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Die Fahrt nach Hause ist unendlich lang. Wir schweigen uns an und ich weiche den Blicken der Beiden aus. Stumm Presse ich meine Nase gegen die kühle Fensterscheibe und starre nach draußen, in die völlige Dunkelheit.
Die zwei Frauen haben schon viel zueinander gesagt. Mum hat kein einziges Mal eingegriffen.
Thomas ist ein witziger Mann und ich war oft bei ihm, als ich kleiner war. Die ganze Fahrt nachhause erzählt Lara von dem Spiel, dass sie sich ausgedacht haben, und auch wenn Dad immerwieder interessiert nickt, bin ich mir sicher, dass er eigentlich gar nicht zuhört.
,, Wach auf, Mayaaa! Bitte!" Verschlafen öffne ich die Augen, und bekomme den Schreck meines Lebens. Direkt über mir lächelt das Gesicht meiner Schwester. ,, Musst du mich so erschrecken?", motze ich und schiebe sie vom Bett, um mich noch einmal in die Decke einzukuscheln. Doch nicht mit meiner kleinen Schwester.
,, Mami kann nicht mit zum Herbstmarkt! Ich will nicht immer nur bei Daddys Stand sein." Ich verdrehe die Augen. Einmal im Jahr, wenn Dad seinen Stand mit Kürbissen hat, kann Mum nicht auf uns aufpassen. Typisch. ,, Nein. Ich lasse mich nicht stundenlang von dir von einem Stand zum nächsten ziehen!" Lara zieht einen Schmollmund. ,, Bitte." Genervt schäle ich mich aus der Decke und tapse zum Kleiderschrank. Ich mag sie ja, aber sie kann auch echt nervig sein. ,, Ich will heute lesen." Sie zieht fragend eine Augenbraue hoch. ,, Du kannst lesen?"
,, Nur, weil ich nicht ständig mit einem Buch vor der Nase herumrenne, heißt das nicht, dass ich nicht lesen kann." Inzwischen hänge ich mit einem Bein in der Jeans und hüpfe auf dem Abderen durchs Zimmer. ,, Na gut. Von mir aus. Aber nur zwei Stunden!"
,, Du bist die beste Schwester der Welt! Ich bitte dich auch nie wieder um etwas!" Lara springt vorfreudig auf meinem Bett herum, das ein gefährliches Knarzen von sich gibt und wirft Jola immer wieder in die Luft, nur um sie dann wieder aufzufangen.
Worauf habe ich mich nur eingelassen?
,, Sieht das gut aus?" Vor mir nestelt Dad an der dunkelblauen Tischdecke herum, auf der er unzählige Kürbisse in verrückten Formen platziert hat. ,, Es sieht genauso aus, wie vor einer halben Stunde. Es sieht gut aus!" Ungeduldig wippe ich vor und zurück, der kühle Wind durchdringt meine dünne Steppjacke und meine Zehen spüre ich kaum noch. ,, Aber-"
,, Nichts aber." Ich will, dass er sich beruhigt. ,, Prima." Zufrieden wischt er sich den Schweiß von der Stirn. ,, Wie spät ist es?"
Ich werfe einen Blick auf meine Armbanduhr. ,, Halb zwölf. In einer halben Stunde geht's los."
,, Sooo lange noch!", quengelt Lara, ,, Ich will Zuckerwatte!"
Als ich die Hand aus der Jackentasche nehme und Lara an der Hand nehme, damit sie nicht wegläuft, ist sie rot und rau von der Kälte.
Die halbe Stunde laufen wir zwischen den Ständen hindurch und begutachten Herbstkränze, Kürbisse, frischen Karamell und selbsgezogene Duftkerzen. Und als das Verkaufen endlich beginnt, und unzählige Menschen über die unebene Pflasterung des Platzes schlendern, bleibe ich mit Lara an einem Stand stehen, der Armbänder verkauft.
,, Schau mal, wie schön!" Verträumt deute ich auf ein selbstgeknüpftes dunkelbraunes Lederband mit einem kleinen, silbernen Mondanhänger.
,, Mayaaa, ich will Zuckerwatte!", motzt sie, doch ich beachte sie nicht. ,, Wie viel kostet das?"
Die rundliche Frau mit unfreundlichem Gesicht, sieht von ihrer Frauenzeitung auf und lässt den Artikel über die vermeintliche Affäre eines berühmten, amerikanischen Regisseurs unter dem Tresen verschwinden. ,,Fünf Euro", grunzt sie. Gedankenverloren zupfe ich einen Schein aus meiner Jackentasche und reiche ihn der Frau, die mir das Armband gibt.
,, Lara, guck mal! Ist das nicht hübsch?" Endlich löse ich den Blick von meinem erworbenem Schmuckstück. Doch meine kleine Schwester steht nicht mehr neben mir.
,, Lara!", rufe ich verzweifelt durch die Menschenmenge, doch so viele Menschen erzählen gleichzeitig, dass man mich wohl kaum zehn Meter weit hören kann. Seit einer Viertelstunde irre ich nun schon durch die Straßen und habe sie noch nicht gefunden. Dad habe ich noch nicht Bescheid gesagt.
Ich will nicht, dass er weiß, dass ich nicht mal ein paar Minuten auf meine fünfjährige Schwester aufpassen kann. Doch auch am Zuckerwattenstand ist Lara nicht. Was, wenn ihr etwas passiert?
Aber vielleicht ist sie ja auch inzwischen gar nicht mehr auf dem Markt. Ich biege in eine schmale Gasse ein, die aus der Stadt hinausführt und nur noch leise ist der Lärm der Menschen von weit weg zu hören. Doch plötzlich nehme ich eine laute Stimme am Ende des Weges wahr:
,, Sie ist bestimmt hier!" Mit einem Schreck stelle ich fest, dass Ben spricht. Seine Stimme würde ich unter Tausenden wiedererkennen. Ich drücke mich an die kalte, raue Wand, hoffe, dass Sie an der Gasse vorbeigehen. Ein Regentropfen fällt aus der Regenrinne auf meinen Kopf und rinnt meinen Nacken herab.
,, Ach ja? Oder hast du gelogen?" Resala. ,, Ihr Vater hat es gedacht, ich war auch dabei. Hört auf zu streiten." Das ist Rick.
Ich will, dass sie weggehen... Obwohl ich weiß, dass es nichts bringt. Leise schleiche ich in die entgegengesetzte Richtung davon, in der Hoffnung, unbemerkt zu bleiben. Ängstlich werfe ich einen Blick nach hinten, doch die drei sind glücklicherweise nicht in meinem Sichtfeld. Aber ich bemerke die Regentonne nicht, die jemand vor mir in die schmale Straße gestellt hat und in die, in regelmäßigen Abständen das Wasser aus dem Rohr tropft.
Laut scheppernd fällt die Tonne zu Boden, das Wasser ergießt sich in einem Schwall über die Pflasterung aus roten Steinen. Ich stolpere über das blaue Fass und sitze nun laut fluchend in der grünlichen Grütze, das kalte Wasser durchdringt den dünnen Stoff meiner Hose und sie saugt sich damit voll.
,, Was war das?", flüstert Rick erschrocken. Und in diesem Moment tauchen Ben, Rick und Resala am anderen Ende der Gasse auf. Scheiße. Und ich beginne zu rennen.
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