KAPITEL 16: Finn
Warme Tränen liefen ihre Wange hinunter. Freya machte den Fernseher aus. Die Sturmsaison war angekommen und schlimmer als erwartet. Überall ertranken Städte im nicht unerlässlichen Regen, Menschen wurden aus ihren Häusern gejagt, Familien getrennt. Die Nachrichten zu ertragen war nicht einfach. Nicht, nachdem auch sie aus ihrer Wohnung in der Innenstadt zu ihrer Mutter hatten flüchten müssen. Doch die Sprecherin sagen zu hören, dass der Sicherheitsrat einen Einsatz der Avengers nicht ausschließen konnte, hatte ihr den Rest gegeben.
«Mama, wieso weinst du?»
Freya schreckte auf und wischte sich schnell die Tränen aus den Augen. Das Tapsen seiner kleinen nackten Füße auf dem Dielenboden war in dem Dröhnen des Regens, der auf das Dach niederprasselte, untergegangen. Und nun stand er da, in seinem blauen mit kleinen Flugzeugen verzierten Schlafanzug, den Plüscheisbären in der linken Hand. Finn, ihr Sohn. Rotblonde Locken und Augen so klar blau, wie sie sie vor ihm erst einmal gesehen hatte. Bei seinem Vater.
Sie schluckte den dicken Kloss runter, der sich in ihrem Hals bildete und rappelte sich von der Couch auf. «Kannst du nicht schlafen?»
«Habe ich auch! Aber dann wurde es so laut und ich hab' Angst bekommen. Kannst du bei mir schlafen heute Nacht?»
«Natürlich mein Schatz, komm.»
Sie ergriff sanft seine rechte Hand und brachte ihn zurück in ihr Kinderzimmer im ersten Stock.
«Wieso ist es so laut?»
«Es stürmt draußen.»
Er blieb stehen. «Denkst du er bringt Papa zurück?»
Freya biss sich ihre Unterlippe blutig in einem verzweifelten Versuch den Schluchzer, der sich in ihrer Brust löste, zu unterdrücken.
Ein halbes Jahr nach seiner Geburt war sie nochmals zurück nach New York gereist. Ab dem Moment, wo sie diesen perfekten kleinen Jungen zum ersten Mal in ihren Armen hielt, hatte sie gewusst, dass sie es nicht konnte. Ihr fehlte die Kraft ihm seinen Vater zu verschweigen, auch wenn er sich nicht an sie erinnern mochte.
Steve hatte sie an der Eingangstür abgefangen. «Freya, was machst du hier?» Dann war sein Blick auf den Beifahrersitz gefallen. «Ist das...?»
«Finn. Ich muss ihn sehen Steve. Ich kann ihm nicht den Vater vorenthalten. Nicht, wenn es eine kleine Chance gibt, dass—»
«Es gibt keine Chance Freya. Steig wieder ein und fahr nach Hause.»
«Nicht bevor ich ihn gesehen habe!»
«Das kann ich nicht zulassen.» Er verschränkte seine Arme und baute sich vor ihr auf. Doch sie hatte mit einem Supersoldaten zusammengelebt, seine Statur allein machte ihr längst keine Angst. «Er hat Jahre gebraucht, um damit abzuschließen, dass er einen Teil seines Lebens verloren hat, schon wieder. Wenn er das hier erfährt... Ich fürchte, dass er das nicht verkraften würde.»
«Er hat schon Schlimmeres durchgemacht.»
«Ach ja, und was willst du ihm sagen? Dass er ein Kind mit einer Frau hat, die ihm nichts mehr bedeutet?»
Ein Schlag in den Magen wäre gütiger gewesen. Sie schnappte nach Luft und ihre Faust schloss sich um den Autoschlüssel in ihrer Hand.
«Freya... Es tut mir leid. Das hab' ich nicht so gemeint...»
«Oh, ich weiß genau, wie du es gemeint hast. Und es ist mir egal. Es geht hier nicht um mich, sondern um Finn. Wenn du mich aufhalten willst, musst du mich eigenhändig in den Flieger zurückstecken.» Sie ging um das Auto herum und riss die Beifahrertür auf. Sie war nicht so weit gekommen, um jetzt aufgegeben.
«Freya, stopp! Er ist nicht hier.»
Das ließ sie erstarren. «Wo dann?»
«Das ist ein staatliches Geheimnis, ich darf dir das nicht sagen.»
Ein Donnern hallte von den Wänden des Gebäudes wider und dann begann es plötzlich wolkenbruchartig zu regnen. Freya schlug die Beifahrertür wieder zu. Im Auto begann Finn zu weinen.
«Geh nach Hause, Freya.» Wiederholte Steve noch einmal.
Dieses Mal hatte sie keine Antwort mehr dabeigehabt. Und so war sie zurück ins Auto gestiegen und weggefahren. Der Regen hörte nicht auf und verwandelte sich innert kürzester Zeit in einen richtigen Sommersturm, den sie in einem Diner an der Autobahn aussitzen musste. Den friedlich schlafenden Finn in ihren Armen und ein gebrochenes Herz in der Brust. Das war der Moment gewesen, in dem sie entschieden hatte, dass sie es alleine schaffen konnte. Sie musste. Für Finn.
Ein Blitz erhellte den Gang und holte sie zurück in die Realität. «Wie kommst du denn da drauf?», fragte sie den beinahe Sechsjährigen vorsichtig.
«Du hast gesagt, dass ein Sturm Papa mitgenommen hat. Vielleicht will er ihn ja nur zurückbringen.»
Sie schluckte schwer und hob die Bettdecke für ihn hoch. «Ich glaube nicht, dass er nach Hause kommen wird, Finn.»
«Doch, irgendwann kommt er. Oma sagt, dass nichts stärker ist als Familie. Irgendwann kommt er zurück, du musst nur daran glauben.»
Er sprach mit einer solchen Überzeugung, dass Freya nicht anders konnte, als zu lächeln. Sanft fuhr sie über seinen Kopf und legte sich dann neben ihm ins Bett. «Ich wünsche es mir auch, mein kleiner Wirbelwind.»
***
«Der Kuchen?»
«Ruhig Blut, Einarmiger. Ich hole ihn auf dem Rückweg ab.» Sam verdrehte seine Augen. «Ich versteh deine Obsession mit Geburtstagskuchen wirklich nicht.»
Ich auch nicht, räumte Bucky ein, verkniff es sich aber, etwas zu sagen. Diese Genugtuung wollte er Sam nicht geben. «Brauchst du auch nicht. Du musst ihn nur abholen.»
«Menschen retten, dann Geburtstagsparty. Cap macht es richtig. Wir sehn' uns unten!» Mit diesen Worten stürzte der Falcon sich aus dem Flugzeug.
Bucky seufzte und sprang ebenfalls durch die Tür. Wie hatte er es nur verdient, mit diesem Großmaul gepaart zu werden?
Seine Augen fokussierten sich auf die Gegend unter ihm. Man konnte klar erkennen, wo der Hurrikan durchgefegt war. Alle Straßen waren gesperrt, ein Absprung war der einzige halbwegs sichere und schnelle Weg rein. Die Winde waren immer noch zu stark für die Helikopter und Bucky konnte sehen, dass auch Sam mit seinen Flügeln zu kämpfen hatte. Er war froh, sich gegen den Fallschirm entschieden zu haben. Auch wenn der Aufprall nicht ohne sein würde.
Suchen und Extrahieren, das war ihre Mission. Nur wenige Kilometer entfernt, auf der anderen Seite der blockierten Straßen, war ein Schulhaus in ein Notkrankenhaus umgewandelt worden. Alles was er tun musste, war die Opfer aus den Trümmern zu befreien. Er bemitleidete die Menschen nicht, die sich auf dem Flug zum Krankenhaus Sams unaufhörlichen Redeschwall ertragen musste.
Es war nicht die Arbeit, für die er ausgebildet war. Und trotzdem gefiel sie ihm. Eine willkommene Abwechslung, Menschen für einmal vor dem Tod zu bewahren anstatt sie direkt hineinzuführen.
«Der Letzte?», fragte Sam, als er ihm einen bewusstlosen älteren Mann übergab, den er aus einem eingestürzten Haus gezogen hatte. In seiner Seite steckte ein abgebrochenes Stück eines Rohres. «Ja, pass auf, dass das Rohr drinbleibt.»
«Aye, aye, Captain! Ach warte, nein das bist ja nicht du.»
«Kannst du nicht für einmal deine Klappe halten?»
«Wenn du aufhörst zu starren, Einarmiger.»
«Nicht wahr», erwiderte er und winkte mit seiner Prothese. Zum zweiten Mal Vibranium, doch diese hatte bisher noch nicht versucht ihn umzubringen.
Sam warf sich mit dem Mann in die Luft. «Cyborg! Beeil dich besser hier rauszukommen, sonst blasen wir die Kerzen ohne dich aus.»
«Würde Steve nicht machen.»
«Wer sagte, dass er die Kerzen ausblasen muss?»
Bucky verdrehte seine Augen und warf dem Falcon eine Haustür nach, die gerade so in der Nähe gelegen hatte. Natürlich war er längst zu weit weg, den Frust rauszulassen tat trotzdem gut. Sein Blick glitt über die Trümmer. Sam hatte den Ort gescannt, keine Wärmesignaturen mehr. Der Anblick war deswegen jedoch nicht wenig trauriger. Die schlimmen Bilder, die er in den letzten Wochen immer wieder vom Süden gesehen hatten, erschütterten ihn. Aus irgendeinem unerklärlichen Grund fühlte er jedes Mal dieses unangenehme Ziehen im Magen, wenn es Neuigkeiten aus Louisiana gab. Dabei konnte er sich nicht daran erinnern, je diesem Bundesstaat gewesen zu sein. Vielleicht lag es ja an dem Buch, das er letztens im Bücherladen entdeckt hatte. Irgendein Krimi, ganz durch war er noch nicht. Aber die Autorin stammte aus New Orleans und hatte wirklich eine Gabe dafür, die Gegend so detailliert zu beschreiben, dass er das Gefühl hatte, sie vor seinem inneren Auge zu sehen.
***
«Und wie sieht es aus?»
Freya schüttelte ihren Kopf. «Schrecklich. Alles ist durchnässt, überall ist Schlamm. Die Möbel sind teilweise komplett zerstört.»
Sie hatte gewusst, dass es keine gute Idee war, in die Stadt zu fahren und nach ihrer Wohnung zu schauen. Aber dennoch hatte ihre Neugierde in diese Richtung getrieben, nachdem sie kurz vor Ladenschluss noch ein paar Flaschen Wasser geholt hatte. Nie war sie dankbarer für den kleinen Hügel gewesen, auf dem ihr Elternhaus am Stadtrand von New Orleans lag.
«Keine Sorge liebes, ich habe euch gerne um mich. Ihr dürft so lange bleiben, wie ihr wollt.» Ihre Mutter tätschelte ihre Hand und schob ihr dann einen Tee über den Tisch.
«Finn?»
«Oben im Zimmer, er malt.»
«Er hat gestern wieder nach seinem Vater gefragt.»
Ihre Mutter seufzte und ließ sich auf den Stuhl ihr gegenüber am Esstisch nieder. «Und was hast du gesagt?»
«Nichts... Aber es wird immer häufiger. Ich weiß nicht, wie lange ich das noch ertragen kann, Mama.»
«Freya, du hast die letzten Jahre über so viel geschafft. Du hast dein Buch veröffentlicht und gleichzeitig den wundervollsten Enkelsohn grossgezogen, den ich mir vorstellen könnte. Das ist allein dein Verdienst. Du bist stärker als du denkst.»
«Nicht stark genug. Ich hätte mehr darauf beharren sollen, dass—»
Urplötzlich sprang das Fenster in der Küche auf. Ein starker Wind bliess feuchte Luft hinein. Die Zettel am Kühlschrank flatterten, einige lösten sich und segelten wie Geschosse durch die Luft.
Freya sprang schnell auf und versuchte, das Fenster wieder zu schließen. Ihre Mutter schob einen Riegel vor. Obwohl es längst eingedunkelt war, war es hell draußen. Blitze zogen im Sekundentakt über den Himmel und es regnete so stark, dass man nur weiß sah.
«Das sieht gar nicht gut aus... Ich hole Finn runter.»
Ihre Mutter legte ihr sanft eine Hand auf den Arm. «Dieses Haus hat Katrina überlebt, es wird uns auch heute Abend nicht im Stich lassen.» Ihr Lächeln vermittelte Sicherheit. Doch es verschwand schlagartig, als es an der Tür klingelte.
«Guten Abend Ma'am, Miss», begrüßte sie der Polizist, der aus dem Sturm in den Flur stolperte und die Kapuze seines Regenmantels zurückschob. Er war komplett durchnässt, das Wasser hinterließ in kürzester Zeit eine Pfütze auf dem alten Dielenboden.
«An einem der Deiche haben sich Risse entwickelt. Wir müssen Sie bitten sofort zu evakuieren. Bitte begeben sie sich zu der nächsten Schutzunterkunft. Gott schütze sie.»
Freyas Atem stockte und sie hatte nach Finn gerufen, bevor die Tür hinter dem Polizisten geschlossen war. Verwirrt erschien er oben an der Treppe.
«Mama?»
Sie hechtete die Stufen zu ihm hoch und zog ihn in ihre Arme. 2005 war schlimm gewesen, sie konnte sich noch gut daran erinnern. Doch nun fürchtete sie nicht länger nur um sich selbst und ihre Familie, sondern um das Wertvollste, was ihr das Leben geschenkt hatte.
«Mama?», fragte Finn nochmal und sie riss sich wieder von ihm los. «Hol deinen Rucksack, Finn. Wir müssen weg hier.»
Hastig stopfte sie noch ein paar wichtige Dinge in ihre Handtasche, ehe sie den Kleinen wieder an der Hand nahm. Ihre Mutter kam gerade durch die Tür hinein, ihr roter Regenmantel ebenfalls bereits pitschnass.
«Wir müssen zu Fuß gehen, ein Baum hat die Garage blockiert. Es ist zum Glück nicht weit.»
Freya nickte und schlüpfte schnell in ihre Gummistiefel. Ihre Finger zitterten, als sie erst ihre und dann auch Finns Regenjacke schloss und ihm die Kapuze tief ins Gesicht zog. Sie konnte sich nicht erinnern, je so viel Angst gehabt zu haben. Nicht einmal in dieser schrecklichen Nacht in der sie um James bangte. Und als ihre Mutter schließlich wieder die Tür öffnete, hielt sie es nicht mehr aus. Obwohl er längst kein Leichtgewichtmehr war, hob Freya ihn hoch und drückte den Jungen fest an sich.
Kalter Regen peitschte ihr ins Gesicht als sie aus der Tür stand. In der Ferne gingen die Sturmwarnsirenen erneut los, ihr Trällern war gegen den Wind kaum zu hören. Doch Finn nahm sie trotzdem wahr.
«Mama, was ist das?», fragte er und legte seine kleinen Arme fester um ihren Hals.
«Die Sturmwarnung. Es kommt ein sehr großer Sturm auf uns zu, aber du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Wir sind gleich sicher.»
«Da vorne ist es!», rief ihre Mutter. Freya konnte das blaue Licht der Polizeiautos erkennen, die vor der Schutzunterkunft aufgestellt waren. Und dann flog plötzlich etwas Großes über ihren Kopf.
Freya zuckte zusammen. Es windete stark, aber niemals stark genug, um einen Baum oder ein Stück Dach dieser Größe loszureißen. Der Schatten kreiste noch ein zweites Mal über ihrem Kopf, und dieses Mal erkannte Freya ihn. Der Falcon. Sie waren hier.
Das Blut gefror in ihren Adern, doch sie zwang sich weiter zu laufen. Sie durfte jetzt nicht darüber nachdenken. Nicht, solange Finn nicht sicher war.
«Ihren Ausweis bitte, Miss.» Der Polizist an der Tür riss sie aus ihren Gedanken und Freya musste wohl oder übel Finn einen kurzen Moment ablegen. Sie stellte ihn vorsichtig wieder auf seine Füße und suchte dann in ihrer Tasche nach Finns und ihrem Pass. Ihre Hände fühlten sich eisig kalt an, als sie ihm die Dokumente mit zitternden Händen überreichte.
Er warf einen Blick hinein und hakte dann etwas auf einer Liste ab. «Sehr gut, Miss Morin. Gehen Sie bitte rein und wärmen Sie sich auf. Sie sind nun sicher.»
«Danke.» Freya griff nach Finns Hand, doch der Griff ging in die Leere.
Panik erstickte den Schrei in ihrer Kehle. Sie drehte sich um. Seine gelbe Regenjacke war nirgends zu sehen.
«Finn!», schrie sie mit aller Kraft, doch er gab keine Antwort. Sie griff nach der Hand des Polizisten. «Mein Sohn, er war gerade noch hier. Haben sie ihn gesehen?»
Er schüttelte den Kopf und griff nach seinem Funkgerät. «Gehen Sie bitte rein Miss, wir werden ihn finden.»
Doch Freya konnte nicht. Dieser kleine Rotschopf mit den eisblauen Augen war ihr ein und alles. Sie konnte sein Schicksal nicht einfach der Polizei überlassen, die so oder so schon komplett überfordert war. Deshalb drückte sie ihrer Mutter ohne weitere Umschweife schnell die Tasche in die Hand, zog ihre Kapuze tiefer und rannte los.
«Finn! FINN!» Immer wieder schrie sie verzweifelt seinen Namen. Wie hatte sie ihren Blick nur von ihm nehmen können? Das war alles ihr Fehler. «Finn, bitte!»
Ein Schluchzer erstickte ihren nächsten Ausruf im Hals. Nein, das durfte jetzt gerade nicht wahr sein. Sie konnte Finn nicht verlieren. Ohne ihn war sie nichts mehr.
«Miss!» Eine vertraute Stimme drang an ihr Ohr und sie wurde plötzlich von einer Hand herumgerissen, die sich ihre Schulter griff. Eisblaue Augen, doch nicht die, nach denen sie suchte. Und trotzdem war ihr Kopf für einen Moment wie leergewischt.
So oft hatte sie sich vorgestellt ihn wieder zu sehen. Doch nun hätte sie alles dafür gegeben, ihn durch Finn zu ersetzen. Vor allem weil seine Augen hart waren. Er erkannte sie nicht. Natürlich nicht.
«Dieses Areal wurde evakuiert, sie sollten in der Schutzunterkunft sein.»
«I-ich kann nicht», stammelte sie. «Mein Sohn, er ist weggelaufen. Er muss hier irgendwo sein.» Ihre Kehle schnürte sich zu. Bitte hilf mir. Finde ihn. Finde deinen Sohn.
«Steve!»
Freyas Kopf wirbelte herum und sie versuchte in der Richtung, in die er gerufen hatte, etwas zu erkennen. Es dauerte einen Moment, dann löste sich eine blaue Uniform mit roten und weißen Akzenten aus der Dunkelheit. Die Blitze über ihnen spiegelten sich in seinem Schild wider. Und sein Gesichtsausdruck war mindestens genauso geschockt wie ihrer sein musste.
«Diese Frau vermisst ihr Kind. Bring sie zur Unterkunft zurück, ich werde ihn suchen.» James schob sie vorsichtig in Steves Richtung. Freya stolperte nach vorne und direkt in die Arme des Captains. Sobald sie ihr Gleichgewicht wieder hatte, stieß sie sich von ihm ab und drehte sich zurück zu James. Er war bereits losgerannt, doch sie hoffte dennoch, dass er sie hören würde.
«Er heißt Finn!»
Erneut schloss sich eine Hand um ihre Schulter. Dieses Mal schob Freya sie aber sofort weg. «Fass mich nicht an.»
Steve seufzte. «Du musst zurück zur Unterkunft Freya. Tot kannst du Finn auch nicht helfen.»
«Weil er dann ein Waisenkind wäre, weil du ihm den Vater weggenommen hast.» Sie drehte sich von ihm Weg und lief zurück in die Richtung der blauen Lichter. Steve war klug genug ihr nicht zu folgen.
***
Bucky eilte durch die Straßen. Er hatte in den letzten Tagen viele Menschen gerettet. Doch irgendwie schien das alles irrelevant zu sein, wenn er diesen kleinen Jungen nicht finden konnte. Er konnte es sich selbst nicht ganz erklären. Wahrscheinlich war es die Verzweiflung in der Stimme der Mutter, die ihn antrieb. Das wilde Blitzlicht hatte sich etwas beruhigt und auch der Donner jagte nicht mehr gleich regelmäßig über die verlassenen Straßen, doch das zählte alles nichts, wenn er ihn nicht finden würde, bevor der Deich durchbrach und das Wasser hier ankam.
Er war gerade in die nächste Seitenstraße eingebogen, als er im Gegenwind ein leises Rufen vernahm. «Papa!»
Der Junge, nachdem er suchte, war mit seiner Mutter unterwegs gewesen. Das hieß aber noch nicht, dass er falsch war. Was hatte sie ihm nochmals nachgerufen? Er heißt Finn.
Bucky stemmte sich über das Auto, dass ihm den Weg versperrte. «Finn!»
Er horchte in die Dunkelheit hinein, doch es kam kein erneutes Rufen. Hatte er sich das vorhin gerade eingebildet? Doch dann erhellte ein Blitz die Nacht und er erblickte einen gelben Regenmantel. Der kleine Junge hatte ein weißes Plüschtier—eine Art Bär?—an der Hand und kam langsam in seine Richtung.
Bucky stieß sich von dem Auto ab, segelte durch die Luft und kam ein paar Meter von dem Jungen auf, um ihn nicht zu stark zu erschrecken. Unter der Kapuze seines Regenmantels lugten rote Locken hervor, genau wie bei der Frau von vorhin.
«Finn», fragte er vorsichtig.
Der Junge sah sofort auf und kam auf ihn zu gerannt. «Bist du mein Papa?»
Jemanden wie dich zu haben ist etwas, was mir wohl ewig vergönnt bleiben wird. «Nein, ich bin hier, um dich zurück zu deiner Familie zu bringen.»
Er streckte seine Hand nach dem Jungen aus, doch er wich zurück.
«Nein! Ich muss erst Papa finden.»
Die Frau hatte nichts von einem Mann erwähnt. «Wo ist dein Papa denn?»
«Irgendwo hier. Mama sagt, der Sturm hat ihn mitgenommen. Und jetzt bringt er ihn zurück, ich weiß das.»
Bucky spürte einen Stich, als er dem Jungen in die großen blauen Augen sah, die voller Hoffnung waren. Sie erinnerten ihn an sich selbst. Als er zu Hause darauf gewartet hatte, dass sein Vater nach Hause kam. Die Lasagne im Ofen hatte das ganze Haus bereits mit ihrem Duft erfüllt. Er war hungrig, ungeduldig. Doch als es dann an der Tür klingelte, stand nicht sein Vater davor. Sondern ein unbekannter Mann in Uniform. Er schob die Erinnerung zur Seite.
«Schau Finn, all die Leute hier wurden weggebracht. Wenn dein Vater hier ist, dann ist er jetzt in der Schutzunterkunft, da wo deine Mutter auch ist. Darf ich dich dahin zurückbringen?»
«Okay.»
Er hob den Jungen hoch und setzte sich in Bewegung.
«Denkst du wirklich, mein Papa ist da?», fragte Finn nach einer Weile.
«Ich weiß, dass mindestens ein Mensch da ist, der dich schrecklich vermisst hat. Das ist alles was zählt.»
«Du hast ihn gefunden?» Steve stieß wenige hundert Meter vor der Schutzunterkunft zu ihnen.
Bucky nickte. «Finn, das ist mein Freund Steve. Er hat sich um deine Mutter gekümmert.»
«Hi», er winkte und verlor dabei sein Plüschtier. Bucky fing es mit seiner Rechten auf. Es war komplett durchnässt, doch das änderte offenbar nichts daran, dass es ihm viel bedeutete. Denn kaum hatte er es Finn wieder gegeben, drückte dieser es auch schon wieder fest gegen seine Brust.
«Wo ist die Mutter?»
«Drinnen. Du kannst ihn mir geben, ich bring ihn rein.»
«Nein, passt schon. Du bist nur eifersüchtig, will ich einen Moment aus diesem verd—», er stoppte sich im letzten Moment. «—unschönen Regen komme.» Bucky nickte dem Polizisten einmal zu und stieß dann die Tür zur Unterkunft auf.
Er musste die Mutter nicht lange suchen. Sie lief im Foyer Kreise, während eine ältere Frau mit grauen Haaren auf sie einredete.
«Mama!» Finn begann zu zappeln und Bucky stellte ihn auf den Boden. Er begann sofort auf seine Mutter zu zu rennen, die ihm entgegen kam und ihn in ihre Arme schloss. Bucky lächelte leicht. Dieses Mal musste ihm niemand sagen, dass er etwas 'richtig' oder 'gut' gemacht hatte. Der Gesichtsausdruck auf ihrem Gesicht war genug. Und komischerweise, kam sie ihm irgendwie bekannt vor, nun da er sie so in dem Licht der Leuchtstoffröhren sah.
«Danke.»
Bucky blinzelte zweimal. Er hatte sich so darauf konzentriert ihr Gesicht zuzuordnen, dass er nicht registriert hatte, wie sie näherkam. Im Hintergrund lag Finn in den Armen der Grauhaarigen, vermutlich seine Großmutter.
«Gerne geschehen», erwiderte er sofort. Sie stand nun direkt vor ihm und es war, als ob ihr Name ihm auf der Zungenspitze liegen würde. Doch er konnte sich einfach nicht erinnern. «Das mag etwas komisch sein, aber sind wir uns schon einmal begegnet? Sie kommen mir irgendwie extrem bekannt vor.»
Sie starrte ihn einen Moment lang an, als ob er gerade gesagt hätte, dass er ein Alien wäre. Dann zog sie jedoch einen Schlüsselbund aus der Jacke und legte ihm ihren Schlüsselanhänger in die Hand.
«Kommt dir das bekannt vor?»
Verwirrt blickte er auf den Anhänger hinunter. Ein kleines, geschnitztes Nudelholz. Es war an einem Ende leicht verfärbt und wies verschiedene Kratzer auf. Wieso sollte er das— Und dann traf ihn die Erinnerung plötzlich mit aller Wucht.
«Eigentlich sollte man ja Blumen mitbringen, aber ich hatte Angst, dass sie auf dem Rückweg erfrieren würden.»
«Mir hat noch nie jemand Blumen gebracht—oder Christbaumschmuck. Ich liebe es, danke James.»
James. Sie nannte ihn James. Und er hatte sie heimlich 'Wirbelwind' getauft. «Freya?»
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