Kapitel 9
PoV: Rogue
Die Nacht im Wald ist kälter, als ich es erwartet hatte. Der Wind pfeift durch die Baumkronen, und die Geräusche der Nacht sind eine ständige Erinnerung daran, dass die Wildnis niemals schläft. Ich sitze am Eingang der Höhle, die Augen auf die Dunkelheit gerichtet, doch meine Gedanken sind bei den Gestalten hinter mir – bei ihr.
Lia. Ihr Name hat sich wie ein Schatten in meinen Geist gegraben. Und jetzt liegt sie hier, nur wenige Schritte entfernt, von Rauch gezeichnet, aber lebendig.
Ich sollte sie vergessen. Sie und die Kinder. Es wäre einfacher, sie zurückzulassen, sie ihrem Schicksal zu überlassen. Das hier war nicht mein Kampf, nicht mein Krieg. Doch etwas hält mich zurück. Vielleicht ist es das Wissen, dass Alex, der mich so lange kontrolliert hat, sie zerstören wollte. Oder vielleicht ist es einfach die Tatsache, dass sie mich an etwas erinnert, das ich längst verloren habe.
Ich drehe mich um und blicke in die Höhle. Lia liegt auf der Seite, ihre Atmung schwer, aber gleichmäßig. Die Kinder liegen zusammengerollt um sie und an sie gekuschelt wie kleine, verletzliche Bündel. Sie schlafen tief, zu erschöpft, um die Gefahr zu spüren, die noch immer über uns schwebt.
Ein Geräusch im Wald lässt meine Muskeln sich anspannen. Ich springe auf die Füße, die Augen in die Dunkelheit gerichtet. Mein Herz schlägt schneller, doch ich zwinge mich, ruhig zu bleiben. Es könnte alles sein – ein Tier, der Wind, oder... jemand, der uns sucht.
Ich greife nach dem Messer an meiner Hüfte, das einzige Werkzeug, das ich noch besitze. Meine Ohren sind gespitzt, meine Muskeln angespannt. Wenn es Alex' Männer sind – obwohl er tot ist, könnten sie immer noch Befehle ausführen –, werde ich kämpfen. Doch wenn es Adam ist? Der Gedanke lässt mir das Blut in den Adern gefrieren. Was würde er tun, wenn er erfährt, dass ein Rogue seine Mate gerettet hat?
Ein Schatten bewegt sich in der Ferne, und ich mache einen Schritt nach vorn. Meine Hand umklammert den Griff des Messers, während ich die Luft einziehe. Doch dann verstummt das Geräusch, und die Dunkelheit kehrt zurück. Ich bleibe noch einen Moment stehen, bevor ich langsam wieder entspanne.
Zurück in der Höhle knie ich mich neben Lia. Sie sieht friedlich aus, doch ich weiß, dass das nur eine Illusion ist. Ihre Wunden sind oberflächlich, aber die Narben, die das Feuer in ihrem Geist hinterlassen hat, werden nicht so leicht heilen. Was hat sie alles durchgemacht? Und was wird passieren, wenn sie aufwacht und sich erinnert, wer sie ist – und wer ich bin?
Mein Blick wandert zu den Kindern. Sie sind noch unschuldiger als sie. Sie wissen nicht, dass ihr Leben für viele Wölfe nur ein weiterer Spielstein in einem endlosen Machtkampf ist. Ich hätte sie nicht retten sollen. Ich hätte keinen von ihnen retten sollen. Doch jetzt, da sie hier sind, kann ich sie nicht mehr loslassen.
Ich streiche mir mit einer zitternden Hand durchs Haar und lehne mich gegen die kühle Wand der Höhle. Der Gedanke, dass Adam uns sucht, dass er alles tun würde, um Lia zurückzubekommen, lässt meinen Puls rasen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis er uns findet. Und dann? Ich werde mich verteidigen müssen, obwohl ich weiß, dass ich keine Chance habe.
„Warum tue ich das?" flüstere ich leise in die Dunkelheit. Es gibt keine Antwort, nur das leise Atmen derer, die ich gerettet habe. Vielleicht liegt die Antwort irgendwo in dieser Stille, doch ich bin zu müde, um sie zu suchen.
Ein Gedanke kommt mir: Vielleicht rette ich sie, weil ich hoffe, dass es mich selbst rettet. Dass es mir zeigt, dass ich noch immer mehr bin als ein Rogue, mehr als das Werkzeug, zu dem Alex mich gemacht hatte. Vielleicht glaube ich, dass ich durch sie einen Teil von mir zurückgewinnen kann.
Ich schließe die Augen, doch der Schlaf kommt nicht. Die Nacht ist lang, und der Morgen bringt neue Gefahren. Aber wenn es eine Chance gibt, Lia und die Welpen in Sicherheit zu bringen, werde ich sie nutzen – auch wenn es mich mein Leben kostet.
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