Kapitel 18
Sicht Julia
Am Esstisch sitzend quäle ich mir nun doch etwas zu Essen herunter. Nachdem ich mich eigentlich den ganzen Tag zu nichts hatte bewegen können, muss ich jetzt etwas essen. Für mich, für Niklas, für unser kleines. Seufzend lege ich mir eine Hand auf den Bauch, in der Hoffnung so könne ich meinem, Niklas und meinem (!) kleinen, vermitteln, dass ich da bin, dass ich für es esse. Und natürlich für Niklas und mich. Aber vor allem für es und meinen Verlobten. Meinen Verlobten... Erneut verlässt ein leiser Seufzer meine Lippen, bevor ich das nächste Mal von meinen Brötchen abbeise und lustlos anfange darauf herum zu nagen. Wo bleibt er nur? Ich brauche ihn doch. Jetzt...
Die Nachricht von Ben ist jetzt bald auch 20min her. Mit dem Fahrrad braucht Niklas normalerweise eine viertel Stunde, wenn er sich beeilt weniger. Bei 20min muss schon viel Verkehr sein, oder... ihm ist etwas passiert. Für einen kurzen Moment, vergesse ich ganz das kauen und visiere die Uhr an. Genau 20min... Mit Mühe schlucke ich mein Brötchen herunter und schiebe den Teller mit der zweiten Hälfte von wir weg. Jetzt kriege ich sowieso nichts mehr herunter. Es kribbelt überall. Nicht aus Freude, wie man es in Büchern immer von verliebten Pärchen beschreibt bekommt, sondern aus Angst, um meinen Verlobten. Eine leichte Gänsehaut breitet sich über meine Arme aus und bringt mich innerlich zum frösteln, obwohl es draußen alles andere, als kalt ist und die Wärme sich über den Sommer, der sich jetzt ja langsam dem Ende neigt, auch in unserer Wohnung ausgebreitet hat. Nicht so, dass man es nicht aushalten könnte, aber auch nicht mehr so ganz kühl. Schluckend stehe ich auf und stelle mich an unserer Kuchentheke. An der Wand springt mir ein Bild von Niklas und mir entgegen. Wir küssen uns. Wir wirken glücklich. Es war das erste Bild das wir nach Caro zusammen gemacht haben und wir wollten ihm einen besonderen Platz geben. Jetzt hängt es in der Küche, unter unserer Uhr und wenn man auf sie schaut, fällt sein/ihr Blick automatisch auch auf uns.
Wenn man genauer drüber nachdenkt, hat dieses Bild an seiner Stelle eine doppelte Bedeutung. Unter der Uhr... Eine Uhr zeigt die Zeit an und das Bild hat einen bestimmten Zeitpunkt, nach einer äuserst anstrengenden Zeit festgehalten. Es ist wie der beginn, einer neuen Niklia-Zeit und diese werde ich mir nicht wieder kaputt machen lassen. Und deswegen muss ich Niklas unbedingt sehen. Jetzt gleich.
Mein Blick wandert langsam nach oben auf die Uhr. Durch das Durcheinander in meinem Kopf schaffe ich es nicht, mich darauf zu konzentrieren was die Uhrzeit ist, stattdessen fixiere ich den Sekundenzeiger und wandere mit ihm, um das runde Ziffernblatt. Tik. Tak. Tik. Tak. Schleichend Langsam bewegt sich der Zeiger im Kreis. Und mit jedem überspringen, werde ich ein wenig nervöser und unruhiger. Was ist wenn ihm wirklich was passiert ist?
„Süße? Hey, die Ampeln... Es tut mir leid, ich wäre schon früher... Ich wäre schon dagewesen, aber-" Erst ließ mich Niklas Stimme hochschrecken, doch als ich begreife, dass es Niklas, Niklas Stimme ist, drehe ich mich schnell um und schließe ihn in meine Arme. Den Duft seines Parfüms, Seinen Duft wieder zu riechen, seine starken Arme, um mir zu spüren und in seine blau-grünen Augen sehen zu können, tut meiner, von dem Tag, von dem ich immer noch nicht glauben möchte, was alles an ihm passiert ist, geschundenen Seele unfassbar gut. „Ich hab' dich nicht kommen hören." Nein. Das hatte ich wirklich nicht. Ich weiß nicht, ob es die tickende Uhr oder meine innere Gedankenspirale war, die es geschafft hatte, dass ich Niklas nicht hörte, doch bis er angefangen hatte zu reden, habe ich nichts von ihm mitbekommen. Ohne mir eine Antwort zu geben, drückt Niklas mich enger an sich. Fast gleichzeitig atmen wir tief ein, bevor ich vorsichtig einen winzigen Schritt nach hinten geh', um meinem Verlobten in die Augen sehen zu können.
Wie vorher flüstere ich nur: „Es tut mir so leid, Niklas. Es tut mir wirklich, wirklich leid. Ich...-" „Ich weiß." Auch Niklas spricht nur leise, als er mir antwortet und mir traurig in die Augen sieht. Er seufzt einmal und legt seine Hand an meine Wange. Während er mit dem Daumen über sie streicht, wiederholt er noch leiser, als zuvor seine Worte: „Ich weiß." Anstatt zu antworten, schlucke ich. Schon jetzt haben sich in meinen Augen Tränen gesammelt und die Erkenntnis wie Recht ich doch hatte, als ich Caro sagte, dass sie eine Lügnerin ist, macht die ganze Situation nicht einfacher.
Als Niklas nichts mehr sagt, schaffe ich es nicht, es einfach still werden zu lassen, also mache ich das Einzige, was mir richtig erscheint und fange an zu erzählen, was mir heute passiert ist. Womit ich nicht gerechnet habe ist, dass Niklas schon mehr weiß, als ich wissen kann, dass er weiß. „Ich... Ich hab Vivi getroffen. In der Cafeteria. Ich wollte doch Kaffee hohlen. Und..." Unwillkürlich fängt ein Bild an sich vor meinem inneren Auge zu bewegen, der mehr und mehr zu einem Film wird. Ein Film meiner Erinnerungen. Ich muss schlucken und sehe verzweifelt zu Niklas auf. „Du hast Caro getroffen!" Niklas Aussage ist keine Frage. Es ist eben genau dies. Es ist eine Aussage. Und auch wenn ich nicht weiß, woher er es weiß, nicke ich.
Schon im nächsten Moment, zieht sich mein Herz schmerzhaft zusammen. Was ist wenn Caro doch Recht hatte? Verzweifelt probiere ich mir nicht anmerken zu lassen, wie ich mehr und mehr das Gefühl habe jeglicher Sauerstoff würde aus unserer Wohnung entweichen. Die Stelle an meiner Wange, an der Niklas noch immer seinen Daumen liegen hat, fühlt sich auf einmal so seltsam taub an. Woher weiß er, dass ich auf Caro gestoßen bin? Wie kommt er überhaupt auf sie?
„Julia...?" In der sanften Stimme meines Verlobten, schwingt ein Hauch von Besorgnis mit. Er reißt mich so plötzlich aus meinen Gedanken, dass ich keine Zeit habe darüber nachzudenken, was ich, als nächstes sage, sondern einfach rede: „Woher weißt du das? Hat... Hatte sie Recht?" Als ich höre was ich sage, schlucke ich. So wollte ich ihm das eigentlich nicht an den Kopf werfen. Vor allem, da es unendliche Fragen aufwirft. Niklas sieht mich stirnrunzelnd an und zieht seine Hand, von meiner Wange zurück, scheinbar von meinen Fragen verunsichert. Auch wenn mich es im Moment in meiner Vermutung bestärkt. „Verdammt Niklas?! Woher?" Ich werde lauter, doch ich brauche diese Antwort jetzt. Ein paar Sekunden sieht mein Verlobter mich nur an. Offensichtlich versteht er nicht, auf was ich hinaus will, doch dann antwortet er einfach, auch wenn mein Ton alles andere, als angebracht ist.
„Caro... Sie hat mir heute Morgen, Gestern Abend geschrieben. Also sie hat mir Gestern Abend geschrieben, aber ich habe es erst heute Morgen gesehen... als du einfach nicht mehr da warst." Niklas stoppt kurz und schluckt. In seiner Hosentasche kramt er nach seinem Handy und streckt es mit nachdem er es entsperrt hat entgegen. Direkt springt mir sein Chat mit Caro entgegen. Während ich mir das Ganze ansehe, redet Niklas weiter, wenn auch sehr leise: „Sie hat erst geschrieben, dass sie hier ist. Sie hat gefragt, ob wir uns sehen wolllen, sich dann, aber noch in der gleichen Nachricht dazu entschieden einfach vorbei zu kommen. Die zweite Nachricht kam heute Morgen... Du hättest deine Lektion gelernt... Du hast keine Ahnung was für Horrorszenarien in meinen Kopf... Julia?" Niklas schluckt erneut. An dem flehenden Unterton in seiner Stimme höre ich, wie ernst es ihm ist, weswegen ich zu ihm nach oben sehe. „Zusammen mit Vivi... Durch sie weiß ich es. Und durch diese Nachricht. Ich konnte mich den ganzen Tag nicht auf die Arbeit konzentrieren, als Ben mir nach der OP mit Leyla meinte, dass du ihm geschrieben hast und als er uns dann deine Nachricht vorgelesen hat, bin ich direkt hier her. Julia ich habe mir den ganzen Tag unfassbare Sorgen machen müssen. Eigentlich hätte ich heute wahrscheinlich nicht mal arbeiten sollen, geschweige denn operieren. Caro hat uns schon mal gezeigt, zu was sie Fähig ist. Das letzte Mal wärst du fast gestorben. Ich habe dir damals versprochen auf dich aufzupassen, dafür zu Sorgen, dass sowas nicht wieder passiert und ich konnte es nicht halten... Und das tut mir leid." Eine stumme Träne bahnt sich einen Weg über meine Wange. Niklas hat Recht. Der ganze Tag muss schrecklich für ihn gewesen sein und ich bin nur damit beschäftigt, ihm zu unterstellen..., Caro zu glauben.
Die Zeit des Unfalls war für uns beide so schwierig. Und Niklas Versprechen, im Nachhinein dumm, aber es war für uns beide damals so wichtig. Ein Blick in die Augen meines Verlobten, verrät mir einmal mehr, wie es ihm geht. Er hat sich den ganzen Tag Sorgen gemacht, er weiß nicht was los ist und er hat ein Versprechen mir gegenüber gesprochen. Es sind wohl nur ein Hauch der Dinge die gerade wirklich in dem Kopf meines Zukünftigen abgehen, doch als ich sehe, wie sich auch in seinen Augen Tränen bilden und er leicht mit dem Kopf schüttelt, muss ich mich von seinen Augen abwenden, um den Schritt zwischen uns zu schließen und mich wieder in Niklas Arme zu kuscheln. „Es muss dir nicht leid tun! Mir tut es leid. Dass ich Caro geglaubt habe, dass ich gezweifelt habe und dass ich... dass ich so laut geworden bin. Das war nicht fair." Seufzend wische ich mir die nächste Träne von der Wange, die sich einen Weg über sie gesucht hat, wie ein Regentropfen an einem Fenster und blicke erneut zu Niklas auf. Er "antwortet" mir mit einem leichten Lächeln und einem liebevollen Kuss, denn bestimmte Gesten sagen mehr, als Tausend Worte. Und dieser Moment wird für immer Teil meines Herzens sein.
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And this was the next chapter. Hope y'all like it!
LeylaJohanna... Die Versprechen... Mir ist beim schreiben, noch was dazu eingefallen, was dich interessieren könnte: Manchmal verspricht man Dinge, obwohl man weiß, dass man sie sehr wahrscheinlich nicht halten kann, ohne darüber nachzudenken, aber weil es die Situation gerade fordert. Und man damit wohl nicht direkt versprechen möchte, dass man es auch hält, sondern, um zu sagen, dass man alles dafür tut, es zu halten. In dem Fall hat Niklas das damals versprochen, damit es Julia besser geht und weil er seine Julia, um jeden Preis beschützen wollte/ möchte.
Also:
Ich bin voll bei dir: Ein Versprechen zu geben, von dem man weiß, dass man es nicht halten kann, ist doof. Eins zu geben, dass man nicht hält, noch mehr. Allerdings glaube ich, müssen wir hier, die "Art" des jeweiligen Versprechen und die äußeren Umstände in dehnen es gegeben wurde, beachten.
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So und nach dieser kleinen Gedanken-Exkursion ist dieses Kapitel endgültig beendet.
Habt noch einen schönen Tag!
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