KAPITEL 10: Zusammenbruch
«Bucky, alles in Ordnung? Was ist passiert?»
Er blinzelte zweimal. Steve stand mit besorgtem Blick über ihm.
«I-ich glaube ich habe einen elektrischen Schlag abbekommen.»
«Von deinem Arm?»
Er nickte langsam und rollte vorsichtig seine Schulter. Hatte er sich das nur eingebildet?
«Ich muss wohl einen Schwachpunkt erwischt haben, tut mir leid», entschuldigte Steve sich sofort.
«Kein Wunder, der da ist, ja schon den ganzen Nachmittag nur halb dabei», rief Sam vom Basketballkorb hinüber.
Bucky setzte sich langsam auf. «Komm her und ich zeig dir, was halb dabei mit dir anstellen kann.»
Steve hob beschwichtigend seine Hände. «Frieden. Geht's wieder?»
«Ja, lass uns weitermachen.» Er rappelte sich auf und nahm erneut Kampfstellung ein. Wieder konnte Steve einige Schläge mehr platzieren, als er eigentlich hätte können sollen. Bucky war einfach nicht ganz bei der Sache. Eigentlich hätte er am Vorabend bei Freya essen sollen. Sie hatte den Kochtopf schon in aller Frühe ins Fenster gestellt. Doch als er wie immer um sieben bei ihr klingelte, blieb die Tür geschlossen. Auch das Licht in ihrer Wohnung war die ganze Nacht ausgeblieben und als der Kochtopf bei der Dämmerung immer noch im Fenster stand, hatten bei ihm alle Alarmglocken geschrillt. Irgendetwas stimmte nicht, doch es gab nichts was er tun konnte. Obwohl sie sich mehrmals wöchentlich sahen, besaß er weder Freyas Handynummer noch wusste er die Adresse ihres Arbeitsortes.
Er hatte sich nur ungern um zehn Uhr auf zur Avengers Residenz gemacht. Doch Steve erwartete ihn für eine Trainingssession und wenn er diese verpasste, würde er Furys Verdacht darüber, dass er der Maulwurf war, nur noch erhärten. Es war schon auffällig, seit er und Sam Anfang Jahr auf die Ersatzbank kommandiert worden waren, hatte es keinerlei Zwischenfälle mehr gegeben. Und dennoch waren die Ermittlungen noch keinen Schritt vorangekommen.
«Buck, was ist los? Du bist heute überhaupt nicht bei der Sache.» Steves Worte rissen ihn aus seinen Gedanken. Er hatte gar nicht bemerkt, dass der Blonde aufgehört hatte, gegen seine Hände zu boxen.
«Nichts. Nur was wegen der Wohnung», log er.
«Ist damit etwas nicht mehr in Ordnung?»
«Nein, es gibt bloß ein kleines Problem mit einem der Fenster. Es soll jemand vorbeikommen, aber ich mag die Idee nicht, dass die im Haus sind, während ich nicht da bin.»
«Ach so. Na dann, wir wollten nachher noch auf den Schiesstand, aber wenn du gehen magst, ist das auch okay.»
Bucky gab sich Mühe, gelassen zu wirken. Doch jede Muskelfaser seines Körpers hatte sich bei seinen Worten angespannt. Sie brannten darauf ihn schnellstmöglich zurück in die Stadt zu tragen. «Danke. Bis morgen dann?»
«Klar, guten Lauf.»
Es war keine neue Bestzeit, dennoch war Bucky schneller zu Hause als er es mit einem Auto gewesen wäre. Doch die Wohnung gegenüber war immer noch leer. Was zur Hölle war nur los?
Nachdem sich eine weitere halbe Stunde nichts getan hatte, riss er sich vom Fenster los, um zu duschen. Die falsche Entscheidung, wie es sich später herausstellte. Denn als er frisch angezogen aus dem Schlafzimmer kam, dass ihm bloß als Kleiderschrank diente da das Bett auch nach zwei Jahren noch unerträglich weich war, brannte gegenüber endlich Licht im Wohnzimmer.
Er machte sich nicht die Mühe, seine Wohnung abzuschließen als er zu ihr hinüberstürmte. Es dauerte einen Moment, bis sie ihm die Tür öffnete. Doch als sie es tat, stach ihm sofort der Geruch von Alkohol in die Nase. Ungewohnt, denn obwohl sie zum Essen ab und zu mal etwas Wein bestellt hatte, hatte Freya auf ihn nie den Eindruck von jemandem gemacht, der über seine Limite hinaus trank. An der Art wie sie sich an der Tür festklammerte, war das aktuell, aber definitiv der Fall.
Sie sah ihn einen Augenblick still aus starren, geröteten Augen an, bevor sie direkt in seine Augen stolperte. Etwas verwirrt, sah er auf die roten Haare hinunter. Ihr Körper zitterte. Es folgte ein leises Schluchzen. Sie weinte.
Vorsichtig legte er seine Arme um sie. Eigentlich wollte er sie nur etwas hochheben, um sie zurück in die Wohnung zu tragen, doch sobald er sie anhob, schlang Freya ihre Beine um seine Hüften und klammerte sich wie ein kleines Äffchen an ihm fest. Er konnte die Nässe ihrer Tränen gegen seinen Hals fühlen.
Bucky drückte die Tür hinter ihnen ins Schloss, durchquerte den kleinen Flur und ließ sich auf dem Sofa nieder. Freya schien komplett weggetreten, sie zuckte nicht einmal zusammen als er ihr vorsichtig mit seiner linken Hand die Haare aus dem Gesicht strich und dabei mit dem kühlen Vibranium ihre Schläfe berührte.
Es dauerte eine ganze Weile, bis ihr Körper zu beben aufhörte und sie ruhig gegen seinen Oberkörper ruhte. Selbst dann wartete Bucky noch einen Moment, bevor er vorsichtig fragte: «Was ist passiert?»
Freya drückte sich etwas von ihm weg, damit sie ihn anschauen konnte. Ihre eingefallenen Schultern und die glanzlosen Augen waren schwierig anzusehen.
«Das Magazin wurde aufgekauft... Irgendein großer Publisher. Sie richten sich neu aus, keine Ahnung. Auf Ende Monat bin ich meinen Job los.» Sie rieb sich die roten Augen und seufzte. «Sie haben es gestern Vormittag angekündigt. Anne und ich haben seither nonstop alle Jobseiten durchgeschaut und Magazine kontaktiert. Erfolgslos. Kolumnen und Blogs sind out, Foodstagram ist der neuste Schrei.»
Er hatte keine Ahnung, was sie damit meinte. Aber gerade war nicht der richtige Moment, um nachzufragen.
«Vielleicht ist es besser so», versuchte er sie aufzumuntern. «Du hast mir in den letzten Wochen bestimmt zehn Mal gesagt, dass du dich viel lieber auf dein Buch konzentrieren würdest.»
«Das geht nicht... Ich hab' meine ganzen Ersparnisse aufgebraucht, um hierher zu ziehen. Wenn ich nicht bald etwas finde, werde ich mir schon die Aprilmiete nicht mehr leisten können.» Sie ließ sich nach vorne Fallen und lehnte ihren Kopf etwas zu schwungvoll gegen seine linke Schulter. «Die ist ganz schön hart, weißt du.»
Bucky lächelte. Ihr Schmollmund war einfach zu süß.
«Lach nicht, das ist nicht lustig. Ich will hier nicht weg, ich habe mich doch gerade erst an all das hier gewöhnt. Ich habe Freunde hier, du bist hier.» Sie tippte ihm mit einem Finger vor die Brust und er nahm ihre Hand vorsichtig in Seine.
«Du bist ziemlich betrunken, Freya. Du solltest eine Runde schlafen, morgen sieht die Welt bestimmt wieder ganz anders aus.»
«Nein, ich will nicht schlafen!», protestierte sie, doch ihre Augen, die immer wieder zufielen, sprachen eine andere Sprache. So hob er sie kommentarlos hoch und brachte sie ins Schlafzimmer. Sie war eingeschlafen, bevor er sie zugedeckt hatte.
Im Schlaf sah sie schon beinahe wieder friedlich aus. Doch er wusste, dass dieses Thema sie wahrscheinlich noch länger begleiten würde. Und wenn sie nichts Neues fand— er mochte gar nicht daran denken. Die letzten Monate waren trotz all dem Drama mit S.H.I.E.L.D. gut gewesen. Und sie war der treibende Grund dafür. Es gab sogar Nächte, in denen seine Albträume ganz ausblieben. Er konnte nicht wieder dahin zurück, wo er noch im November gewesen wäre.
***
Als Freya am nächsten Morgen erwachte, dröhnte ihr Schädel wie schon seit ihrer College Zeit nicht mehr. Auf dem Heimweg von Anne in der Bar anzuhalten, war eine schreckliche Idee gewesen.
Erst nach einem starken Kaffee, einem Aspirin und einer heißen Dusche fühlte sie sich wieder halbwegs lebendig. Lebendig genug, um den Menschen anzurufen, der bisher immer den richtigen Rat bereit gehabt hatte.
Ihre Mutter enttäuschte sie auch dieses Mal nicht. Auch wenn sie aus New Orleans nicht wirklich viel tun konnte, schaffte sie es, Freya wieder etwas aufzumuntern.
«Gib nicht so schnell auf, mein Schatz. Ich bin sicher, dass du etwas finden wirst. Und wenn alle Stricke reißen, bist du zu Hause immer willkommen. Ich hätte nichts dagegen, dich wieder etwas öfters in meiner Nähe zu haben.»
Es war lieb gemeint von ihr. Aber wenn sie ehrlich war, wollte sie nicht zurück. So sehr sie ihre Heimatstadt liebte, New York war ihr Neuanfang gewesen. Weit weg, von den Erinnerungen an die schweren Monate mit ihrem Ex, voller neuer Chancen, Menschen und Abenteuer. Und es gab noch so viel, was sie noch nicht gesehen hatte.
Doch je länger sie durch die Stellenanzeigen surfte, desto mehr schwand dieser neu gewonnene Kampfgeist. Es gab einfach nichts, für das sie qualifiziert war und das ihr halbwegs Spaß machen würde. Annes E-Mail, dass sie von ihrer Freundin, die Redakteurin bei einer der größten Zeitungen der Stadt war, zurück gehört hatte und leider auch diese nicht weiterhelfen konnte, zerriss den Faden der Hoffnung, den ihre Mutter so mühsam gewoben hatte. Und so begann Freya schweren Herzens das Kündigungsschreiben für ihre Wohnung zu schreiben. Es war Zeit ihre Verluste einzudämmen.
Sie hatte den Text erst halb fertig, als es an der Tür klingelte. «Ist offen», rief sie durch die Wohnung. Es konnten ja sowieso nur James sein. Als der Dunkelhaarige dann jedoch im Flur auftauchte, bereute sie plötzlich ihn hineingelassen zu haben. Er hatte gestern die volle Ladung betrunkener, verweinter Freya abbekommen. Und das war ihr schlagartig unglaublich unangenehm.
«Bevor du etwas sagst», versuchte sie ihm zuvorzukommen, «Es tut mir schrecklich leid, dass du das gestern Abend mitmachen musstest.»
«Alles gut.» Er winkte ab und kam zu ihr hinüber. Seine Hände platzierten sich auf der Rücklehne des Sofas, auf dem sie es sich bequem gemacht hatte. «Stellenausschreibungen?»
Sie schüttelte den Kopf und drückte den Bildschirm ihres Laptops etwas zurück, sodass er die Überschrift lesen konnte. «Kündigungsschreiben.»
«Du kündest deine Wohnung?» Sein Arm machte ein mechanisches Geräusch, als sich seine Hand tiefer im Polster des Sofas vergrub.
«Hey, vorsichtig. Das ist nicht meins», warnte sie ihn und er ließ sofort wieder locker.
«Tut mir leid.» Er umrundete die Couch und setzte sich auf die Armlehne neben ihr. «Wieso? Hast du schon aufgegeben?»
Freya seufzte. «Wenn ich nicht einen kompletten Karrierewechsel vornehmen möchte, der mich sowieso nur unglücklich machen würde, gibt's hier nichts für mich. Irgendwann muss man einfach damit Anfangen seine Verluste zu minimieren. Die Wohnung kostet ein halbes Vermögen und bringt mir nichts, wenn meine Arbeit nicht länger hier ist. Und sind wir ehrlich, New Orleans ist auch nicht so übel.»
«Dann gehst du nach Hause zurück?» Freya glaubte, in seiner Stimmung Enttäuschung mitschwingen zu hören.
«Nur ungern, glaub mir. Ich liebe meine Mutter, aber ich hatte mir nie vorgestellt mit 29 nochmals zurück nach Hause zu ziehen. Aber nun bleibt mir ja nicht viel anderes übrig.»
«Eine Alternative gäbe es», murmelte er und zögerte, bevor er fortfuhr. «Zieh bei mir ein. Schreib dein Buch.»
Freyas Mund klappte auf. Und sie brauchte einen Moment, bis sie ihre Gedanken wieder geordnet hatte. «Wenn das jetzt ein Scherz sein soll, finde ich ihn überhaupt nicht lustig.»
Doch seine Miene war ernst. «Kein Scherz. Die Wohnung wird von S.H.I.E.L.D. bezahlt, ich bin eh kaum da und das Bett halte ich sowieso nicht aus.»
In ihrem Kopf drehte sich gerade alles. «Das Bett, hä? Wo würdest du denn schlafen.»
«Im Wohnzimmer auf dem Boden. Mache ich sowieso schon.»
Freya sah ihn bestürzt an. Es war verrückt. Doch es erklärte, wieso sein Bett bisher nie bezogen war, wenn sie auf dem Weg zur Toilette einen Blick darauf erhaschte.
«Du bist wahnsinnig», brachte sie schließlich raus.
Seine Mundwinkel zuckten. «Sag mir etwas was ich noch nicht weiß.»
«Ich bin genauso wahnsinnig.»
***
«Das ist die Letzte», sagte Freya und deutete auf die einzelne Kartonkiste, die Bucky soeben vom Esstisch genommen hatte. «Weißt du, du hättest mich ruhig auch etwas tragen lassen können.»
«Was ist der Sinn darin, unnatürlich stark zu sein, wenn man trotzdem die Dame alles tragen?»
Sie lachte. «Du bist so herrlich altmodisch.»
«Hey, noch bin ich kein Fossil.»
«Würde ich nie behaupten. Ab 150 können wir vielleicht darüber zu reden beginnen.»
«Lieber nicht.» Er deutete mit dem Kopf zur Tür. «Sollen wir?»
Freya sah sich noch einmal im Wohnzimmer um. Dann nickte sie. «Ja.»
Bucky war immer wieder überrascht, wie viel Kraft in einem solchen kleinen Körper steckte. Obwohl er das—ihrer eigenen Aussage nach—'schwere Schleppen' übernommen hatte, war sie es, die die Kisten innert kürzester Zeit ein- und dann auch wieder ausgepackt hatte. Als sie um kurz nach Zehn mit einem «gute Nacht» im Schlafzimmer verschwand, war bloß die Kiste mit ihren Arbeitssachen und der Schreibmaschine noch nicht ausgepackt.
Bucky stellte die Kiste auf den Schreibtisch, bevor er den Fernseher anschaltete und sich mit dem Rücken zur Couch auf den Boden setzte. Er drehte den Ton beinahe komplett nach unten, damit er sie nicht stören würde. Dennoch hörte er nach einer Weile das Quietschen der Türangel und das Schlurfen von nackten Füssen auf dem Holzboden. Dann tauchte ihr roter Schopf hinter der Sofalehne auf. Er lehnte seinen Kopf auf das Polster und sah zu ihr hoch. «Kannst du nicht schlafen?»
«Ich kann nicht im Bett liegen, wissend, dass du hier draußen auf dem Fußboden schläfst.» Sie stemmte sich über die Lehne und ließ sich auf die Couch gleiten.
«Du brauchst kein schlechtes Gewissen zu haben. Ich habe dir doch schon gesagt, ich kann darin eh nicht schlafen.»
«Wieso nicht?»
Bucky strich sich mit der Hand übers Gesicht und rückte etwas von dem Sofa weg, damit er sie ansehen konnte. «Es ist zu weich. Es fühlt sich an wie ein... fluffiges Marshmallow.»
«Du kennst Marshmallows?»
«Steve hat ein Buch, eine Liste mit Dingen, die man in dieser modernen Welt kennen musste. Marshmallows waren Nummer fünf.»
«Was, wenn die Matratze auf den Boden läge?»
Bucky zuckte mit den Schultern.
«Würdest du es versuchen?
«Dann hättest du keinen Ort mehr zu schlafen.»
«Ach, für eine Nacht ginge das schon. Die Matratze ist ja breit genug für uns Beide. Und wenn alles gut geht, können wir morgen eine Zweite kaufen.»
Er verdrehte seine Augen. «Das ist wirklich nicht nötig, ich komme hier wunderbar klar.»
«Willst du, dass ich schlafe?»
«Natürlich.»
«Dann versuch es. Mir zuliebe.»
Bucky seufzte. «Du bist eine harte Verhandlungspartnerin.»
«Mir wurde schon gesagt, dass ich einen harten Schädel habe.»
«Wäre mir noch nie aufgefallen», zwinkerte er, zögerte aber trotzdem. Er kannte seine Albträume. Was, wenn er sie verletzte?
«Keine Sorge, ich werde dich schon nicht im Schlaf umbringen.»
Bucky zog eine Augenbraue hoch. «Sollte das nicht eher ich zu dir sagen?»
«Wie wär's damit: Keiner von uns wird den anderen heute Nacht ermorden. Deal?»
«Bleibt mir etwas anderes übrig?»
Freya lachte. «Nein.»
«Na dann...» Er rappelte sich auf, um die Matratze aus dem Schlafzimmer zu holen. Freya folgte dicht auf seinen Fersen. «Ich bekomme die linke Seite. Will mich schließlich nicht mitten in der Nacht umdrehen und ein kaltes Stück Metall kuscheln.»
«Kuscheln?»
Sie boxte ihm ihren Ellbogen in die Seite. «Du weißt was ich meine.»
***
Freya war nach der ganzen Matratze-ins-Wohnzimmer-bringen Aktion relativ schnell eingeschlafen. Dennoch erwarte sie kurz darauf, weil sich die Matratze unter ihr ruckartig bewegte. Sie schlug ihre Augen auf und erblickte James Rücken. Er hatte sich offenbar aufgesetzt. Sein Kopf war eingezogen, sie konnte die braunen Strähnen nur knapp erkennen.
«James?», fragte sie vorsichtig und legte eine Hand auf seinen Rücken. Sein T-Shirt war feucht und sein Oberkörper bebte. Für einen Moment fühlte sie sich ein Jahr zurückkatapultiert. Damals war sie beinahe täglich mehrmals in der Nacht erwacht, weil ihr Ex im Schlaf geschrien oder wild um sich geschlagen hatte. «Hattest du einen Albtraum?»
«Das war eine schlechte Idee, ich halte dich wach», erwiderte er nach einem endlos langen Moment der Stille.
«Alles gut, es ist schließlich meine Idee. Magst du mir von deinem Traum erzählen?»
Er reagierte nicht.
«Ist es immer derselbe Traum?», hakte sie deshalb vorsichtig weiter nach.
Nun schüttelte er den Kopf. «Es— Es sind keine Träume. Erinnerungen. Immer etwas anderes, doch das Ergebnis ist dasselbe. Am Ende sind alle tot und es klebt eine Menge Blut an meinen Händen.»
Sie rutschte vorsichtig auf der Matratze etwas nach vorne, bis sie neben ihm saß. «Bist du dir sicher, dass es nicht einfach dein Kopf ist, der dir einen Streich spielt?»
Seine Hände ballten sich zu Fäusten. «Ich mag damals keine Kontrolle gehabt haben, aber ich erinnere mich trotzdem an alles. Es sind keine Traumvorstellungen.»
Freya verstummte. Sie wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Klar, sie hatte etwas Erfahrung mit Traumapatienten, aber sie war keine Psychologin.
«Tut mir leid, dass ich dich da mit rein ziehe. Ich weiß, dass du das nicht wolltest», murmelte er und riss sie damit aus ihren Gedanken.
«Du brauchst dich dafür nicht zu entschuldigen. Ich wusste, worauf ich mich einlasse, als ich dein Angebot angenommen habe. Außerdem ist das hier nicht dasselbe. Du bekommst Hilfe. Er hat sich immer dagegen gesträubt...»
James sah zu ihr. «Wie hieß er?»
«Naim.»
«Was ist aus ihm geworden?»
«Er— Er hat sich das Leben genommen, zwei Monate nachdem ich ausgezogen bin», gestand sie und schluckte einmal schwer. «Anfangs habe ich mir die Schuld dafür gegeben. Wenn ich noch ein paar Monate länger ausgehalten hätte, dann wäre er vielleicht noch— Es hat eine Weile gedauert, bis ich wahrhaben konnte, dass ich nichts hätte tun können. New York sollte eine Art Neuanfang werden.» Sie sah zu ihm hinüber. «Hast du einmal darüber nachgedacht? Dir das Leben zu nehmen?»
Er schüttelte den Kopf. «Aber es gab Momente, in denen ich mich gefragt habe, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn Steve sich nicht eingemischt hätte. Stark nicht gestoppt oder mich nicht aus dem Fluss gezogen hätte.»
«Und?»
«Am Ende des Tages werde ich es nie wirklich wissen. Aber er hat sich dafür entschieden. Steve glaubt, dass ich es Wert bin gerettet zu werden. Und ich schulde es ihm, es mindestens zu versuchen.»
Freya lächelte leicht und legte eine Hand auf seine immer noch geballte rechte Hand. «Falls es etwas zählt, ich bin froh, dass es so gekommen ist. Die letzten Monate wären nicht dasselbe gewesen ohne dich.»
«Das kann ich nur zurückgeben.» Seine Hand entspannte sich und Freya glaubte, im Dunkeln ein kleines Lächeln zu entdecken.
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