Il Bacio di Klimt - Mi alma
Worte können nicht vollkommen sein,
Sogar die stille Kunst, verfällt in ihren trügerischen Schein.Doch hinter ihren feinen Pinselstrichen und den Tupfern, die bleiben für die Ewigkeit,Versteckt sich das Gefühl der Liebe, das einem, Eintritt in seinen Himmel auf Erden verleiht.Aus Zufälle werden Schicksalsmomente, so schön, als hätte sie ein Engel geweiht,Einer davon war im Belvedere geschehen,Beide meinten, sie hätten einen Engel gesehen.Niemand ahnte, das gerade sie waren füreinander bestimmt.Wie die Liebenden in dem "Kuss" von Klimt.
~♥~
Der liebliche Schein der Sonne sendete seine Strahlen sachte auf das kleine Fleckchen Erde herab, wärmte dieses und bemalte es mit seiner kostbaren, goldenen Farbe wie eine leere Leinwand, die nur darauf wartete, mithilfe des Künstlers zu etwas Wunderschönem, Unvergessliches zu werden. Der Tag neigte sich allmählich dem Ende zu und zeigte sich gerade zu diesem Anlass von seiner schönsten Seite. Für viele möge dieses Naturphänomen etwas Alltägliches sein.
Etwas, das jeden Tag passierte und keinerlei Bedeutung mehr in sich trug.
Doch für manch anderer, der das Alltägliche annahm wie teures Geschmeide eines Goldschatzes, offenbarte sich diese Tageszeit als das Juwel ihres Lebens...Als die visuelle, besinnliche Belohnung für ihre harte, niemals endende Arbeit.
Der Abend, er musste nicht zwingend mit Geliebten geteilt werden. Auch die Kunst - sei es die malerische, musikalische oder kulinarische - bot einem ebenbürtiges Glück.
Antonio schlenderte neben Roderich einher, wartete nur darauf, dass sein Exfreund von seinem Handy aufschaute und den Weg zum Belvedere ohne die ständige Hilfe von Google Maps fand. Seufzend rollte der Spanier mit den Augen und lächelte leicht. Dafür, dass Roderich selbst in Wien jahrelang einen Wohnsitz hatte, blieb sein Orientierungssinn weiterhin so grauenvoll, dass er bei jedem neuen Ziel, das sich nicht als ein Billa oder ein Spar zum Lebensmitteleinkauf entpuppte, auf ein Navi angewiesen war.
Sie waren an diesem Punkt angelangt, wo Antonio selbst womöglich schneller und vor allem leichter und freier zum Belvedere gefunden hätte. Und zwar ohne technische Hilfsmittel. Dabei besuchte er die österreichische Hauptstadt lediglich fünf Mal im Jahr, um sich mit Roderich zu treffen, wenn ihnen beiden Urlaub freistand.
Obwohl ihre Beziehung bereits vor fünf Jahren scheiterte und der brünette, eher schmächtigere Österreicher schon eine neue Freundin gefunden hatte, behielten Antonio und Roderich ein gesundes freundschaftliches Verhältnis zueinander und blickten mit gutem Gewissen auf ihre Vergangenheit miteinander zurück. Von romantischer Liebe fehlte in der modernen Zeit jegliche Spur; ihre Jugendliebe war beiderseits verflogen.
Antonio blickte auf den schwarzen Gitterzaun neben sich, ließ seine Finger an den einzelnen Stäben vorübergleiten.
Ob er eines Tages auch wieder jemanden finden würde, mit dem er glücklich werden konnte?
Fünf Jahre war es bis jetzt her, seitdem er das letzte Mal jemanden liebevoll in seinen Armen halten konnte.
Fünf Jahre war es her, seitdem er das letzte Mal jemanden mit sanften Küssen wecken konnte.
Fünf Jahre war es her, seitdem er das letzte Mal das rauschartige, beflügelnde Kribbeln in seinem Bauch spürte... seitdem sein Herz vor ungebändigter Freude gegen seine Brust hämmerte und all die Liebe ausschüttete, die es in sich trug.
"So, wir sind schon da", nuschelte auf einmal ein Stimmchen neben sich und aus dem Augenwinkel bemerkte Antonio, wie Roderich endlich sein Handy wegsteckte. Nur wenige Meter weiter befand sich bereits das breite, geöffnete und mit vielen schnörkeligen, rankenartigen Kurven nach oben hin verzierte Gittertor zum Garten des Belvederes. Allein die barocken Elemente, die sich schon im Außenbereich befanden, hoben sich von dem hässlichen strikt städtischen Aussehen rundherum ab und luden einen in eine ruhige, vergangene Welt ein, fernab von der schnelllebigen, gestressten Realität.
Für einen Ort in der Altstadt, war so etwas keine Neuheit. Bauwerke des Barocks gab es hier überall, man fand die Spuren jener Epoche an Kulturstätten sowie im Alltag an den alten Gebäuden. Dennoch strahlte der Garten allein bereits mit dem ersten Schritt eine Ruhe aus, die Herz und Verstand betörte; einen dazu zwang, ruhig und achtsam zu werden.
Antonio schaute staunend umher, erfasste neugierig jedes noch so winziges Detail, das seine Augen erblickten. Ein schier ewiger, mit hellgrauen Kieselsteinen ausgelegter Pfad erstreckte sich vom Eingangsbereich bis über zur marmorfarbenen Schlossanlage; beiderlei links und rechts wuchs in aller Ruhe das frisch gemähte Gras in ihren angelegten Feldern vor sich hin und die zugeschnittenen, kegelförmigen Büsche perfektionierten den Anblick, dem der Fünfundzwanzigjährige lediglich mit Bewunderung entgegnen konnte. In der Mitte jener hier wachsenden Wiesen befanden sich geschwungene, kunstvoll geschöpfte Muster, die einen an vereinfachte, rankenähnliche Wandmuster der Renaissance erinnerten. Es war, als läge inmitten dieses riesigen Gartens ein Emblem, das sich einem erst dann offenbarte, wenn man es von verschiedenen Blickwinkeln wahrnahm. Wasser sprudelte freudig aus einzelnen, schlicht dekorierten Marmorbrunnen und einige Spaziergänger wählten auf ihrem Weg die höher gelegenen Nebengassen, die durch kleine Treppenverbindungen mit dem Hauptschiff des Gartens verknüpft waren.
Antonio staunte nicht schlecht. Besonders in der Sommersonne schien es fast wie in einem immerwährenden Märchentraum.
"Mund zu, sonst fliegen dir noch die Gelsen ins Maul." Der etwas ältere Mann neben ihm schob Antonios leicht geöffnete Kinnlade mit dem Handrücken wieder nach oben, einen nervenverlierenden Blick auf seinem Gesicht tragend. Roderich seufzte und massierte sich kurz den Nasenrücken. "Egal, wo sollen wir hingehen? Oberes oder unteres Belvedere. Oder beides?"
Doch der Spanier blieb zögerlich und unbeholfen bei der spontanen Frage seines Freundes. "Keine Ahnung...kann mir darunter nichts vorstellen, amigo", Antonios leuchtend grüne Augen musterten die reinweiße Fassade und das ziegelsteinrote Dach des Belvederes, "Was ist da überhaupt drinnen?"
Innerhalb eines Augenblicks schlug sich Roderich mit der Hand gegen die Stirn und fuhr sich im Anschluss daran sofort durch seine dunkelbraune Haarpracht, dessen Ansatz von der Hitze bereits leicht angeschwitzt war. "Oida, ich hab dir das gestern Abend gesagt. Wie schlimm ist dein Kurzzeitgedächtnis bitte schön ausgeprägt?", schimpfte Roderich sofort mit seinem Ex-Freund, schluckte den Ärger anschließend hinunter, "Das Belvedere ist ein Kunstmuseum."
Ein simples "Oh" war das Einzige, was dem träumerischen Spanier über die Lippen kam. So wirklich Lust hatte er allerdings nicht, durch alte Gänge zu schlendern, um sich Bilder anzusehen, die er auch im Internet mit Leichtigkeit finden könnte. "Hört sich irgendwie öde an, aber naja. Gehen wir halt, aber ich bezweifle, dass es dort drin etwas gibt, das mir wirklich ins Auge sticht und mir gefällt." Entschuldigend zuckte der Spanier mit den Schultern und schenkte dem Österreicher ein schiefes Lächeln. Eigentlich müsste es ihm bewusst sein, dass Antonio eher ein aktiver Mensch war, der erleben wollte und nichts in allzu langsamen Tempo durchmachen wollte. Er hatte zwar Geduld, aber die Stille, die Roderich so bevorzugte, war für Antonio tagtäglich ein Kampf mit seiner inneren Unruhe. Das war ein Punkt, an dem die beiden immer wieder in Konflikt geraten waren, als sie noch zusammen waren. Der eine wollte ein Abenteuer, der andere wollte lieber die eintönige Ruhe in seinem unglaublich langsamen Tempo genießen.
"Ugh, du bist echt ein Kunstbanause. Erst kritisierst du meinen Musikstil, dann wieder jede Sehenswürdigkeit. Du verstehst echt gar nichts von Kunst." Roderich, dessen Sprachgewohnheiten im Gegensatz zu seinem Aussehen alles andere als herausgeputzt und fein waren, verdrehte die Augen und deutete mit dem Kinn Richtung Ticketverkauf. Es standen zurzeit gerade einmal zwei Personen in der Schlange. "Da hinten. Gehen wir uns einfach die Tickets holen. Wer weiß, vielleicht findest du ja da drin doch etwas, das dich fasziniert."
Sich geschlagen gebend hob Antonio beide Hände halb in die Luft und trottete Roderich wie ein armes Schoßhündchen hinterher. Er wäre viel lieber in diesem wunderbar gestalteten, endlosen Garten geblieben, aber Roderich riss sich alles an sich. "Na schön, aber nur, wenn wir dann wieder draußen etwas unternehmen. Ich mag bei solchem Wetter nicht irgendwo drin herumlungern. Dafür ist dieser Nachmittag einfach zu schön."
***
Schiefes, langwieriges Knarzen verfolgte jeden Schritt, der auf dem honigfarbenen Parkettboden landete. Ein quadratisches Muster setzte immerwährend darauf fort, bestehend aus einzelnen dunklen und hellen Holzstreifen. In manchen Räumen erwartete man keinerlei Menschen, in anderen befanden sich vielleicht drei Leute zugleich. Niemand sprach ein Wort und wenn, dann lauschte man höchstens einem schwachen Wispern; ähnlich einem Rascheln von Espenlaub im Sommerwind. An den Wänden hingen zahlreiche, fein sowie grob ausgearbeitete Bilder, die alle einen eigenen Stil besaßen, der die Seele, das wahrste Ich ihrer Artisten ans Tageslicht brachten. Ein mancher mochte wohl ein Mensch sein, der auf den Eindruck und Gefühl setzte und malte mit kräftigen Farben, einem verschwommenen Tupfen, einer Freiheit, sich nicht an die genaue Realität halten zu müssen.
Ein anderer mochte wohl jemand gewesen sein, der das Detail liebte...der seine Sichtweise für die Ewigkeit behalten wollte...Der das Leben mit all seinen Schattenseiten und Lichtfunken verewigen wollte wie einen niemals endenden Traum.
Ein anderer mochte ein Individuum sein, der seinen persönlichen Aspekt in seine Aufträge einbaute...Die gewählten Farben, die Perspektive, der Pinselzug...auch wenn das Motiv nicht aus Eigeninteresse entstand, trug es die Seele des Künstlers in die Gegenwart, verewigte sie und beschenkte den gemalten Menschen mit Müh', Fleiß und Schönheit.
Antonio hatte das untere Belvedere hinter sich gelassen, der geradewegs mit den Marmorstufen verbunden in den Keller ging und einem mit den Bildern eines westasiatischen Künstlers überraschte. Auch die Gemälde des Mittelalters befanden sich in seiner Vergangenheit, sie alle zeigten den christlichen Glauben in seiner Hochblüte...waren diese doch das Prägendste jenes Zeitalters. Roderich führte ihn weiter, einen Stock höher in die nächste Etage, hindurch durch die dunkel eingerahmte Tür. Sogleich stach ihm die schneeweiße, makellose Statue entgegen, die vor ihrem Spiegel thronte: Amor und Psyche.
Mit tiefsitzender Bittersüße im Herzen betrachtete er die dargestellte Szene, in der sich die Prinzessin namens Psyche an ihren Geliebten Amor schmiegte, sich an ihm festhielt, als er die Flügel ausbreitete, um zu fliegen.
Ein Funke Sehnsucht breitete sich in seiner Seele aus, entfachte wie das springende Feuer einer Feuerwerks-Kerze, je länger er sich mit der Kunst auseinandersetzte.
Wie gerne würde er jemanden bei sich haben, der sich mit aller, aufrichtiger Liebe an ihn kuschelte und an seiner Seite bleiben wollte, egal welche Schwierigkeiten sie wie der Blitz des Zeus auch treffen wollten.
Antonio wollte die Nähe zurück - emotional sowie körperlich.
Antonio wollte jemandem sein großes Herz ausschütten und den größten Schatz, den er besaß - sein Herz - jemandem zu Füßen legen, der es liebevoll zu dem seinen machte und ihm ebenfalls das ursprünglich seine vermachte.
Antonio wollte sein Leben mit jemandem teilen, jemanden mit all seinen Makeln und Fehlern lieben, jemanden finden, dem er seine Verletzlichkeit und sein wahrstes Ich offenbaren konnte.
Seine Brust zog sich zusammen, löste in seiner Bauchgegend und an den Oberarmen ein kühles Kribbeln aus, das sich wie ein kühles Seidentuch um ihn wickelte.
Ein schiefes Lächeln malte sich auf sein Gesicht.
Antonio verlor sich selbst in dem Meer an unerfüllten Wünschen, Sehnsüchten und Hoffnungen. Er war einfach nur krank, liebeskrank um genau zu sein, ohne ein wahrhaftiges Ziel vor Augen zu haben. Tief atmete er ein, verließ den Platz, an dem er gerade noch stand mitsamt den aufkommenden Gefühlen, um sich diesen nicht hinzugeben.
Er verhielt sich wie eine Dreizehnjährige, die allein in das Konzept der Liebe verliebt war.
Dabei gab es nicht nur eine Form der Liebe...Es gab doch so viele Facetten dieses Begriffs und keine war so wie die andere. Jede einzelne Facette war einzigartig, so wie jeder Mensch auf dieser Welt.
So mancher liebte durch Taten.
So mancher liebte durch Worte.
So mancher liebte durch die emotionale Romantik.
So mancher liebte durch körperliche Nähe.
So mancher liebte durch Vertrauen.
So mancher liebte durch die platonische Liebe.
So mancher liebte durch sein Hobby.
So mancher liebte durch Essen.
So mancher liebte durch Kunst.
So mancher liebte durch Musik.
Und es gab noch so unglaublich viele andere Arten der Liebe, die man gar nicht aufzählen vermochte. Niemand war gezwungen nur eine Art der Liebe zu leben, zugleich war auch niemand dazu gezwungen auch nur irgendeine Art der Liebe für sich zu wählen und das war okay. Egal ob man ein hoffnungsloser Romantiker war oder gar im aromantischen Spektrum seinen Platz fand, am Ende des Weges eines jeden Menschen war das zu erstrebende Glück, das unterschiedlicher und vielfältiger nicht sein konnte.
Und Antonios persönliches Glück schien in einem anderen zu liegen. In der Person, der er sein gesamtes Herz vermachen möchte. Er hatte sie nur noch nicht gefunden.
Um seinen Optimismus zu bewahren, gesellte er sich zurück zu Roderich, der sich geduldig die Vorgeschichte eines Gemäldes, das von einem der Mitglieder der ehemaligen Wiener Secession gestaltet wurde, durchlas. Antonio selbst ignorierte den ganzen unnötigen Text und schaute sich viel lieber das Bild an, ohne von unnötigen Wörtern abgelenkt zu werden. Er war immerhin doch hierhergeschleppt worden, um sich die Bilder anzusehen und nicht um sich Kleingedrucktes durchzulesen. Er wartete kurz, stellte aber dann fest, dass Roderich geradezu Ewigkeiten benötigte, bis er zum nächsten Bild hinüberwanderte. Bei seiner Geschwindigkeit wäre er selbst wohl schon dreimal durch das ganze Belvedere plus Garten gerast. Ungeduldig wippte der junge Mann auf seinen Füßen rum, wanderte mit den Augen von einem Punkt zum nächsten und spielte unbewusst mit seinen Fingern.
Wie lange brauchte Roderich denn noch?
Der konzentrierte Brillenträger schien die Ungeduld des Spaniers bemerkt zu haben, stieß ein leises Seufzen aus und drehte den Kopf nur halb zu ihm. "Du kannst sonst schon weitergehen, wenn du willst. Du brauchst nicht extra auf mich warten."
Antonio fühlte sich auf frischer Tat ertappt und kratzte sich nervös am Hinterkopf. Man konnte seine innere Unruhe wohl sofort erkennen. Er trug seine Gefühlswelt wie ein offenes Buch durch die gesamte Welt.
Dennoch nahm er den Vorschlag seines Freundes an, entgegnete ihm nicht mehr als ein kleines, unterschwelliges "Ok" und setzte seine Museumstour in eigenem Tempo fort. Die Last auf seinen Schultern erleichterte sich. Endlich musste er nicht andauernd Rücksicht auf Roderichs Lahmschneckendasein nehmen. Er konnte nun voll und ganz machen, was ihm beliebte.
Er verschwand direkt in den nächsten Raum, warf kurze Blicke auf die Gemälde von Frauen, die jene Vertreter des Jugendstils gemalt hatten und setzte anschließend seinen Weg weiter fort. Die Touristen in den verschiedenen Ausstellungsräumen wurden zunehmend mehr. Das Knarzen des Parkettbodens zeigte sich immer regelmäßiger und waren nicht nur durch die Schritte des Spaniers ins Leben gerufen geworden. Stimmen wurden lauter, je weiter er sich durch das schier endlose Labyrinth der Künste schlängelte. Hier und da entdeckte er tatsächlich ein Bild, das ihm persönlich zusagte. Doch nichts schaffte es, ihn aus den Socken zu hauen. Antonio ging nicht wirklich auf die Bilder ein, gab ihnen nicht die Zeit, auf ihn einzuwirken. Stattdessen schlenderte er rastlos umher, als wäre er letzten Endes auf der Suche nach einem Licht, das er bis jetzt noch nicht zu benennen vermochte.
Seine Schritte wurden langsamer.
Er bemühte sich um etwas mehr Geduld, hatte es aber schwer damit.
Wie viele Räume hatte er wohl noch vor sich, bis er wieder den Anfang vor sich fand?
Antonio kannte die Antwort nicht und war somit gezwungen, sein Leben in die Hände des unberechenbaren Schicksals zu legen.
Andächtigen Schrittes wechselte er in den nächsten Raum, wurde augenblicklich vom warmen Sonnenschein überrascht, der sein goldenes Kleid durch die hohen, geöffneten Fenster warf und strahlende, Lichtmuster auf den Boden und Besucher malte, als wäre er selbst ein Künstler. In seinem Licht tänzelten sachte und leise winzige Staubkörnchen herum, die einem in der Nase kitzelten und doch ein Gefühl der Vertrautheit schenkten. Antonio betrat den golden, illuminierten Raum, bemerkte aus dem Augenwinkel, wie sich die meisten Besucher um ein einzelnes Bild scharten, es fotografierten oder gar Notizen auf die Zettel ihres Klemmbretts verfassten.
Ein weiterer Blick genügte, um zu erkennen, dass doch der Großteil der Menschen, die sich in diesen vier Wänden versammelten, ein Haufen junger Erwachsener war, kaum zwei Jahre jünger als er selbst. Tuscheln erklang von der einen Ecke, jedoch verstand er kein Wort davon. Beinahe jeder von ihnen kritzelte auf ihren Zetteln herum, ganz so, als hätte man ihnen einen Auftrag auferlegt, der sie dazu brachte, all jene Kunstwerke, die hier ihren Platz fanden, mit analytischem Blick zu betrachten. Einige von ihnen trugen Shirts mit dem Schriftzug 'Accademia di Belle Arti di Roma'. Es mussten Studierende sein, die sich versammelt hatten, zumindest erklärte diese Vermutung ihr unkontrolliertes Rumgekritzel.
Das waren italienische Studenten...machten sie vom Studium aus ein Auslandssemester? Oder verlegten einfach eine Gruppe Freunde ihre Aufgaben der Bachelorarbeit in die Ferienzeit?
Antonio fühlte sich direkt fehl am Platz, umzingelt von einem Haufen Studenten. Er wollte sie nur ungern bei ihrer Arbeit behindern, aber als er die regulären Touristen in unmittelbarer Nähe zu ihnen wahrnahm, die nicht davon abhalten ließen, all die berühmten Werke zu betrachten. Egal ob ein Student oder eine Studentin gerade mit ihrer Analyse an dem Bild beschäftigt war. Insbesondere der gesellige Halbkreis, der sich um ein bestimmtes Gemälde reihte, zog Antonios Aufmerksamkeit automatisch an sich. Von dort kam also das unterschwellige Flüstern, das die Streichbewegungen der Bleistifte auf dem Papier der Studenten übertönte.
Eine unsichtbare Kraft führte ihn regelrecht zu dem gut besuchten Fleck des Raumes. Ganz so, als verberge sich dahinter ein Schatz, den er unter keinen Umständen verpassen sollte. Antonio dachte nicht nach, war wie in einer Trance gefangen, während ihn seine Beine intuitiv weitertrugen.
Welches Bild faszinierte die Menschen nur so?
Weshalb füllte neben dem Sonnenlicht auch die Handykamera den Raum?
Weshalb konzentrierte sich all das Getuschel auf diesen kleinen Punkt?
Je mehr Worte durch seinen Kopf sprudelten, die nach und nach wie Aquarell in kleine filigrane Ärmchen zerflossen und in ewige Vergessenheit gerieten, desto weiter verlor er sich in einer tagträumerischen Wirklichkeit, die ihn benommen machte und ihn jenseits der fahlen, unspektakulären Realität entführte. Weit weg. An einen Ort, wo nur der Traum, das Herz, die Seele zählte.
Obwohl er die Welt nur vage wahrnahm...Obwohl er mit den Gedanken fernab seines Bewusstseins lag, steuerte er auf die kleine Gruppe Besucher zu, stellte sich zunächst mit Abstand zu ihnen und lugte zwischen ihren dicht aneinander gereihten Köpfen hindurch. Antonio streckte sich, um einen vollen Blick auf das Schmuckstück des Belvederes erhaschen zu können. Vergebens. Die kleine Menschenansammlung ließ ihn gerade einmal einen Bruchteil davon sehen, ehe sie wieder ihren Kopf in seinen Blickwinkel drehten, nachdem sie ihrem Nachbar zugeflüstert hatten oder mit blitzender Kamera Fotos machten. Erst als Antonio mit diesem voreiligen Scheitern konfrontiert wurde, drängte er sich quer durch die Mitte, nuschelte dabei leise einige akzentgeprägte "Entschuldigung" und "Lo siento" vor sich hin, als ihm einige ältere Damen Platz machten. Den Kopf erhebend und nicht mehr auf die zwei, drei Jugendlichen achtend, die sich vor ihm befanden, eröffnete sich ihm endlich die Möglichkeit, die vor Gold schimmernde, mit zahlreichen Ornamenten, Mustern und Details verzierte Malerei mit eigenen Augen zu sehen.
Staunend betrachtete Antonio die feinen Pinselstriche der teils kräftigen, teils blassen Ölfarbe. Florale Ornamente in einem Vergissmeinnichtblau und Rosenrot besetzten das gesamte goldene Gewand, der Frau des Bildes; dagegen zierte tiefes, undurchdringliches Schwarz in Rechtecken den ebenso goldenen Mantel des Mannes, der der Frau hingebungsvoll Küsse schenkte. Das Blattgold um das Liebespaar schimmerte kostbar im, durch das Fenster gebrochene, Sonnenlicht, man könnte meinen, was wäre ein matter Spiegel, der Antonio das zeigen wollte, nach dem Antonio sein Leben lang suchte...
Ehrfürchtig und sprachlos von dem Gefühl, das ihn erfüllte, öffnete er den Mund, brachte allerdings weder Wort noch Ton heraus. Taumelnd, seine Umgebung zur Gänze vergessend, trat er einen kleinen Schritt nach vorn - setzte einen Schritt nach dem anderen. Das hereinscheinende Sonnenlicht kitzelte warm auf seiner gebräunten Haut.
Plötzlich...
Plötzlich riss ihn ein starker Ruck - ein Widerstand - aus seiner Trance, gefolgt von dem hellen Ton von herabfallenden Stiften und Papier.
Aber das Hindernis vor sich...strahlte mehr Wärme aus als die Sonne es schaffte. Antonio vernahm im Augenblick eines Wimpernschlags einen Hauch von starkem Parfüm, womöglich mit Amber oder Vetiver mit Sandelholz und Jasmin. Feine, sonnengewärmte Strähnen streiften seine Nasenspitze und Lippen, ehe Antonio wegen dem leichten Aufprall einen großen Schritt zurück machte.
"Ehi, ma che cazzo?! Attento a dove vai, bastardo!"
...waren die ersten Worte, die Antonio entgegengeworfen wurden, kaum hatte er sich wieder selbst gefangen. Antonio verstand kein Wort, doch war er für einen Moment verstummt. Die Stimme...sie hörte sich wie das Rieseln von feinstem Goldstaub an...Obwohl er von der Klangfarbe her bemerkte, dass der Träger jenes Stimmchens, alles andere als sanft und anmutig sein musste.
Sein letztes Wort 'bastardo' ließ Antonio darauf schließen, dass ihm der Italiener gerade Beleidigungen an den Kopf warf. Der junge Mann sammelte bereits knurrend seine verlorenen Aufzeichnungen vom Boden zusammen, betete womöglich darum, dass niemand mit den dreckigen Straßenschuhen darauf latschte und schaute den Schuldigen unter keinen Umständen an. Ansonsten hätte ihm wohl eine Visage voller Wut und Aggression eines Cholerikers gebührt.
"A-Ah, lo siento!", rutschte es Antonio zunächst in seiner Muttersprache heraus, "Entschuldigung! Sorry!" Nicht wissend, ob ihn der verärgerte Mann verstand, ließ Antonio seine Taten sprechen, kniete sich zu ihm auf den Boden und half ihm beim Zusammensuchen seiner Unterlagen. Beinahe synchron griffen die beiden Männer zum letzten Blatt. Ihre Finger berührten sich flüchtig, lösten in beiden ein Funkenregen aus, der sich über ihre ganze Existenz erstreckte. Sofort zog der Spanier seine Hand zurück. Der Italiener aber zögerte kurz in seiner Bewegung, zitterte und schnappte sich sein letztes Blatt blitzschnell.
Antonio richtete sich wieder auf, entschuldigte sich noch abertausend Mal und hoffte nur, dass ihm der Student - so schlussfolgerte er zumindest - nichts übelnahm. Beschämt blickte der Fünfundzwanzigjährige zur Seite und streckte dem anderen den kleinen Stoß Papier entgegen, den er gesammelt hatte, während der Kleinere ihm nur den Rücken zeigte und sein Klemmbrett neu sortierte.
Doch dann...
Gerade, als das Sonnenlicht wieder stärker hereinschien und der Lichtschein sie beide mit ihrer lieblichen, betörenden Wärme umarmte, drehte sich der Kleine zögerlich zu ihm hin.
Oh...Antonios Herz hielt inne...
Goldener Schein illuminierte das Gesicht seines Gegenübers, verfing sich in seinen bernsteinfarbenen Iriden, die ihm nun selbst vergoldet entgegenstrahlten. Seine schokoladenbraunen Strähnen umrahmten sein herzförmiges Gesicht; feine Härchen schimmerten in einem sanften, unauffälligen Rotbraun, die man ausschließlich durch das Sonnenlicht wie die feinsten Pinselstriche zu Gesicht bekam. Seine Stupsnase...am liebsten hätte er diese kurz angetippt. Und seine schmalen Lippen...
Antonio wandte den Blick davon nur schwer ab und war nicht mehr fähig, auch nur ein Wort auszusprechen, gar zu denken.
Sein Kopf wurde blank, Leere übermannte ihn in diesem Moment der menschlichen Schwäche...stattdessen erfüllte ihn ein eigenes Licht inmitten seiner Seele. Und zusammen mit diesem Licht brannte sich dieser unbeschreibliche Anblick für alle Ewigkeit in seine unsterbliche Seele ein. Ein Funkeln entfachte in seinen smaragdgrünen Augen. Die Schönheit, die kräftige und lebendige Farbe der Welt kehrte im selbigen Atemzug zu ihm zurück. Sein Herz klopfte allmählich wieder langsam...und doch kräftig und voller Emotion.
Oh...
Antonio war sprachlos.
Roderich hatte recht behalten...er hatte tatsächlich etwas - oder eher gesagt jemanden - hier gefunden, der ihn faszinierte.
Die Luft anhaltend übergab Antonio dem jungen Mann vor sich die Zettel und verfing sich erneut in seinen golden schimmernden Augen.
Oh...Antonio hatte einen Engel gesehen...
Passiv aggressiv riss ihm der Student das Papier aus der Hand und stieß ein aufbrausendes Schnaufen aus.
Ein temperamentvoller Engel...
Antonio lächelte mild in sich hinein.
"Che cazzo hai da guardare?!"
Wieder zählte Antonio zu den besonderen Menschen, die dieser wunderbaren, engelsgleichen Stimme lauschen konnten...
Oh...Er könnte dem Kleineren den gesamten Tag zuhören, obwohl er doch kein einziges Wort verstand. Dieser Italiener könnte ihn beleidigen oder sich über ihn lustig machen und er würde es nur mäßig erfahren; trotzdem würde er niemals aufhören wollen, diesem impulsiven Engel zu lauschen.
Antonio war Gefangener seiner eigenen Welt, betört und gelenkt von den plötzlichen, neuen Empfindungen, die sich ihm offenbarten. Seine grünen Iriden funkelten wie Edelsteine in der Sonne um die Wette und sein Mund öffnete sich vor Staunen einen Spalt. Der Rest seiner Umwelt - die anderen Studenten, die Besucher, die Bilder, sogar sein Freund - verschwammen in ein weites, wellenschlagendes Nichts.
Für Antonio zählte nichts mehr.
Nichts, außer die Person, die mit gerötetem, aber eindeutig grimmigem Gesicht vor ihm stand.
"Parli italiano?", seine abweisende Mimik löste sich allmählich auf und er legte verwundert den Kopf schief - Er schien zu bemerken, dass sein Gegenüber kein Wort verstand, "Do you speak English?"
Da wurde Antonio blitzschnell und abrupt aus seiner Trance gerissen und begann vor Nervosität und Zerstreutheit zu stottern. Zumindest konnte er die Frage des niedlichen Mannes vor sich erraten. Er schien zu fragen, ob er Italienisch oder Englisch sprach. Beides galten nicht unbedingt als Stärken Antonios. "No, no! No hablo italiano...lo siento!" Plötzlich fror er in seiner Bewegung ein, ein heftiger Schlag traf sein Herz und die ersten Schweißtropfen bildeten sich auf seiner Stirn.
Oh Mann! Er hatte nicht aufgrund seiner Panik und Angespanntheit im Ernst auf Spanisch geantwortet! Bestimmt dachte er nun, dass er ein Idiot war...
Wenn er dies noch nicht längst tat.
Schnell besserte sich der Spanier aus und fügte keine Sekunde später seine neue Antwort hinzu, ehe sich der süße, temperamentvolle Engel zu Wort melden konnte. "A bit. A bit English? Basics?", sprach er im falschesten, schlechtesten und am meisten gebrochenen Englisch daher, sodass der Engel sich fast fremdschämend die Nase rümpfen musste.
Verdammt...Englisch war absolut nicht seine Stärke! Wie peinlich war er nur...
"Deutsch? German?" Verzweifelt versuchte sich der Fünfundzwanzigjährige mit anderen Sprachen, die er auch zu einem gewissen Grad sprechen konnte, zu retten, in der Hoffnung, er fände eine, die auch sein Gegenüber gut verstand.
Aber kaum hatte er Deutsch erwähnt, schüttelte der Kleinere wie wild den Kopf und verzog abweisend das Gesicht.
Deutsch konnte er also anscheinend unter keinen Umständen verstehen...Mist. Dabei wollte er sich doch so gerne mit diesem lieblichen Engel unterhalten.
Aber dann...Die rettende Nachricht.
"¿Uhh...Eres del español?"
Antonios Gesicht strahlte heller als die Sonne, die in den kleinen Raum hereinschien und ein Lächeln malte sich auf sein Gesicht. Dieser hübsche Mann verstand also doch Spanisch! Da hatte sich sein Versprecher vorhin also doch als etwas Positives erwiesen! "Sí! Sí! SÍ!"
Irritiert von dem kindischen Verhalten seines Gegenübers und des - für ihn zumindest - 'toxischen' Optimismus', welchen er ausstrahlte, zog der kleinere Mann abweisend die Augenbrauen zusammen.
Dieser Spanier war ihm eindeutig zu fröhlich, zu energetisch...zu sehr Sonnenschein.
Er selbst war doch eher pessimistisch, faul und trist wie der schwache Mondschein inmitten eines Waldes.
Sonne und Mond.
Sie waren so unterschiedlich,doch beiderseits wunderschön.Die Sonne schenkte Wärme, schenkte Licht und Lebendigkeit.Der Mond war kühl und zerstörte, aber beruhigte auch.Sie existierten allein, jeder war eigenständig,Doch waren sie auch voneinander abhängig...Sie brauchten einander, um in ihrer Schönheit aufzugehen.Man könnte meinen, sie ergänzten sich...Ergänzen...bis hin zur Vollkommenheit.
"Also, wie heißt du?", Antonio lächelte den jungen Italiener an, spürte diese blubbernde Freude in seinem Magen, die sich wie tausend Seifenblasen in seiner Seele erhob und herumschwebte, "Ich bin Antonio!"
Oh, er hatte so Glück, dass der Kleine Spanisch verstand!
"Lovino", brachte der niedliche Italiener mit seiner dauerhaften Passiv-Aggressivität heraus und er drückte seine Zettel nah an seine Brust, um sie ja nicht nochmal zu verlieren, "Bild dir nicht ein, dass ich viel mit dir reden werde."
Aus Antonios Lächeln wurde ein verwundertes Glotzen; er weitete seine Augen und sein Mund öffnete sich einen Spalt, bevor ihm endlich die Worte über die Lippen kamen.
"Oh, wieso nicht?"
"Mein Spanisch ist scheiße", entgegnete der temperamentvolle Engel trocken und dachte automatisch an seine Pflichtschulzeit zurück, in der er alles andere als fleißig war und gelegentlich die Hausaufgaben abschrieb; unter anderem auch in Spanisch, weil er weniger als keinen Bock dazu hatte zu lernen, "Eigentlich müsstest du das bereits herausgehört haben. Bin in der Schule deswegen fast durchgeflogen."
Antonio wusste diese ganzen Einzelheiten über Lovinos Schulzeit natürlich nicht, demnach blieb ihm lediglich sein positiver erster Eindruck für sein Urteil übrig. "Echt?!", Antonio blinzelte Lovino unverständlich an, "Das glaub ich dir nicht, du sprichst ja fast fehlerfrei!"
Es stimmte tatsächlich. Bis auf ein paar Aussprachefehler, hatte er keinerlei Probleme dabei, Lovino zu verstehen. Dieser junge Mann sollte seine Fähigkeiten mehr zu schätzen wissen.
Zu Lovinos Entsetzen spürte er, wie ihm plötzlich ganz heiß wurde und sich ein rötlicher Schleier über seine Wangen legte. In seinem Bauch brodelte es. Nichtsdestotrotz bemühte er sich, sich nichts anmerken zu lassen. Vor allem dieser überraschend gutaussehende Spanier sollte unter keinen Umständen vermuten, dass er Gefühle außerhalb seiner sozialen Kälte besaß.
"Ts, ganz sicher nicht."
Trotzdem...es war doch ganz schön, Lob hören zu dürfen...
"Oh doch! Ich kann das bestätigen! Ist immerhin meine Muttersprache." Ein unterstützendes, offenes Lächeln breitete sich einmal mehr auf Antonios Visage aus und seine gesamte Gestalt verkörperte einmal mehr die wärmende, liebende Sonne, die all ihren möglichen Trost und das Licht vor Lovinos Füße legen konnte.
Aber Lovino lehnte seine Bemühungen, ihn aufzuheitern, gekonnt ab und wechselte stattdessen seufzend den Fokus. "Spanisch ist eine komische Sprache. Da sind alle Wörter irgendwie und einfach falsch!"
Empört hielt Antonio die Luft an und hielt sich nahezu dramatisch die Hand zum Herzen. Wie konnte Lovino es nur wagen, seine Erstsprache derartig in den Schmutz zu ziehen!?
Er konnte von Glück sprechen, dass Antonio sich das kaum zu Herzen nahm. Dennoch musste er zugeben, dass ihn das schon zumindest ein kleines Bisschen kränkte.
"Stimmt nicht! Es macht alles voll Sinn..."
"Für dich vielleicht...", der Kunststudent seufzte und spielte unauffällig mit den Ecken der einzelnen Zettel seines Papierstoßes, "Naja, zumindest kann ich das Wichtigste..." Plötzlich tauchte ein verschmitztes Grinsen auf Lovinos Lippen auf.
Antonio verlor einmal mehr die Sprache.
Dieses Lächeln...
Wenn dieses freche Schmunzeln schon so reges Herzklopfen in seiner Brust auslöste...wie wunderschön musste dann Lovinos ehrliches, freudiges Lächeln sein...?
Ein knappes Hinwegsehen auf die Gemälde um ihn herum brachten ihn wieder zu Sinnen und er schaffte es schließlich doch, sich zumindest eine knappe Antwort zurechtzulegen.
"Das Wichtigste? Was ist das denn?"
Ein Poker-Face tragend beäugte der junge Italiener ihn. Anhand seines verschlossenen Blickes und der kühlen, aber zugleich ironisch feurigen Art, war es für Antonio unmöglich zu erfahren, was sich hinter den goldenen Seelenspiegeln verbarg, die im Licht der Sonne schöner strahlten als jeder Edelstein der Welt.
"Beleidigungen."
Stille.
Lovino verstummte direkt nach dieser bündigen, trockenen Antwort und starrte dabei sein hübsches Gegenüber ernst an. Vergebens. Antonio konnte sein Prusten und sein - glücklicherweise gedämpftes- Lachen nicht mehr zurückhalten und hielt sich schon die Hand vor den Mund.
"Hahaha!", Antonio wurde vor Lachen ganz warm an seinen Wangen und sein Herz hämmerte schneller gegen seine Brust, "Du bist mir jetzt schon sehr sympathisch, Lovinito!"
Lovino hingegen verstand nur Bahnhof und zog verwirrt die Augenbrauen zusammen. "Hä?! Lachst du Depp mich etwa aus?! Suchst du Stress mit mir?!" Kaum sprach er jene Wörter auf, begab sich der kleinere schon in Kampfstellung, wenn auch nur, um spielerisch seine Dominanz unter Beweis zu stellen.
Doch gerade dieses kindische, überspitzte Verhalten amüsierte Antonio noch mehr und er wischte sich bereits die erste Träne weg, die ihm im Augenwinkel hing.
Oh, Lovino war echt lustig in seiner Art....
Er könnte stundenlang seine überdramatischen Reaktionen beobachten...
Antonio wünschte sich, dass dieser Moment - dieses Gespräch mit Lovino - nie enden würde...
Plötzlich, eine fremde Stimme.
"Lovino, wir gehen!"
Und da war sie schon weg.
Diese süße, sanfte, aber auch unberechenbar temperamentvolle Zweisamkeit...
Antonio hatte sich zu früh gefreut.
So ein Mist!
Lovino schaute zur Seite, Antonio versank für ihn ins Unwichtige. Stattdessen musste er mit ansehen, wie seine Mitstudenten allesamt in die nächsten Räume verschwanden und ganz ungeduldig auf ihn warteten. Genervt stöhnte er auf und verdrehte die Augen.
"Ugh, ich komm ja schon, chillt mal eure Eier, mein Gott!"
Und so verschwand Lovino still und gemächlich aus Antonios Nähe - ganz so, als wäre er feinster, weiß-goldener Sand, der immerwährend durch seine Finger glitt.
Ganz so, als wäre er die Farbe, die durch das Sonnenlicht seine Stärke und Kraft verlor.
Ganz so, als wäre er das erste, verwelkende Blütenblatt einer Rose, das sich bei der kleinsten Berührung widerstandslos ablöste.
Ganz so, als wäre er ein Goldstück, das nun seinen kostbaren Glanz verlor und in Tristheit verfiel.
Ganz so...als stiege sein Engel, sein Kunstwerk, sein schönster Edelstein, sein neu gefundener Lieblingsmensch, seine Freude, seine Hoffnung, sein Lebensziel, seine zweite Seelenhälfte, sein Herzenslicht, seine...Liebe...in den orange-goldenen Himmel auf und verschwand mit einem Atemzug hinter den umarmenden, warmen Sonnenstrahlen des Abends...hinter den Horizont...hinter den zärtlich aufgemalten Wolken dieser Abendröte.
Sie verließen einander in Bittersüße und ohne Abschied, bewusst nahm es jedoch lediglich der faszinierte, staunende und etwas naive Spanier wahr. - Der Italiener merkte noch nichts; ihm war dieses neue Gefühl, das sich in seinem Herzen entflammte noch nicht bewusst...
Aber Antonio...
Antonio wusste es...
Andächtig hob er seinen linken Arm, legte seine Hand auf sein kräftig schlagendes Herz; ein verzaubertes Funkeln in den grasgrünen Iriden tragend, während er den Bewegungen des Kleineren folgte, bis dieser schließlich hinter der nächsten Wand verschwand und ihn in der Kälte seiner anfänglichen Einsamkeit zurückließ.
Antonio wollte zurück.
Antonio wollte die Wärme zurück.
Antonio wollte dieses wunderbare Empfinden nicht verlieren!
Doch er blieb stehen.
Wie in einer Trance gefangen - den Geist in seinen Traumwelten schweifen lassend - regte sich sein warmer Körper keinen Millimeter.
Lovino...
Er kannte ihn kaum.
Trotzdem.
Er schien in ihm alles zu finden,
nach dem er jemals gesucht hatte.
War das dieses Phänomen, das er ausschließlich aus Märchen und Filmen kannte?
Diese tiefe, wahre Liebe auf dem ersten Blick?
Oh...
Auf einmal riss ihn eine fremde Hand vor seinem Gesicht aus seiner Trance heraus. "Erde an Antonio! He, bist du noch da?" Roderich, der nun endlich auch mit seiner Lahmschneckentour fertig war, hob skeptisch eine Augenbraue und musterte seinen ungewöhnlich ruhigen Freund genauestens. "Du schaust schon wieder ins 'Narrnkastl', geht's dir gut?"
Er machte sich tatsächlich Sorgen um ihn. So hatte er Antonio in den letzten Jahren nie erlebt.
Antonio sah Roderich nicht an und sah nur mit einem sanften Lächeln im Gesicht gerade aus oder wagte es vielleicht für einen Moment auf das Kunstwerk vor sich zu blicken, das ihn zu diesem wunderbaren Menschen namens Lovino geführt hatte. "Mir geht's sogar mehr als gut...", kam es ganz ruhig und verträumt über seine Lippen und Roderich runzelte die Stirn, "Roderich, du hattest recht."
"Bei was? Ich meine, ich hab immer recht, aber jetzt bin ich tatsächlich interessiert." Jetzt war der Österreicher tatsächlich neugierig geworden. Antonio wirkte wie ausgewechselt!
"Dass ich hier etwas finden würde, dass mich fasziniert und mir gefällt...Ich hab an diesem Tag wirklich das Schönste gefunden, das ich in meinem Leben jemals entdeckt habe und werde", Antonio dachte daran zurück, was sein Freund zu Beginn zu ihm gesagt hatte und sein Grinsen wurde breiter, sein Blick weicher, als er daran dachte, wie sich die einfache Aussage verwirklichte, als er Lovinos Gestalt im Licht der untergehenden Sonne erblickte ,"Ich hab den Himmel gesehen und mir ist ein Engel erschienen." Verträumt und verliebt richtete sich sein Blick auf das Gemälde "Der Kuss" und für den Bruchteil einer Sekunde sah er sich selbst mit Lovino darin. Wie es wohl wäre ihn so voller Liebe halten zu können? Ihn so zu küssen, wie es der Mann im Bilde machte?
Oh Mann...seine Gefühle überstürzten sich viel zu schnell.
"...Antonio, bist du high oder so?"
Roderichs irritierter Blick bohrte sich durch Antonios Haut, doch das beeinflusste ihn nur wenig. Seine Gedanken waren immer noch benebelt von der Schönheit, die ihm vor wenigen Minuten zu teil wurde.
"Nein...", wieder rastete seine linke Hand auf seinem Herzen und sein Blick wandte sich zu dem Raum, in dem Lovino verschwunden war - von weitem konnte er sein Profil entdecken und sein Herz ging einmal mehr auf, "Nur verliebt."
~♥~
~0~
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro