Il Bacio di Klimt - Mi corazón
Sein Herz öffnete sich, er fragte, was ihm im Leben fehle.
Ein Licht entfachte klein und kräftig in seiner Seele.Schön, wie die Sonnenblumen des Van Gough,Strahlte sein Lächeln, strahlte gar wie ein Sternlein doch.Ärger und Wut existierten nicht mehr,Sein Kopf, er wurde leer.Und so wie er ihn fand unter dem Kuss von Klimt,So hoffte er, dass ein Wiederfinden seinen starken Puls stillt.Denn was er an jenem Tage fand,War die kostbare Liebe, die sie seit Tag eins ewig verband.
~0~
Die plötzliche Wärme hatte ihn verlassen, stattdessen beherrschte ein fröstelndes Verlustgefühl sein nunmehr ruhig hämmerndes Herz. Lovino bemühte sich beinahe zwanghaft darum, sich auf seine Aufgabe zu konzentrieren, schaffte es jedoch nicht, das wunderbare Lächeln des Spaniers aus seinen Erinnerungen zu löschen. Einmal in seinem tristen, grauen, fahlen Leben voller Eintönigkeit und Hass auf die Menschheit hatte er Licht in seiner schlafenden Seele erspürt; verbunden mit Aufregung, Glück und einer Zufriedenheit sowie Geborgenheit, die er auch nach mehrmaligem Denken nicht zu beschreiben vermochte.
Lovino hielt in seiner Handbewegung inne, die gerade eine Notiz auf seinen Block verewigen wollte.
Was fiel ihm nur ein, seine kostbaren Gedanken mit dem Abbild eines geradezu Fremden zu verschwenden?!
Lovino schlug sich den Block gegen sein Gesicht, brummte verärgert auf und stöhnte genervt auf, als er das Papier wieder von seiner Visage entfernte.
Was sollte der Scheiß?
"Lovino, brauchst du Hilfe?"
Der temperamentvolle Italiener schaute müde zur Seite, nur um dann seinen jüngsten Bruder zu entdecken, der ihn besorgten Blickes würdigte.
"Nein, Romeo, schon gut."
Der - laut Antonio - Engel hatte keine Lust, eine Nichtigkeit wie diese plötzlichen Gedanken und Empfindungen mit jemandem zu teilen. Lovino war sich zudem mehr als sicher, dass er sich spätestens nach einer schönen, langen Mütze Schlaf nicht einmal mehr an diesen Antonio erinnern würde.
Er war nichts weiter als ein einfacher Passant. Er würde so schnell aus seinem Leben verschwinden, wie er auch gekommen war.
Egal, wie sympathisch, lieb, hübsch und attraktiv er auch sein mochte.
Aber Romeo schien mit Lovinos Aussage alles andere als zufrieden zu sein, gab aber letztendlich nach. Dass sein ältester Bruder nicht der Gesprächigste war, wenn es um seine Gefühlslage ging, war ihm ohnehin kein Geheimnis. Feliciano dagegen, der mittlere Bruder, trug seine Gefühle wie ein blinkendes Aushängeschild bei sich, sodass jeder in einem Augenblick Bescheid wusste.
Apropos: Wie es Feliciano wohl in Berlin erging? Er besuchte zurzeit mit Kiku seinen Freund Ludwig dort...
Naja, Romeo würde es früher oder später erfahren.
Ohne ein weiteres Wort zu verschwenden, widmete auch er sich wieder seiner Aufgabe und ließ Lovino mit seinen versteckten Nervenzusammenbrüchen allein.
Doch egal, wie sehr sich Lovino auch bemühte, seine Gedanken wanderten immer wieder zu diesen wunderbar waldgrünen Augen, die in der goldenen Sonne Geborgenheit und Sanftmut entgegenbrachten...
Wie beruhigend sie auf ihm lagen...
Wie er sich selbst kurz darin verlor...
Wie sie die Impulsivität in seinem Herzen sofort ruhig stellten...
Oh Gott...
Schon wieder knallte Lovino sich den Block gegen die Nase und atmete laut aus.
Das wurde ein langer Abend, er sah es schon kommen.
~0~
Antonios Schritte fühlten sich schwerelos an, ein prickelndes, blubberndes Gefühl wohnte im Kern seines Herzens und klopfte immerwährend gegen die Tür seines Herzen-Kämmerleins.
Er war heiter und gut aufgelegt. Dies war grundsätzlich nichts Neues, allerdings besetzte dieses Mal ein neues, unbeschreibliches Empfinden seine Quelle der Freude. Antonio trug seinen Frohsinn offen mit sich, doch dieser war derartig stark und überwältigend geworden, sodass Roderich selbst so langsam Bedenken hatte, ob sein Freund nicht komplett irre geworden war.
Dass er durch eine einzige, spontane Begegnung so beflügelt durch die Welt spazieren konnte?
Roderich wusste, dass Antonio eine Person war, die sich innerhalb weniger Momente Hals über Kopf in jemanden verlieben konnte, der ihn faszinierte. Aber....Dass es solche Ausmaße mit sich zog, hätte er nie geahnt. Er konnte sich nicht einmal daran erinnern, dass er jemals so über-drüber aufgedreht war, als sie noch zusammen waren!
Antonio bekam Roderichs Verwirrtheit natürlich nicht mit. In seinem Kopf spielte sich lediglich tausende Male dieselbe Szene ab. Die Szene, in der er seinen Engel in aller Schönheit des goldenen Sonnenscheins erblickte.
Antonio war eindeutig nicht mehr zu helfen.
Den Kopf fortgehend in den Wolken habend, schlenderte der junge Mann lediglich aus reiner Intuition im Belvedere herum, obwohl er nicht einmal komplett geistig anwesend war. Sein Weg führte ihn in ein unteres Stockwerk, die weißen, kühlen Quarzstufen hinab, vorbei an den Marmorstatuen im antiken Stil des Eingangs, bis hin zu einem kleinen Saal, der ihn aus der himmelsgleichen, weißen Scheinwelt zurück in eine warme und doch prachtvolle, alte Atmosphäre lockte, die durch die warmen, erdigen Farben erweckt wurde. Kristallähnliche Kronleuchter hingen an der hohen Decke wie ein gläsernes Kunstwerk herab, schenkten dem Raum in rotbraun und weiß ein wenig Licht. Das Deckenfresko, wie üblich mit einem Ausblick in den christlichen Himmel voller Engel und Wolken geschmückt, war mit weiteren typisch barocken Zierden versehen, die einerseits weiß wie ihr Material blieben oder auch in Gold getaucht waren.
Gold...
Antonios Herz klopfte schneller.
Er erinnerte sich einmal mehr an den goldenen Schein in Lovinos Augen, der ihn in seinen Bann gezogen hatte.
Und die Engel und Heiligen am gemalten Himmel...
Lovino würde geradezu perfekt dazu passen; in die Mitte dieses wunderbaren, himmlischen Deckengemäldes.
Der kleine Saal erinnerte ihn an die Bälle vergangener Zeit, wie er sie aus Filmen und Büchern kannte. Wie prachtvoll das Ambiente auf einen wohl wirkte, wenn man spätabends in diesem Saal mit den Liebsten, umgarnt von Liebe und sanftmütiger Musik, tanzen würde? Auch, wenn dieses gedankliche Wunderland in der Vergangenheit der Menschheit lag und viele Jahre bereits zurücklagen, Antonio stellte sich gerne vor, wie die Menschen hier tanzten, tratschten und das Leben genossen und wie gerne stellte er es sich auch vor, eines Tages mit der Person eng verbunden durch alte, leere und prunkvolle Säle zu tänzeln, die ihm die Welt bedeutete.
Doch dann!
Doch dann...
Einmal mehr drang ein wohlklingendes Stimmchen zu ihm durch, das ihn augenblicklich von der kunstvollen Aufbereitung des Raumes ablenkte. Antonio sah über seine rechte Schulter und oh...
Einmal mehr streiften sanfte Schmetterlingsflügel seinen Bauch und lösten ein flatterndes Gefühl in ihm aus.
Nur wenige Meter weit weg stand Lovino, umringt von seinen Kollegen und...er lachte. Und zwar mit Herz.
Und es war, obgleich es nur von Weitem wahrgenommen wurde oder nicht, das Allerschönste, was Antonio in seinem Leben jemals sehen und hören durfte.
Der Spanier spürte, wie seine Beine weich wurden und wie sein Herz einige Sekunden aussetzte. Ein verliebtes Funkeln zeichnete seinen Blick, der ruhig und sachte auf dem hübschen Mann lag, der ihm seit Sekunde eins bezaubert hatte. Allein schon, als er ihm die Ehre erwies, seine perfekte und doch imperfekte Stimme zu hören.
Oh...Lovino war durch und durch bezaubernd.
Und Antonio hätte weinen können.
Nicht aus Trauer.
Nicht aus Schmerz.
Nicht aus Eifersucht oder Wut.
Ihm kamen seelisch bereits die Tränen, die allein durch Lovinos unbezahlbare, unersetzliche und wunderschöne Existenz hochkamen.
Oje, es hatte ihn übel erwischt. Übler als jemals zuvor. Wie konnte es sein, dass er sein Herz so schnell an jemanden verlieren konnte, den er kaum kannte? War er tatsächlich schon so verzweifelt gewesen, dass er sich in den Erstbesten verliebte?
Nein.
Lovino war nicht der Erstbeste.
Er war der Beste.
Leider verschwand der hitzköpfige Italiener kurze Zeit darauf mit seinen Freunden und Antonio konnte nur mit Wehmut feststellen, dass ihm dieses kostbarste Geschenk des Himmels einmal mehr wie Sand durch die Finger glitt und aus seinem Leben verschwand; dabei nahm er drei Sachen mit sich: sein Herz, seine Liebe und die Wärme.
~0~
Immerwährend klapperten Schritte schwarzer Schuhe über die weißen Fliesen. Gemurmel schallte von jeder Ecke in die nächste. Abertausende Geschichten wanderten hin und her, sammelten sich in den Erinnerungen jenes sonnendurchfluteten Raumes, der durch die hohen Fenster wie ein kleiner Pavillon einen Ausblick auf den Garten des Belvederes anbot, der gerade zu dieser Tageszeit wunderschön, fast märchenhaft erschien.
Roderich aß genüsslich sein Tortenstück und nippte einige Male an seiner heißen Tasse Kaffee, während Antonio gedankenverloren in seinem Küchlein herumstocherte.
Das Thema Lovino war glücklicherweise für ein paar Minuten aus seinem Kopf gebannt worden, er war also nicht komplett wahnsinnig geworden und ließ sich auch einmal ablenken.
Stattdessen dachte Antonio an Dinge zurück, die er Roderich noch zu erzählen hatte. Im letzten halben Jahr war viel geschehen und Antonio wäre ziemlich dreist, Roderich diese - vor allem -dummen Geschichten über seinen Alltag vorzuenthalten.
"...naja und als Francis und ich Gilbert wiedergefunden hatten, war er röter als ein gekochter Hummer. Ich hatte ihm ja gesagt, er soll in der Mittagssonne aufpassen, aber er dachte wieder, er wüsste alles." Der junge Spanier lachte etwas schadenfroh. "Dasselbe war auch, als wir Essen gingen. Ich hab ihnen gesagt, dass sie ihre Taschen in der Nähe behalten sollen. Hat Gilbert es gemacht? Nein. Hat man ihm dann die Brieftasche geklaut? Aber sicher!"
Roderich massierte sich genervt den Nasenrücken, als er über die Unfähigkeit gewisser Leute erfuhr. "Je mehr Scheiße du über meinen Cousin laberst, desto sicherer bin ich mit meiner Annahme, dass er ein hoffnungsloser Volltrottel ist. Ein Wunder, dass er fähig ist, allein zu leben, geschweige denn, dass er die Schule geschafft hat."
"Naja, du bist ja mal im Zug eingeschlafen und plötzlich in Budapest gelandet. Das ist nicht sehr viel anders." Antonio zuckte nur mit den Schultern und nahm einen weiteren Bissen von seinem Kuchen. Die Marmelade schmeckte süß-säuerlich.
Roderichs Augenbrauen zuckten nach oben und prüfende Augen lagen nun auf Antonio. "Nicht frech werden, Freundchen! Du hast mal fünfhundert Euro für irgendwelche Steine ausgegeben."
"Sie leuchten aber im Dunkeln!", verteidigte Antonio augenblicklich seinen eindeutig überteuerten Kauf.
"Trotzdem sind es fünfhundert Euro!"
Ein Brummen entfloh aus Antonios Mund. "Ich weiß." Vielleicht hatte er gewisse Probleme im Umgang mit Geld, bei denen er sein hart erarbeitetes Geld für irgendwelchen Krimskrams ausgab, anstatt einmal in seinem Leben zu sparen, aber dagegen konnte er nun schlecht etwas unternehmen. Was passiert ist, ist passiert. Trotzdem konnte er sich seinen Kommentar nicht verkneifen und seine Lippen formten ein breites, freches Lächeln. "Naja, dafür bin ich jetzt...."
Roderich ahnte schon, auf was er hinauswollte. "Toni, nein, ich bitte dich-"
"Steinreich!" Als ob er der größte Komiker der Geschichte wäre, lachte Antonio auf, patschte mit je einer Hand auf die Oberschenkel und klatschte dann, um das klassische Schlagzeuggeräusch zu imitieren, das man normalerweise bei Witzen im Hintergrund hörte.
Statt einem Applaus für diese Darbietung erweckte Antonio bei seinem Freund nichts weiter als ein lautes Schnaufen, eine Facepalm und fehlende Begeisterung. "Ha. Haha. Ha. Der Witz war so schlecht, dagegen sieht deine Mathematik Note ja besser aus. Hast' wohl in der Witzkiste geschlafen."
"Ich hatte damals eine fünf."
"Eben."
"Hmpf." Still nahm Antonio einen kleinen Schluck Kaffee aus der Porzellantasse, der weiße wohlriechende Dampf umgarnte sein gebräuntes Gesicht und löste eine angenehme Wärme darauf aus. Auch Roderich nahm nun seinen letzten Bissen und schaute interessiert auf die paar Gemälde, die den reinweißen Raum mit etwas Farbe bestückten.
Inzwischen verschwanden einige Kunden aus dem Café, andere wiederum legten ihre Sachen bei den freien Tischen ab. Die Atmosphäre in dem kühlen Stübchen wirkte bereits schläfrig, in einer halben Stunde schließe die Küche und nur noch eine Handvoll Leute bestellten sich noch eine Süßspeise zum Abschluss des Tages. Antonios Augenlider wurden träge, und auch sein Geist stellte seine Energie zurück. Beinahe wäre er in seine eigene kleine Welt abgedriftet, als ihm zu seiner linken das rasche Zischen eines Bleistifts auf Papier zu Ohr kam, gefolgt von einer allzu bekannten Stimme, die mit markantem Akzent wohl ebenso Kaffee und Kuchen bei den herumschwirrenden Kellnern bestellte.
Warte...
Sofort fing sich Antonio wieder, schaute auf und schielte neugierig zur Seite.
Und oh...
Wie sein Herz erneut aufging und heftig zu klopfen begann...
"Lovino?"
Der junge Mann neben ihm reagierte sofort, pausierte seine Zeichnung und wandte den Kopf zu Antonio.
Gott...wie er seinen Namen aussprach...
Lovinos Fingerspitzen zuckten auf, als er die Stimme hörte; seine eigene existierte plötzlich nicht mehr.
Roderich bekam die Szene, die sich vor ihm erübrigte natürlich in vollen Zügen mit. Verwirrung stand ihm im Gesicht geschrieben. "Ihr beide kennt euch?" Der Österreicher setzte auf Deutsch fort, da er sich gerade noch mit Antonio auf Deutsch unterhielt und demnach der Annahme war, Lovino verstünde ihn.
Lovino starrte auf den Mann an Antonios Seite, kniff die Augen unverständlich zusammen und auch er schien nun ein Opfer der Ahnungslosigkeit geworden zu sein. "Hä? Was hat der gesagt?" Lovino wechselte für Antonio automatisch auf Spanisch, war sich allerdings sicher, dass er mindestens einen Aussprachefehler dabeihatte.
Doch bevor Antonio auch nur ein Wort rausbrachte, ergriff sein Freund bereits die Initiative und wechselte - wenn auch mit Anfangsschwierigkeiten ebenso auf Spanisch. "Ich hab gefragt, ob ihr euch kennt."
"Ah", dem Italiener ging ein Licht auf und sein Blick wurde entspannter, "Ne, eigentlich nicht."
Antonio riss die Augen auf und schaute empört zu dem Mann, den er vor wenigen Minuten noch als perfekten Engel in Erinnerung hatte. "Oh doch!" Dann wandte er sich zu Roderich und grinste triumphierend. "Wir kennen uns seit einer halben Stunde!"
"Das ist genau nichts, du Bastard", Lovino sah den Quasi-Fremden ernst an und zeigte sich kühler als die Sibirische Eiswüste, "Du weißt genau nichts von mir."
"Doch! Ganz sicher!", Antonio strahlte mit der Sonne um die Wette, auch wenn Lovino eher eine mürrische, bodenständige Einstellung beibehielt, "Ich weiß, dass du Lovino heißt, zeichnest, dass du Italienisch, Englisch und Spanisch sprechen kannst und total das niedliche Gesicht hast!"
Da verschluckte sich Lovino augenblicklich an dem Kaffee, den er vor wenigen Augenblicken erhalten hat. Er hustete grässlich, klopfte sich gegen den Brustkorb und ein überwältigender Hitzeschwall krachte ihm volle Wucht in sein Gesicht und färbte es so rot wie der Zuckerguss auf Antonios Torte. "Ein WAS?!"
"Ein niedliches Gesicht!", der Spanier lächelte ihn mit einem Funkeln in den Augen an und ein Feuer entfachte in seiner Brust, das heller strahlte als die Sonne selbst, "Du siehst aus wie ein Engel! Aber den schönsten den es überhaupt jemals gegeben hat und jemals geben wird!"
Roderich vergrub sein Gesicht in den Händen und stützte sich mit den Ellbogen am Tisch ab.
'Jessas Marandjosef'*, dachte er sich, Antonio hat es verdammt schlimm erwischt, dass es ihm schon weh tat. Dieser Fremdscham war unerträglich!
Er kannte diesen Lovino seit nicht einmal einer Stunde, trotzdem verhielt er sich so, als hätte er sich bereits nach diesen wenigen Augenblicken unsterblich in ihn verliebt.
Wenn er so weiter machte, vergraulte er sein neues Herzblatt sowieso. Seine Aufdringlichkeit war jetzt schon grenzwertig, obwohl er die besten Absichten hatte...
Aber dem Augenschein nach fand sich Lovino ebenso in einem Whirlpool aus Verwirrung und Unwissen, wie er auf den energetischen, liebestrunkenen Mann reagieren sollte.
Bei Gott...Roderich würde Antonio wohl zurechtweisen müssen, damit er seine Chance nicht sofort verspielte.
Aber - Roderich sah zwischen den beiden umher und entdeckte das fröhliche Funkeln in Antonios Augen, ein Lächeln malte sich auf das Gesicht des Österreichers - Antonio wirkte so aufgeweckt, glücklich und beflügelt wie schon lang nicht mehr, wenn er den jungen Italiener ansah.
Vielleicht sollte er hinter den beiden stehen und wie ein Marionettenspieler an den unsichtbaren Fäden ziehen, in der Hoffnung, dass sie tatsächlich näher zueinander fanden?
Unterdessen war Lovino röter angelaufen wie eine pralle Tomate in der heißen Julisonne. Die rosigen Fleckchen musterten bis zum Hals und auch seine Ohren zierte die rote Farbe.
Als ob ihm dieses übertriebene Kompliment schon derartig ausgeknockt hatte, dass er einem wandelnden Glühwein ähnelte?! Was war nur los mit ihm?!
"S-Sag doch so etwas nicht, du Bastard!", brachte Lovino mit kieksender Stimme hervor und bemühte sich, statt eines geschmeichelten Lächeln, ein grimmiges Gesicht aufzusetzen. Leider wirkte er dadurch eher wie ein kleines grimmiges Kätzchen. "Bist du blind oder so? So wie du dich anhörst, kannst du wahrscheinlich nicht mal sehen, wie viele Finger ich hochhalte!" Er zeigte ihm drei Finger und schüttelte jegliches Kompliment schroff ab.
Niemand hatte ihn je als einen Engel beschrieben...oder als niedlich.
"Doch, ich seh' die drei Finger. Ich bin nicht blind, Lovino."
Wenn, dann blind vor Liebe.
"Ich sag nur sofort heraus, was mir durch den Kopf schießt, wenn ich dich sehe. Und mein allererster Gedanke war vorhin einfach nur 'Oh...Ich hab einen Engel gesehen...'!"
Roderich gab sich eine Facepalm.
Was war hier los? Das war ihm echt zu kitschig hier.
"Du bist echt 'n Depp, das weißt du, oder?" Trotz der schmeichelnden Kommentare und dem leisen Glücksgefühl in seiner stark pulsierenden Brust konnte sich Lovino seine scharfe Zunge nicht abgewöhnen, allerdings verlor er nun den Kampf gegen seinen erzwungenen grimmigen Gesichtsausdruck und das Lächeln gewann die Überhand.
Antonio spürte, wie seine eigenen Wangen heißer wurden und sein Puls sich schlagartig erhöhte, sobald er Lovinos Lächeln erblickte.
Ein Engel...
"Ja...das weiß ich...", säuselte er verträumt und nur der sanfte Schlag Roderichs auf seinen Hinterkopf riss ihn wieder zurück in die Realität.
Zischend lehnte sich sein Ex zu ihm und sprach leise in sein Ohr. "Reiß dich zusammen! Geh es langsam an oder er gibt dir 'nen Korb, ehe du bis drei zählen kannst!" Antonio nickte sofort. Daran hatte er noch gar nicht gedacht! Er musste es mit Lovino sichtlich langsamer angehen, um ihn nicht sofort zu verlieren. Schweiß benetzte seine gebräunte Haut.
Oh je, oh je, oh je...
Konzentration und Fingerspitzengefühl war also gefragt.
"Was gibt's da zu diskutieren? Lästert ihr über mich?!" Lovino trug eine Mimik im Gesicht, die Antonio noch nie gesehen hatte. Einerseits zeigte er seine dauerhaft gereizte Seite, andererseits lag Zweifel und Unsicherheit in seiner Stimme. Vielleicht lag es daran, dass Lovino sich furchtbar klein und hilflos fühlte, wenn jemand in seinem Umkreis flüsterte und ihn dabei betrachtete.
Wie damals in der Schule...Er war vor den Lästereien nie sicher gewesen.
Antonio erlag der Panik, Lovino verärgert oder frustriert zu haben. Seine Augen sprachen hierbei mehr als tausend Worte, die er im Moment hätte sagen können, doch glücklicherweise rettete sein Freund ihn aus seiner Ohnmacht der Situation.
"Ach nein, wir doch nicht", Roderich beschwichtigte Lovinos Ängste und wedelte mit seiner Hand herum, "Ich habe nur meinem guten Freund hier geraten, dass er dich nach deinem Insta-Namen oder gleich nach deiner Telefonnummer fragen sollte...Er findet dich nämlich durchaus sympathisch." Der Brillenträger drehte den Kopf zu Antonio und blinzelte ihn auffällig an, als Zeichen, dass er mitspielen sollte. "Stimmt doch, oder Antonio?"
Zunächst nickte er langsam und überfordert, doch dann zeigte er sich kompetenter und setzte sich aufrecht sowie sicher hin.
"Sympathisch? Ich? Ja genau und du bist die Hexe Befana, oder wie?" Frech wie immer kam eine kritische Bemerkung zurück. Antonio fand dieses Temperament allerdings wahnsinnig anziehend und es ließ sein Herz augenblicklich höherschlagen.
"Du bist aber wirklich sympathisch...", nuschelte Antonio, während seine Wangen wie die Morgensonne auf seiner Haut brannten, "D-Darf ich also deinen Insta-Namen haben? Oder deine Telefonnummer? Bitte? Du musst aber nicht, wenn du nicht willst. Das ist natürlich okay..."
Seufzend nickte Lovino, nahm Antonio sein Handy aus der Hand und tippte ihm seine Nummer ein, ohne auch nur ein Wort zu sprechen. Antonio war dezent überfordernd mit seiner Energie, allerdings musste sich Lovino eingestehen, dass er alles andere als abgeneigt von dem jungen Spanier war. Irgendwie mochte er seine schusselige, optimistische und energetische Art. Sie schien ihn selbst anzustecken. Als Lovino fertig war, händigte er Antonio sein Handy wieder aus. "Hier bitte. Schreib mich mal an, dann speichere ich dich auch ein..."
Gesagt getan! Antonio schickte Lovino augenblicklich einen süßen Schildkrötensticker auf WhatsApp, anschließend einen mit einer Katze. Lovino entgegnete sofort mit einem Meme, wo Bibble aus Barbie vor einem brennenden Hintergrund stand und sich offensichtlich über die Zerstörung freute. Antonio schmunzelte augenblicklich. Das passte hervorragend zu Lovino! Dann begann Lovino, ihn mit Memes vollzuspammen.
"Kann es sein, dass dir langweilig war?"
"Ja. Hab halt keine Hobbies. Manchmal schlafe ich abends ein und denke mir, morgen ist der Tag, an dem ich mir ein Hobby suche, aber dann wache ich auf und hab gleich keinen Bock mehr und schieb den Gedanken auf den nächsten Tag, aber da bockts mich dann auch nicht mehr."
Antonio lachte leise auf und spürte, wie ein warmes Lichtlein ihn von innen heraus erleuchtete. Die Wärme seiner Wangen hinterließ ein Frischegefühl auf seiner Haut und erweckte ihn aus einem tausendjährigen Schlaf, den er bis zu jenem Tag nicht wahrgenommen hatte.
Lovino selbst fand sich leicht lächelnd wieder; ein Kribbeln im Bauch tragend, alsbald er Antonios leises Lachen hörte. Es funkte zwischen ihnen, Lovino spürte die kleinen Blitze, die sich zwischen ihnen befanden und sie mit kleinen, süßen Schocken überfielen. was war das nur? Was war dieses angenehme, wohlige Gefühl in seiner Magengegend?
Der junge Student spürte, wie seine alles überdenkende Natur an seinen Geduldsfäden herumriss und ihm unterbewussten Stress wie Gift einflößte.
War es okay, nach so kurzer Zeit so zu empfinden?
War es okay, dass er sich auf einen sympathischen Mann wie Antonio einließ?
Um seine sich anbahnende Panik zu unterbinden, aß er wieder ein paar Stücke seines bestellten Kuchens. Zucker beruhigte ihn, zumindest für kurze Zeit und noch dazu war es lecker und er hatte etwas zu tun.
Seine Hand zitterte als er die Gabel in seinen Mund beförderte.
War das die Anspannung?
Die Nervosität, die er gegenüber dem gutaussehenden Mann empfand?
Oder war es der plötzliche Blick des Spaniers, der seine Lippen wie einen heiligen Text musterte, gar analysierte.
Heißes Blut schoss durch seine Adern und röteten augenblicklich seine Wangen.
Dachte Antonio etwa daran, wie es wäre, ihn zu küssen?
Seinem Blick zufolge vermutete Lovino genau das und sofort entfalteten tausende Schmetterlinge ihre zerbrechlichen Flügel und strichen somit über seine innere Bauchdecke.
Doch wider seines Erwartens war kein spontanes Verlangen Grund für Antonios intensive Beobachtung. Tatsächlich war es der kleine Fleck der zuckrigen Creme, der an Lovinos Mundwinkel hing und sein -laut Antonio- makelloses Antlitz störten. Antonio kam ihm ein klein bisschen mit dem Oberkörper näher, zeigte mit dem Zeigefinger auf seine eigenen Lippen, aber ließ Lovino nicht aus den Augen.
Lovinos Herz klopfte, nicht wissend, was Antonio ihm damit sagen wollte.
Glücklicherweise löste Antonio das Missverständnis, ehe es zu peinlich geworden wäre. "Du hast da was..."
Lovino hob die linke Hand und tastete sein Gesicht ab, fand den Fleck aber nirgends. "Hä?" Ungeduldig schnappte sich Antonio eine Serviette, faltete sie auf, hielt aber in seiner Bewegung nochmals inne. Er sollte ihn vorher fragen. "Darf ich?"
Verwirrt nickte Lovino, immer noch von der Anspannung seiner plötzlichen weit ausgeholten Vermutungen geprägt und keine Sekunde später tupfte man ihm bereits den kleinen, klebrigen Fleck aus dem Gesicht. Es gliche einer Lüge, wenn Lovino behauptete, er spürte kein Herzrasen, als Antonio ihm derartig nahekam, auch, wenn die Absicht des anderen keinerlei Hintergedanken schürte. Obwohl die Fingerspitzen des schönen Spaniers niemals direkt seine glühend heiße Haut berührten, huschte dennoch ein süß-aufregendes Kribbeln unter seiner Haut hin und her.
Könnte...Könnte Antonio ihm eventuell doch eines Tages näherkommen, sobald sie einander besser kannten?
Lovino fühlte sich jetzt schon viel zu wohl in seiner Nähe.
Das war sehr atypisch für ihn, war er doch dafür bekannt, keiner Menschenseele schnell Vertrauen zu schenken. Zumeist dauerte es Monate, bis er auch nur einen Sonnenstrahl seiner gut versteckten, verletzlichen Seele mit jemand anderem teilen konnte. Aber Antonio?
Dieser plötzlich auftauchende Bastard schaffte es innerhalb eines Nachmittags seine gesamte Welt derartig auf den Kopf zu stellen, sodass Lovino sich selbst nicht mehr wiedererkannte...
War das Liebe auf den ersten Blick?
Oder doch gleich die Seelenverwandtschaft?
Lovino beschäftigte sich derartig mit seinen neuen Gefühlen, sodass er nicht einmal bemerkte, wie Antonio bereits die Serviette zurücklegte und ihn zufrieden angrinste. "So! Jetzt siehst du wieder perfekt aus!"
Aus Lovinos Mund huschte lediglich ein schüchternes "Danke" heraus und Roderich verlor mittlerweile die Nerven bei diesen beiden Hals-über-Kopf-Verknallten, die so offensichtlich aufeinander standen, dass es einen schon frustrierte, dass sie noch nicht viel früher aufeinander getroffen waren. Hätte Antonio diesen Lovino auch nur ein paar Jahre früher kennengelernt, hätte Roderich schon erwartet, dass die beiden bereits in den nächsten wenigen Jahren schon vor dem Altar stehen und sich das Eheversprechen leisten. Er sah es schon regelrecht vor sich.
Roderich warf einen Blick auf die Uhr und bemerkte im Augenwinkel, wie sich die Kellner und Köche schön langsam auf den Feierabend vorbereiteten. Sie sollten demnächst aus diesem Café verschwinden, ansonsten schmiss man sie vorher noch raus und Roderich wollte dann doch noch rechtzeitig die S-Bahn und später die U-Bahn erreichen. Das hieße allerdings auch, dass er die beiden frisch Verliebten für den heutigen Tag trennen musste. "Ich störe euch Turteltauben nur ungern, aber die Leute hier schließen in fünf Minuten. Ich glaube, es wird Zeit zu gehen..."
Doch gerade dieser Satz, dieses Wissen, dass sich ihre Wege wieder trennten, löste in Lovino sowie Antonio eine gewisse Bittersüße aus.
Sie wollten sich nicht trennen und doch mussten sie es.
Antonio übernachtete bei Roderich zuhause, demnach musste er ihm ohnehin folgen und Lovino sollte demnächst seine Studienkollegen aufgabeln, um hier nicht hoffnungslos verloren durch die wirren Straßen Wiens herumzuirren. Er hatte sogar ein paar Anrufe seines kleinen Bruders verpasst, oh Mann...
Hoffentlich sahen sie einander bald wieder...
Denn, ob sie es zugeben wollten oder nicht, der Funke, der zwischen ihnen entstand, verzauberte beide.
~♥~
(*"Jessas, Marandjosef" = Ausruf, wenn einen was überwältigt, überrascht, erschreckt etc; Hochdeutsche Übersetzung "Jesus, Maria und Josef")
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