Kapitel 2: Geburtstag
Sie war auf dem Sofa eingeschlafen. Das bemerkte Freya schmerzlich, als sie am nächsten Morgen mit einem verspannten Nacken und Rücken erwachte. Noch etwas müde stellte sie den Fernseher aus. Vor dem Fenster fielen immer noch feine Schneeflocken. Der Schnee war dieses Jahr früh gekommen. "Alles Gute zum Geburtstag!", wünschte sie sich selbst und erhob sich von der Couch. Erst einmal musste sie sich in alle Richtungen strecken um einigermassen wach zu werden. Dann griff sie nach ihrem Handy. Sie hatte bereits etliche Nachrichten erhalten und zwei verpasste Anrufe auf der Mailbox. Einmal von ihrer Mutter, einmal von ihrem Vater. Zu schade, dass die Zwei kaum noch miteinander sprachen. Sie wählte zuerst die Nummer ihrer Mutter während sie in die Küche ging und sich Rührei zu braten begann. Als sie sich schliesslich mit dem Essen auf die Fensterbank setzte, hatte sie beide ihre Eltern zurückgerufen und sicher 50-Mal versichert, dass es ihr hier in New York bisher gefalle und alles in Ordnung sei. Während sie mit der rechten Hand ihr Frühstück ass, stöberte sie mit der Linken im Geburtstagsgeschenk ihrer Mutter. Sie hatte Freya einen neuen Krimi-Roman ihres Lieblingsautors zugesteckt, bevor diese in ihren Wagen gestiegen und nach New York gefahren war. Es dauerte nicht lange, da wurde der Teller zur Seite gestellt und die Rothaarige versank komplett in den Zeilen des Mordfalls.
So war es schon kurz vor 12 Uhr als ihr knurrender Bauch sie wieder aus dem Fall riss. In diesem Moment erinnerte Freya sich daran, dass sie sich ja eigentlich noch hatte einen Kuchen backen wollen. Seit sie sich erinnern konnte, hatte sie an jedem ihrer bisher 28 Geburtstage einen Karrottenkuchen gegessen und mindestens eine Kerze darauf ausgeblasen. Und diese Tradition würde sie in diesem, dem 29. Jahr sicher nicht brechen. Deshalb hatte sie auch am Vortag schon alle notwendigen Zutaten eingekauft. Während die Rothaarige den Teig anrührte, ass sie nebenbei einen Salat und beantwortete einige der Nachrichten, die sie erhalten hatte. Als sie dann den Teller in die Spüle stellte und den Ofen öffnete, fiel ihr plötzlich auf, dass in diesem gar keine Kuchenform vorhanden war. Bloss ein Gitter war in dem schwarzen Loch zu finden. Das war Freya jetzt doch noch nie passiert. Alle ihre drei vorherigen Wohnungen hatten mindestens ein Blech und eine Kuchenform enthalten. Nur diese nicht! Verflixt noch eins, damit hatte sie jetzt wirklich nicht gerechnet. Aber so schnell gab die Rothaarige ihre Tradition nicht auf. Dann würde sie halt den ganzen Wohnblock abklappern, irgendjemand würde ihr bestimmt eine Kuchenform ausleihen.
Freya zog sich also schnell um, bürstete ihre Haare und legte leichtes Makeup auf. Dann verliess sie ihr Apartment und sah sich um. Das Wohnhaus in dem ihre neue Wohnung lag, hatte einen rechteckigen Grundriss mit einem Innenhof in der Mitte. Auf jedem der drei Stöcke fanden sich 4 Wohnungen, eine an jeder Seite. Blieben ihr also 12 Möglichkeiten um eine Backform zu finden... Oder das dachte sie auf jeden Fall. Die Rothaarige klingelte zuerst an der Tür, die direkt links von ihr lag. Jedoch hatte sie dort kein Glück. Ihr öffnete eine junge Frau, die ihr erklärte, dass dies die Wohnung ihrer kürzlich verstorbenen Mutter war und sie leider schon alle Besitztümer weggebracht hätten. Freya drückte ihr Beileid aus und ging weiter zu der Wohnung direkt neben ihr. Diese war gestern, soweit sie sich erinnern konnte, den ganzen Tag dunkel gewesen. Das sah sie von ihrem Wohnzimmerfenster aus sehr gut. Aber unter der Tür hing trotdem ein Namensschild. Aber wer auch immer hier residierte, er oder sie war nicht zu Hause. So ging Freyas Pechsträhne weiter. Die vierte Wohnung auf ihrem Stock war genauso leer wie die vier Wohnungen im 2. Stock, da dort gerade Renovationsarbeiten stattfanden. Und auch im Erdgeschoss hatte sie nicht viel mehr Glück. Die Wohnung zwei Stockwerke unter ihr bewohnte eine Frau, die kein Wort English Sprach und sie trotz aller Bemühungen nicht verstand. Daneben wohnte ein Junggeselle, der wahrscheinlich in seinem Leben noch nie gebacken hatte. Und auch die Frau mit Hund besass leider keine Form. Bei der letzten Wohnung brauchte sie es erst gar nicht zu versuchen, dort hatte sie gestern schon beim Einzug ein "Zu Vermieten"-Schild an der Tür gesehen. Ziemlich enttäuscht und auch etwas entmutigt trottete Freya die Treppen zu ihrer Wohnung hinauf und trat ins Wohnzimmer. Jedoch verbesserte sich ihre Laune, als sie in der Wohnung gegenüber eine Person sah. Anscheinend war der Bewohner zurückgekehrt. Blieb ihr also noch eine letzte Möglichkeit um ihre Tradition am Leben zu erhalten. Auch wenn der Kuchen nach so langer Ruhezeit bestimmt nicht mehr gleich fluffig werden würde, so einfsch gab sie nicht auf. Und so klingelte sie wenig später an der Klingel mit dem Namen "J. Roberts".
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Bucky schlief nicht gut. Es gab Tage an denen er dankbar dafür gewesen wäre, wieder zurück ins Eis gesteckt zu werden. In diesem künstlichen "Schlaf" hatte er wenigstens keine Albträume. So war er die ganze Nacht wach und beschloss schliesslich um kurz nach sieben Uhr, dass im Bett zu bleiben keinen Sinn mehr hatte. Die nächsten zwei Stunden verbrachte er damit in den drei Zimmern seiner Wohnung herum zu tiegern. Er wusste nicht wirklich was er mit sich anstellen sollte. Allgemein hatte er Mühe mit diesen Tagen, an denen er nichts zu tun hatte. Kein Training, keine Mission, er musste sich nicht einmal irgendwelchen Missionsrapporten oder Vorträgen widmen. Freizeit, Zeit für Hobbys... Das würde ihm gut tun, hatte Steve mal gesagt. Doch was tat man nur an solchen Tagen. Der Dunkelhaarige hatte seit seiner Rückkehr aus Wakanda wieder mit dem Lesen begonnen. Früher, vor allem im Krieg, hatte er sich oft in Bücher vertieft und war der Realität entflohen. Und diese Leidenschaft war mehr oder weniger wieder aufgeflammt. Dumm nur, dass er inzwischen all die Bücher in seinem Bücherregal kannte. Er müsste sich neuen Lesestoff besorgen. Fernsehen mochte er nicht, irgendwie machten ihn die ganzen Berichte über die Avengers und die neue Initiative nervös. Nach einem schwarzen Kaffee um 8 Uhr beschloss er dann, dass er es hier drin nicht länger aushalten würde und eine Runde Joggen wohl das beste wäre. So zog er sich schwarze Jogginghosen und einen ebenso dunklen Pulli an, setzte sich eine Baseballmütze auf und zog sich die Kapuze darüber. Dann steckte er Schlüssel und Portemonnaie ein und verliess das Apartment.
Als Bucky aus dem Wohnhaus trat, stiess ihm sofort die kalte Luft entgegen. Die Gehsteige waren mit einer dünnen Schicht aus Neuschnee bedeckt und es war so kalt, dass ihm der Atem vor dem Gesicht erfror. Das hielt ihn jedoch nicht auf. Schliesslich hatte der Soldat in Sibirien ganz andere Temperaturen erlebt. Ohne ein direktes Zielt drehte er seine bisher gewohnten Runden und landete schliesslich kurz vor elf Uhr im Central Park. Hier war es sehr still. Nur einige Menschen mit ihren Hunden hatten sich an diesem Sonntag Morgen hierher gewagt. Der Dunkelhaarige nutzte die Ruhe um seinen Gedanken freien Lauf zu lassen und liess sich auf einer Bank wieder. Erst beinahe eine Stunde später, als sich die Kälte bis in die letzten Winkel seines Körpers gefressen hatte und kleine Eiskristalle von seinen Haaren hingen, bewegte sich der Soldat wieder und erhob sich. Es war Zeit zurück zu gehen. Bucky setzte sich in Bewegung und machte noch einen Abstecher zu einem Büchergeschäft. Ziemlich wahllos wählte er ein Buch, welches an der Kasse als neuer Bestseller angepriesen wurde. Er wollte nicht zu viel Zeit in diesem Laden verbringen. Obwohl er es schätzte, dass die Läden hier auch Sonntag geöffnet waren, waren sie dann oft sehr leer und Angestellte kamen auf die Idee sich für die Kunden zu interessieren. Etwas was James gar nicht passte. Nach einem weiteren Abstecher in den Supermarkt, in dem er sich nur das Nötigste und einige Fertiggerichte besorgte, da er nicht wirklich gerne kochte, kehrte er dann in seine Wohnung zurück. Obwohl er es überhaupt nicht eilig hatte. Die Kälte gefiel ihm. Sie machte es möglich, dass man sich irgendwann nicht mehr so richtig spürte. Und dieses Gefühl der Benommenheit war dem Dunkelhaarigen zu diesem Zeitpunkt sehr willkommen.
Als Bucky in das Apartment zurückkehrte und die Esswaren versorgt hatte, stellte er sich erst einmal unter die Dusche. Dann wählte er Jeans und ein schwarzes T-Shirt und wollte es sich gerade mit dem neuen Buch auf dem Sofa gemütlich machen, als es an der Tür klingelte. Obwohl er nicht wusste, wer das wohl sein könnte erhob er sich und ging zur Tür hinüber. Ein Blick durch den Türspion verriert ihm, dass eine junge Frau davor stand. Der Dunkelhaarige verspürte überhaupt keine Lust zu öffnen, doch als die Rothaarige schon zum zweiten Mal klingelte wurde ihm bewusst, dass die nicht so schnell weggehen würde. Also zog er sich seine Jacke sowie ein paar Handschuhe an, damit sein Arm ihn nicht gleich als den Winter Soldier verraten würde. Dann drückte er die Klinke hinunter und begrüsste den Störefried mit einem etwas verwirrten: "Hallo?". Die junge Frau war bestimmt einen Kopf kleiner als der durchtrainierte Bucky, aber sie strahlte eine Wärme und Selbstsicherheit aus, die sie wesentlich grösser erschienen liessen.
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Freya gehörte nicht zu den geduldigsten Menschen. Doch sie gab sich alle Mühe, sich in Geduld zu üben. Als nach mehreren Minuten die Tür sich immer noch nicht bewegte, sie aber genau wusste, dass jemand zu Hause war, klingelte sie noch ein zweites Mal. Es ging hier ja schliesslich um ihre Geburtstagstradition! Und ihre Beharrlichkeit trug Früchte. Nach einer weiteren Minute, die der Rothaarigen wie eine Stunde vorkam, bewegte sich die Türklinke und ein dunkelhaariger Mann kam zum Vorschein. Seine Haare fielen ihm in die durchdringenden blauen Augen. Er trug einen Drei-Tage-Bart und war ziemlich grösser als sie. Ausserdem füllte er den Türrahmen beinahe komplett aus. Irgendwie hatte Freya überhaupt nicht mit so einem Typen gerechnet. Seine Begrüssung klang so, als ob er auch nicht wirklich von ihrem Auftauchen begeistert war, weshalb die Kolumnistin beschloss, dass sie möglichst schnell zum Punkt kommen sollte: "Hi, ich bin Freya Morin, ich bin gerade in die Wohnung gegenüber eingezogen. Entschuldigen Sie bitte die Störung Mr... Roberts." Begrüsste sie ihn nach einem schnellen Blick auf das Schild an der Klingel. Dann ging sie gleich zu ihrer Bitte über: "Ich habe ein kleines Problem. Ich wollte gerade einen Kuchen backen aber habe leider vergessen eine Backform zu besorgen. Sie können mir nicht eventuell mit einer aushelfen?" Sie schenkte dem dunkelhaarigen Fremden ihr charmantestes Lächeln doch dieser schien überhaupt nicht beeindruckt. "Sie sind sozusagen meine letzte Hoffnung, die andern Wohnungen habe ich bereits alle abgeklappert", fügte Freya in der Hoffnung hinzu, endlich eine Reaktion zu erhalten. Doch ihr Gegenüber stand da wie ein Stein und ebenso still wie dieser. Nun, dann musste sie halt eben die Mitleidsnummer auspacken: "Bitte...? Sehen Sie, ich habe heute Geburtstag und ich hatte bisher an jedem meiner Geburtstage einen Kuchen. Diese Tradition möchte ich ungern heute brechen". Nun endlich bewegte sich der Schönling und zuckte mit den Schultern. "So was hab ich nicht, sorry", kommentierte er nur und schloss die Tür wieder. Enttäuscht liess die Rothaarige ihre Schultern fallen und murmelte: "Hättest zumindest mal nachschauen können." Dann kehrte sie jedoch mit wesentlich weniger Elan als noch vor zwanzig Minuten in ihre Wohnung zurück und liess sich aufs Sofa fallen. So hatte sie sich ihre Nachbarn und ihren ersten Geburtstag in New York nicht vorgestellt.
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Die Rothaarige, die offensichtlich die neue Nachbarin aus der Wohnung gegenüber sein musste, wollte doch tatsächlich eine Backform von ihm. War das etwas was man heutzutage immer noch tat, fragte sich Bucky als er sich wieder zu seinem Buch aufs Sofa fallen liess. Sie hatte noch nie einen Geburtstag ohne Kuchen gehabt, wie herzzerreissend. Er selbst hatte den grossteil seiner letzten Geburtstage in Kryostase verbracht und definitiv keine Kerzen ausgepustet. Und er hatte es überlebt. War also alles halb so schlimm. Er schlug die erste Seite auf und begann zu lesen, jedoch konnte er sich irgendwie nicht richtig konzentrieren. Als er aufsah entdeckte er in der Wohnung gegenüber wieder den Störefried. Sie sass auf dem Sofa und schien irgendwie wesentlich trauriger als vorhin vor seiner Tür. Das las er auf jeden Fall an ihrer Haltung ab. Bucky schüttelte den Kopf und sein Blick kehrte auf die Seite zurück, doch er konnte sich nicht gut konzentrieren. Plötzlich verschwamm sein Blick und vor seinem inneren Auge flimmerte eine Erinnerung, die er durch die Gehirnwäsche der HYDRA als verloren geglaubt hatte: Er erinnerte sich an einen seiner Geburtstage als er noch ein Kind war. Steve war auch da gewesen. Er hatte einen Geburtstagskuchen mit einer Kerze gehabt. Und als er sie ausbliess, wünschte er sich, dass sie für immer die besten Freunde sein würden. Und siehe da, er teilte sein Leben immer noch mit dem Blonden. James fuhr sich durch seine Haare, das Ganze war nicht spurlos an ihm vorüber gegeangen. Und irgendwie wollte er nun nicht, dass diese Frau gegenüber auch ihrem Glauben an Geburtstagstorten und -Kerzen geraubt würde. So erhob er sich und ging zum Ofen hinüber. Er öffnete ihn und sah zwei Flache Bleche, die sich jedoch nicht als Kuchenform eignen würden. Er selbst brauchte sie ab und zu mal für eine Pizza. Aber eine Backform würde wohl keine zu grosse Herausforderung für ihn sein. Er konnte mit seinen blossen Händen Autos zerlegen, da wäre eine Kuchenform zu biegen wohl ein Klacks.
So kam es, dass der dunkelhaarige Soldat etwa zehn Minuten später erneut Jacke und Handschuhe anzog und den Flur zur Tür mit dem Namen "Freya Morin" unter der Klingel durchquerte. Es dauerte nicht lange, da tauchte der rote Schopf seiner Nachbarin hinter der Tür auf. In diesem Moment realisierte Bucky, dass es wohl nicht so eine gut durchdachte Idee gewesen war. Normale Soziale Konversation war etwas, an das er sich noch nicht wirklich wieder gewöhnt hatte. Etwas nervös fuhr er sich durch die Haare und meinte dann: "Ich habe doch noch eine Form gefunden". Mit diesen Worten drückte er Freya die selbst geformte Kuchenform in die Hand, drehte sich auf dem Absatz um und floh schon beinahe zurück in sein Apartment. Das hätte besser laufen können, aber ein Blick aus dem Fenster verriet ihm, dass die Mission geglückt war. Denn in der Wohnung gegenüber drehte Freya gerade die Musik auf und machte sich tanzend und singend daran, den Kuchen fertig zu machen.
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