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Ⓜⓘⓝⓗⓞ
Ich hatte ihn verletzt. Mehr, als ich es je wollte.
Mein kleiner Bruder – der Junge, den ich beschützen sollte, den ich verdammt noch mal lieben sollte, ohne ihn kaputtzumachen. Aber was hatte ich getan?
Ich hatte ihn beleidigt, ihn bedrängt, ihn zum Weinen gebracht.
Und jetzt war er verschwunden.
Ich suchte überall. In der Küche, im Wohnzimmer, sogar im Badezimmer. Aber er war nicht da.
„Jeongin?“ Meine Stimme klang hohl in der Stille der Wohnung. Nichts. Kein Geräusch. Keine Antwort.
Scheiße.
Ich fuhr mir durch die Haare, spürte das dumpfe Pochen in meinem Kopf. Ich hätte es besser wissen müssen. Ich hätte mich sofort entschuldigen sollen, nicht erst warten dürfen, bis der Schuldschmerz mich auffraß.
Aber es war zu spät.
Ich drehte mich um, steuerte stattdessen mein Schlafzimmer an. Wenn ich ihn nicht finden konnte, dann … dann musste ich mich wenigstens mit dem anderen Mist auseinandersetzen.
Also fing ich an zu packen.
Jedes Shirt, jede CD, jede Fotokarte, die ich in die Kartons legte, war ein Teil von mir. Ein Teil meiner Erinnerungen, meiner Hoffnungen, meiner dummen, naiven Träume.
Ich hatte mein ganzes Herz hier reingesteckt – mein Geld, meine Zeit, meine verdammte Seele. Und jetzt war es nichts weiter als Merchandise, das ich nicht mehr ertragen konnte.
Meine Finger zitterten, als ich eine limitierte 3Racha-Vinyl hochhob.
Die, für die ich damals fast einen ganzen Monat auf Essen verzichtet hatte, nur um sie mir leisten zu können. Ich hatte sie wie einen verdammten Schatz behandelt. Weil ich dachte, ich würde Jisung kennen. Weil ich dachte, dass er – dass sie – etwas waren, das mich auffing, wenn ich fiel.
Aber es war eine Lüge gewesen.
Jisung war keine Rettung.
Jisung war Gift.
Mein Magen zog sich zusammen, als ich die Platte vorsichtig in einen der Kartons legte.
Dann fiel mir etwas ins Auge.
Eine Fotokarte.
Klein, abgenutzt an den Ecken. Meine allererste.
Ich griff danach, hob sie langsam auf. Mein Blick verschwamm, als ich auf das Gesicht starrte, das mich so lange begleitet hatte. Jisungs Grinsen. Frech, schelmisch, voller Leben. Ich hatte es geliebt. Hatte ihn geliebt.
Oder hatte ich mir das nur eingebildet?
Ich schluckte schwer.
Was, wenn ich längst alles verdaut hatte?
Was, wenn da nichts mehr war? Keine Wut, keine Trauer.
Nur … Leere.
Ich wusste nicht, was schlimmer war.
Mein Atem ging schwer. Ich ballte die Hände zu Fäusten, versuchte das Brennen in meiner Brust zu ignorieren. Ich wollte nicht weinen. Nicht um ihn. Nicht um das alles.
Dann vibrierte mein Handy.
Ich zuckte zusammen, als hätte mich jemand erwischt.
Langsam zog ich es aus meiner Tasche, meine Finger immer noch leicht zitternd.
Eine Nachricht.
Von ihm.
Jisung: Komm zum Dorm. Jetzt.
Ich starrte auf den Bildschirm. Mein Herz hämmerte in meiner Brust.
Warum? Warum jetzt?
Ich sollte es ignorieren. Ich sollte einfach diese Tür hinter mir abschließen und ihn aus meinem Leben streichen.
Aber meine Finger waren schneller als mein Verstand.
Ich tippte eine knappe Antwort.
Ich: Bin unterwegs.
Dann steckte ich das Handy weg, schob die Kartons beiseite und griff nach meiner Jacke.
Ich wusste nicht, was mich erwartete.
Aber ich wusste, dass ich eine Antwort wollte.
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