03. Mai 1977
Ich weiß, was ich will,
Ich will die Leidenschaft, mit der du mich liebst,
Die sanfte Zärtlichkeit, wie du sie mir gibst,
Die Illusion, du lebst allein nur für mich,
Die brauche ich.
Rückblende 03.05.1977
Lily erwachte mit dem dumpfen Gefühl, dass dieser Tag ein schrecklicher Tag werden würde. Das Schuljahr war bald vorbei und Prüfungen würden sie dieses Jahr nicht schreiben. Die letzten zwei Monate ihres sechsten Schuljahrs würden sie darauf vorbereitet werden, sich auf die UTZ-Prüfungen vorzubereiten. Es könnte also ein wunderschöner Tag werden. Die Jungs würden wahrscheinlich die Fünft- und Siebtklässler auslachen, weil die sich noch anderthalb Monate lang auf ihre Prüfungen vorbereiten mussten.
Die Jungs. Selbst nannten sie sich ja „Rumtreiber", wie Lily vor einem halben Jahr erfahren hatte. Und sie waren schon richtige Rumtreiber, wenn sie so durch das Schloss liefen und sich an Orten herumtrieben, an denen sie absolut nichts verloren hatten. Lily lächelte in sich hinein, als sie sich an ihre Begegnung im Vertrauensschülerbad erinnerte.
Sie war sich sicher gewesen, dass sie die Jungs laut genug angeschrien hatte, dass die drei Nicht-Vertrauensschüler von nun an nie mehr dort baden würden, doch nur anderthalb Wochen später hatte sie das Bad betreten, während James ein Bad nahm. Einen Moment lang hatte sie überlegt, ihn zur Rede zu stellen, doch dann entschied sie sich dagegen und schlich sich leise wieder hinaus. Als er ihr kurz darauf mit nassen Haaren im Korridor begegnet war, hatte sie ihn gefragt, ob ihm ein Streich gespielt worden war und sie war sich fast sicher, dass sie Erleichterung über diese Ausrede in seinen Augen gesehen hatte.
Als Lily aus ihrer Vertrauensschülerwohnung in den Gemeinschaftsraum trat, wurde sie von ihrer Kameradin Mary Macdonald umgetanzt. Mary lachte, half Lily auf die Beine und tanzte dann weiter in Richtung der fetten Dame. Das Mädchen hatte schon einen kleinen Knall... doch offensichtlich einen liebenswerten Knall, denn ihr wurden ständig Avancen gemacht, die sie aber nicht sonderlich ernst nahm.
Mary sagte immer: „Das willst du doch selber nicht", und ließ die Jungs dann stehen. Lily war sich aber seit einiger Zeit sicher, dass Mary verliebt war und deswegen alle Angebote ablehnte, nur hatte sie noch nicht herausfinden können, wer Marys Herz erobert hatte. Gerade als Mary am Portraitloch angekommen war, traten die Jungs in den Gemeinschaftsraum. Einen Moment lang zögerte Mary, doch dann war sie schnell verschwunden, doch James und Sirius hatten jetzt alle Aufmerksamkeit auf sich gezogen, sodass es nicht weiter auffiel.
Sirius sah aus, als wollte er den größten Streich der Weltgeschichte begehen und auch in James Augen ließ sich Vorfreude erkennen.
„Evans!", grüßten beide synchron, bevor sie sich auf den Weg zum Portraitloch machten. Lily schüttelte nur den Kopf, bevor sie Remus begrüßte.
„Hey, Remus. Hat deine Oma wieder geschrieben?"
„Nein. Es ist mein Kaninchen. Dad schreibt, es muss operiert werden", antwortete er verhalten. Er wusste nicht genau, was er von James neuer Ausrede halten wollte, doch aus Angst aufzufliegen machte er mit.
Lily sah ihn an. „Ein kleines pelziges Problem, hm?", fragte sie.
„Genau das hat James auch gesagt", lächelte Remus.
Lily wurde rot. Zum Glück kam in diesem Moment Madeleine in den Gemeinschaftsraum und gemeinsam gingen die beiden Mädchen mit Remus und Peter zum Frühstück.
„Du sag mal", begann Remus zögerlich, „kann es eigentlich sein, dass du James irgendwie magst?"
Lily sah ihn mit gerunzelter Stirn an. „Wieso sollte ich Potter mögen? Er fragt mich jeden Tag nach einem Date und meint es offensichtlich nicht ernst. Außerdem bin ich nicht annähernd so hübsch wie Mary oder Tracy oder Madeleine. Wieso sollte er gerade mich mögen?"
Es war kurz still, dann sagte Remus: „Du sag mal, kann es eigentlich sein, dass du Fragen auszuweichen irgendwie magst?"
Lily schaute ihn böse an. „Mach du da mal keine Witze drüber. Immerhin war es oft eure ganze Bande, die mir und Severus die Streiche gespielt hat. Ich habe eigentlich keinen Grund, überhaupt einen von euch zu mögen", sagte sie trotzig.
„Und doch magst du uns alle", sagte Remus lächelnd. „Und vor allem James magst du sehr", fügte er grinsend hinzu, während sich Lilys Gesicht tiefrot färbte.
„Ich hasse Potter und das weißt du auch!", fuhr sie ihren Vertrauensschülerkollegen an. Der aber sah sie nur traurig an.
„Du verpasst was, Lily. Nichts ist schöner als die Liebe, ehrliche Liebe, und mal ehrlich: an James liegt es nicht, dass das aus euch nichts wird."
„Was ist dein Problem, Remus?", rief sie aus und spürte die Blicke der umstehenden Schüler in ihrem Rücken. „Was ist dein verdammtes Problem?"
„Klein, pelzig und trägt den Namen Moony", antwortete er ruhig. „Entschuldige, aber meine Gefühle in der Richtung sind gerade sehr empfindlich."
Er wandte sich ab und lief an ihr vorbei auf die Große Halle zu, die sich langsam mit hungrigen Schülern füllte. Lily blieb stehen, während sie über seine Worte nachdachte.
Sie war gemein gewesen, so etwas an Vollmond zu ihm zu sagen. Und wenn er spürte, dass sie etwas für James empfand, dann war das vor allem an Vollmond so sicher, wie das Amen in der Kirche. Oder wie der Bowtruckle im Wald. Man suche sich seinen Favoriten aus...
Das eigentlich Schlimme an der Situation war allerdings, dass Lily wusste, dass er Recht hatte. Wenn sie ehrlich war, konnte und wollte sie nicht bestreiten, dass James ihr gefiel.
Und das nicht nur, weil seine Stimme in den letzten Monaten tiefer, seine Schultern noch breiter und seine Haare noch ein Stückchen länger geworden waren. James war ein Mensch, der für seine Freunde einstand und der selbst seinem ärgsten Feind in der Not half.
Und auch wenn Severus immer noch abstritt, was man sich auf Hogwarts über die Ereignisse des 14. April 1976 erzählte, hatte Lily unter anderem aus einem Gespräch zwischen den Professoren McGonagall und Slughorn Erkenntnisse über ihre Klassenkameraden gewonnen, die alle fünf in einem völlig anderen Licht erschienen, ließ.
Und spätestens nach dem 24. Juni, als sie ihre Freundschaft zu Severus beendet hatte, hatte sie den Jungs mehr Beachtung geschenkt. Offensichtlich mit dem Ergebnis, dass sie hier ein Jahr später im Korridor herumstand und sich fragte, wann bei Merlins pinkgepunkteter Unterhose James ihre Gedanken derart gefangen genommen hatte.
Als Madeleine sie leicht an der Schulter berührte, um ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen, zuckte Lily so heftig zusammen, dass sich auch Madeleine erschreckte.
„Wenn du noch was essen willst, dann solltest du dich beeilen, Lily", sagte sie sanft. Doch am Ende saßen beide, ohne etwas gegessen zu haben in Slughorns Unterricht und hörten seinen Ausführungen zu den am häufigsten abgefragten Tränken und denen, bei denen er glaubte, dass die Prüfungskommission sie für nächstes Jahr aufnahm.
Als Slughorn gerade vom Trank der lebenden Toten zum Amortentia überging, schaltete Lily langsam ab. Ihr Blick glitt durch den in Nebel gehüllten Kerkerraum, über die Tische mit den Ravenclaws und Hufflepuffs, über Severus und seine Freunde Avery und Mulciber und dann auf die andere Seite hinüber, über Slughorns Lehrerpult hin zu dem Tisch, an dem Remus, Sirius und James saßen.
James.
Aus irgendeinem Grund konnte sie ihren Blick nicht von ihm abwenden. Von ihm, dem ewigen Kind, das sich aufführte als gehöre ihm Hogwarts. Der freche Blick, der hinter seinen runden Brillengläsern hervorblitzte, versprach nichts Gutes für jeden, der bei der Umsetzung ihrer neuen grandiosen Idee in seine Schussbahn geriet.
Aber das Lächeln, das sein Gesicht zierte beruhigte Lily irgendwie. Mit James würde kein Tag langweilig werden, das wusste Lily und kurz, wirklich nur ganz kurz gab sie sich der Illusion hin, James Potter würde sie tatsächlich lieben, sie auf Händen tragen und ihr die Welt zu Füßen legen.
Wenn er in der Liebe so leidenschaftlich wäre, wie im Streichespielen oder beim Fliegen, dann wären ihnen wahrscheinlich keine Grenzen gesetzt.
Und aus irgendeinem Grund wünschte Lily sich sehnlichst, dass James sie lieben würde. Sie sollte wahrscheinlich einfach mal ja sagen, wenn er mit ihr nach Hogsmeade wollte. Aber wieso sollte gerade er, dem alle zu Füßen lagen, die unscheinbare Streberin Evans mögen. Er kannte ja noch nicht mal ihren Vornamen...
Nein, seine Fragen waren sicher nur Wettschulden. So nach dem Motto: „Ich wette, du hältst es nicht aus, einen Nachmittag mit der Evans zu verbringen." - „Ich wette doch" - „Na dann lass mal sehen!" Und so etwas wollte sich Lily nicht geben. Da blieb sie lieber allein.
Seufzend wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder ihrem Lehrer zu. Der redete gerade von den Grundlagen für die Zubereitung des geläufigsten Amortentia-Gegentrankes. Allzu viel hatte Lily also nicht verpasst.
Madeleine stupste sie an und fragte: „Was ist eigentlich los mit dir?"
Lily wandte den Kopf. Sie überlegte, wie sie ihrer Freundin ihre Lage erklären könnte, doch sie fand keine Worte und blickte Madeleine stattdessen bloß mit einem Ausdruck purer Verzweiflung an. Hätten sie nicht im Unterricht gesessen, hätte Madeleine Lily jetzt umarmt, ersatzweise legte sie ihr die Hand auf die Schulter.
„Das wird schon", murmelte sie.
Sobald sie aus dem Klassenraum raus waren, zog sie Lily allerdings etwas beiseite und in eine Umarmung.
„Du kannst mir alles sagen, das weißt du?", flüsterte sie ihr zu und drückte sie kurz. Sie spürte Lilys Nicken und löste sich von ihr.
„Also. Was ist los?"
„James ist los."
„Ja, das sehe ich. Aber was ist dein verdammtes Problem?"
„Er... ich... ich verstehe nicht, warum er mich mögen sollte."
„Und deswegen glaubst du nicht, dass er mit dir nach Hogsmeade gehen möchte. Und lässt ihn immer stehen. Oder schreist ihn an... Lily, was ist los mit dir?"
„Das hast du doch gerade zusammengefasst", sagte Lily unwillig.
„Das ist doch nicht dein Ernst! Da ist doch noch mehr, Lily. Ich spür doch, dass da mehr ist."
„Da ist aber nichts", protestierte Lily, doch auf einen scharfen Blick ihrer Freundin hin knickte sie ein.
„Er hat keinen einzigen Grund, mich zu lieben. Wir sind viel zu unterschiedlich. Alles was er tut, macht er mit Leidenschaft: Quidditch, Streiche spielen, Lehrer auf den Arm nehmen, und das was ich mache, nämlich Lesen, das interessiert ihn gar nicht. Er hat in meiner Gegenwart noch nie in etwas anderem als einem Schulbuch oder dem Tagespropheten gelesen und beides zählt nicht.
James macht keine halben Sachen. Ich hab' ihn noch nie in der Bücherei gesehen, dafür lag er schon bestimmt 500 Nächte im Krankenflügel. Außerdem ist er reinblütig, begabt, attraktiv und hat bestimmt mehr als genug Angebote.
Ich dagegen bin klein, zu dick, eine Streberin und kenne die Zaubererwelt nicht halb so lange wie er, weil ich ein verdammtes Schlammblut bin!" Zum Ende hin war Lily immer lauter geworden.
„LILY!", rief Madeleine geschockt. „Du bist kein Schlammblut. Du hast keinen Grund dieses widerliche Wort zu benutzen! Deine Eltern mögen vielleicht Muggel sein, aber du übertriffst hier viele mit deinem magischen Potential. Deine Herkunft ist kein Grund, dich mit Vorurteilen zu belegen."
„Du verstehst das nicht", unterbrach Lily sie. „Egal, ob ich Potential habe oder nicht, bin ich ein Schlammblut. Ich werde gejagt werden und wenn James dann bei mir ist, wird er das auch. Das will ich nicht und er bestimmt auch nicht. Selbst wenn wir zusammen wären, nach der siebten Klasse macht er spätestens Schluss."
„So darfst du doch nicht denken. James würde seine Freundin eher eigenhändig vor Du-weißt-schon-wem verstecken, als mit ihr Schluss zu machen. Du weißt doch, wie wichtig ihm Loyalität ist und wie bedingungslos er hinter seinen Freunden steht."
„Wo wir wieder bei seiner ständigen Leidenschaft wären... und trotzdem hätte ich ihn dann auf dem Gewissen, wenn er sterben sollte."
„Sag das nicht. Du kannst weder etwas dafür was er tut noch, was irgendwelche schwarzmagischen Fanatiker tun. Und vor allem", sagte Madeleine und pikste Lily in den Bauch, „bist du sicherlich nicht dick. Du hast nur ein bisschen mehr als 50 Kilo, das ist höchstens normal."
„Ein bisschen ist gut", grummelte Lily. „Heute Morgen hatte ich fast 60."
„Jetzt übertreibst du aber", lachte Madeleine und zog die nörgelnde Lily hinter sich her in Richtung der Gewächshäuser. Für sie war das Thema gegessen. Lily sollte sich mal nicht so haben und beim nächsten Mal, wenn er fragte einfach Ja sagen.
Einen Moment lang überlegte sie, ihr das genau so zu sagen, doch dann sagte sie sich, dass Lily nicht dumm war und ihr Argument sicher verstanden hatte.
Als der Unterricht vorbei war und die Gryffindors des sechsten Jahrgangs allesamt im Gemeinschaftsraum über ihren Hausaufgaben saßen, spürte Lily fast durchgehend Blicke in ihrem Rücken, doch wenn sie sich umdrehte, saßen die Jungs alle mit über ihre Aufsätze gesenkten Köpfen da und keiner schenkte ihr Beachtung.
Ganz offensichtlich litt sie nun unter Verfolgungswahn. Trotzdem war sie schneller als alle anderen fertig und verabschiedete sich von Mary und Madeleine, bevor sie sich nach draußen auf die Ländereien begab.
Unten auf den Schlossgründen lief Lily eine Zeit lang eher planlos umher, bevor sie sich gut versteckt im Gebüsch bei einer kleinen Baumgruppe auf halbem Weg zu Hagrids Hütte niederließ und in Gedanken versank.
Sie hatte zwar vorgehabt, nicht über James nachzudenken, doch irgendwie konnte sie ihre Gedanken nicht von ihm fernhalten. Von seinem Gesicht, den süßen Augenbrauen, den wunderschön geschwungenen Lippen und seiner Wange, die schon häufiger Bekanntschaft mit ihrer Handinnenfläche gemacht hatte.
Sein Lächeln erschien vor ihrem inneren Auge und sie fragte sich wie so oft, für wen es bestimmt war. Sie würde viel darum geben, wenn es für sie wäre, aber das war ja schwer möglich, immerhin hatte sie ihn abgewiesen, drei Jahre lang hatte sie geglaubt ihn zu hassen, weil er sich dauernd mit Severus duelliert hatte. Oder ihn verprügelt – wie man's nimmt.
Doch nachdem sie die Freundschaft zu Severus beendet hatte, hatte sie gelernt, eine distanzierte Haltung anzunehmen und sah plötzlich durchaus, wie dieser James gezielt provozierte. Manchmal, wenn sie ihre Auseinandersetzungen mitbekam, erwischte sie sich sogar dabei, wie sie für James Partei ergriff.
Das Duellieren war auch etwas, das James mit Leidenschaft betrieb. Ein Punkt mehr auf der Liste der Punkte, die sie beide nicht teilten.
Und mit einem Mal begann Lily zu weinen. Sie schluchzte und zitterte und zog sich noch ein wenig tiefer ins Gebüsch zurück, wo sie sich schließlich zusammenrollte und mit einem letzten prüfenden Blick in den strahlendblauen Himmel die Augen schloss.
Im Traum erschien ihr James, der mit Engelszungen auf sie einredete und sie schließlich zu einem Nachmittag auf den Ländereien überredete, den sie zu zweit verbringen sollten. Auf ihrem Spaziergang um den See redeten sie ein bisschen über dies und das, bevor James sie plötzlich in den Schatten eines Baumes zog und anfing, sie zu küssen.
Es war Lily, als würde sie von seiner Leidenschaft verbrannt. Er küsste sie Mal um Mal intensiver und seine Hand war auf ihrem Rücken schon gefährlich weit heruntergerutscht. Nur mühsam gelang es Lily ihn zu bremsen und erst als er sie ansah kam er richtig herunter.
„Entschuldige, Lily, aber du bist so wunderschön, dass wohl die Pferde mit mir durchgegangen sind. Es tut mir leid, wenn ich dich etwas überfallen habe."
„Ist schon in Ordnung", murmelte Lily, „nur etwas langsamer bitte." Ihre Lippen verzogen sich automatisch zu einem Lächeln, als sie James Gesichtsausdruck sah, bevor er sich wieder vorbeugte und ihr sanft einen Kuss auf die Lippen drückte.
In diesem Kuss steckte sehr viel weniger Leidenschaft und viel mehr Zärtlichkeit als in den Ersten. Trotzdem folgte Kuss auf Kuss und in Lilys Unterleib breitete sich ein Wohlgefühl erster Güte aus. Als James sich schließlich von ihr löste, legte sie ihren Kopf an seine Brust. Ganz leise hörte sie ihn sagen:
„Ich liebe dich, Lily. Seit Jahren liebe ich nur dich, ich lebe nur für dich. Und jetzt gerade machst du mich zum glücklichsten Menschen auf Erden.
Wenn ich mich mit Snape gestritten habe, dann ging es immer nur darum, wer dein Freund sein durfte. Wer das schönste Mädchen der Schule haben durfte."
Lily erwachte mit einem Schrecken, als die Sonne schon beinahe untergegangen war. Sie hatte bestimmt schon das Abendessen verpasst und musste sich beeilen, wenn sie noch vor der Sperrstunde in den Gemeinschaftsraum wollte. Als sie sich dem Portal näherte, sah sie jedoch Remus mit Madam Pomfrey heraustreten.
Aus einem Instinkt heraus versteckte sich Lily hinter dem nächsten Baum. Die beiden liefen zur Peitschenden Weide. Lily wusste zwar, was dahinter passierte, doch sie folgte ihnen.
Irgendwie hatte sie ein echt mieses Gefühl bei der Sache. In gebührendem Abstand wartete sie einige Meter von dem absurd mordlustigen Baum entfernt darauf, dass Madam Pomfrey wieder herauskäme.
Vor etwas mehr als einem Jahr war Severus in diesem Gang gewesen und wenn man den Gerüchten glauben durfte, hatte James ihn gerettet. Die meisten Schüler glaubten, dass Severus sonst von den Geistern in den Wahnsinn getrieben worden wäre und nur die Rumtreiber, Severus und Lily wussten, was wirklich hinter der Weide lag, aber was in dem Gang geschehen war, wussten offiziell nur Severus und James - und Dumbledore natürlich.
Und genau das machte es so unglaubwürdig, dass James Severus gerettet haben sollte. James Potter hätte geprahlt, er hätte es überall herumerzählt und keinen Zweifel daran gelassen, dass er der größte Held aller Zeiten sei und Severus in seiner Schuld stünde.
Aber James hatte nie ein Wort dazu verloren, nie auch nur Andeutungen gemacht, dass er an etwas derartigem beteiligt gewesen war. Und wer Hogwarts kannte, wusste, dass Dumbledore derjenige war, auf den die meisten Gerüchte zurückzuführen waren.
Er wusste ungefähr alles über jeden Schüler und hatte einen Riesenspaß daran, Gerüchte zu verbreiten. Die Rumtreiber unterstützten ihn oft dabei, vor allem, wenn es um Slytherins ging, aber nach besagter Vollmondnacht hatte es keinen Streich gegeben, der in irgendeiner Weise angedeutet hätte, dass Severus einem Werwolf begegnete oder von Geistern gefangen genommen worden war.
Nichts dergleichen und nie im Leben hätte sich James einen solchen Triumph entgehen lassen, wenn er dafür Lilys Anerkennung hätte haben können, während er Severus bloßstellte. Und Lily hatte Severus Verhalten sowieso als schweren Eingriff in Remus' Privatsphäre verurteilt.
Für James wäre es ein Hauptgewinn gewesen, zumindest in seinen Augen wäre es ein Vorteil bei seinen vielen Fragen nach einem Date gewesen und das hätte er nie verfallen lassen. Jede von James Handlungen nach dieser Nacht sprach also dafür, dass es nicht James gewesen war, der Severus geholfen hatte.
Aber wer dann? Dumbledore mochte ja seinen Spaß haben, was das Verbreiten von Gerüchten anging, aber James und Severus ins Boot zu holen, um ein vollkommen aus der Luft gegriffenes Gerücht zu verbreiten, das obendrein Severus ohnehin schon schmales Ansehen mindern würde traute Lily ihm nicht zu. Daher ging sie davon aus, dass irgendwas dran war. Und was da dran war, das würde sie jetzt herausfinden, nahm sie sich vor und setzte sich etwas weiter nach außen im Gebüsch.
Langsam wurde ihre Kleidung feucht. Die Schuluniform war immerhin nicht auf mehrere Stunden im Gebüsch ausgelegt, sondern auf ein trockenes Klassenzimmer. Lange würde sie es also in dieser Position nicht mehr aushalten.
Gerade in dem Moment, als die Weide wieder erstarrte und Madam Pomfreys Kopf an ihren Wurzeln erschien, bewegte sich etwas in einem Gebüsch auf der anderen Seite der Weide. Lily hatte es zuerst für einen Windstoß gehalten und wollte sich gerade aufrichten, um ihren Gliedern etwas Gutes zu tun, als aus dem Gebüsch, das eben noch geraschelt hatte, eine fette Ratte herausrannte, die ohne Zweifel zielstrebig auf die Weide zulief.
Eine Kamikazeratte hätte Lily zwar nicht sonderlich gestört, aber diese Ratte wusste, wie man den Baum einfror. Sie war sich dessen bewusst, was sie tat, da war sich Lily sicher und sah sich ein paar Sekunden später bestätigt als ein großer, schwarzer Hund aus dem Gebüsch gesprungen kam, der freudig bellend nach der Luft schnappte.
‚Eine fette Ratte und ein verrückter Hund', dachte Lily bei sich und schüttelte den Kopf, während sie wieder einen Versuch unternahm, aufzustehen. Abermals verschob sie ihr Vorhaben, als sie sah, nach wem der Hund geschnappt hatte.
James bückte sich nach seinem Unsichtbarkeitsumhang und sah den Hund böse an.
„Was wäre, wenn uns jetzt jemand beobachten würde, Tatze?", sagte er mit unterdrückter Ungeduld. Der Hund sah ihn aber nur unschuldig an.
James schüttelte den Kopf.
„Unverbesserlicher Trottel", murmelte er, bevor beide der Ratte in den Geheimgang an der peitschenden Weide folgten. Lily saß einen Moment lang erstarrt in ihrem Gebüsch, bevor sie ihnen nacheilte.
Sie wusste zwar, dass sie sich in Gefahr brachte, aber sie brauchte Gewissheit. Tatze war Sirius Spitzname, aber warum hatte James ihn in einen Hund verwandelt? Selbst für den Klassenbesten in Verwandlung schien das ziemlich riskant.
Der Gang war dunkel und gesäumt von Wurzelwerk und Steinen. Lily wäre sicherlich aufgeflogen, wenn sie versucht hätte, sich zu bewegen, aber glücklicherweise brauchte sie das gar nicht, denn James und Sirius waren ganz in der Nähe stehen geblieben und James Zauberstab beleuchtete sein aufgebrachtes Gesicht.
„Du weißt doch, Tatze, dass ich mit meinem Geweih hier weder durch die Öffnung noch durch den Gang komme. Ich hab hier voll abgeloost, Tatze, und damit mich keiner erkennt, lauf ich unter dem Tarnumhang."
„Aber es guckt doch keiner und Dumbledore weiß es eh", unterbrach Sirius gelangweilt.
„Darum geht es nicht, Tatze! Du weißt genau, dass Schniefelus immer wiederkommen kann und vor allem jemanden mitbringen kann. Und wenn ich gesehen werde, ist klar wer der völlig durchgeknallte, luftschnappende Hund ist.
Mann Tatze, dann sind wir aufgeflogen und auf nichtregistrierte Animagi steht Askaban, das weißt du auch."
„Ist ja gut, Krone, reg dich ab", sagte Sirius ruhig.
„Das ist ja auch nicht alles", entgegnete James etwas leiser. „Heute ist der dreizehnte Vollmond. Ich hab einfach Angst, es könnte was passieren."
„Ich weiß, du hast schon vor einem halben Jahr so einen Aufriss gemacht, als der siebte kam. Aber es passiert schon nichts Großes. Wir passen auf und bleiben in der Nähe der Hütte.", lachte Sirius und ging weiter den Gang entlang.
James blieb einen Moment länger stehen, bevor er ihm hinterherlief und sagte: „Weißt du, was am schlimmsten wäre? Wenn Lily hiervon Wind bekäme. So sehr, wie sie mich hasst, könnte ich mir glatt vorstellen, dass sie uns verrät. Und selbst wenn sie uns nicht verrät, wird sie wissen, dass ich es wirklich war, der Snape hier gerettet hat und das will ich nicht, das weißt du."
„Ja, das weiß ich, ich weiß nur nicht warum", antwortete Sirius, dessen Stimme sich nun merklich entfernte.
„Ich wollte ihn retten, damit Moony ihn nicht angreifen konnte und nicht um Lily zu beeindrucken. In dem Moment ging es nur um Moony, nicht um Lily und das soll sie wissen, wenn sie davon erfährt. Damit sie nicht denkt, du hättest Schniefelus gesagt, wie man an der Weide vorbeikommt, damit ich ihn retten kann. Und nur damit wir uns richtig verstehen – du wirst nie wieder irgendjemandem irgendwas über die heulende Hütte erzählen. Nicht solange ich lebe!", sagte James.
Sirius Lachen und seine Antwort hörte Lily kaum mehr. Sie saß am Eingang, direkt unter der peitschenden Weide und war völlig überfahren.
Dass es tatsächlich James gewesen war hatte sie überrascht, genauso wie der Umstand, dass die Jungs Animagi waren und dass er ihr zutraute, sie ohne Gewissensbisse zu verraten... aber da war noch etwas anderes, ein sehr unangenehmes beißendes Gefühl hatte Besitz von ihrer Brust ergriffen. Ihr Herz zog sich schmerzhaft zusammen.
Die Erkenntnis, dass James sich in derartige Gefahr gebracht hatte, um seinem Freund großes Leid und Unannehmlichkeiten zu ersparen und ausdrücklich nicht für sie...
In den letzten Jahren hatte Lily sich daran gewöhnt, dass James und Severus um ihre Gunst kämpften. Dabei hatte Severus eigentlich immer Oberwasser gehabt, bis er sich das vor fast einem Jahr verspielt hatte. Aber sie hatten nicht aufgehört sich aneinander zu messen und dass Lily nicht mit James ausging, gab Severus Hoffnung. Das hatte sie zumindest immer gedacht.
Aber dass der größte Konflikt zwischen beiden nur zwischen den Beiden stattfand und sie in keiner Weise involviert war, ließ sie daran zweifeln, ob James überhaupt um sie gekämpft hatte oder doch nur mit Snape, ob sie überhaupt von Bedeutung für James war. Denn James machte keine halben Sachen. Wenn er sie liebte, dann mit seinem verdammten ganzen riesigen Herzen, oder?
Und das hieße dann doch, dass seine vielen Datefragen wirklich nur leer und unwichtig gewesen waren.
Und gerade jetzt hatte Lily Hoffnung geschöpft, sich eingestanden, dass sie James verdammt noch mal mochte und sich irgendwie wünschte, dass er sie mit seiner Liebe überschüttete. Und dass sie der einzige Mensch in seinem Leben war...
Aber worauf hatte sie gehofft? Dass er seinen Freunden einfach so den Rücken kehrte, nur für ein Mädchen, ein Mädchen, von dem er ja nicht mal wusste, ob es ihn liebte.
Während Lily langsam aufstand, um zurück ins Schloss zu gehen, und von unten auf den kleinen Knoten zielte, der den Baum hoffentlich erstarren ließ, fiel ihr aber plötzlich ein kleines, Hoffnung gebendes Detail auf:
James hatte Lily gesagt, nicht Evans. Er kannte also doch ihren Vornamen.
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