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„Hey, Spätzünder. Vergiss nicht, meine Bettwäsche zu waschen! Ich hatte eine heiße Nacht mit Caroline und das soll Freydis ja nachher nicht unbedingt sofort riechen!"
Ihr ältester Bruder Felix feixte, während die Zwölfjährige unter der Verachtung in seiner Stimme zusammenzuckte.
Spätzünderin ... das Mädchen hasste dieses Wort.
So sehr ...
In jener Vollmondnacht vor sechs Jahren hatte sich ihr kein Wolf offenbart.
Der Älteste Iroh hatte das abfällig heulende Rudel zu beruhigen versucht und ihnen allen erklärt, dass es hin und wieder vorkam und der innere Wolf einfach noch nicht so weit war.
Mit dem Eintritt in die Pubertät würde das Ritual dann wiederholt werden müssen.
Auch wenn ihre Mutter damals enttäuscht gewesen war, sie hatte dennoch unverrückbar zu ihrer einzigen Tochter gestanden.
Nicht so der Vater.
Die Schande, dass seine Tochter ... ausgerechnet SEINE Tochter ein Mond verfluchter Spätzünder war, war für den stolzen Krieger der Gipfel der Beleidigung.
Und er hasste das Mädchen nun mit einer Inbrunst, die Adea nicht verstand.
Es war doch nicht ihre Schuld!
Schließlich hatte sie sich ja nicht ausgesucht, eine Spätzünderin zu sein!
Und bedauerlicherweise vergiftete seine Abscheu auch allmählich ihre beiden Brüder. Elias war mittlerweile achtzehn, während Felix zwanzig war und damit gleichaltrig mit dem Alphasohn Lucian.
Und wie jeder andere ‚vollwertige' Werwolf verachtete natürlich auch Lucian die Spätzünderin und gab sich größte Mühe, ihr das Leben so schwer wie möglich zu machen.
„Gib mir die Laken, Schätzchen," sagte Jen Zimmermann und nahm ihrer Tochter die dreckige Wäsche ab.
Adea lächelte sie leicht an und folgte ihrer Mutter in den Wäschekeller.
„Liebes, warum gehst du nicht ein bisschen raus? Vielleicht kann Katharina ja was mit dir unternehmen ..."
Das Mädchen nickte zögernd und ging langsam wieder die Treppe hinauf. Auch wenn Katharina die Einzige war, die neben der Mutter noch freiwillig und gerne Zeit mit ihr verbrachte, hatte Adea irgendwie immer ein schlechtes Gewissen, da sich die Tochter des Alphapaares stets an ihrer Stelle mit den ganzen Mobbern auseinandersetzte.
Während sie durch den warmen Sonnenschein ging, knurrten die meisten Rudelmitglieder sie abfällig an und diejenigen, die in ihrer Wolfsform waren - meist halbstarke - schnappten sogar nach Adea.
Die Kiefer einer cremefarbenen Wölfin krachten nur Millimeter von der linken Wade des Mädchens zusammen. „
„Boar ey, Swanna! Hör gefälligst auf mit dem Scheiß!" fauchte Katharina und sprang die letzten sechs Stufen von der mächtigen Freitreppe, die zur Alphavilla führte, hinunter.
Die Angesprochene grollte drohend und fletschte die Fänge, was Katharina nur mit einem sehr erwachsenen Zungerausstrecken quittierte.
„Komm schon, Dea ... lass uns gehen!" Resolut schnappte sich die Schwarzhaarige die Hand der Freundin und zog sie hinter sich her in den Wald.
„Hör bloß nicht auf diese Vollidioten! Sobald du deine Tage bekommst, wird dein Wolf erwachen und dann interessiert es niemanden mehr, dass du ein Spätzünder warst!"
Adea seufzte leise und sah ihre Freundin mit Tränen in den Augen an.
„Kat ... Ich hab meine Periode vor einer Woche gehabt. Meine Mutter meinte, beim nächsten Vollmond ist es dann so weit, aber irgendwie hab ich ich ein schlechtes Gefühl dabei ... was, wenn das ganze Rudel wieder versammelt ist und meine Wölfin vor lauter Nervosität sich weigert, herauszukommen und es von da an nur noch schlimmer wird? Ich meine, mein Vater hasst mich jetzt ja schon, weil ich eine Peinlichkeit für ihn, den ‚großen' Krieger darstelle. Wenn ich ihn wieder blamiere, was wird er dann wohl machen? Beim Mond ... Ich habe solch schreckliche Angst!"
Die Alphawölfin schnaubte abfällig: „Ich finde, dein Vater ist ein absolutes Arschloch! Selbst wenn du keinen Wolf hast, ändert es nichts daran, dass du ein wundervolles Rudelmitglied bist. Du hast ein Herz aus Gold, hilfst immer und jedem und hast nie ein böses Wort auf der Zunge. Und was die ganzen Halbstarken Dödel angeht ... deine Brüder sind genau solche Schwachmaten, wie meiner es ist! Du solltest nicht so viel darauf geben, was andere Leute sagen."
Adea seufzte müde und setzte sich auf einen moosbewachsenen Baumstumpf.
„Du hast leicht reden, Kat! Selbst wenn du ein Mond verdammter Spätzünder wärst, du gehörst buchstäblich zum Adel! Deine Familie würde dich nie verstoßen."
Katharina lachte spöttisch und trat gegen einen Stein.
„Äh ... du kennst aber schon den Vollidioten, der sich mein Bruder schimpft? Alles, was nicht Wolf ist, ist nichts wert für ihn."
Adea hob eine Augenbraue und ihre Freundin revidierte rasch: „Ok, ok, ok ... das gilt wohl für die meisten Werwölfe. Alles nur, weil sie in den archaischen Zeiten von vor dem Krieg hängen geblieben sind. Menschen sind alles andere als wertlos! Tatsächlich kommen die besten Erfindungen nach wie vor von Menschen. Ich meine, der Oceancleaner? Hallo? Der war schon echt beeindruckend. Oder diese Erbsensorte, die quasi im Wüstenboden wachsen kann und praktisch über Nacht den Welthunger eliminiert hat?"
Das blonde Mädchen nickte nachdrücklich. Diese Erbsensorte, welche die Menschen ‚Sweet Pea' getauft hatten, war in der Tat ein Kracher! Nahrhaft wie Kartoffeln, verwendbar wie Getreide, mit einer leichten nussigen Note schmeckte das Brot, das aus der Erbse gebacken wurde, Dea besser als Weizenbrot. Und die seltenen Male, bei denen ihre Mama Kuchen aufgetischt - und ihre männlichen Verwandten ihr was übrig gelassen hatten?
Hmhm!
So gut!
Katharina war indes fertig, den Stein in sein Nirwana zu treten und setzte sich vor ihre Freundin ins Gras, dann lehnte das schwarzhaarige Mädchen ihren Kopf gegen Adeas Knie und schloss die Augen.
„Mach dir nicht so viele Sorgen, D., was auch immer geschehen soll, wird geschehen. Und vergiss niemals, dass dein Schicksal am Ende allein in deinen Händen liegt."
Dea fuhr mit ihren Händen durch die langen, dunklen Locken ihrer Besti und begann diese mit flinken Fingern in eine komplizierte Zopffrisur zu flechten.
Katharina schmunzelte und pflückte einige der wild wuchernden violett-opalen Mondblumen, um diese zu einer Kette zu verweben.
Die beiden Mädchen genossen die Stille des Waldes, das sanfte Rauschen des Frühlingswindes in den schweren Baumkronen, das leise Keckern der Eichhörnchen und das zaghafte Singen der Vögel um sich herum. Die größeren Waldtiere mieden das Zentrum des Rudelgebietes aus verständlichen Gründen und auch Raubtiere gab es kaum ...
Abgesehen von den rein biologischen Wölfen, versteht sich.
Derzeit lebten drei kleinere Rudel im Umkreis, und es kam häufig vor, dass sich die Tiere unter ihre menschlichen Artgenossen mischten.
Auch wenn Adea noch keinen eigenen inneren Wolf hatte, die Wildtiere hatten sie als freundlich eingestuft und so rollten speziell die Welpen zumeist um das Mädchen herum, kaum dass sie einen Fuß aus der Tür gesetzt hatte.
Ein leises Rascheln im Unterholz unterbrach ihre traute Zweisamkeit, und eine graue Wölfin schob die schmale Schnauze vor.
Sie war eine der Matriarchinnen und schon ein älteres Kaliber, weshalb sie bei den Jagden nicht mehr aktiv mitlief, sondern zum Hüten des Nachwuchses zurückblieb.
„Gunah ..." gurrte Adea das Tier an und eifrig mit der Rute wedelnd trottete dieses zu den Mädchen hinüber. Kat grinste zu Dea hoch und neckte: „Irgendwie schon echt menschlich, wilden Tieren Namen zu geben."
Ihre Freundin verdrehte die Augen und gab der Alphatochter einen kameradschaftlichen Klaps gegen die Schulter.
„Sei still, du Scherzkeks! Und ich habe nicht allen einen Namen gegeben! Nur den Ältesten und den Welpen ..."
Die alte Wölfin beschnupperte sorgfältig ihre Umgebung und ließ sich mit einem zufriedenen Grollen neben den Zweien nieder plumpsen.
„Drei, zwei, eins ..." zählte Katharina kichernd runter und wie auf Kommando purzelten zwei Welpen auf die kleine Lichtung.
Kläffend und fiepsend wuselten sie übereinander und balgten sich um ein Stück Holz.
Gunah hob träge den Kopf und baffte einmal. Sie wollte Ruhe haben und die wärmenden Sonnenstrahlen auf ihrem Pelz genießen!
Dem konnte sich Adea nur anschließen ... die Ruhe genießen war ein seltenes Geschenk für sie geworden und so zog sie den schwarzen kleinen Wolf zu sich und gab ihm ein Stück alten Leinenstoff, den sie für solche Gelegenheiten immer bei sich trug.
Begeistert schlug der winzige Rüde die Milchzähnchen in das neue Spielzeug und machte es sich zur Tagesaufgabe, den Stoff laut knurrend zu Tode zu reißen.
„Welpe müsste man noch einmal sein," murmelte Kat neidisch und Adea stimmte ihr zu. Nicht nur, dass Welpen sozusagen überall Narrenfreiheit besaßen, es würde auch bedeuten, dass sich ihr innerer Wolf endlich gezeigt hätte ...
Bei dem Gedanken seufzte das Mädchen schwer. Vollmond war in drei Tagen ...
... und ihre Zeit lief ab!
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