern. Seine Hülle würde eingeäschert werden, doch seine Organe konnten zum Beispiel dem Mädchen, mit dem er sich das Zimmer teilte, das Leben retten. Aber so würde er nicht als Ganzes beerdigt werden können und beide Väter würden immer mit dem Wissen, dass ihr Sohn nicht vollständig in seinem Grab lag, dorthin kommen.
Plötzlich klopfte es an der Tür. Schwungvoll schwang sie auf und ein kleiner, schwarzhaariger Junge stürmte ins Zimmer. »Hat Sia jetzt endlich ausgeschlafen?«, fragte er hoffnungsvoll und lief um das Bett seiner Schwester herum zu ihrem Kopf. Doch sie schlummerte noch immer vor sich hin, angeschlossen an zahllose Schläuche und piepende Gerät.
Schnell wischte sich die Mutter die Tränen weg und ging zu ihrem Sohn. »Nein, Toro, sie muss sich noch etwas ausruhen.«
Geschickt kraxelte der kleine Junge auf das Bett und rüttelte seine Schwester an den Schultern. »Hey, Sia, aufwachen! Du hast mir versprochen, dass du mit mir und meinen Autos spielst.«
»Toshiro!«, donnerte sein Vater, »Geh sofort vom Bett deiner Schwester! Du verletzt sie sonst noch.«
Murrend ließ sich der Junge zu Boden rutschen und schmiegte sich an seine Mutter.
»Schläft Sia auch so tief wie Kiano?« Sein Finger zeigt auf den Jungen, der friedlich in seinem Bett lag.
Einer von Kianos Vätern kam auf ihn zu und kniete sich vor ihn. »Nein, Toro, deine Schwester schläft nicht so tief. Weißt du, Kiano wird nicht mehr aufwachen. Der Kopf eines Menschen ist wie eine Steuerzentrale. Dort werden Befehle für Bewegungen und Reflexe gegeben und Gefühle ausgelöst. Aber bei Kiano ist diese Steuerzentrale kaputt gegangen, als der LKW ihn angefahren hat. Nur anders als bei Maschinen kann man bei Menschen die Steuerzentrale nicht wieder reparieren. Deswegen braucht er jetzt diese Maschine, damit seine Organe weiterhin mit Sauerstoff versorgt werden.«
»Und wieso wird das gemacht, wenn man Kiano eh nicht mehr reparieren kann?«
Der Mann seufzte und senkte den Blick. »Es gibt andere Kinder, wie deine Schwester, bei denen die Steuerzentrale noch funktioniert, aber wo einzelne Organe kaputt gegangen sind. Theoretisch könnte man Kiano diese Dinge entnehmen und bei den erkrankten und verletzten Kindern als eine Art...«, er schluckte,»...Ersatzteil einbauen.«
»Das ist ja toll!«, rief der Junge begeistert, »Da kann Kiano ja ganz viele Kinder retten. Ihr müsst doch so unglaublich stolz auf ihn sein.« Mit vor Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit leuchtenden Augen blickte er vom einen Vater zum Anderen.
»Aber wir mögen diese Teile von Kiano sehr und uns fällt es schwer, sie wegzugeben.«
»'Halte dich nicht an Dingen fest, die du nicht mehr brauchst.' Das hat mein Vorfahre Miyamoto Musashi mal gesagt. Ich denke, Kiano braucht diese Organe nicht mehr. Warum solltet ihr sie dann noch brauchen?«
Der Junge hatte bei den Vätern ins Schwarze getroffen. Sie warfen sich einen langen Blick zu und trafen eine endgültige Entscheidung. Als hätte das Mädchen im Krankenbett ihren Entschluss gespürt, zuckten ihre Mundwinkel leicht.
Ein Zucken durchläuft meinen Körper und ich reiße erschrocken die Augen auf. Wieder nur ein Traum. Ein Albtraum. Oder doch eine Erinnerung. Ächzend setze ich mich auf und sehe auf den Wecker. 04:53 Uhr. Etwas mehr als eine Stunde Schlaf bleibt mir noch. Aber ich fürchte mich nun vor dieser Bewusstlosigkeit, diesem Zustand des Kontrollverlustes. Ich habe gestern eindeutig zu viel erlebt, sodass meine Fantasie nun am Durchdrehen ist. Mit Informationsüberschuss kann ich einfach nicht ruhig schlafen.
Langsam verknote ich meine Beine, wie ich es bei meiner Mutter häufig gesehen habe, wenn sie Yoga machte. Sie sagte immer, es beruhigt sie und verbindet sie wieder stärker mit der Welt. Damals verstand ich diese Erklärung nicht, doch nun spüre ich, wie sich mein aufgebrachter Puls normalisiert und ich auch gedanklich in die Wirklichkeit zurückkehre. Tief ein- und ausatmend kuschele ich mich wieder in meine dicke Decke und spüre, wie die Düsternis der Träume erneut nach mir greift. Eine Kälte empfängt mich, die mich noch während des Einschlafens auf einen weiteren, gruseligen Traum vorbereitet. Doch die Erschöpfung meines Körpers besiegt die Angst vor erneutem Grauen.
Eine Schwester schob das bewusstlose Mädchen gemächlich in Richtung OP. Kiano lag bereits unter dem Messer und wurde um einen Lungenflügel erleichtert. Ein Lungenflügel, der dem Mädchen das Leben retten würde.
Auf dem Gang vor dem Operationsbereich saßen in sich zusammengesunken die beiden Väter und starrten zur verschlossenen OP-Tür. Sie hatten die richtige Entscheidung getroffen, da waren sie sich nun sicher. Das Mädchen wurde in ihre Richtung geschoben. Der Eine konnte sich nicht mehr auf dem Stuhl halten und sprang auf. Nervös lief der dem nahenden Bett entgegen. Obwohl sie tief und fest schlief, wirkte sie angespannt, als ob sie wissen würde, was ihr bevorstand.
»Einen Moment bitte, Schwester Fukuro.«
Die Schwester stoppte das Bett.
»Hallo, Athanasia«, flüsterte der Mann leise und konnte nur mit Mühe die Tränen zurückhalten, »Ich hoffe, hoffe so sehr, dass du die zweite Chance nutzt, die dir Kianos Lunge schenkt.«
Athanasia holte scheppernd Luft. Ihre Gesichtsmuskulatur schien sich zu verkrampfen.
»Ich weiß, dass du es nicht einfach hast und wahrscheinlich auch in Zukunft nie haben wirst. Aber alles Schlechte hat auch eine gute Seite. Wenn du wieder aufgewacht bist, kannst du dich auf meine und Tafaris Unterstützung verlassen. Du trägst dann einen Teil unseres Sohnes in dir, weißt du. Solltest du mich hören können, habe ich nur eine Bitte an dich: Sag unserem Sohn, falls du ihn siehst, wie sehr wir ihn lieben und das er immer ein Teil von uns bleiben wird. Viel Glück, Mädchen!«
Die Schwester schob das Bett weiter und zusammen verschwanden sie und das Mädchen im OP-Bereich. Dort tigerte der junge Feuerwehrmann unruhig auf und ab. Er sollte die entnommenen Organe Kianos in die anderen Krankenhäuser bringen, wo sie gebraucht wurden. Er hatte sich diese "Strafarbeit" freiwillig auferlegen lassen, um für seinen eigensinnigen Einsatz in der Schule Buße zu tun. Allerdings hatte er es gern getan, blieb ihm doch die Hoffnung, seine junge Patientin, wegen der er beinahe seinen Job verloren hatte, zum OP zu begleiten. Er betete, dass seine Bemühungen um sie nicht völlig umsonst gewesen waren. 21. Jahrhundert hin oder her - Lungentransplantationen waren noch immer mit großen Risiken verbunden.
Er griff nach ihrer Hand und drückte sie sanft. Den gesamten Gang bis zum hintersten OP-Saal lief er so neben ihr her. Erst im Einleitungsraum ließ er sie los, strich ihr aber stattdessen die verkohlten Überreste ihrer Haare aus dem Gesicht.
»Es heißt zwar, man soll den Tod nicht fürchten, aber ich fürchte deinen. Du bist ein besonderes Mädchen, willensstark, tough, widerstandsfähig. Du darfst nicht sterben, hörst du? Ich habe gelesen, dass dein Name - Athanasia - griechisch für unsterblich ist. Also wage es nicht, dich einfach aus dieser Welt zu stehlen. Du wirst hier noch gebraucht!«
Streng schob die Schwester den Feuerwehrmann zur Seite und rollte das Bett weiter in den OP.
»Beweise mir deine Unsterblichkeit«, flüsterte er tonlos, »Ich muss dir doch noch das Ende des Buches vorlesen.«
Helle Töne dringen an mein Ohr. Die Geisha schraubt sich mit ihrer Stimme immer weiter in die Höhe. Ich schlage die Augen auf und ertaste zeitgleich den Wecker, um ihn zum Schweigen zu bringen. Meine Wangen schmerzen, als hätte ich stundenlang geweint. Mehrfach reibe ich mir über die Augen, was die Situation nicht besser macht, sondern zu einem Zwiebeln führt.
Kiano ist Noas Bruder. Ich bin noch nicht einmal richtig erwacht und schon drängt sich mir dieser Gedanke auf. Im Traum war er ein kleiner Junge, in meiner Wirklichkeit soll er ein erwachsener Mann sein. Irgendetwas muss mein Gehirn in der Traumphase durcheinanderbringen. Ich rappele mich auf und ziehe mich an. Im Bad dusche ich kurz, doch diese gedankliche Zwickmühle lässt mich nicht mehr los.
Grübelnd steige ich die Treppen hinab und setze mich im Esszimmer an einen freien Tisch. Ich habe kaum Hunger, weiß aber, dass ich vor dem Abendessen wahrscheinlich nichts mehr zu mir nehmen kann. Deshalb würge ich lustlos das hinter, was Jun vor mir auf den Tisch stellt. Sie scheint es zu spüren, sagt aber glücklicherweise nichts.
Ich schleppe mich nach dem Essen mehr zum Training, als dass ich laufe. Meine Füße gleichen Bleiklötzern und meine Rumpf verharrt spannungslos auf meinen Beinen, ähnlich einer Portion Wackelpudding.
Wataru steht vor der Hütte und raucht eine Zigarette. Ich habe ihn noch nie rauchen sehen, doch so geschickt, wie er mit dem brennenden Stummel umgeht, lässt auf ausgeprägte Zigarettenerfahrung schließen.
»Morgen!«, rufe ich lustlos.
Er tritt im Kies den glimmenden Stummel aus und kommt auf mich zu. Dabei knetet er nervös seine Finger.
»Hebi glaubte, dich gestern Abend hinter der Amaterasu gesehen zu haben. Seiner Meinung nach hättest du mit jemandem gesprochen. Kaida hat dich in Schutz genommen und gesagt, dass sie dich noch einmal nach der Nachtruhe rausgelockt hat.«
Mir fällt die Kinnlade herunter. »Sie hat...was getan?«
»Dich in Schutz genommen. Joa war bei ihr, richtig? Du hast das mitbekommen, bist raus und jetzt behauptet sie das, damit du die Klappe hältst.«
Beschämt beiße ich mir auf die Unterlippe und nicke. »Ich hätte vorsichtiger sein müssen. Tut mir leid.«
»Solange du daraus etwas für die Zukunft lernst, will ich das nicht weiter ausdiskutieren. Pass einfach besser auf, wo du dich mit wem und wann sehen lässt.«
»Das mache ich. Aber ich hätte gern Exterminio wieder an meiner Seite. Dann würde so etwas ganz sicher nicht mehr vorkommen.«
»Ich weiß. Glaube mir, ich habe schon alles in meiner Macht stehende getan, um ihn her zu holen. Wenn du noch eine Idee hast, immer her damit...«
»Ich könnte ihn der Herrin als meinen Freund verkaufen, den ich unglaublich vermisse. Ich bin mir sicher, sie ist empfänglich für diese Geschichte.«
»Nichts für ungut, Athanasia, aber ich muss darüber erst einmal nachdenken. Immerhin mache ich mich mit verdächtig, wenn ich das Wiedersehen organisiere.«
»Es ist ja auch nur eine Idee. Und nichts gegen dich, aber ich will endlich wieder eine dauerhafte Rückendeckung. Exterminio und ich konnten uns immer gegenseitig schützen, weswegen jeder größere Bewegungsfreiheiten hatte. Jetzt muss ich mich selbst darum kümmern, zu beurteilen, ob ich beobachtet werde, und dabei mache ich schneller Fehler.«
»Ich weiß.« Er lächelt mich traurig an, als könnte er mein Dilemma sehr gut nachvollziehen. »So, jetzt komm, Kaida freut sich schon tierisch auf euer heutiges Training.«
Mir fällt das Gesicht ein. Kaida ist die letzte, mit der ich gerade zu tun haben möchte. Mit unterirdischer Motivation schleiche ich hinter Wataru her in das Izanami-Nōka. Kaida erkenne ich sofort an ihren fließenden und mühelosen Bewegungen. Sie steht an einem Boxsack und macht sich warm, die dunklen Haare fest nach oben gesteckt und das Gesicht erneut hinter der Sturmmaske verborgen. Um ihrer Erscheinung noch etwas aus dem Weg gehen zu können, lasse ich mir Zeit beim Umziehen, mache meinen Zopf dreimal neu und schlendere einmal durch alle Etagen des Hauses.
»Da bist du ja endlich!«, ruft mir Kaida gut gelaunt entgegen, als ich schließlich die Treppe ins Erdgeschoss hinabsteige. Erst als ich direkt vor ihr stehe, fügt sie leiser hinzu: »Meine Rache wird süß sein.«
»Für wen? Nur für dich oder für alle hier?«
»Macht das einen Unterschied?«
»Ja, wenn es für die anderen ebenfalls unterhaltsam ist, würde ich dich gewähren lassen. Wenn es nur dir dient, mache ich dir einen Strich durch die Rechnung.«
»Ich fürchte, es ist schon zu spät, um mir einen Strich durch die Rechnung zu machen. Der Bilsenkraut-Tee heute Morgen hat dir offensichtlich geschmeckt, sonst hättest du ihn nicht ausgetrunken.«
Mit großen Augen sehe ich sie an. »Du hast mich vergiftet? Ernsthaft?!«
Ihrem spitzen Lächeln nach zu urteilen, war das kein Witz. Mir wird schwindelig, kalt und gleich wieder warm. Ich kralle mich in ihrem Arm fest und fasse immer fester zu, während sie sich verzweifelt dem Griff zu entwinden versucht.
»Es reichen zwei Blätter, um Sinneswahrnehmungen und Halluzinationen hervorzurufen.«, doziert sie zwischen zusammengebissenen Zähnen.
Krampfhaft kneife ich die Augen zusammen aus Angst, jeden Moment Geister oder Monster zu sehen, die eigentlich nicht da sind.
»Außerdem kann es zu Kurzatmigkeit kommen und das beste ist, dass der Zustand mehrere Tage anhalten kann. Klingt das nicht super?«
Mein Herz beginnt lauter zu pochen. Vorsichtig öffne ich ein Auge. Alles wirkt relativ normal, nur etwas zu hell. Kaida führt mich zum Boxsack und befiehlt mir, mich warm zu boxen. Schwankend suche ich einen festen Stand und schlage halb blind zu. Meine Fäuste fliegen durch die Luft, doch nirgends treffen sie auf ein Hindernis. Dennoch hängt der Boxsack direkt vor mir. Langsam strecke ich die Hand danach aus. Und berühre ihn. Genau eine Armlänge entfernt. Ein Zittern durchläuft meinen Körper und ich sinke in die Knie. Plötzlich nimmt alles in meiner Umgebung einen blauen Touch an. Grün, gelb und rot sind verschwunden. Alles ist blau. Blaue Matten, blaue Wände, blaue Menschen. Mein Vater in Blau.
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