Twenty Eight ~ Flashback
Sachte spürte ich dünne Finger unter meinen Augen und als ich diese wieder öffnete, sah ich zu, wie mein kleiner Bruder mir die Tränen wegstrich.
"Wiw sind ein Tweam...", flüsterte er fast unverständlich und eine rote Flüssigkeit verfärbte seine Lippen.
Ich wimmerte auf und senkte meinen Blick, als meine salzigen Tränen auf das Gesicht meines Bruders tropften.
"Wir sind ein Team", antwortete ich weinend und strich ihm erneut durch sein Haar.
Toby hustete ein weiteres Mal und mehr Blut floss aus seinem Mund.
Ich wollte das nicht sehen, zwang mich aber dazu und hielt dem hilflosen Blick meines Bruders stand. "Wann höwt es auf?"
Mit dem Daumen strich ich ihm das Blut von den Lippen und ich versuchte weitere Tränen zu unterdrücken. "Was?"
Wieder hustete er. Sein sonst so weißes Shirt war blutrot und klebte an seinem Körper.
"Wann twut es nicht mehw weh?"
Ich atmete ruckartig aus und meine Tränen hatten gegen mich gewonnen.
Ich weinte gequält und lehnte mich zu ihm runter. "Bald..."
"Bweibst du bei miw?" Seine Stimme wurde immer feiner und leiser. Ich nickte und berührte seine Stirn mit meiner.
"Ich bleibe hier... Ich bin bei dir."
Ich spürte Tobys Wimpern an meinem Gesicht und hoffte einfach, dass das nur ein böser Traum war.
Toby war die einzige Person, welche ich noch hatte. Ich wollte ihn nicht loslassen. Ich konnte nicht. Er war mein kleiner Bruder und er sollte noch viel länger als ich leben.
Ich war nicht derjenige, der seinen Tod miterleben sollte. Er sollte viele Jahre später mit seiner eigenen gegründeten Familie an meiner Beerdigung anwesend sein.
Es stimmte einfach nicht. Es war nicht fair, dass ein kleines 5-jähriges Kind starb.
Mein Herz schlug nur noch ganz schwach und ich verspürte einen Schwindel, der mich, wenn ich nicht schon am Boden wäre, umhauen würde.
"Kway?", Tobys Stimme war nun kaum mehr identifizierbar und ich schluckte. "Hmm?"
"Es macht nicht mehw so weh..."
"Das ist gut", murmelte ich ihm entgegen und hastig strich ich mir die Tränen von meinen Wangen.
Alles, nur kein Schmerz.
Ich wollte nicht, dass er noch länger litt. "Wawum bin ich so müwe?"
Ich konnte ihn kaum noch verstehen. Schluchzend strich ich ihm erneut über die Lippen und versuchte das Blut wegzuwischen.
Sein ganzer Mund war damit bedeckt und mir wurde klar, dass er nicht mehr lange hatte.
"Toby?" Sein schlaffer Körper bewegte sich nur ganz leicht in meinen Armen und ich hob seinen Kopf an. Er sah mir erschöpft entgegen.
"Es wird alles gut, okay? Dir wird nichts mehr passieren und ich werde immer bei dir sein." Er nickte und eine Träne rollte seine Wange runter.
Das Kleinkind in meinen Armen wollte wieder etwas sagen, aber es wurde vom eigenen Husten unterbrochen.
Bei jedem weiteren Husten hörte man, wie er immer weniger Luft bekam und ich versuchte den Gedanken, dass mein Bruder in meinen Armen starb, zu verdrängen.
Ich würde gleich aufwachen und Toby würde dann neben mir sitzen, mir glücklich von der Nachbarkatze erzählen und gleichzeitig einen Pinguin malen.
Sein Mund war nun komplett rot und da konnte ich mit meinen Fingern nicht mehr wirklich nach helfen. Es war zu viel.
Meine Luftröhre zog sich ganz eng zusammen, als ich zusah, wie mein kleiner Bruder vergebens versuchte zu atmen.
In der Ferne nahm ich die Sirenen wahr und ich erwischte mich dabei optimistisch zu sein.
Sie würden Toby helfen können.
Das wollte ich mir einreden, aber ich erkannte aus eigenen Augen, dass es nicht mehr lange gehen würde.
"Ich will nicht wehen." Toby weinte mir bitterlich entgegen.
Ich wollte auch nicht, dass er ging. Ich wollte ihn für immer bei mir behalten. Er war der einzige Grund, warum ich mich die letzten Jahre durchgekämpft hatte. Ich wollte ihm ein normales Leben schenken.
Aber was tat ich?
Ich lockte ihm den Tod entgegen.
"Du musst keine Angst haben. Ich bin da und passe auf dich auf", schluchzte ich und fuhr ihm wieder einmal durch sein Haar.
Auf dem Boden um mich herum war eine Blutlache und betäubt zog ich meinen kleinen Bruder näher an mich heran.
Ich wollte es nicht wahrhaben. Tobys Atmung klang kratzig und stockend. Er bekam keine Luft mehr. Mein Bruder erstickte an seinem eigenen Blut.
Ich drückte ihn an mich ran und suchte nach einem Ausweg.
Wie konnte ich ihm diesen Schmerz nehmen?
Was hatte er getan, dass er dieses Leid durchleben musste?
"Kway, ich weiß wicht, was pawiert." Seine schwache Hand vergriff sich in meiner und es fühlte sich so an, als würde er, wenn er mich loslassen würde, vom Leben losgelassen werden.
"Nichts passiert. Du wirst mich jetzt anschauen und gemeinsam warten wir, bis wir nach Hause können, okay?"
Mein Versuch das ohne Pausen zu sagen, versagte und ich ertrug den Schmerz in meiner Brust nicht mehr. "Was ist miw Luke und Twaktow? Werden die auch miwkommen?"
Mit glasigen Kulleraugen sah Toby auf in mein Gesicht und ich nickte. "Wir alle werden mitkommen."
Meine Hand, welche zu Beginn versucht hatte Tobys Blutungen zu stoppen, umgriff seinen Körper enger und ich war dazu gezwungen meinem Bruder beim Sterben zuzusehen.
"Spiewen wiw, wenn wir zu Wause sind?" Mein Wimmern ertrank in meinen Tränen und ich bejahte seine Frage. "Und mawst du dann einen Pwinguin füw mich?"
"Ein Pinguin mit Krone... Versprochen."
Meine Lippen zitterten, als ich zusah, wie die Augen meines Bruders immer mehr an Glanz verloren.
Toby wurde immer blasser und ich wollte schreien. Ich wollte es verhindern. Ich wollte ihm helfen.
Aber ich wusste, dass ich nichts mehr tun konnte und ließ mich von meiner Trauer einnehmen.
Ich empfand so viele Emotionen auf einmal.
Trauer, Verzweiflung, Angst, Panik, Schuld und Hass...
Hass auf mich selbst.
Hass auf die Realität, welche mich gerade mit ihrem Gürtel durchpeitschte.
Der Drang zu schreien oder einfach einzuschlafen und nie wieder aufzuwachen, war riesig.
Aber ich konnte beides nicht. Toby sollte in Frieden gehen. Ich wollte ihm zeigen, dass alles okay war. Er sollte keine Angst verspüren.
Meine Lippen presste ich fest aufeinander, als ich wahrnahm, wie Tobys Griff immer schwächer wurde.
Seine Augen waren groß und seine Haut war mit Blut bedeckt. Mein Gesicht war verweint, obwohl ich die ganze Zeit versuchte meine Trauer zurückzuhalten.
"Dwu bist dwer beste Bwuder..."
Das Licht in seinen Augen, welches immer seine Lebensfreude widerspiegelte, löste sich komplett auf und seine Hand ließ meine los.
"Bin ich nicht", weinte ich auf, als ich mich zu ihm herunterlehnte und zusammenbrach.
Ich vergriff mich in seinem Shirt und verkrampfte mich.
Ilaria lag leblos in meinen Armen. Mein Kopf rang. Mein Herz raste und meine Augen tränten.
"Das passiert, wenn man mir widerspricht, Adams." Mein Stiefvater kniete sich neben mich und Ilaria, als ich ihm weinend entgegensah.
Ihr leichter Körper lag in meinen Armen und ich drohte mein Bewusstsein zu verlieren.
Mein Puls pochte in meinem Kopf und ich schluckte Tränen herunter. Ich konnte sie nicht auch noch verlieren.
"Ihr Herz schlägt noch. Fragt sich nur noch wie lange." Er richtete seine Waffe erneut auf mein Mädchen und ich wusste nicht mehr, was ich machen sollte.
Ich dachte, ich hatte dazugelernt. Ich dachte, ich würde wissen, wie man diese Momente vermeiden konnte.
Aber nein, Tobys Tod hatte nicht gereicht. Jetzt musste ich auch noch meine Freundin umbringen.
Verzweifelt schaute ich in ihr friedliches Gesicht und spannte verkrampft meinen Kiefer an, um einen weiteren Gefühlsausbruch zu vermeiden.
Meine angebliche Mutter kam auf uns drei zu und kniete sich zu Ilaria. Mit zwei Fingern tastete sie nach ihrem Puls und sah mich schweratmend an.
"Du Monster!", schrie sie plötzlich, aber es war nicht an mich gerichtet. Selbständig suchte ich nach ihrem Puls und spürte ihn ganz sachte unter meinen Fingern.
"Ein unschuldiges Mädchen! Zuerst eine ganze Familie mit Kleinkind und jetzt das!" Sie erhob sich und schlug ihrem Mann gegen seine Brust.
"Lass ihn sie ins Krankenhaus bringen! Töte nicht auch noch das letzte aus seinem Leben! Noch dazu ist sie so jung. Sie hat noch ihr ganzes Leben vor sich."
Aaron blieb still und sah zu, wie ich Ilaria näher an mich heranzog. Erneut musterte ich ihr engelsgleiches Gesicht und strich ihr sanft über die Wange, als ich mich zu ihr herunterlehnte und in ihre Halsbeuge weinte.
Ihr blondes Haar kitzelte die Seite meines Kopfes und es schien mir so, als würde sie langsam an Körperwärme verlieren.
Ich kannte diesen Prozess. Ich wusste, was passieren würde und wollte es nicht zulassen.
Immer wieder wanderten die Bilder von Tobys Tod in meinen Kopf und ich drohte meinen Verstand zu verlieren.
Ilaria durfte jetzt nicht auch noch sterben. Ich brauchte sie. Sie war das einzige, was mich am Leben hielt.
Ihretwegen hatte ich mich nach Tobys Tod nicht aufgegeben. Sie war mein Ein und Alles. Mit ihrem Leben verließ mich auch meins und ich spürte, wie mir das Atmen immer schwerer fiel.
Neben dem unerträglichen Schmerz in meiner Brust, begann ich Hitze in meinen Adern zu spüren.
Hass.
Ich verspürte Hass.
Viel mehr als noch vor 5 Minuten. Ich atmete laut aus und ein. Mein Oberkörper hob sich sichtlich an und senkte sich wieder.
Das Ringen in meinem Kopf verblasste langsam und langsam konnte ich wieder klarer denken.
Klar genug, um einen Schritt zu gehen, der mir viel abverlangen würde.
"Ich bin dabei", kam es aus meinem Mund und Aaron kniete sich neben mich und mein Mädchen.
"Was? Ich habe dich nicht gehört." Ich hob meinen trotzdem noch leicht brummenden und schmerzenden Kopf an und sah ihm mit kaltem Blick entgegen.
Meine Augen brannten sich in seine grässlichen und ich befeuchtete meine Lippen.
"Lass mich sie ins Krankenhaus bringen und ich bin dabei." Der Mörder hob interessiert eine Augenbraue und spielte mit der Pistole in seiner Hand.
"Ich lasse mich ausbilden und werde einer von euch."
Kay als Auftragskiller?
Hat sicher was heißes an sich...
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