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Warum hasste mich mein Leben nur so sehr? Ich hatte wirklich gedacht, einmal passiert mir was gutes und ich bekomme einen einfachen, ruhigen Job. Stattdessen landete ich in der muffligen Kammer eines Idioten, der mich gerade extrem abschätzig und unfreundlich ansah. Ich machte mir nicht die Mühe, ihm ein falsches Lächeln zu schenken. Das hatte er nicht verdient.
»Ich bin auch nicht allzu erfreut, Sie zu sehen, danke und einen schönen Guten Morgen«, fauchte ich bissig und verschränkte die Arme vor der Brust. Wenn ich denn Job eh nicht bekommen konnte, musste ich ja auch nicht mehr die Nette spielen. Mycroft bedachte mich mit einem kühlen Blick und seufzte genervt. Ich hatte mir das hier auch anders vorgestellt, wenn ich ehrlich war. Doch das änderte nichts an unserer blöden Situation; ich mochte ihn nicht, er mochte mich nicht und wir sollten zusammen arbeiten. Manchmal möchte man das Universum am liebsten schlagen und einer dieser Momente war jetzt.
»Also … Miss ♥♥♥, ich hoffe, Sie sind zu Anrufern und Besuchern hier netter. Das Büro ist nebenan«, sagte der Holmes plötzlich und wandte sich wieder einem Stück Papier auf seinem Schreibtisch zu. Mir blieb der Mund offen stehen. Er wollte mir den Job trotzdem geben?!
Das war doch nicht sein Ernst oder?! Dumm schaute ich ihn an, in Erwartung, dass er noch irgendetwas sagen wollte. Aber nichts der Gleichen; er saß stumm da, würdigte mich keines Blickes und schrieb auf irgendeinem Papierwisch. Die Sache war für ihn wohl gegessen - erwachsener als ich eigentlich dachte. Aber wollte ich den Job jetzt überhaupt noch? Naja, ich musste Miete bezahlen, den Kühlschrank, ein Bett … Ich beschloss, den Job fürs Erste zu behalten - wenn Mycroft seine Meinung nicht änderte - und mir dann was anderes zu suchen. Zufrieden ging ich aus dem Raum und öffnete die Tür gleich daneben; der Raum war eben so klein, aber leer, da in ihm nur ein Schreibtisch, Lampe und Telefon standen. Es war ehrlich gesagt nicht sehr gemütlich, aber was soll's. Seufzend schloss ich die Tür und ließ mich auf den Bürostuhl fallen. Hart. Zu hart um hier den ganzen Tag zu sitzen. Aber ich hatte keine Zeit, mich weiter innerlich zu beschweren, da in diesem Moment das Telefon klingelte.
Erschöpft starrte ich auf meinen Block, auf dem fünfunddreißig Namen, Uhrzeiten und Treffpunkte oder Rückrufwüsche standen. Es war erstaunlich, wie viele Menschen in acht Stunden alles anrufen konnten. Außerdem wurde mir klar, wie viel Mycroft anscheinend zutun hatte. Vielleicht war er Samstag deshalb so genervt und in Eile gewesen … Trotzdem kein Grund, sich wie ein Arschloch zu verhalten. Ich war zwar auch nicht besser drauf gewesen, aber er hatte angefangen!
Langsam erhob ich mich, streckte meine steifen Glieder und ging mit dem Zettel in Mycrofts Zimmer, wo jener immer noch unverändert saß. Hatte er die ganze Zeit durchgearbeitet? Ich zumindest hatte eine halbe Stunde Mittagspause, wo ich in ein Café gegangen war. Aber darüber brauchte ich mir eigentlich keine großen Gedanken machen - das gehörte nicht zu meinem Job.
Ich knallte ihm den Block auf den Tisch, so dass er mich bemerken und aufsehen musste. In seinem Blick lag Eiseskälte und ich musste erstmal schlucken, bevor ich mein Pokerface aufsetzen konnte.
»Diese Personen haben angerufen. Nummern, Namen et cetera stehen drauf. Ich mach dann Feierabend.«
War meine Stimme etwa unsicher? Ganz bestimmt nicht, verdammt! Aber was ich jetzt definitiv brauchte, war ein Drink, in einem schönen Pub.
»Das geht auch netter«, quittierte Mycroft mein Auftreten mit hochgezogener Augenbraue. Jetzt wurde mir wieder klar, warum ich ihn so hasste, auch wenn ich ihn kaum kannte.
»Das selbe gillt auch für Sie. Ich verabschiede mich dann. Morgen wieder um die selbe Zeit, Sir?«
Ich spuckte die Worte förmlich aus und warf ihm einen giftigen Blick zu. Allerdings hoffte ich, ihn nicht wirklich angespuckt zu haben, denn das war definitiv zu eklig …
»Nein, morgen habe ich erst eine Konferenz und bin dann um neun Uhr hier. Früher brauchen Sie nicht zu kommen.«
Schweigen. Dann nickte ich und wandte mich zum Gehen.
Ich konnte morgen also länger schlafen, das war doch schonmal was. Auch wenn ich diese Logik nicht ganz verstand; gerade wenn er nicht da war, brauchte er doch jemanden, der Anrufe annahm und so. Naja, vielleichz dachte er, ich würde sein Büro durchwühlen, wenn ich hier allein war - was ich wahrscheinlich auch täte. Ich meine, ich mochte ihn zwar nicht, aber er war interessant.
»Warten Sie.«
Er griff leicht an meinem Ärmel und zog mich zurück, wozu er sich über seinen Schreibtisch beugen musste. Was erlaubte er sich eigentlich?! Dieses Kostüm war für mich SEHR teuer und ich hatte keine Lust, es wegen einem ausgeleiertem Ärmel in die Tonne zu hauen!
»Was?!«, fauchte ich deshalb und drehte mich richtig zu ihm um.
»Mein Terminkalender. Synchronisieren Sie ihn bitte bis morgen mit der Liste. Und meine Telefonnummer steht auch drin, falls etwas ist.«
Er drückte mir ein mit schwarzem Samt bezogenes Buch in die Hand und gab mir auch die Liste zurück. Überstunden, na super! Jetzt brauchte ich schon zwei Drinks …
»In Ordnung. Viel Spaß dann noch hier.«
Diesmal ging ich wirklich aus dem Büro, ohne, dass er mich aufhielt und steuerte das nächste Pub an.
Zuhause angekommen zog ich erstmal die nervigen High Heels aus, die meine Füße fast umgebracht hatten. Auch das blaue Bussineskostüm segelte einfach zu Boden und es war mir egal, ob es schmutzig wurde. Ich wollte einfach nur noch ins Bett. Wahrscheinlich war es die Wirkung des Alkohols, dass ich mich plötzlich so allein und verlassen fühlte. Aber sollte Bier nicht die gegenteilige Wirkung haben, und einen fröhlich machen? Schöne Scheiße auch! Ich stolperte zu meinem Deckenlager und ließ mich seufzend darauf fallen. Einige Minuten herrschte Stille. Jap, ich fühlte mich allein und der Alkohol machte es nur schlimmer. Warum hatte **** ohne mich abhauen müssen?! War ich so eine Last für sie gewesen?! Dabei war sie doch … meine einzige Freundin.
Ich streckte mich, um die Handtasche, die ein paar Meter entfernt auf dem Boden lag, zu erwischen. Daraus zog ich mein Handy. Keine neuen Nachrichten von ****. Verdammt, seit Freitag hatte sie sich nicht mehr gemeldet! Was war nur aus uns geworden?! Was war nur aus mir geworden?! Es bildete sich ein dicker Kloß in meiner Kehle und einige heiße Tränen rannen meine Wangen hinab. Dann kam die Wut; diese blöde Kuh! Wenn sie mir schon die Freundschaft kündigte, konnte sie das auch richtig sagen! Beherzt drückte ich auf Anrufen. Es piepte, piepte und piebte …
»Der Anrufer ist derzeit nicht verfügbar. Bitte hinterlassen sie eine Nachricht nach dem Piepton. Piep.«
Das war ja jetzt sowas von klar gewesen!
»Liebe ****. Hier ist deine ehemals beste Freundin, ☆☆☆☆. Ja, mich gibt es noch! Und weißt du was?! Du kannst mir gestohlen bleiben! Einfach abhauen und mir nichtmal bescheid sagen! Weißt du eigentlich, wie weh das tut? Ich dachte mal …«
Die Tränen gewannen den Kampf und ich schluchzte ein paar Mal laut auf. Wie peinlich, aber das war mir jetzt auch egal.
»Ich dachte mal, du würdest mich mögen! Aber nein … Während ich deine Spielchen ertragen muss, interessiert es dich null, was ich mache und wie es mir geht! Weißt du eigentlich, wie scheiße mein Leben gerade ist?! Nicht mal ein Bett ist bisher in meiner Wohnung und ich muss auf dem Boden schlafen. Der Lärm hier ist unerträglich und ich bin fast pleite!«
Ich weiß nicht mehr, was ich danach noch sagte, aber es waren wohl Beleidigungen und Schluchzer der üblen Sorte. Mir ging es dreckig.
Nach einer weiteren halben Stunde, in der ich aufgelegt und geheult hatte, machte ich mich daran, Mycrofts Terminkalender zu synchronisieren, auch wenn ich dabei die ganze Zeit maulte. Auf mein Handy schaute ich erst wieder, als ich meinen Wecker neu stellen wollte, doch dabei fiel mir etwas auf; ich hatte ausversehentlich aufs Anrufprotokoll geklickt und sah nun die zuletzt angerufene Nummer. Aber das war nicht ****. Es war die von Mycroft Holmes, die ich vorhin im Pub eingespeichert hatte.
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