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Wir schweigen, als wir uns auf den Heimweg machen. Na gut, Zoe nicht. Aber die zählt nicht. Und selbst sie wirkt leicht nervös, während sie uns Geschichten erzählt. Ben und Luise laufen nebeneinander und der Gedanke daran, dass ich immer nur Nummer zwei bleiben werde, schnürt mir die Kehle zu. Sie haben nie Schluss gemacht, sie war vor mir da.
Zoe führt uns an, ich und Henry bilden den Schluss unseres kleinen Marsches. Es ist sogar ganz okay, mit ihm zu schweigen, er hat schließlich Übung darin. Und geteiltes Leid ist schließlich halbes Leid. Oder Doppeltes.
Als wir endlich ankommen, flüchtet Zoe schnell zum Jagen in den Wald, während ich mich in die hinterste Ecke des Zeltes zurückziehe. Henry zieht die Vorhänge seiner Abteilung zurück und verwehrt mir den Blick in die Abtrennung.
Mir kommt eine Idee. Schnell wühle ich in meiner Tasche und ziehe einen der wenigen Gegenstände heraus, die ich noch nicht benutzt habe. Mein Badeanzug fühlt sich angenehm bekannt an und ich hülle mich in ein Handtuch.
Schnell mache ich mich auf den Weg zum See, an dem ich bereits die seltsame Frau getroffen habe. Die Erde ist diesmal trocken, als ich das Tuch ablege und zum Ufer tapse. Ich bleibe kurz stehen und sehe dem Wasser zu, wie es hin und wieder meine Zehen erreicht. Langsam und vorsichtig setze ich einen Fuß vor den Anderen, bis ich mich an die Kälte gewöhnt habe. Tatsächlich ist es hier aber deutlich wärmer, als in der eigentlichen Welt. Es sind bestimmt fünfzehn Grad, mindestens. Wie in einer anderen Klimazone.
Aber während ich Kreise im Wasser ziehe, schweifen meine Gedanken ab. Zu etwas anderem. Dem Mann im Gasthaus. Hat er versucht mich umzubringen? Wenn ja, warum? Ich schüttelte mich bei dem Gedanken. Es gäbe dafür absolut keinen Grund. Aber wofür gab es in den letzten Wochen denn schon einen Grund? Was macht hier schon Sinn?
Der Tag neigt sich dem Ende und eine sanfte Brise fährt mir um die Schultern; sie durchdringt das Tuch, das ich mir um die Schultern geschlungen habe. Von Luise neben mir geht mal wieder diese Wärme aus, die sie ständig ausstrahlt. Heute schmeckt die Suppe salziger. Endlich wieder. Ben unterhält sich mit Zoe, sie lacht. ,, Nein, absolut nicht!", kichert sie.
,, Warum bist du überhaupt hier her gekommen?", mischt sich Henry plötzlich ein. Ich starre ihn an, doch er beachtet mich nicht.
Ben zögert. ,, Ich wollte mir ein Bild machen."
Henrys Gesichtszüge entgleiten ihm. ,, Das ist der reinste Dreck. Niemand will dich hier haben! Du hast alles verdorben!" Er bebt vor Zorn. ,, Henry!", brülle ich ihn an. Wütend wendet er sich mir zu. ,, Ach, tu doch nicht so, Maya! Wir wissen alle, dass du auf ihn stehst!" Ich klappe meinen Mund auf und wieder zu, unfähig, etwas zu sagen.
Ich könnte schwören, dass Bens Blick mich für einen Augenblick streift, aber er sieht Henry nur kühl an.
,, Du kannst mich nicht für etwas verantwortlich machen, das ich nicht begangen habe, Henry." Seine Stimme ist vollständig ruhig.
,, Ihr seid doch alle gleich!"
,, Du benimmst dich erbärmlich."
Henry ringt um Worte, ehe er sich umdreht und davon stapft, ohne sich noch einmal umzudrehen.
,, Was zur Hölle?" Ich sehe die drei vor mir an, sie alle blicken zu Boden. ,, Du hättest das nicht sagen dürfen.", flüstert Luise. ,, Ich lasse mich nicht beschuldigen, für etwas, für das ich nichts kann." Ben starrt stumpf auf die Erde zu seinen Füßen.
Luise zögert. ,, Aber-"
,, Ach, komm schon, Luise!", faucht Zoe, ,, Henry ist kein Heiliger!"
,, Ich will endlich wissen, was hier los ist!" Inzwischen brülle ich schon fast, die Unwissenheit macht mich wahnsinnig.
,, Frag ihn selbst.", Ben sieht zu mir auf, sein Blick hat sich verändert.
Der Weg ist steil und führt einen Abhang hinab, das trochene, lange Gras wiegt im Wind, so einheitlich, als würde es tanzen. Der Sand klebt an meinen Sohlen und ich werfe einen Blick auf das Meer. Ich war noch nie hier, das Wasser ist schwarz und undurchdringlich.
Henry sitzt im Sand im Schneidersitz und starrt gedankenverloren auf die Flut, wie sie ans Ufer schlägt und Muscheln anspült. ,, Hey." Ich setze mich zu ihm in den Sand und betrachte den Sonnenuntergang, die rote Glut über dem Meer. Henry schweigt eine Weile.
,, Du willst wissen, was sie meinen." Es ist eine Feststellung, aber nicht anklagend. ,, Ja", flüstere ich in den Wind.
Henry räuspert sich, als hätte er lange nicht mehr gesprochen. ,, Ich bin nicht wie ihr, Maya. Ich konnte nie jemanden manipulieren."
Ich runzele die Stirn und will ihn unterbrechen, doch er spricht weiter.
,, Die Gabe wird, wie du weißt, zufällig verteilt. Ich habe sie nicht. Man hat mich nie hier her geschickt, ich war schon immer hier. Ich wurde hier geboren."
Er legt eine Pause ein und greift in den Sand; lässt ihn durch seine Hand rieseln. Dann fährt er fort.
,, Meine Eltern lernten sich hier kennen, sie waren noch jung, als ich geboren wurde.
Weißt du, es ist nicht ungewöhnlich, dass die Leute hier Kinder bekommen. Aber meine Mutter wollte nicht, dass ich hier lebe. Sie wollte in besseres Schicksal für mich, in einer Welt, in der es Geld und Strom gibt."
Ich schlucke meine Tränen herunter, bevor er fortfährt.
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