Jamies picture
Warmes Licht schien in den großen, freundlichen Raum hinein und ließ so eine wunderschöne Atmosphäre entstehen. Ein riesiges Bett mit weißen Kissen und Decken sah total bequem aus, ich bekam meinen Mund nicht mehr zu. Alles war stilvoll eingerichtet. Die Wände waren in einem dezenten beigeton, die Regale und andere Möbel in schwarz. Eine schwere Stereoanlage gab dem ganzen Anblick noch einen perfekten Touch, ich staunte. Jack lachte und setzte mich vorsichtig auf seinem Bett ab - es war schön weich und ich sank sofort in die Matratze. Ich stellte mir für einige Sekunden vor, wie man wohl darin schlief - es musste wunderbar sein! Er kam auf der anderen Seite zu mir und grinste wie ein Honigkuchenpferd. "Ja, das ist mein Zimmer - gefällts dir?", ich nickte wahrheitsgemäß und versuchte, mir nicht anmerken zu lassen, wie weh mir das tat. Warum? Mom hatte immer davon gesprochen, wie schön es doch in einem großen Haus war - sie hatte uns sozusagen so erzogen, dass wir es respektieren sollten, wenn wir jemals in so einem waren. Der Stich in meinem Herzen nahm langsam ab, schleichend, als wolle er mich daran erinnern, wie hart das Leben war - was ich natürlich schon wusste. Aber mein Schicksal spielte wieder einmal gegen mich. Unauffällig strich ich mit meiner rechten Hand übers Gesicht und wischte somit die aufkommenden Tränen weg, die sich angesammelt hatten und nicht freiwillig verschwinden wollten. Aber ich konnte das nicht ganz unauffällig tun - Jack merkte wie immer, dass etwas nichts stimmte. "Wesley? Was ist los?", ich schüttelte nur den Kopf und sah auf meine Hände, sie waren ineinander verschränkt. Sanft, mit leiser Stimme fragte mein Bruder, ob ich Tee wolle, ich nickte wieder nur. Starrte weiter auf meine Hände. Starrte auf das Bettlaken. Das tat ich die ganze Zeit, die Treppe knarrte. Gleich darauf kam Jack ins Zimmer und hielt mir eine dampfende Tasse Tee hin, die ich dankbar annahm. Ich brauchte jetzt wirklich etwas zu trinken! "Danke, Jack!", lächelnd sah er mich an und ging zu der Anlage, drückte auf einen Knopf und sofort ertönte eine leise, gefühlvolle Melodie aus den großen Lautsprechern an den Wänden. Ich wurde in ihren Bann gezogen. Es war ein Pianostück. Ich kannte den Titel nicht, konnte auch nicht spielen - was würde ich dafür geben, es lernen zu können! Meine Augen wurden immer nasser, als das Lied seinen Höhepunkt errreichte, ich schluckte den dicken Kloß in meinem Hals hinunter. Ich wusste, dass Jack mich beobachtete, doch ich schloss die Augen und summte den Takt des Stückes mit. Wie von selbst bahnten sich ein paar Wörter aus meinem Mund und wie immer passten sie perfekt zum Lied, es war unbewusst - stark, gefühlvoll, spannend - das war es, was schließlich dazu führte, dass mir Tränen aus den Augen rannen. Jemand wischte sie aus den Augenwinkeln, ich verstummte und lächelte, meine Augen blieben geschlossen. "Wesley? Willst du mit runter zu Jamie und den anderen kommen? Sie haben mich gefragt, ob du mitkommst - wir gehen essen!", jetzt öffnete ich sie doch und blickte in ein fragendes Gesicht von Jack. "Klar. Ich komme gleich - geh du schon einmal!", langsam fühlte ich mich hier wohl - das durfte nicht sein! Auch wenn ich Jack und der Familie vertraute, war hier nicht mein Platz. Mein Platz war auf der Straße, nicht hier. Hier war der Platz der reicheren Leute, der Menschen, die nicht von sich selbst sagen konnten, dass sie etwas erreicht hatten in ihrem Leben. So jemand wie ich. Jack hatte zwar gesagt, dass er die selben Gedanken gehabt hatte, doch ich kam nicht darüber hinweg, dass mir so viel Hilfe angeboten wurde. In Vorwürfen versunken, merkte ich nicht, wie Jack aufstand, das Lied ausschaltete und nach unten ging. Die Tür fiel leise hinter ihm ins Schloss. Jetzt bahnten sich meine Tränen wieder über die Wangen, ich schluchzte verzweifelt und vergrub mich in den ganzen Kissen, sie waren weich. So weich wie das Haar meiner Mutter, in das ich mich immer vergraben hatte, wenn es mir schlecht ging - also immer. Aber ich war stark geblieben, habe durchgehalten. Das Leben draußen in der Stadt war hart, genauso wie das Hinderniss, Vertrauen zu Menschen aufzubauen - reichen Leuten, die stolz auf sich sein konnten. Das genaue Gegenteil von mir also. Ein letztes Mal strich ich mit dem Handrücken über mein Gesicht und stand dann stöhnend auf. Mein Bein tat weh. Aber nicht nur das. In meinem Kopf trommelte es auf einmal wie wild gegen den Schädel, ich fasste mir der Hand an meinen Hinterkopf - es hörte nicht auf. Es war so, als würde irgendjemand einen Eisenstock nehmen und immer über meinen Kopf schlagen - als wäre ich Abschaum. Im Nachhinein erkannte ich, dass es ja die Wahrheit war. Ich wusste, dass ich mich eigentlich nicht im Selbstmitleid suhlen sollte, doch ich wollte jetzt nichts anderes. Nichts als dazuliegen und zu weinen - mit dem Schmerz im Kopf und dem Stich im Herzen. Ich wollte einfach allein damit sein, allein mit dem Schmerz. Aber er war ja berechtigt - jemand wie ich durfte keine Freude spüren, das wusste ich. Das war die Bestrafung von Gott an mich, dafür, dass ich gelacht hatte. Wenn man hier von Gott sprechen konnte - ich meine, welcher Gott würde so etwas tun? Tausende von Menschen an Krankheiten und Hungersnöten sterben lassen? Kleinen Straßenkindern Schmerzen zufügen und die Eltern wegnehmen? Oder einfach das ganze Leid der Menschheit betrachten und nicht einzugreifen? Ich wusste nicht, ob es Gott gab, ob es mehrere gab oder gibt, ob man zu ihm sprechen konnte oder einfach nur nachdenken sollte. All das konnte man nicht beantworten, nicht in meinem Leben. Niemals. Es war einfach so. Ich persönlich glaubte nicht an Gott, wenn es ihn geben würde - was hätte er dann alles falsch gemacht? Er hätte der Menschheit mehr Schaden zugefügt, als dass man es aufschreiben konnte. Es gab ihn nicht. Nicht bei mir. Nicht in meinem Leben. Mein Kopf brummte nicht mehr, ich war erleichtert. Ich wollte das nei wieder spüren, die Gedanken nie wieder ertragen müssen. Mein Unterbewusstsein protestierte wieder mal dagegen, es sagte, dass es nicht zu vermeiden wäre. Seufzend rutschte ich nun doch von dem riesigen Bett herunter und torkelte die Treppe nach unten, wo alle Familienmitglieder versammelt waren und Jamie beim Malen zusahen. Neugierig geworden schlich ich mich auch leise zu dem Kleinen und zog überrascht die Luft ein. Seine Finger flogen wie alleine über das Papier, es schien so, als würde er in seiner eigenen Welt sein, in seiner eigenen Zeit. Was er da zeichnete, stieß mir Tränen in die Augen, ich schluckte. Er zeichnete wirklich mich! Meine Gesichtszüge, meine Augen und der Hintergrund waren perfekt aufeinander abgestimmt. Mit ein paar Linien formte er meine Nase, meinen Mund und die Wangen noch ein bisschen aus und legte den stumpfen Bleistift dann zufrieden zur Seite, um sein Werk zu betrachten. Es war wunderschön. Anders konnte man es nicht beschreiben. Es drückte alle Emotionen aus, die er bei mir verspürte. Liebe zu einem Fast-Bruder, Freude, Freundschaft. Anerkennung. Respekt. Ich lächelte. War das wirklich ich? Es war so wundervoll, so umwerfend schön gezeichnet. Und eine Frage beschäftigte mich immer wieder aufs Neue: Wie konnte er mit vier Jahren schon so schön zeichnen?
Die nächste Zeit war ich still. Das Essen fiel aus, weil Betty noch etwas zu erledigen hatte, ich ging mit Jack in sein Zimmer und wir hörten wieder die Pianomusik, die mich so im Herzen berührt hatte. Gemeinsam lagen wir auf seinem großen Bett und hatten die Augen geschlossen. Das war der ganze Ablauf des Tages, bis wieder dieses Hämmern begann.
[Anmerkung: Auf dem Bild ist Jamies Zeichnung zu sehen!]
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