Kapitel 16
„Gillian wach auf... Gillian!", ruft sie ernst und rüttelt mich. Dann packt sie mich am Arm und reißt mich unsanft aus dem Bett.
„Hey, was soll das? Ich will noch schlafen...", antworte ich genervt und versuche mich wieder hinzulegen.
Doch Mutter ist knallhart. Ohne Diskussion schleift sie mich über unseren Fußboden hinaus in die eiserne Kälte. Ich fröstel am ganzen Körper, meine eben noch gewärmten Füße, gefrieren bei dieser eisigen Luft.
Schließlich zerrt sie mich in einen kleinen Geländewagen mit dunklen Scheiben.
„Hallo...kann ich vielleicht mal erfahren, wo wir hinfahren? Willst du mich ernsthaft so schnell loswerden?", schreie ich empört.
Meine Mutter setzt sich nach vorne auf den Beifahrersitz. Dann wirft sie dem Fahrer einen niedergeschlagenen Blick zu, der ihr daraufhin ein sanftes Kopfnicken schenkt. Nun atmet sie tief ein.
„Gillian ... ich habe einen neuen Auftrag, in Hawaii, für einen Film. Ist das nicht wundervoll, ist zwar nur eine Nebenrolle, aber vielleicht entwickelt sich daraus etwas größeres.", sagt sie in einem Atemzug und zwingt sich ein Lächeln auf, obwohl sie innerlich weinte.
Doch ich bin zu wütend um zu sehen, dass etwas nicht stimmte. Stattdessen schrei ich verletzende Dinge.
Als wir angekommen sind, ist die Stimmung mehr als betrübt, während mein Hals schmerzt unterdrückt meine Mutter ihre Tränen. Langsam kommt das Auto vor einem riesigen Backsteingebäude zum stehen.
Aus dem Hauptteil des Hauses ragen zwei bedrohlich wirkende Türme in die Höhe, während vor dem Eingang zwei Mäste stehen. Beide tragen ein und derselben Flagge, ein weißer Löwe auf schwarzem Grund.
„Das ist also das Internat",murmle ich kaum hörbar vor mich hin.
Vorsichtig beugt sich meine Mutter zu mir und drückt mir einen kleinen Zettel in die Hand.
„Gillian... Hier ist deine neue Identität, du wirst deinen Vornamen behalten dürfen, aber er Rest ändert sich. Es ist von aller höchster Wichtigkeit, dass du keinem von dieser Nacht oder deinem altem Leben erzählst. Niemand darf wissen, dass ich deine richtige Mutter bin! Du verstehst schon, wegen der Presse...",wispert sie mir zu.
Zusammen gehen wir einmal um die Schule herum. Auf der andere Seite dieses Ortes wartet eine schlanke Blondine auf uns. Über den Schultern hing eine dicken beige Wolljacke.
Aus irgendeinem Grund finde ich auf Anhieb nett.
„Das ist Mrs Daxton, die Dame die das Internat leitet, du wirst vorübergehend bei ihr wohnen, bis ich dich abhole", erklärt mir meine Mutter und schiebt mich näher zu ihr hin.
Freundlich streckt Miriam ihre Hand zur Begrüßung aus.
„Hier nimm Matt. Geht ruhig schon mal beide rein. Ich komme gleich", sagt Miriam liebevoll und drückt mir meinen Kater in die Hand.
Auf einmal stehe ich in einer Art Saal, die Seite die zu einem dichtem Wald führt ist aus Glas, die andere aus altem dunklem Holz mit meterhohen Wandteppichen. Durch die hohe Decke wirkte der Raum noch viel bedrohlicher.
Verzweifelt versuche ich das Gespräch zwischen Miriam und meiner Mutter zu belauschen, doch sie sprechen so leise, als würden sie die Worte lediglich ausatmen.
„Wasser...ich brauche Wasser", murmelte Jill erschöpft vor sich hin und tastete blind ihren Nachtisch ab.
Sofort stieß ihre Hand gegen einen kühlen Gegenstand. Gierig griff sie danach. In dem Moment, als sie das Glas an ihre trockenen Lippen führte, musste sie enttäuscht feststellen, dass dieses leer war. Nicht das was sie erwartet hatte.
„So ein Mist", fluchte sie und öffnete leise die Tür, nun musste sie wohl oder übel in die Küche.
Natürlich hätte es für die meisten auch gereicht Kranwasser zu benutzen, allerdings würde sie so etwas niemals freiwillig trinken.
Vorsichtig streckte sie den Kopf in den Flur. Die Lichter des Internats waren mittlerweile schon vollständig erloschen. Gelegentlich spendete das dämmrige Licht der Notausgangsschilder ein wenig Licht.
Achtsam huschte Jill aus ihrem Zimmer und schloss lautlos die Tür hinter sich. Dann schlich sie auf leisen Sohlen durch den düsteren Flur. Es dauerte nicht all zu lang, bis an den beleuchteten Absatz kam, dort erstreckte sich vor ihr die lange Treppe. Endlich.
Seit dem Vorfall mit Maybell, war es ihr lieber, Nachts nicht mehr in komplette Dunkelheit umherschleichen zu müssen. Rasch eilte sie die Treppe hinunter, in die nächste Finsternis. Ein ungutes Gefühl breitete sich in ihr aus, dass sich ihr bis ins Mark brannte.
Warum hörte sie die ganze Zeit, diese schaurigen Geräusche des Symptans?
Da ab 22 Uhr eine strenge Nachtruhe galt, hatte Miriam letztes Jahr erst beschlossen, der Umwelt zur Liebe, die Lampen in den Fluren nicht mehr brennen zu lassen.
Jill konnte ihre eigene Hand vor den Augen nicht sehen. Langsam taste sie sich an dem rauen Mauerwerk entlang. Krampfhaft redete sie sich ein, dass es ein Vorteil sei nichts sehen zu können, so konnte ihr Gegner immerhin auch nichts erkennen.
Plötzlich hielt sie inne. Etwas bewegte sie zu ihr. Ganz leise und vorsichtig, dennoch kontinuierlich näherkommend.
Sofort begann Jill vor Angst zu schwitzen. Am Ende des Gangs erkannte sie zwei reflektierende grüne Punkte, die auf sie zu kamen. Verängstigt presste das Mädchen krampfhaft ihren nassen Körper gegen die eiskalte Mauer. Es brauchte nicht mehr viel, bis ihre Seele den Körper verlassen würde.
In der Dunkelheit entstand sie, die Silhouette dieser Kreatur. Sofort flackerten die dämonisch weißen Augen vor ihr auf und sie spürte wieder diese modrige Hand auf ihrem Rücken. Innerlich flehte sie danach, nie wieder auf so etwas zu stoßen. Auf einen Symptan.
Angstvoll zitternd kniff sie ihre Augen zu, in der naiven Hoffnung sich so unsichtbar machen zu können. Die Furcht raubte ihr den Atem.
Dann streifte etwas weiches ihr Bein. Sofort riss sie die Augen auf und biss sich in die Hand, um nicht schreien zu müssen. Dann stürzte Jill erschöpft zu Boden.
„Matthew! Scheiße, ich dachte...", kraftlos zog sie ihren riesigen Kater an sich.
Ausgerechnet jetzt musste er wieder auftauchen, nach all den Wochen.
Ein genüssliches Schnurren signalisierte Jill, dass auch er sich freute sie wieder zu sehen. Seine grünen Augen funkelten wie zwei Edelsteine in der Dunkelheit.
Erleichtert drückte sie ihn noch fester an sich. Kein Symptan nur Matthew. Vorsichtig setzte sie ihn auf den Boden.
„Kommst du mit, ich wollte mir grade Wasser holen?", fragte sie ihn mit zittriger Stimme.
Als Antwort auf die Frage, begann der Kater heftig mit dem Schwanz zu zucken. Staunend schüttelte sie den Kopf, manchmal hatte sie wirklich das Gefühl dieses Tier könne sie tatsächlich verstehen.
Mit einem gewaltigen Kraftaufwand schob Jill die alte Eichentür des Speisesaals auf, dabei versuchte sie die vielen Gesichter der Tür zu übersehen. Wer auch immer sie entworfen hatte, schien scheinbar eine Vorliebe für das abstrakte zu haben.
Vorsichtig steckte Jill ihren Kopf durch den Spalt, um zu schauen, ob sie nun wirklich alleine waren. Die Luft schien rein zu sein. Geschickte hüpfte sie hinter die Essensausgabe bis hin einem kleinen Kühlschrank. Dort lagerten die Kantinendamen immer die Wasserflaschen.
Die Küche sah aus wie die in einem Sterne Restaurant, überall waren Regale mit glänzenden Kochutensilien und Gewürzen. Außerdem hing an jeder Ecke ein Desinfektions- und Handschuhspender.
Bei dem Gedanken, wie viel Ärger sie bekommen würde, wenn Miriam erfuhr, dass Matthew durch ihre Küche streunte, lief es ihr eiskalt den Rücken runter. Schnell schob sie den Gedanken beiseite und riss den Kühlschrank auf. Dann nahm sie sich eine gekühlte Flasche.
„Und jetzt schnell weg hier!", flüsterte sie und setzte grade zum gehen an, als ihr auffiel, dass der Kater wieder weg war.
„Das ist doch nicht wahr. Matt komm her...", fluchte sie leise.
Grade, als Jill ihn erneut rufen wollte, ertönten zwei Stimmen. Sofort verstummte sie und hockte sich zwischen die stählernen Regale.
Plötzlich lies sie ein kalter Luftzug erschaudern. Vorsichtig drehte Jill sich um. Tatsächlich stand die Tür des Kühlraumes ein spaltweit offen. Nichts ahnend krabbelte sie über den Boden und zwängte sich durch den kleinen Schlitz hindurch. Die Tür lehnte sie vorsichtig an, um hindurch zu spähen.
„Richte Charon aus, dass es tut mir Leid, dass ich bei dem letzten Treffen nicht dabei sein konnte, doch in dem Moment hätte es zu viel Aufsehen erregt, wenn ich verschwunden wäre", die Worte der Person klangen mehr wie ein Hauchen.
Definitiv war es die tiefe Stimme eines Mannes gewesen, aber mehr konnte Jill nicht erlauschen, da sie einfach zu leise sprach.
„Deshalb bin ich nicht hier", bemerkte der andere kühl.
Durch den Spalt konnte sie erkennen, wie sich die zweite Person dem Tresen näherte. Die beiden Umrisse waren leicht zu erahnen. Es waren zwei recht große Gestalten, die sich dominant gegenüberstanden.
„Weshalb denn sonst."
„Ich weiss, dass du es weisst! Nun frage ich mich, warum du noch niemanden Bescheid gegeben hast?", die Stimme kam Jill bekannt vor, doch sie war zu nervös, um sie zuordnen zu können.
Eine kurze Stille entstand.
„Im Gegensatz zu dir arbeite ich gründlich, weshalb ich mich auf das große Ganze konzentriere. Was bringt es uns einen weiteren kleinen Fisch zu schnappen, wenn uns der Hauptgewinn davon läuft?", zischte die erste Stimme, woraufhin der andere Typ erschöpft seufzte,
„Ich vertraue dir, dass weisst du, aber bring das gefälligst zu Ende. In der letzten Zeit bist du nicht du selbst!"
„Hörst du mir nicht zu? Ich habe doch gesagt ich werde mich darum kümmern, nur will ich ganz sicher sein."
„Du weisst, dass ich grade meinen Kopf für dich hinhalte? Wenn Charon wüsste, dass ich die ganze Zeit davon wusste...", er beendete den Satz nicht.
Erneute Stille.
„Gibt es sonst noch was? Ich würde sonst gerne gehen", forderte die erste Stimme trocken.
„Versau es nicht!"
Angestrengt versuchte Jill zu begreifen wovon die beiden sprachen, als es ihr wie Schuppen von den Augen fiel.
Wie konnte ihr es erst jetzt auffallen?
ER war hier!
Es war die gleiche Stimme gewesen. Der Typ von diesem Telefonat. Der Mörder von Maybell. Das Phantom.
Panisch presste sie ihre zitternde Hand auf den Mund. Binnen weniger Sekunden wurde ihre Sicht durch die vielen Tränen getrübt und für einen kurzen Augenblick wurde alles schwarz um sie herum. Jill hatte das Gefühl ohnmächtig zu werden, denn gleichzeitig wurde ihr noch etwas bewusst. Wenn diese Stimme, dieser Mann echt war, dann war es Maybell auch. Hilflos hockte sie in diesem Kühlraum, während die Erkenntnisse, wie ein heftiger Hagel auf sie niederschlugen.
All das der Typ, Maybelll, der Symptan, es war alles echt!
Doch warum konnte sich keiner an sie erinnern? Wie konnte es sein das ein Mensch fast allen Köpfen radiert werden konnte?
Innerhalb kürzester Zeit haben sich Jills schlimmsten Befürchtungen bewahrheitet und es nahm ihr die Luft zum atmen. Es war zu viel auf einmal, ihr Herz konnte diesen Schmerz nicht ertragen. und konnte nichts tun. Während dieser Mistkerl hier seelenruhig stand.
Eine unangenehme Stille breitete sich in dem Speisesaal aus. Waren sie endlich gegangen?
Ihr Verstand war nicht mehr klar, die Wahrheit trübte ihn immer noch. Schlagartig zog sich die Welt zu einem kleinem bedeutungslosen Fleck zusammen. Ihr wurde schwindelig. Taumelnd wich Jill zurück. Sofort fielen sämtliche Töpfe und Kisten zu Boden. Das Geräusch der Utensilien wirkte ohrenbetäubend. Wie eine gewaltige Explosion zerstörte es die Stille.
„Was...", bevor Maybells Mörder den Satz beenden konnte, jagte dieser zum Kühlraum.
Scheiße. Er war noch hier gewesen.
Panisch stolperte das Mädchen noch tiefer in den Raum hinein. Bis in die dunkelste Ecke, dort kauerte sie sich zwischen das Regal und die eiskalte Wand.
Angsterfüllt versuchte sie ihren hektischen Atem unter Kontrolle zu bekommen, da dieser sie sonst verraten würde. Todesangst breitete sich in ihr aus. Konnte man seinem Ende tatsächlich zwei Mal von der Schippe springen?
Keine weitere Sekunde verging, bevor ein große Lichtkegel Teile des Raums erhellten. Schützend presste Jill sich noch weiter hinter das Regal, sodass sie nur noch die Schuhe der Person sah. Wie eine Raubkatze pirschte er sich langsam an, dabei durchkämmte seine Taschenlampe jedes Regal.
Ihr fiel nichts mehr ein, was sie hätte retten können.
Jill saß in der Falle. Es würde nicht mehr lange dauern, bis er bei ihr angekommen wäre.
Der Mörder ihrer Freundin stand nur wenige Schritte von ihr entfernt. Er war ihr nun so nah, dass sie seinen hölzernen Duft ganz deutlich wahrnehmen konnte. Nur seine Statur wurde weiterhin von den Regalen verborgen. Ein plötzlicher Schrei lies sie zusammenzucken..
„Scheiße!", fluchte er, während Jill sah, wie Blut auf seinen Schuh tropfte.
Was war geschehen?
„Du Drecksvieh", stöhnte der Typ schmerzerfüllt.
Neugierig spähte sie durch die unteren Regale und erkannte, wie Matthew aus dem Kühlraum jagte. Immer noch verharrte dieses Monster vor ihr, spürte er ihre Anwesenheit? Doch anstatt weiter den Kühlraum abzusuchen stöhnte er nur. Dann straffte er seine Schultern und ging.
Ihr Kater schien Jill das Leben gerettet zu haben.
Mit einem lauten Knarren fiel die massive Stahltür zu.
Erschrocken sah Jill hoch. Er hatte sie eingesperrt und die Nacht war noch lang. Die Tür lies sich von innen nicht öffnen und war auch sonst viel zu dicht, um einen Hilferuf draußen wahrnehmen zu können. Nicht dass sie es versuchen würde. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Mörder wiederkommen würde war zu groß.
Langsam kauerte sie sich zusammen, so würde die Wärme die ihr Körper abgab ein wenig länger bei ihr bleiben. Trotz dieser Technik wäre es dennoch ein Wunder, wenn sie in ihrem leichten Pyjama überlebte.
Mittlerweile setzte eine extreme Erschöpfung ein. Immer wieder fielen ihre Augen zu, doch sie durfte nicht schlafen!
Bei dem Versuch sich anders hinzusetzten spürte sie, dass ihr Ellbogen an der eisernen Wand hing. Mit Nachdruck zog Jill ihn ab, dabei spürte sie wie sie sich die Haut von der Stelle riss.
Leidend biss sie in ihre Hand, um so einen qualvollen Aufschrei zu unterdrücken. Tränen schossen ihr in die Augen. Unkontrolliert flossen sie über ihr Gesicht. Diesen salzigen Geschmack den sie auf ihren Lippen hinterließen. Gleichzeitig rann ihr warmes Blut über den Unterarm.
Nun war tatsächlich alles zu spät.
Sie hatte es nicht geschafft May zu helfen, noch konnte sie die Situation mit Taylor in Ordnung bringen und nun starb sie. Einfach so.
Erschöpft legte sie ihren Kopf auf die Knie und lehnte sich gegen ein Regal. Immer wieder pustete sie sich in die Hände, doch auch das half nichts, da die Luft bereits eiskalt war bevor sie überhaupt ihr Ziel erreicht hatte.
Langsam schloss sie ihre Augen. Zu erst hatte Jill das Gefühl in ihren Füßen verloren, dann in ihren Händen. Allerdings besaß die Kälte kein Erbarmen und schlich stetig voran.
„Es tut mir Leid May. Ich...ich war nicht die Freundin, die du gebraucht hättest und es tut mir Leid... Ich bin eine Enttäuschung für euch alle gewesen", wimmerte sie kraftlos.
Bevor es ihr gelang noch einen weiteren Gedanken zu fassen, erlosch ihre Welt.
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