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Ⓜⓘⓝⓗⓞ
Ich wusste, dass ich in genau dieser Position sterben würde.
Zusammengekauert vor meinem Laptop, ein Bein angezogen, das andere ausgestreckt, mein Blick starr auf die sich langsam bewegende Warteschlange gerichtet. Mein Kiefer arbeitete ununterbrochen, weil ich aus purer Nervosität eine ganze Tafel Schokolade verdrückte.
Neben mir auf dem Sofa lag Jeongin, halb auf dem Bauch, halb auf der Seite, ein Kissen umklammert, als wäre es sein letzter Halt im Leben.
„Hyung…“ Seine Stimme war nicht mehr als ein leises Wimmern. „Wie lange noch?“
Ich bewegte die Maus leicht, als würde das die Zahlen irgendwie beeinflussen.
„Voraussichtliche Wartezeit: Mehr als eine Stunde.“
Ich knirschte mit den Zähnen. „Töte mich einfach.“
„Glaub mir, wenn wir keine Tickets kriegen, überlege ich es mir.“
Seufzend brach ich ein weiteres Stück Schokolade ab und schob es mir in den Mund. Dann griff ich ohne nachzudenken nach der nächsten Rippe und hielt sie Jeongin hin.
Er öffnete automatisch den Mund, ließ sich das Stück reinschieben und kaute träge.
„Danke“, nuschelte er, ohne den Blick von der Warteschlange zu nehmen.
„Mh-hm.“ Ich kaute ebenfalls.
So vergingen Minuten. Stunden. Eine Ewigkeit.
Die Schokolade wurde weniger, meine Geduld auch.
Jeongin bewegte sich irgendwann nicht mehr, sein Blick war leer, als hätte er die Hoffnung auf ein besseres Leben bereits aufgegeben.
Dann—
Die Zahlen sprangen plötzlich runter.
„Voraussichtliche Wartezeit: Weniger als eine Minute.“
Mein Herz raste.
„OH MEIN GOTT!“ Jeongin schoss in die Höhe, rutschte halb von der Couch. „ES PASSIERT! HYUNG, ES PASSIERT!“
Ich richtete mich ruckartig auf, die Hand an der Maus, mein Atem flach. „Ruhig. Wir müssen fokussiert bleiben.“
Jeongin nickte hektisch. „Fokus. Fokus. Kein Zittern. Wir haben das trainiert.“
„Wir haben das kein einziges Mal trainiert.“
„Hauptsache, du klickst wie ein verdammter Gott!“
Dann erschien das magische Fenster.
„Sie sind an der Reihe.“
Ich warf mich auf die Tastatur.
Klick. Klick. Sitzauswahl.
Klick. Klick. Warenkorb.
Klick. Bezahloption.
Plötzlich—
„VERDAMMT, FICK MICH DOCH …! CAPTCHA?!“
„OH NEIN!“ Jeongin riss die Arme hoch. „HYUNG, DU MUSST DIE RICHTIG KLICKEN!“
Meine Finger flogen über die Maus. Ich klickte, schwitzte, klickte noch mehr.
Straßenschilder. Ampeln. Busse. Ich hasste sie alle.
Dann—
„Kauf wird verarbeitet…“
Jeongin hielt den Atem an.
Mein Herz schlug so laut, dass ich sicher war, die Nachbarn konnten es hören.
Der Bildschirm lud.
Ein Ladebalken erschien.
„Bestellung erfolgreich.“
Für eine Sekunde schwiegen wir.
Dann—
„AHHHHHHHHHH!“
Wir sprangen auf.
„WIR HABEN SIE!“ Jeongin warf sich auf mich, packte meine Schultern. „WIR HABEN DIE VERDAMMTEN TICKETS!“
Ich schüttelte ihn. „WIR WERDEN DORT SEIN! WIR WERDEN LEBEN!“
„JAAAAAA!“
Dann hörten wir es.
Jemand hämmerte von nebenan gegen die Wand.
„HALTET ENDLICH DIE SCHNAUZE, IHR KLEINEN HURENSÖHNE!“
Ich zuckte zusammen.
Dann—
„VERFICKTE KINDER, ES IST MITTEN IN DER NACHT!“
Jeongin schnappte nach Luft.
Ich riss die Arme hoch.
„SCHEIß DRAUF! WIR HABEN DIE TICKETS!“
„NEIDET RUHIG, IHR ARSCHLÖCHER!“ Jeongin drehte sich zur Wand und brüllte: „WIR SIND GESEGNET!“
Ein weiteres, wütendes Klopfen.
Jeongin und ich tauschten Blicke. Dann nickten wir gleichzeitig.
„Okay, wir müssen leiser sein“, flüsterte Jeongin, als ob wir uns in einer verdammten Geheimmission befanden.
„Richtig“, stimmte ich zu und öffnete vorsichtig die Tür zu meinem Zimmer.
Sobald wir drinnen waren, schloss ich die Tür hinter uns und drehte mich zu Jeongin um. „Okay, das hier ist jetzt unsere geheime Fanboy-Basis. Wir dürfen nicht entdeckt werden.“
Jeongin hob die Hand zur Stirn und salutierte. „Verstanden, Captain.“
Ich seufzte und ließ mich auf mein Bett fallen, während Jeongin durch den Raum sah.
Seit dem letzten Mal hatte ich einiges an Merch dazugekauft.
Jeongin ließ sich auf den Boden plumpsen, sah mich an und grinste. „Hyung, ich habe das Gefühl, dass du in diesem Zimmer irgendwann mal ein Ritual abgezogen hast.“
Ich warf ein Kissen nach ihm. „Halt die Klappe.“
Er kicherte und streckte sich auf dem Teppich aus. „Okay, ernsthaft. Was ziehen wir an?“
Ich setzte mich auf, stützte das Kinn auf meine Hand und dachte nach.
„Es muss perfekt sein. Es muss cool sein. Es muss so aussehen, als hätten wir uns null Mühe gegeben, obwohl wir drei Wochen daran arbeiten.“
Jeongin nickte, als hätte ich gerade die Wahrheit des Universums offenbart. „Genau.“
Ich sprang auf, riss meinen Kleiderschrank auf und begann, wahllos Teile herauszuziehen. „Okay. Statement-Jacke oder dezentes Shirt?“
„Statement-Jacke.“
„Ripped Jeans oder baggy Jeans?“
„Ripped. Aber nicht zu krass doll, sonst denken sie, du bist obdachlos.“
„Sneaker oder Boots?“
„Hyung, wir werden STUNDENLANG stehen. Sneaker.“
Ich nickte anerkennend. „Du hast dazugelernt.“
„Ich bin dein Schüler.“
Ich warf ein Bandshirt nach ihm. „Und das hier?“
Jeongin setzte es sich wie ein Cape um die Schultern. „Perfekt.“
Wir verbrachten die nächste halbe Stunde damit, Outfits durchzugehen, Accessoires zu testen und zu diskutieren, ob man sich die Haare färben sollte oder nicht.
Jeongin stand irgendwann mit einer Sonnenbrille vor dem Spiegel und posierte. „Findest du, das ist too much?“
Ich sah ihn an. Dann auf die Uhr. Dann wieder ihn. „Es ist drei Uhr morgens, und du stehst mit einer Sonnenbrille in meinem Zimmer.“
Er zuckte mit den Schultern. „Style kennt keine Uhrzeit.“
Ich schnaubte, schnappte mir meine Decke und ließ mich auf das Bett fallen.
„Lass uns schlafen, bevor wir morgen aus Versehen noch Konzertbanner basteln.“
Jeongin ließ sich neben mir aufs Bett plumpsen und grinste. „Hyung… Wir gehen wirklich dahin.“
Ich drehte den Kopf zu ihm und grinste zurück. „Ja. Und wir werden verdammt nochmal die Zeit unseres Lebens haben.“
Wir begannen gleichzeitig zu Kichern.
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