fünfzig
,,Weiße Weihnachten - ein Traum muss für Viele nun in Erfüllung gegangen sein", lächelte sie und einige Bestätigungsrufe folgten auf ihre einleitenden Sätze.
,,Besonders der Schnee gilt ja als Zauber des Winters. Denn was ist schon die Kälte wert, wenn man nicht auch die kleinen Flöckchen zu Gesicht bekommt?", baute sie wieder etwas Sympathie mit ihrem Publikum auf und streckte ihre Hände zu den Seiten aus.
,,Und diesen naturbedingten Zauber möchte ich ganz zu Anfang nutzen. Sehen sie genau hin, aber nicht zu genau, sonst werden sie blind für jenes, was direkt vor ihnen ist", hauchte sie in das Headset und schwang ihre Arme langsam nach vorne.
Der Schnee, der in so einem zauberhaften Muster auf die Menschen herab rieselte wurde langsamer. Man hatte das Gefühl, er hinge einfach in der Luft, sei an der Stelle dort festgefroren. Kinder schnappten nach den Flöckchen, die tatsächlich bei der Berührung mit den warmen Handflächen schmolzen. Auch die Erwachsenen waren begeistert von dem Phänomen, fingen die Flocken aus der Luft, wie die Sterne aus dem Himmel.
Sunny hob ihre Arme langsam an, und warf sie dann kraftvoll nach oben, mit ihr die Schneeflocken, die zuvor noch so fest im Nichts verharrt haben. Einige 'A' und 'O' Ausrufe brachten sie zum Schmunzeln, als sie sich mit dem Schnee bewegte, der sich zu einem wahren Strom, einer Schlange entwickelte. Wie ein kleiner eigener Sturm fegten die Flocken über den Köpfen der Menschen hinweg, zogen an ihren Mützen, Haaren und Schals, wehten durch ihre Gesichter und brachten ihre Augen noch heller zum Funkeln.
Der Schneesturm wurde größer, sammelte immer mehr Flocken in sich zusammen und aus der Luft, teilte sich auf und schlängelte sich überall entlang. Mit fließenden Bewegungen schien die Illusionistin das Alles zu steuern. Die Kameras richteten sich im Wechsel von ihrem anmutigen Schneetanz auf die weißen Wolken, die noch sehr viel schöner zu betrachten waren, als es ein geschmückter Tannenbaum hergeben würde.
Maya ließ dann ihre Hände auf einander zu kommen, ganz langsam, als würde sie versuchen einen großen Luftballon zwischen diesen erst zusammen zu pressen und anschließend platzen lassen wollen. Die Schneewolken komprimierten sich immer enger zusammen, bildeten eine Windhose, die sich in einer enormen Geschwindigkeit um sich selbst drehte und immer kleiner wurde. Als sie in die Hände klatschte, explodierte der weiße Ball regelrecht über den vielen Menschen, lautlos und ohne Knall, aber mit einem atemberaubenden Spektakel.
Der Schnee war noch sehr viel feiner, rieselte nun wie kleine, glitzernde Sternenstücke in Richtung Boden. Er kam aber nie auf, verschwand in der Luft, auf Augenhöhe der Passanten, die nicht anders konnten als sich dem Schauspiel mit Herz und Seele hinzugeben. Auch ihm, der relativ mittig stand und mit seinen Freunden zusah, stand der Mund diesmal offen. Zögernd, von der Neugier gepackt, streckte er seine Hand dem mysteriösen Glitzerregen entgegen, der anders als die Schneeflocken vorhin, verschwand, bevor er mit seiner Haut in Berührung kam. Als wäre er nie da gewesen, nicht existent. Obwohl er doch von tausenden Augenpaaren wahrgenommen wurde, bewundert und fast schon mit Euphorie begrüßt wurde, war er einfach weg, bevor man richtig realisieren konnte, was eigentlich vor sich ging.
Kurz darauf fielen die dicken Schneeflocken, die man vor wenigen Minuten noch gesehen hatte, wieder vom Himmel. Und mit ihnen verflog auch die letzte Spur an den magischen Moment, der eben noch die Gegend dominiert hatte.
,,Es ist so schade, etwas zu verlieren, was einem gefällt. Der Verlust einer Sache, von der man sich verzaubern und einnehmen lässt ist traurig. Aber wir leben weiter, denn am Ende ist das das Einzige, was uns über bleibt", brach sie die Ruhe, die wieder eingekehrt war, störte die Benommenheit der Anwesenden.
,,Überleben", sie sah kurz auf ihre Füße, dann hob sie ihr Kinn wieder: ,,Wir leben in einer Welt, in der den Reichen das Glück und die Kontrolle vorbehalten sind. Wir werden dazu gebracht Dinge zu tun, die nicht gerechtfertigt sind, denen wir manchmal gar nicht Folge leisten können und trotzdem müssen, weil Regeln und Vorschriften es uns so lehren."
Sie sah sich appellierend in den Gesichtern um, die an ihren Lippen hingen und zudem noch genau verstanden, was sie meinte. Jeder fühlte sich in ihrer Beschreibung, erkannte sein eigenes Schicksal wieder.
,,Und selbst in diesen unmöglichen Zeiten und Momenten, da überleben wir. Es kommt hart und härter, man nimmt uns Dinge die wir lieben, schätzen und brauchen und dennoch leben wir weiter. Es ist der Wille, die Hoffnung, dass wir irgendwann auch etwas zurückbekommen von denen, die uns so lange betrogen, belogen und abgezogen haben. Ich meine, wo wandern unsere Bemühungen hin, wenn nicht wieder zurück zu uns?"
Sie überflog die Augenpaare, suchte nach dem einen Bestimmten, welches sie ansehen wollte, während sie fortfuhr.
,,Es ist nicht fair und zum Schluss kann man trotzdem nichts machen, weil man sich anpassen muss. Da gibt es keinen Zauber in der Realität, der einem hilft, nur den Egoismus und die Gier, die noch mehr nimmt, als sie eigentlich darf. Und auch hier findet sich eine Illusion in der Gesellschaft wieder. Wir wiegen uns in Sicherheit und denken, es geht nun mal nicht anders, bleiben optimistisch, glauben an die aufbauenden und vielsagenden Versprechungen, die gemacht werden. Aber es gibt zahlreiche Menschen, die bereits vom Gegenteil erfahren mussten. Oder etwa nicht?"
Rufe, Zustimmung machte sich breit. Doch ihre Intention war eine Andere. Die Wut die sie durch ihre Provokationen hervorrief, würde sie ganz gezielt verwenden.
,,Ich bin nur ein kleiner Teil, dieses kaputten Systems. Und ich werde heute Abend auch nicht jedem von euch helfen können. Aber ich möchte versuchen einem jeden hier folgendes ans Herz zu legen-", sie räusperte sich, hatte ihn gefunden. Wie er dort stand, unschlüssig, ob er sich an das Geländer lehnen oder gerade stehen bleiben sollte. Wie seine Augen fragend, verwirrt und trotzdem so unsagbar sehnsüchtig in ihre Richtung starrten.
,,Ganz gleich, was unser Schicksal für uns zu bieten hat, wir werden es überleben. Und selbst wenn wir Dinge nicht sehen, die eigentlich schrecklich sind. Manchmal muss man nicht Alles wissen, um weiter leben zu können. Wir dürfen uns nur nicht davon beeinflussen lassen. Was falsch ist, bleibt falsch. Das Richtige, die Wahrheit wird immer ans Licht kommen. Und genau dem sollten wir uns annehmen."
Der Tumult, die lauten Jubelschreie übertönten jegliche Geräusche, durchbrachen Gespräche und Musik, die in jenem Augenblick geführt wurden. Jeder verstand, was sie sagte. Jeder hatte wenigstens den Hauch einer Ahnung, mit Ausnahme von ihm, der seine Augen fest in die ihren fixierte, verständnislos wie noch nie zuvor.
,,Denn was sollen wir sonst tun, um zu überleben?"
Sunny
Die letzten acht Jahre waren ein purer Überlebenskampf für sie. Sie versucht ihre Weltansicht zu teilen, zu zeigen, dass nichts ist, wie es scheint.
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