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Was auch immer ich mir vorgestellt habe, es ist anders. Schon vor den Toren der Stadt sitzen einige Menschen, ein betrunkener Bettler lallt etwas Unverständliches und ein Händler deutet auf seinen Stand, den er grob aus Holz zusammengenagelt hat.
Er schreit uns etwas entgegen, wahrscheinlich will er uns seinen Reis andrehen. Ben erwidert etwas in einer Sprache, die ich nicht verstehe und der Mann mit schwarzem Haar grinst und schüttelt den Kopf.
,, Kommt!" Ben nickt zu einem breiten, mit goldenen Ornamenten verzierten Tor, das die hohen, dunklen Mauern in zwei Hälften teilt. Davor stehen zwei Männer in Rüstung, sie sind hellblau und golden und in den Händen eines Mannes baumelt leblos eine Fahne mit einem Siegel, einem Leopard, der uns ziemlich arrogant ansieht, während er sich die Tatze abschleckt.
Ich fühle mich so stark an Mittelalter und Fantasyfilme erinnert, dass ich mich frage, ob das alles wirklich real ist, oder nur ein verrückter Traum. Aber ich bin mir nicht einmal sicher, ob mich das gefreut hätte. Weil Ben dann vielleicht nur ein Hirngespinst gewesen wäre und ich nie wieder Zoes Witze hören würde.
Langsam schlendern wir zu den Wachen am Tor und Henry übernimmt die Führung, währen Zoe sich auf einmal im Hintergrund hält.
,, Zwei Wochen." Eine Wache nickt langsam und holt eine Feder hervor. ,, Namen?"
In diesem Moment passieren mehrere Dinge gleichzeitig. Während Henry ,, Henry Baker" angibt, packt Ben mich plötzlich an den Schultern und schmeißt mich in den Dreck. Der Schlamm bedeckt mein Gesicht und die Steinchen schürfen mir die Wange auf.
Ich brauche ein paar Sekunden, bis ich die Situation realisiere. ,, Spinnst du?", fauche ich ihn an.
,, Tu jetzt bitte, was ich sage. Gar nichts. Lass den Dreck da, wo er ist. Vertrau mir." Ben flüstert eindringlich auf mich ein. Ich ziehe die Stirn kraus.
,, Was soll der Dreck?
In allen Bedeutungen."
Er stöhnt. ,, Bitte, Maya." Es hat einen flehenden Unterton.
Verwirrt sehe ich zu den beiden Männern, die uns missmutig anstarren, als hätte ihnen ein schlammbedecktes Mädchen gerade noch zu ihrem Glück gefehlt. ,, Jess Smith!", flötet Zoe ihre Lüge.
Einer der Wächter sieht sie stirnrunzelnd an. Eigentlich ist er noch ein Junge, vielleicht siebzehn, achtzehn. ,, Zoe?", haucht er, doch sie schüttelt den Kopf.
,, Sie verwechseln mich. Jess Smith." Sie lächelt, aber ihre Worte haben etwas Drohendes an sich. Sie ist verdammt gut im Lügen.
,, Natürlich. Verzeihung", nuschelt der Junge sichtlich verwirrt und dreht sich zu Luise um. ,, Luise Weber", lächelt sie und der andere Wächter, ein breiter Mann mit schwarzen Zähnen grinst sie dümmlich an. ,, Ich bin Bendedikt Harrison. Und das ist Claire Miller." Ben deutet auf mich.
Das ist doch lächerlich! Nur weil er sauer auf mich ist, macht er mich vollkommen lächerlich!
,, Eigentlich", erwidere ich entschlossen, ,, heiße ich-" Vielleicht hätte ich in diesem Moment meinen richtigen Namen genannt, hätte Ben sich nicht kurzfristig dazu entschlossen, mich so heftig zu küssen, als ginge es um Leben und Tod. Und vielleicht, weil ich in diesem Moment etwas verwirrt bin und überhaupt nicht darauf komme, dass das alles nur ein Ablenkungsmanöver ist, küsse ich einfach zurück.
Die junge Wache schüttelt den Kopf. Zoe sieht stirnrunzelnd zu uns. ,, Keine Sorge, die sind einfach etwas seltsam." Sie lächelt breit. ,, Wir sollten gehen."
Augenblicklich lässt Ben von mir ab und außer Atem trete ich mit den Anderen durch das Tor.
,, Was war das denn?" Zoe sieht sich belustigt nach uns um. Bens Blick ist ausdruckslos.
,, Das Poster", flüstert er mechanisch. ,, Wir suchen uns jetzt ein Gasthaus, schnell!"
Unser Zimmer ist klein und die Wände sind dünn, weshalb wir uns alle dicht zusammensetzten und gespannt auf Bens Geschichte warten. Mein Gesicht ist hinter einem Tuch verhüllt, wie Ben mir befohlen hat.
,, Die suchen sie. Maya." ,
,, Was?" Das kann nur ein schlechter Scherz sein und auch die Anderen, selbst Luise, sehen zweifelnd zu Ben.
,, Da war dieses Poster, sie sind hier überall!" Ben springt auf und läuft zum Fenster. Zögerlich folgen wir ihm und unser Blick seinem. Tatsächlich. Im Glas des Ladens gegenüber des Fensters hängt, zwischen scheußlichen Hüten, ein großes, kaum zu übersehendes Poster.
Und mitten darauf, mit ausdruckslosem Gesichtsausdruck, bin ich zu sehen, das ist unverkennbar. Es ist eine Bleistiftzeichnung, und auf sonderbare Art fühle ich mich geehrt, dass jemand so lange dafür gearbeitet hat, mich zu malen. Aber dieses Gefühl wird sehr beeinträchtigt, durch die große Schrift über meinem Scheitel. Gesucht steht da, zwischen den Worten anderer Sprachen, die dazu aufrufen, mich zu finden.
,, Wow", haucht Zoe, ,, Scheinbar mache ich mich doch noch strafbar."
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