Kapitel 17
Schon seit Stunden durchforste ich die alten Manuskripte und Bücher, die ihren Standort in den riesigen alten Höhlen haben. Neben den unzähligen Nischen in den Wänden, in denen sich die Relikte aus längst vergangener Zeit befinden, fließt ein Wasserfall mitten durch das Zentrum dieses Ortes. Dort wo sich das Wasser sammelt hat sich bereits ein großer klarer Teich gebildet. Trotz des fallenden Wassers ist die Atmosphäre an diesem magischen Ort sehr ruhig.
„Clara, lauerst du mir wieder auf?", frage ich mit einem leichtem Lächeln auf den Lippen.
Kaum habe ich die Worte ausgesprochen ertönt schon ein lautes Stöhnen, hinter meinem Rücken. Dann erklingen die tapsigen Schritte eines Kindes.
„Das ist nicht fair! Warum entdeckst du mich immer? Hast du Augen auf dem Rücken?", meckert das winzige Geschöpft, was mich losprusten lässt.
Vorsichtig lege ich die Manuskripte zurück in ihr steinerndes Regal. Für einen kurzen Augenblick bleibt mein Blick an den alten Schriften hängen. Erneut lieferten sie mir nicht jene Antwort, nach der ich mich so sehne.
Wehmütig wende ich mich ab und sehe zu dem kleinen Mädchen.
Schmollend sitzt Clara auf dem kalten grauem Felsboden, direkt an dem Rand des Teichs. In ihrem silbernem Haar haben sich ein paar wenige Blätter verfangen. Der Blattart nach zu urteilen stammen diese Gaben der Natur aus den Hängepflanzen, die den Eingang zur Höhle verdecken. Vor allem während der Blumenzeit, der Zeit in einer Jahresperiode, in der alles wieder blüht, tragen die Pflanzen wunderbare kristallklare Blüten. Wenn sich die Sonnenstrahlen dann in den Blüten brechen funkelt die gesamte Umgebung in den Farben des Regenbogens.
„Nein, ich habe keine Augen auf dem Rücken. Ich sehe nur einfach alles", gestehe ich und lasse mich neben meiner kleinen Freundin nieder.
Da der Boden kalt ist platziere ich den Großteil meines beigen Umhangs unter mir.
Stöhnend verdreht Clara ihre lila leuchtenden Augen und sieht mich dann direkt an.
„Ist es nicht... nun ja... bedrückend ALLES zusehen?"
Ich schmunzle.
„Ich weiss nicht wie es ist nicht ALLES zusehen oder wahrzunehmen, also ist es für mich nicht bedrückend. Oder findest du es nicht überfordernd immer alles in Farbe zu sehen? Wäre es nicht auch besser vielleicht nur in verschiedenen Grautönen zusehen?"
„Auf keinen Fall! Dafür liebe ich gelb zu sehr!", erklärt sie mir ohne zu Zögern.
„Gelb, weil du die Sonne so sehr magst?"
Durch ein heftiges Nicken signalisiert Clara mir, dass ich völlig richtig lag, dabei lösen sich einzelne Blätter aus ihrem Haar. Lautlos gleiten sich durch die Luft, um dann auf dem Boden zu landen. Liebevoll greift sie nach einem der Blätter und begutachtet es ganz genau. In ihren zarten Kinderhänden wirkt das kleine Blatt riesig.
„Paxenum?", fragt sie schließlich nachdenklich.
„Mhm"
„Was genau bist du?"
„Ich bin ich", gebe ich achselzuckend zu und stupse das Mädchen spielerisch an.
Wieder ernte ich einen schiefen Blick von ihr.
Trotz ihres jungen Alters ließ sich Clara nicht an der Nase herumführen, auch nicht von mir. Normalerweise begegnen mir die Menschen mit Ehrfurcht und tiefen Respekt. Viele von ihnen sehen mich nur als eine Art Überwesen, nicht aber als Freund und Teil dieses Multiversums, dabei ist es völlig unwichtig in welcher Galaxie ich mich befinde. Die erste kleine Seele die mich wie einen Freund behandelt ist Clara.
„Letzte Nacht, da war es mir nicht möglich zu schlafen, also habe ich über dich nachgedacht. Mir ist aufgefallen, dass ich gar nicht weiss, ob Paxenum ein Mädchen- oder ein Jungenname ist. Ich weiss auch nicht wie alt du bist", bemerkt sie streng.
„Die Bedeutung meines Namens erklärt dir meine Bestimmung. Es ist ein Mädchen- und ein Jungenname, da ich sowohl Frau als auch Mann bin. Und ich bin schon so alt, dass es in Zahlen nicht auszudrücken wäre", erklär ich ihr und warte auf die Wirkung meiner Worte.
An ihrem Gesicht lässt ich erkennen, dass sie die erhaltenen Informationen verarbeitet. Nachdenklich hat sie ihre grauen Augenbrauen zusammengezogen und starrt auf das Blatt in ihren Händen, so als würde es die Antwort auf ihre Fragen beinhalten.
„ Du bist sonderbar, auf eine gute Weise. Ich kenne niemanden der so ist wie du", bemerkte meine kleine Freundin schließlich und sie hatte Recht.
Auch wenn ich alles zu wissen schien und jede noch so unerwartete Wendung im Multiversum vorhersehen kann, so war es mir nie bestimmt zu erfahren, ob es noch weitere wie mich gibt. Damals und heute auch nicht.
Liebevoll blicke ich auf das kleine Kind. Intuitiv kenne ich alle Erfahrungen die ein Wesen erlebt haben kann, dennoch wünscht sich ein gefährlicher Teil in mir, sie auch selbst zu erfahren. Schon immer fragte ich mich, wie es wohl wäre, wenn ich nicht alles wüsste und die gesamte Verantwortung bei jemand anderem liegen würde. So viele Jahre bin ich nun schon alleine gewesen, ohne eine Familie und noch nie habe ich die Möglichkeit dazu gehabt Fehler zu machen.
„Es gibt keine wie mich", hauchte ich und betrachtete meine Spiegelung im Wasserfall.
Die Worte besitzen einen tiefen bitteren Beigeschmack.
Ich bin alleine.
-
In jener Nacht ist es mir nicht möglich gewesen Schlaf zu finden, denn meine Gedanken kreisten um mein Vorhaben. Noch nie zuvor habe ich mich so sehr gesehnt nicht mehr das mächtigste Wesen zu sein. Ich will ein Teil der Multiversen werden und nicht ihr Beschützer. Jahrelang suchte ich nach Antworten, was passieren würde, wenn ich einfach gehe, doch ich bekam keine Antwort.
Die für mich bedeutsamste Frage und ich habe keine Antwort.
Hellwach schlendere ich durch die dunklen Höhlengänge, dabei hallen die Klänge meiner Schritte von den Felswänden zurück. Als ich vor dem Wasserfall zum stehen komme, ist mir mein Entschluss klar. Tief in meinem Inneren weiss ich, dass die Welten so wie sie jetzt sind nach meinem Verschwinden nie mehr so sein werden, doch auch ich habe ein Recht darauf Fehler zu begehen. Wenn es soweit ist, werde ich zurückkommen, doch bis dahin lebe ich als Teil von ihnen.
Nachdenklich blicke ich in das Wasser des klaren Teiches. In dessen Spiegelung entdecke ich mich, jedoch ist etwas anders. In dem Teich teile ich mich in vier Geschöpfe, alle gleich und dennoch gänzlich verschieden. Sie haben unterschiedlichste Erscheinungen, jedoch sehe ich in jedem von ihnen mich.
Ohne weiter darüber nachzudenken schreite ich langsam in mein sinnliches Ebenbild und verschmelze mit dem Wasser.
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