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Ⓜⓘⓝⓗⓞ
Ich hätte nie gedacht, dass ein ganzes Zimmer so sehr nach Edding und Kleber riechen konnte, aber genau in diesem Moment war unser Wohnzimmer ein einziges kreatives Chaos.
„Hyung, wenn du noch einmal über mein Plakat malst, bringe ich dich um.“
Ich hob unschuldig die Hände. „War doch nur ein kleiner Strich.“
Jeongin funkelte mich an, sein Gesicht mit blauer Farbe verschmiert.
Sein eigenes Plakat lag vor ihm auf dem Boden – ein riesiger, neonfarbener Schriftzug, der das Publikum definitiv blenden würde.
Ich warf einen Blick auf mein eigenes Werk. Perfekte Linien. Perfekte Buchstaben. Perfekte Symmetrie.
Jeongin schnaubte. „Das ist einfach unfair.“
„Talent, mein Kleiner, Talent.“
Er zog eine Grimasse und kritzelte extra unordentlich eine Herzform neben meinen Namen.
Ich entschied mich, es zu ignorieren.
Nachdem unsere Meisterwerke endlich fertig waren, legte ich die Eddings zur Seite und sprang auf. „Okay, Zeit für das wichtigste Thema des Abends: Unsere Outfits.“
Jeongin rieb sich über die Augen. „Hyung, es ist fast Mitternacht.“
„Und?“
„Und normale Menschen schlafen.“
„Hast du vergessen, dass wir keine normalen Menschen sind?“
Er stöhnte, rappelte sich aber auf.
Wir zogen uns in mein Zimmer zurück – das heilige Fanboy-Paradies.
Jeongin ließ sich auf mein Bett fallen, während ich meinen Kleiderschrank öffnete.
„Also, wir brauchen etwas Atemberaubendes. Etwas, das die Leute umhaut. Etwas, das unsere Götter stolz machen würde.“
Ich zog eine enge, zerrissene Jeans hervor und hielt sie an meinen Körper. Dann ein Crop-Top mit Sicherheitsnadeln an den Seiten.
Jeongin blinzelte mich an. „Du willst also den sexy Rockstar-Look?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Ich will nicht. Ich muss.“
Er verdrehte die Augen.
„Was ist mit dir?“ Ich warf ihm eine schwarze Lederjacke zu.
„Dazu eine lockere Hose und ein Netzshirt?“
Er hob die Brauen. „Meinst du nicht, das ist zu viel?“
„Bitte, als ob es bei einem Konzert ein ‚zu viel‘ gibt.“
Nachdem wir alles zusammengestellt hatten, kam der ultimative Moment.
„Okay, bleib sitzen.“ Ich trat hinter ihn und griff nach meiner Bürste. „Zeit für das große Haar-Experiment.“
Jeongin stöhnte. „Hyung, nicht wieder.“
„Doch, wieder.“
Ich fuhr mit den Fingern durch sein Haar, strich es nach hinten, formte es in verschiedene Stile. Mal nach oben gestylt, mal zerzaust, mal mit lockeren Strähnen.
Jeongin sah sich mit jedem neuen Look im Spiegel an und kommentierte trocken: „Ich sehe aus wie ein Idol. Ich sehe aus wie ein Straßenräuber. Ich sehe aus wie jemand, der zu viel Haarspray geschnüffelt hat.“
„Perfekt!“ Ich klatschte in die Hände. „Dann ist das hier unser Gewinner.“
Schließlich war ich dran.
Ich probierte verschiedene Styles aus, drehte mich vor dem Spiegel, versuchte verschiedene Haarfarben aus.
Als ich endlich zufrieden war, drehte ich mich zu Jeongin um.
„Wir sehen perfekt aus.“
Er grinste, wenn auch müde.
Ich ließ mich neben ihn aufs Bett fallen. Mein Herz raste.
Morgen war es so weit.
Ich schluckte.
Plötzlich fühlte ich mich so aufgeregt, dass mir tatsächlich die Augen brannten.
Ich. Würde. Sie. Sehen.
Mein ganzer Körper bebte vor Vorfreude.
„Hyung… heulst du?!“
„Halt’s Maul.“ Ich drehte mich zur Seite. „Lass mich einfach in Frieden glücklich sein.“
Jeongin lachte leise. „Okay, okay. Morgen wird der beste Tag unseres Lebens, oder?“
Ich atmete tief durch. Dann nickte ich.
„Ja. Morgen wird alles.“
<~>
Ich wusste, dass ich mit meiner letzten Gehirnzelle kämpfte.
Meine Stimme war schon fast weg, meine Arme schmerzten vom Festhalten an der Absperrung, mein Herz raste wie verrückt – aber ich war hier.
WIR waren hier. In der ersten verdammten Reihe.
Jeongin hing keuchend neben mir, sein Haar zerzaust, seine Jacke halb offen. Die Schlacht um diesen Platz war nicht leicht gewesen. Aber wir hatten es geschafft.
Die Lichter in der Halle waren gedimmt, ein einziges elektrisches Summen lag in der Luft. Tausende Fans um uns herum schrien, jubelten, hielten ihre Leuchtstäbe hoch, während wir alle auf den Moment warteten.
Den Moment, in dem sich alles veränderte.
„Hyung…“ Jeongins Stimme war kaum mehr als ein Keuchen. „Ich glaub, ich kann nicht atmen.“
Ich konnte ihn nicht einmal verspotten.
Denn ich? Ich war kurz vor einem verdammten Herzstillstand.
Dann—
Ein Rauschen.
Das Flimmern der riesigen LED-Wände.
Und dann—
BOOM.
Die Bühne explodierte in Licht.
Der Bass vibrierte durch meine Knochen, Feuer schoss an den Seiten hoch, die ersten Beats des Songs hallten durch die Arena. Die Menge schrie auf, ein Meer aus Leuchtstäben pulsierte im Takt der Musik.
Und dann—
Dann kam ER.
Jisung.
Ich verlor den Boden unter den Füßen.
Er trat mit einer Energie auf die Bühne, die mich wie ein Schlag traf. Das Licht fing ihn perfekt ein – sein silbernes Mikrofon glitzerte, seine enge Jeans schmiegte sich an seine Beine, das bauchfreie Oberteil ließ seine Bauchmuskeln im Licht blitzen.
Seine dunklen Haare fielen ihm leicht in die Stirn, seine Augen glitzerten vor Adrenalin, vor Feuer, vor Gier nach diesem Moment.
Ich schrie. Ich quietschte.
Mein Körper wurde von purem Fangirl-Modus überrollt.
„OH MEIN GOTT! OH MEIN GOTT! OH MEIN GOTT!“
Jeongin neben mir kreischte mit mir mit, sprang auf und ab, seine Hände rissen das leuchtende Plakat hoch, das wir die ganze Nacht über bemalt hatten.
Jisung bewegte sich über die Bühne mit der Selbstsicherheit eines Raubtiers. Jeder Schritt, jeder Tanzmove war präzise, aber fließend, als würde die Musik durch seine Adern pulsieren.
Und dann – verdammt nochmal, dann – kam sein erster Bodyroll.
Ich schrie so laut, dass mir schwindelig wurde.
Seine Hüften rollten in perfekter, langsamer Bewegung. Sein Blick glitt dabei durch die Menge, seine Lippen leicht geöffnet, sein Atem sichtbar schwerer.
Ich wusste, dass er es fühlte. Dass er sich auf dieser Bühne verlor.
Und dass ich mich mit ihm verlor.
Seine Finger strichen über seinen Bauch, über den Rand seines Shirts, zogen spielerisch daran, als würde er sich nur für diesen einen Moment Zeit nehmen.
Die Menge kreischte noch lauter.
Mein Herz raste.
Jisung ließ sich auf die Knie fallen, warf den Kopf zurück, sein Körper vibrierte im Rhythmus der Beats.
Gott. Tötete er uns alle?
Sein Rap-Part kam. Seine Stimme war dunkel, tief, mit einer leichten, rauen Note, die mir direkt ins Mark ging. Ich konnte spüren, wie meine Knie weich wurden.
Er war nicht nur ein Idol auf dieser Bühne.
Er war eine verdammte Naturgewalt.
Er wusste es. Und er liebte es.
Meine Augen flogen über die Bühne, beobachteten, wie Chan das Mikrofon in die Höhe riss, Changbin neben ihm seine Zeilen runterratterte – aber mein Blick wanderte immer wieder zu Jisung zurück.
Ich sah, wie er sich im Takt bewegte, seine Hände durch sein Haar fuhr, seinen Körper anzüglich über die Bühne gleiten ließ.
Jeder Moment war purer, unaufhaltsamer Wahnsinn.
Ich war süchtig.
Jeongin packte meinen Arm. „Hyung— Minho— ICH KANN NICHT—“
„ICH AUCH NICHT!“
Unsere Stimmen wurden vom dröhnenden Bass und dem Kreischen der Fans verschluckt.
Jisung drehte sich einmal um die eigene Achse, ließ seinen Blick durch die erste Reihe gleiten.
Für eine Sekunde – eine einzige, winzige Sekunde – trafen sich unsere Blicke.
Meine Lungen hörten auf zu arbeiten.
Ich schwöre, ich spürte, wie mein Herz aussetzte.
Und dann—
Jisung grinste.
Nicht irgendein Grinsen.
Sein Grinsen. Das hübsche, selbstsichere, leicht dreckige Grinsen.
Ich kippte nach vorne und wäre fast über die Absperrung gefallen.
Jeongin zog mich zurück. „HYUNG! REIß DICH ZUSAMMEN!“
„ICH… ICH KANN NICHT…“ Ich rang nach Luft. „ER HAT GEGRINST. ER HAT UNS ANGESEHEN. WIR SIND GESEGNET.“
Jeongin schüttelte mich panisch. „MINHO, ATME! BLEIB BEI MIR!“
Doch ich war längst verloren.
Ich hatte diesen Blick gesehen. Diesen Moment gespürt.
Und ich wusste:
Dieser Abend würde der beste meines verdammten Lebens werden.
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