sechsundfünfzig
Er wusste nicht so Recht, was er darauf antworten sollte. Er war wie in Nebel gehüllt, runzelte die Stirn und schaute von der Kopie auf zu Sunny, die in den Erinnerungen an jenen Tag schwelgte, welcher ihr Schönster und zugleich Schrecklichster gewesen war.
Damals saßen sie gemeinsam in dem Auto. Sie roch den Strauß Jasmin auf ihrem Schoß noch genauso deutlich, als würde er wieder dort liegen. Sie waren auf dem Weg zu dem Grab gewesen, welches für Taeyang und Sunny eine große Bedeutung gehabt hatte. Für ihn war es die eigentliche Liebe gewesen, die Frau die sein Leben vollkommen verändert und verschönert hatte, die ihm die Muse und Inspiration gewesen war, die seine Ehefrau nie sein konnte. Und für sie war sie die Mutter gewesen, die sie im Alter von fünf Jahren verloren hatte, als sie ihr durch eine langwierige Krankheit vom Schicksal genommen wurde.
Ihre Mutter hat Taeyang schon gekannt, als sie ein kleines Baby gewesen war. Doch erst nach ihrem Tod, als aus der Affäre schon lange eine Liebe geworden war, hat Taeyang Sunny das erste Mal kennen gelernt. Damals war sie noch Sunhee, der schüchterne, brave und immer grinsende kleine Engel, der seiner Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten war.
Er hat sie mit zu sich genommen damals, ihr eine Zuflucht geboten, war ihr der Vater, den sie nie kennenlernen durfte und die Bezugsperson, die ihr durch das Fehlen beider Elternteile verwehrt gewesen war. So lernte sie damals auch Taeyhung kennen, freundete sich zunächst nur mit ihm an. Und als Eunjin, die Mutter Taehyungs, sie damals nicht mehr sehen konnte, weil sie in ihr nur das schlechte Gewissen ihres Ehemannes gegenüber seiner Geliebten sah, fing ihr Leben in den Pflegefamilien an.
Sie konnte nie lange bei einer bleiben, denn niemand war so wie Taeyang gewesen, keiner war so verständnisvoll und vertrauenerweckend gewesen. Diesen Vertrauensbonus, dass man sich einfach in seiner Anwesenheit schon wohl fühlte, den hatte Taehyung eindeutig von seinem Vater vererbt bekommen.
Dann, als sie wieder einmal von einer Familie verstoßen wurde, der sie zu langweilig, zu anstrengend, zu sie selbst war, hat Taeyang sie wie auch sonst immer abgeholt und war mit ihr Blumen kaufen gewesen. Es ist zum Ritual geworden, Sunnys Mutter den Jasmin ans Grab zu bringen, gemeinsam, bevor sie für ein paar Tage bei den Kims übernachten durfte, bevor Eunjin ihr eine neue Pflegefamilie organisieren würde.
Aber an jenem Tag war Alles anders gewesen. Taeyang hat so entspannt gewirkt, so glücklich. Sein Lächeln war so viel ansteckender, als sonst. Und dann hat er sie gebeten, das Handschuhfach zu öffnen. Und dann hat er sie einfach gefragt. Er hat sie gefragt, ob sie denn wirklich seine Tochter werden würde.
Man sagt ja, das gesamte Leben zieht vor seinem Tod an einem vorbei. Sie hat damals jede der Pflegefamilien vor Augen gehabt, die sie nun nie wieder besuchen müsste. Sie hat Taehyung im Kopf gehabt, mit dem sie eine Romanze durchlebte, die in den jungen Jahren noch so viel kribbelnder und aufregender war, wie sonst nie. Sie hat jeden Moment vor Augen gehabt, den sie in ihrem Leben erlebt hatte, der sie glücklich und traurig gemacht hatte. Sie hätte sich auch mit Eunjin zufrieden gegeben, die sie nie hätte leiden können und die nur offiziell ihre Mutter sein würde - doch als sie damals vor acht Jahren im Auto saß und den Jasmin roch und ihr Leben an sich vorbei ziehen sah, hatte sie eine Antwort im Kopf gehabt, ein Ja auf der Zunge.
Und weder sie noch Taeyang haben den Kleinlastwagen gesehen, der ihnen mitten auf der Kreuzung in die Seite gefahren war.
Als sie die Augen wieder aufschlug, war da nur das kalte Krankenhausbett, der geruchslose Geruch und der fremde Mann, der ihr die Nachrichten überbrachte, die ihr Leben ab dem Moment verändert haben. Sie wollte ihm nicht glauben, doch als er ihr den Fernseher anschaltete und sie ihre große Liebe dort stehen sah, wie sie den Tod ihres einzigen, richtigen Vaters als Unfall abklärte, und kein Wort über ihre Wenigkeit verlor, wie sie den Fahrer, Taeyang als betrunken, allein und nicht bei der Sache beschrieben hatte..
Nichts, wirklich nichts hat zusammen gepasst, Alles klang falsch und gelogen, die Harmonie, die sie für eine Sekunde hat spüren dürfen, war genauso schnell verflogen, wie sie gekommen war.
,,Woher hast du diese Kopie?", fragte Sunny leise und las sich erneut die Zeilen durch, die ihr für eine Minute die Welt bedeutet haben, die ihr kurz vor ihrem Ende als Sunhee noch eine schöne Erinnerung, die Illusion eines aussichtsvollen Leben gegeben haben.
,,Ich hab sie von einer Frau bekommen, die ebenfalls findet, dass du und Taehyung nicht zusammen sein dürfen. Sie weiß, dass du seine Schwester bist.."
,,Hobi, diese Formulare sind nicht vollständig. Es war der Vordruck für die Adoption, doch allein Taeyang hat bereits unterschrieben, was er hat unterschreiben können. Eunjin wusste zu dem Zeitpunkt noch nichts und hätte wahrscheinlich auch nie-"
Sie stoppte. Ihr gefror das Blut in den Adern, als ihr ein sehr, sehr schlimmer Gedanke kam. Eunjin wollte noch nie, das sie mit zur Familie gehörte. Sie sah in Sunny seit jeher eine Gefahr. Sie war nie besonders zuvorkommend gewesen, sie achtete immer auf ihren eigenen Profit. Schon vor Jahren war sie so gewesen.
Und wenn Eunjin, wenn sie die Frau war, die Hoseok diese Kopien gegeben hatte, wo und wann auch immer, dann hat sie Bescheid gewusst, die ganze Zeit. Und wenn dem wirklich so sein sollte, dann hat sie ganze acht Jahre lang der falschen Person die Schuld an ihrem verkorksten Nichts gegeben und mit ihrer Aktion und ihrem Handeln wahrscheinlich auch den Weg für die Hexe geebnet, die sich jetzt irgendwo feierte.
Ohne auch nur ein wenig mehr ihrer Zeit zu verschwenden, stopfte sie die Kopie achtlos in ihre Jackentasche und schnappte sich das Handy von Hoseok, das auf dem Nachttisch lag. Dann suchte sie nach ihren Schuhen und zog sich so schnell an, wie sie nur konnte.
,,Sunny, jetzt warte doch! Wo zur Hölle willst du hin!?", war es Jimin, der die Blondine im Eingangsbereich herum wüten sah und versuchte sie zu hindern, etwas Unüberlegtes zu tun.
,,Ich muss los, jetzt, denn ich habe vielleicht einen riesigen Fehler gemacht und diese scheiß Firma wird noch viel schlimmer, als sie es bereits war", brabbelte sie vor sich hin.
,,Hä? Warte..! Wir haben doch alles-"
,,NICHTS HABEN WIR! ALLES SCHLIMMER GEMACHT!", zischte sie hektisch und wühlte in der Garderobe in sämtlichen Jacken nach dem Autoschlüssel, verwirrte Jimin umso mehr, der sich fragte, was in sie gefahren war. Es klimperte leise, sie hatte, was sie suchte. Doch Hoseok stellte sich ihr in den Weg.
,,Ich lasse dich da nicht raus. Nicht jetzt. Es ist zu gefährlich. Und ganz bestimmt nicht zu ihm."
,,Ich fahre zu seiner Mutter, zu Eunjin", drängelte sie und wollte an ihm vorbei, doch er verneinte und bewegte sich kein Stück.
,,Bitte Hoseok!", flennte sie und wurde immer zappeliger, zog an seinem Hemd: ,,Ich muss sie fragen, ob es wahr ist! Ob sie an allem Schuld ist! Denn dann..! Dann ist Taehyung unschuldig und..!"
Sie wimmerte wieder und ihr Griff wurde noch fester, sie lehnte ihre Stirn gegen seine Brust:
,,Und ich habe ihm gesagt, dass alles gelogen war.."
Er sah zu ihr runter und konnte nicht anders. Ganz gleich wie sehr er sich wünschen würde, von ihr geliebt zu werden, sie liebte wen anders. Und selbst wenn das Folgende einfach nur kopflos und dumm und verwerflich war, so wollte er Alles tun, um diesen verzweifelten Zustand zu beheben, der ihm mehr zusetzte, als Alles andere.
,,Also gut, aber ich komme-"
,,Nein, bitte", schluchzte sie und wimmerte, schaute zu ihm hoch, die Tränen liefen über ihre Wangen.
,,Aber ich muss doch irgendetwas tun", erklärte er sich nachdrücklich und legte seine Hände langsam auf ihre Wangen, wischte mit seinen Daumen die Tränen beiseite.
,,Dann fahr zu ihm. Sag ihm, was passiert war, wo ich bin, sag ihm, dass es mir leid tut und dass-"
,,Shht", unterbrach er sie und legte seine Stirn an ihre.
,,Also gut. Ich fahre zu ihm. Ich werde ihm sagen, was wir wieso getan haben und wie es jetzt aussieht. Mehr kann ich nicht machen. Die Tatsache, dass ich dich jetzt alleine fahren lasse und noch zu ihm..", er schloss kurz die Augen und sah sie dann wieder so intensiv an, wie zuvor: ,,..mehr kannst du nicht von mir verlangen."
,,Dankeschön", wimmerte sie leise und wiederholte das Wort wieder und wieder und wieder, krallte sich fester an sein Hemd. Es kostete ihn einiges an Überwindung, ihre Hände zu lösen und etwas beiseite zu treten.
,,Danke mir später, wenn du das geklärt hast, was du wissen musst. Ruf' uns an, sobald du uns brauchst."
Sunny nickte sofort heftig und rannte dann gleich schon zur Tür raus. Weder Hoseok noch Jimin realisierten richtig, was eben vorgefallen war. Zu viel Hektik, Spontanität und Leidenschaft für den Moment auf einmal. Sie wussten alle drei, dass die Entscheidungen, die sie nun trafen, nicht bis zum Schluss durchdacht waren und vermutlich vollkommen daneben waren..
,,Und was machen wir jetzt?", fragte Jimin leise, sah genauso wie Hoseok in den Flur, durch die offen stehende Eingangstür.
,,Wir fahren zu dem Arschloch, dass Sunny liebt."
Sunny
Der Impuls eines Liebenden, wenn er um den Anderen bangt, sei er auch nur reine Spekulation, ist stärker und zerstörerischer, als jede Naturgewalt.
A/N.: Die letzten drei Kapitel waren ein Großes, welches ich aufgeteilt habe - ich habe Alles in einem Zug geschrieben und finde es ist einiges zzuuuu schnell gegangen 😕 Auf der anderen Seite sollte es aber auch genauso impulsiv und spontan sein, also wie ist eure Meinung zu den neuesten Geschehnissen? 🌝☄
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