Lilys Traum
Ich weiß, was ich will,
Wie ein Zigeuner durch die Welt mit dir zieh'n,
Dem ganzen Irrsinn dieses Daseins entflieh'n,
Und alles das, bis uns die Sinne vergeh'n,
Wär das nicht schön?
Lilys Traum
„Lass mich nicht los", flüsterte Lily.
„Nie", versprach James.
„Danke", wollte Lily noch sagen, doch sie fühlte, wie sie von der Müdigkeit gepackt wurde und im nächsten Moment war sie eingeschlafen.
Lily stand in einer Küche, die sie nicht kannte. Neben ihr stand eine brünette Frau, die ihr freundlich zulächelte, bevor sie sich um die Sieben Töpfe und Pfannen auf dem Herd kümmerte. Lily besah sich die Gegenstände auf dem Herd genauer. Der Topf in der Mitte sah aus wie ein Kessel ohne Beine. Er war ziemlich bauchig und leicht silbriger Dampf stieg aus ihm empor. Links daneben war eine Pfanne, deren Deckel ständig seine Farbe änderte.
Als er kurz durchsichtig wurde, erhaschte Lily einen kurzen Blick auf ein stabiles Netz aus geschnittenen Mohrrüben, Tomaten und Gurkenscheiben. Wäre die Herdplatte an gewesen, dann wären sie bestimmt verbrannt, doch Lily stellte überrascht fest, dass die Platte ganz kalt war, obwohl der Schalter auf Stufe sieben stand.
Direkt über dieser Pfanne stand ein schwarzer Topf, der qualmte, doch die Frau neben Lily schien davon nicht im Geringsten beeindruckt. Sie ignorierte diesen Topf fast sondern rührte fasziniert in einem Topf rechts unterhalb des großen Topfes in der Mitte. Erst vermutete Lily Nudeln in dem Topf, doch bei genauerem Hinsehen leuchteten diese Nudeln und wechselten ständig ihre Form.
Über diesem Topf jagte eine Pfanne ihre Herdplatte. Die Herdplatte floh im Kreis um ihre wahrscheinlich angestammte Position und die Pfanne folgte ihr. Dabei schwebte der hintere Teil der Pfanne immer in der Luft, da wo sich ihr Inhalt zwangsläufig sammelte. Der war allerdings ähnlich verwirrend wie das Spiel von Pfanne und Herdplatte, denn die Maiskörner darin schienen in einen ewigen Kampf verstrickt zu sein.
Lily beobachtete eins der Maiskörner, das zwei andere Maiskörner durch die Luft schleuderte, bevor es von einem Heranfliegenden zerquetscht wurde. Nachdem sich das andere Maiskorn aber auf das Nächstbeste andere Maiskorn gestürzt hatte, fügten sich Hülle und Inhalt des anderen Maiskorns wieder zusammen und es sprang dem fliegenden Maiskorn hinterher. Dabei verließ aber keines der Maiskörner je die Pfanne.
Ganz oben stand dann ein unscheinbarer grauer Topf, in dem gleichzeitig Reis und Kartoffeln kochten. Der Reis beschränkte sich dabei auf die linke Seite des Topfes, während die Kartoffeln auf der rechten Seite schwammen, doch als Lily die Hand in die Nähe der Herdplatte hielt, stellte sie fest, dass der Reis erhitzt wurde, während die Platte unter den Kartoffeln ganz kalt war.
Der letzte Topf enthielt Pflanzen. Lily konnte zwar keine einzige identifizieren, da jede Pflanze aufgefressen wurde, kurz nachdem sie selbst eine Pflanze verspeist hatte, doch Lily schätzte den Inhalt des Topfes konstant auf etwa zwanzig Miniaturen aus Professor Sprouts Gewächshäusern. Lily trat einen Schritt zurück, wobei sie feststellte, dass die Töpfe und Pfannen zusammen ein ‚H' formten.
Dann drehte sie sich um und sah aus dem Fenster. Nur Sekunden später erschütterte ein Erdbeben die Küche. Vor dem Fenster stand ein friedlicher Apfelbaum, völlig unbeeindruckt, während Lily und die Frau unter den Küchentisch stürzten. Töpfe stürzten vom Herd und verteilten eine übelriechende, schwarze Flüssigkeit auf dem Boden. Ein weiteres Beben erschütterte die Küche und ein weiterer Topf flog durch die Luft, während die Maiskörner aus der Pfanne hüpften und die Frau neben Lily attackierten.
Sie sprangen in ihren Mund, ihre Nase und Ohren, bis die Frau aufhörte zu zappeln und zu schreien und die Maiskörner sich unter ihrer Haut sammelten.
Lily schrie panisch auf und hechtete unter dem Tisch hervor. Sie lief zum Herd, wo der Kessel jetzt Beine hatte. Statt der Pfanne lag links neben dem Kessel eine silberne Maske, rechts vom Kessel hatten Pfanne und Herdplatte ihr Spiel eingestellt und in der Pfanne lag ein Zauberstab. Langsam streckte Lily die Hand nach dem Kessel aus.
Das Metall war weder Zinn noch Kupfer, Silber oder Gold. Es war eine Legierung, die Lily noch nie gesehen hatte, doch sie brannte sich tief in ihr Gedächtnis ein. Fasziniert nahm Lily nun die Maske in die Hand, als ein weiteres Beben die Küche erschütterte. Einer der hohen Schränke ging auf und Lily sah in Zeitlupe eine Flut von tausend Porzellantellern auf sich herabregnen.
Sie war unfähig, die Arme zu heben, um sich zu schützen, stattdessen riss sie die Augen auf und stellte sich vor, es wären Kissen. Doch als die ersten Teller ihre Brust und ihre Beine trafen, verwandelten sie sich in Briefe. Lily ruderte mit den Armen, doch die Briefe nahmen kein Ende, bis Lily vollständig von ihnen eingehüllt war.
Plötzlich stand Lily auf einer Waldlichtung. Sie schaute sich um und nachdem sie einmal im Kreis herumgeschaut hatte, stand plötzlich James vor ihr, der sie aufforderte, auf einen Baum zu klettern. Verwirrt besah sich Lily die umstehenden Bäume.
Es waren ein paar Apfelbäume unter den Tannen und Kiefern, die erstaunlich gesund aussahen. James wiederholte seine Aufforderung und zeigte dabei auf eine besonders hohe Tanne.
Lily sah ihn verständnislos an, bevor er sie packte, hochhob und sie auf die untersten Äste der Tanne setzte, die etwa vier Meter über dem Erdboden hingen. Als er sie losließ, stand er auf einem der Apfelbäume, der daraufhin zusammenbrach und in viele kleine Stöckchen zerfiel.
Ein kleines Mädchen kam angelaufen, das Lily zurief: „Los, Klettern, Prof. Parker. Los, Klettern!"
Dann schnappte es sich einen Stock vom Boden und zeigte auf die Tanne. „FLIEG, BAUM", schrie sie und der Baum mit Lily hob ab.
Kreischend hielt Lily sich fest, als plötzlich Madeleine hinter ihr sagte: „Was ist los, Lily? Wovor hast du Angst?"
Mary kam dazu und fragte: „Wieso kneifst du die Augen zu, Lily? Fliegen ist schön."
Dann sprach das kleine Mädchen, das gerade noch auf dem Boden gesessen hatte: „Du musst ein Vorbild sein, Lydia"
„Aber sie heißt doch Lily", sagte Remus.
„Nein, ich heiße Jakob", widersprach James.
„Aber das ist doch mein Name", heulte Sirius. „Ich heiße Ernst."
„Verstehst du, was die sagen, May?", fragte Mary.
„Kein Wort, Susan", antwortete Madeleine.
Ein weiteres Kind erschien und rüttelte an Lilys Schulter. „Wo ist John?", fragte der Junge weinend. „Wo ist John? Ich will John sehen. Ich will mit John spielen."
Das kleine Mädchen von der Lichtung nahm den Jungen in den Arm, während Lily das Gefühl hatte, der Baum würde immer schneller und schneller.
„John kommt gleich", sagte das Mädchen beruhigend. „John ist gleich wieder da." Doch Lily wusste, dass John tot war.
Der Baum flog höher und höher und Lily kam es vor, als wären Stunden vergangen, als James ihren Arm packte und mit ihr von den Ästen sprang.
Lily fiel und fiel. James hatte sie aus den Augen verloren, dafür hatte sie Dumbledore gesehen, der sie anlächelte und sagte: „Alles wird gut, Lydia. Alles wird gut." Dann sah sie, wie Sirius starb und Momente später auch Remus. Dann starb Benjy, ein junger Mann, den Lily noch nie gesehen hatte, und dann starben zwei rothaarige Männer, die Lily nicht kannte. Alle wurden von einem grünen Blitz getroffen und immer und immer wieder lachte eine hohe, kalte Stimme, bevor ein rotes Licht so hell leuchtete, dass Lily um ihre Netzhaut fürchtete.
Als nächstes stand Lily in den Kerkern und rührte in einem Topf. Sie war elf Jahre alt und ihr gegenüber am Tisch stand Severus. Professor Slughorn beugte sich über ihren Trank und lobte die beiden. Lily rührte weiter im Uhrzeigersinn, während Severus langsam aufstand und seine Sachen packte.
Noch während er ging, kamen Mary und Madeleine und versuchten Lily abzulenken, doch ihr Blick hing an Severus. Er aber drehte sich nicht um und Lily begann zu weinen. Tränen flossen ihr Gesicht hinab und in den Trank, doch sie rührte weiter gleichmäßig im Uhrzeigersinn.
Langsam wurde Lilys Blick klarer und die Tränenschleier verschwanden. James stand hinter ihr und küsste sie auf den Scheitel. Dann küsste er ihren Nacken, ihre Schulter und streichelte ihre Arme, bevor er um sie herumtrat und sich vor Mary und Madeleine stellte. Die wichen zwar zur Seite aus, doch James begann, Lily zu küssen und Lily spürte, wie in ihr das Verlangen wuchs, den Trank einfach Trank sein zu lassen, und sich voll auf James zu konzentrieren.
Doch Lily ließ den Löffel nicht los, höchstens wurde sie ein wenig langsamer. James ließ sie los und setzte sich auf den Stuhl neben ihr, während sich das Zaubertränkeklassenzimmer auflöste. Lily fiel Sirius auf, der ein kleines Kind auf dem Arm hielt und Remus, der Mary küsste, bevor er sich umdrehte und verschwand.
Sirius legte das Kind in Marys Arme und lief ihm hinterher. Mary übergab das Kind an Madeleine, die es an James weiterreichte, während sich erst Mary und dann Madeleine in Luft auflösten. Der Raum um den Tisch herum nahm wieder Gestalt an, doch nun saßen sie zu dritt in einem Wohnzimmer, das auch wieder verschwamm, als Dumbledore eintrat.
Er hielt seinen Zauberstab hocherhoben, während James sich eine Maske aufsetzte, die er aus seiner Tasche zog. Er legte das Kind auf den Stuhl, von dem er aufstand und nahm Lilys Hand. Ihre andere rührte immer noch in dem Kessel als um sie herum erst alles schwarz, dann weiß wurde und schließlich saßen James und Lily wieder auf Stühlen um den Kessel saßen, während Dumbledore sich mit den Worten „Auf Wiedersehen, Jakob und Lydia" in Luft auflöste.
Remus kam vorbei und beklagte den Tod von James und Lily, Severus weinte um „seine Lily" und Madeleine saß vor einem Grab und schluchzte James Namen.
Lily rührte weiter in dem Topf und schließlich festigten sich wieder die Kerkermauern um sie herum, doch dieses Mal saß Lily am Lehrertisch. Sie saß da und lauschte James' Vortrag und rührte immer weiter in dem Topf.
Das Mädchen von der Lichtung saß an einem der Tische, wurde älter und verließ den Klassenraum, während ihr ein Junge sehnsüchtig nachschaute. Der aber blickte dann zu dem Mädchen, das neben ihm saß und küsste sie, während sie rücklings von der Bank kippten, auf der im nächsten Moment James Platz nahm.
Ein Mädchen lief um seinen Tisch herum, doch er beachtete sie nicht. In dem Moment als sie sich setzte, stand James auf und lief um den Tisch herum, an dem das Mädchen saß. Dieses Spiel wiederholte sich einige Male, bis James nach dem Aufstehen das Mädchen in seine Arme zog und sie küsste. James Stimme ertönte neben ihr:
„Als nächstes müssen Sie sechs Krebse langsam nacheinander hinzugeben."
Der James am Tisch aber nahm statt Krebsen Haare von der Schulter des Mädchens, dass er geküsst hatte.
Dann verschwanden die beiden und Lily rührte weiter und weiter und der Klassenraum wurde leerer und leerer, bis schließlich James ihre Hände nahm und sie Zwang, mit dem Rühren aufzuhören. Er zog sie durch die Tür aus dem Kerkerraum und sie standen auf einem Bahnsteig.
Lily löste ein Ticket. Sie sammelte die Münzen, die im Rückgabefach lagen, ein und schob das gelöste Ticket in die Wand hinter dem Fahrkartenschalter. Das Ticket verschwand und sie zog den Fahrscheinautomaten auf, wie eine Tür. Sie traten Arm in Arm hindurch und wurden von dem Mädchen von eben begrüßt.
Lily ging auf sie zu und umarmte sie, während James von sich selbst umarmt wurde. Lily drehte sich zu dem doppelten James um und sah, wie einer plötzlich weiße Haare hatte. Der James mit den weißen Haaren legte seinen Arm um Lily, während sie von vielen Menschen umschwärmt wurden, die wie es schien entweder schwarze oder rote Haare hatten. Lily fing den Blick eines Mädchens auf, das etwas weiter hinten stand. Es stand bei seiner Mutter und selbst über die Entfernung sah Lily Tränen in ihren grauen Augen.
Mit jedem Schritt, den James und Lily näher an den Zug traten, fühlte sie sich schlapper. Schließlich stiegen sie in einen Zug ein. Sie setzten sich in ein Abteil, aus dem sie den anderen winken konnten. Während der Zug aus dem Bahnhof rollte, fielen Lily langsam die Augen zu, während James sie noch ein letztes Mal küsste.
Lily fuhr hoch. Nur diffus konnte sie sich an ihren Traum erinnern. Besser: ihre Träume. War sie mit einem Kessel von einem Baum gefallen, oder hatte James Sirius Ernst genannt? Verwirrt sah sie sich um. Auf den ersten Blick glich dieser Raum ihrem Schlafzimmer, das sie als Schulsprecherin bewohnte, doch sie hatte keine Fotos von sich selbst auf dem Nachttisch.
Lily streckte sich und schaute an sich herunter. Zwei Knöpfe ihrer Bluse waren offen. Ansonsten hatte sie immer noch dieselbe Kleidung an, wie gestern Abend. Gestern Abend. Ohne dass Lily es in irgendeiner Weise kontrollieren konnte, strömten die Erinnerungen auf sie ein. Nur wie war sie hergekommen? Und wo genau war sie eigentlich?
Die zweite Frage klärte sich schnell, als sie versuchte, ihre Füße aus dem Bett zu heben und sie neben dem Bett auf eine Matratze stellte. James lag auf dieser Matratze. Er schien noch zu schlafen. Kurz durchfuhr Lily ein Zittern, denn James hatte mit nacktem Oberkörper und nur einer kurzen Hose geschlafen. Auch wenn es noch nicht schneite, war es in Schottland trotzdem schon recht kühl um diese Jahreszeit. Ein Zittern erfasste Lily, während sie James betrachtete. Plötzlich drehte er sich auf den Rücken.
Lily wusste nicht wieso, doch sie musste lächeln, bevor sie seine Decke nahm und ihn damit zudeckte. Sie stieg über ihn hinweg und ging zur Tür, als James plötzlich flüsterte:
„Geh nicht."
„Was?", fragte Lily
„Warte einen Moment. Ich bin gleich wach."
„Nein, James, ich mach mich nur schnell fertig. Wir treffen uns gleich im Gemeinschaftsraum."
James murmelte irgendetwas unverständliches, woraufhin Lily lachte.
„Ich geb' dir fünfzehn Minuten", hauchte sie, bevor sie seine Tür schloss.
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