Kapitel 14
PoV: Rogue
Die Dunkelheit des Waldes ist mir vertraut, eine ständige Begleiterin, die ich längst akzeptiert habe. Aber heute fühlt sie sich schwerer an, als ob sie gegen mich arbeitet. Vielleicht liegt es an den leisen Atemzügen, die aus der Höhle hinter mir dringen, an den Fragen, die ich nicht beantworten will, oder an dem Schmerz, der in Lias Stimme lag.
Ich hätte gehen sollen, bevor sie erwacht ist. Sie und die Kinder wären eine Spur weniger, die ich hinterlasse, ein Problem weniger, das mir auf den Fersen klebt. Doch ich habe nicht auf meinen Instinkt gehört, und jetzt bin ich hier, mit einer Verantwortung, die ich nie wollte.
Ich werfe einen Blick zurück zur Höhle. Sie ist eine Silhouette, kaum mehr als ein Schatten in der Dunkelheit, doch ich weiß, dass sie dort ist – wach, wartend, mit mehr Fragen, als ich bereit bin zu beantworten. Ich spüre ihre Verzweiflung, ihre Wut, aber auch ihre Stärke. Sie versteht es vielleicht noch nicht, aber diese Stärke wird sie brauchen. Bald.
„Wir müssen weiter," murmle ich in die Nacht, mehr zu mir selbst als zu ihr. Die Dunkelheit des Waldes bietet uns Schutz, doch sie birgt auch Gefahren. Wir können es uns nicht leisten, hier länger zu bleiben. Ich werfe einen Blick zurück zur Höhle, wo sie und die Kinder warten, und spüre die Last der Verantwortung wie ein Stein auf meiner Brust.
Ich weiß, dass wir schneller sein könnten – leiser, unauffälliger –, wenn ich nicht in dieser Form wäre. Mein Wolf kann sich durch den Wald bewegen, ohne eine Spur zu hinterlassen. Und vielleicht, nur vielleicht, könnte ich dann auch die Gefahr besser wittern, die uns verfolgt. Doch ich weiß auch, dass sie es nicht verstehen wird. Noch nicht.
Als ich die Höhle betrete, sehe ich, wie sie mich beobachtet. Ihre Augen folgen mir, wachsam, zweifelnd. Die Kinder schlafen in einer Ecke, ihre kleinen Körper eng aneinander geschmiegt. Lia sitzt mit dem Rücken an die Höhlenwand gelehnt, ihre Beine angezogen, die Arme um die Knie geschlungen.
„Wir brechen auf," sage ich knapp und halte meinen Blick fest auf sie gerichtet. „Wir müssen uns beeilen."
„Wohin?" fragt sie, ihre Stimme leise, aber fest. Sie ist stark, das sehe ich. Doch da ist auch Angst in ihren Augen, und ich weiß, dass sie mich nicht ganz vertraut.
„An einen sicheren Ort," antworte ich, ohne ins Detail zu gehen. „Wecke die Kleinen."
Sie erhebt sich langsam, weckt die Kinder mit sanften Worten, und ich beobachte sie dabei. Es ist klar, dass sie keine Vorstellung davon hat, wie viel sie wirklich in sich trägt – nicht nur die Stärke, sondern auch die Verbindung zu dem, was sie ist.
Als wir uns auf den Weg machen, merke ich schnell, dass wir zu langsam sind. Die Kinder haben Mühe, Schritt zu halten, und Lia wirft mir immer wieder nervöse Blicke zu. Ich spüre, dass sie weiß, dass etwas nicht stimmt, dass ich mich zurückhalte.
Nach einer Weile bleibe ich stehen. „Das reicht nicht," sage ich und lasse die Worte in der Stille hängen.
„Was meinst du?" fragt sie, ihre Stimme jetzt angespannt.
„Wir sind zu langsam. Wenn wir so weitermachen, werden sie uns finden."
„Wer?" Ihre Augen weiten sich, und ich sehe die Angst darin. „Wer wird uns finden?"
„Das spielt keine Rolle," antworte ich und atme tief ein. „Aber wir können uns keine Fehler leisten. Ich werde uns helfen."
Bevor sie etwas sagen kann, spüre ich, wie sich die Verwandlung in meinem Körper anbahnt. Ich lasse sie zu, das vertraute Brennen, das Ziehen in meinen Muskeln, als mein Körper sich anpasst. Es dauert nur einen Augenblick, und ich stehe auf vier Pfoten, mein Fell sträubt sich im Wind, meine Sinne schärfen sich.
Als ich ihren erstickten Laut höre, drehe ich den Kopf. Lia hat einen Schritt zurück gemacht, ihre Hand vor den Mund geschlagen. Ihre Augen sind weit aufgerissen, und ich sehe Panik darin.
„Bleib... bleib weg!" stammelt sie, ihre Stimme zittert.
Ich trete einen Schritt auf sie zu, mein Kopf leicht gesenkt, um nicht bedrohlich zu wirken. Doch es scheint nicht zu helfen. Sie weicht zurück, ihre Augen suchen verzweifelt nach einem Fluchtweg.
„Lia," sende ich durch das MindLink, meine Gedanken ruhig und weich. Doch sie reagiert nicht, versteht mich nicht.
Ich lasse die Verwandlung zurückweichen, spüre, wie meine menschliche Form zurückkehrt. Als ich wieder vor ihr stehe, vermummt und mein Gesicht im Schatten, atmet sie schwer, ihre Hände zittern. „Was war das?" flüstert sie, ihre Stimme bricht.
„Du kannst das auch," sage ich schlicht, meine Augen direkt auf ihre gerichtet.
Sie schüttelt den Kopf, lacht leise, ein bitteres, verzweifeltes Lachen. „Nein. Nein, ich bin... ich bin kein..."
„Doch," unterbreche ich sie und trete näher. „Du weißt es vielleicht nicht, aber du bist wie ich. Es ist in dir, Lia. Du musst es nur zulassen."
„Nein," flüstert sie erneut, ihre Hände umklammern sich selbst. „Ich... ich kann das nicht."
„Du kannst," sage ich, meine Stimme fester jetzt. „Und wenn du es nicht für dich tust, dann tu es für sie." Ich deute auf die Kinder, die sie immer noch anblicken und an ihren Händen hängen, als wäre sie ihre einzige Hoffnung.
Ich strecke die Hand nach ihr aus, warte, bis sie sie nimmt. „Ich werde es dir zeigen," verspreche ich. „Aber zuerst musst du mir vertrauen."
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro