Kapitel 6 ~ Nach dem Game Over kommt der Neustart #1
„Oma, wer in meinem Alter trinkt bitte Tee? Du wirst es nie lernen, oder?" Selbst von hier wusste ich, dass er grinste. Ich atmete tief durch, jetzt gab es kein Zurück mehr. „Also meine Begleitung ist wegen des Tees hier", sagte sie trocken. Ich glaube, wenn ich nicht wüsste, dass sie seine Oma war, hätte ich sie für jünger gehalten. Neben ihrer Sportlichkeit passt auch ihr Umgangston mit Jason nicht zu ihrem Alter.
„Welche Begleitung denn eigentlich?" Er beugte sich über das Geländer und wir sahen uns nur für den Bruchteil einer Sekunde an. Warum war ich nur mitgekommen? Es war ja klar gewesen, dass er mich nicht sehen wollte. Dann hörte man Schritte auf der Treppe. Mein Herzschlag vervierfachte sich. Das letzte Mal, als ich hier gestanden hatte, war er gekommen, um mich zu umarmen. Dazu würde es jetzt sicher nicht kommen, aber ich war trotzdem gespannt.
Er würde mich ja wohl kaum rauswerfen, oder? Vor seiner Großmutter sollte er sich ja wohl benehmen. Aber man wusste ja nie. Ich machte mich auf so einiges gefasst, sogar auf einen möglichen Streit, aber er kam nicht. Stattdessen lächelte er: „Hey Cora." Ich konnte nicht sagen, was überwog; die Erleichterung oder die Verwirrung. Bevor ich zurücklächeln konnte, schob sich die alte Frau an mir vorbei. Ich schenkte ihr einen Moment lang meine volle Aufmerksamkeit und als ich wieder Jason anblickte, sah er mich nicht mehr an. Sein Blick war auf den Boden gerichtet.
„Was für einen Tee hättest du denn gerne Cora?" Sie hatte sich tatsächlich meinen Namen gemerkt. Dabei war es ewig her, dass wir zuletzt miteinander gesprochen hatten. Umso erstaunlicher, dass sie ihn noch wusste. Dabei kannte ich ihren gar nicht. „Was gibt es denn für Sorten?", fragte ich höflich. „Da hast du wohl die Qual der Wahl, Mag sammelt nämlich Tee", mischte sich Jason ein. „Mag?" Perplex sah ich zwischen den beiden hin und her.
Jason grinste, während seine Oma den Kopf schüttelte und die Augen verdrehte. „Eigentlich Magarete, aber da ich angeblich ja immer so tue, als wäre ich ein Jugendlicher, hab ich auch einen altersgerechten Spitznamen. Die meisten Leute nennen mich Maggie, aber das sei nicht -wie hast du es genannt?- fresh genug." Zoeys Bruder lief rot an. „Da war ich elf!", verteidigte er sich. Ich lachte los.
Es war bei weitem nicht so peinlich, wie ich angenommen hatte. Klar, es war ein wenig unangenehm mit Jason im selben Raum zu sein, aber die Atmosphäre war keinesfalls so angespannt, wie erwartet. Vielleicht lag es auch daran, dass wir nicht alleine waren, aber es gefiel mir so oder so. „Ich finde Sie sehr fresh", meinte ich lächelnd. „Sag ruhig du, sonst fühle ich mich so alt." Sie ging uns voran in die Küche. Jason beugte sich zu mir hinunter und fast hoffte ich, er würde mich küssen. Mir war klar, dass das nur alles wieder aufwirbeln würde, aber es könnte mir nicht egaler sein.
Aber er tat es ohnehin nicht, sondern flüsterte mir etwas zu: „Ist sie ja auch." Kaum dass wir uns wieder unterhielten, kam das ständige Lächeln zurück. Eigentlich sollte ich es ihm nicht so leicht machen. Aber andererseits machte er auf mich den Eindruck, als würde er das Ereignis einfach gerne vergessen. Ich ja auch, nur ging das nicht so schnell.
Vielleicht in einigen Wochen, wenn wir uns jetzt wieder besser verstanden. Neue, schöne Erinnerungen könnten die alten sicher überlagern. Dazu müsste er aber erst mal wollen. An mir würde es sicher nicht scheitern. „Also, welchen Tee denn jetzt?", fragte mich Maggie noch einmal.
Es fühlte sich komisch an, sie so zu nennen, selbst wenn es nur in Gedanken war. „Haben Sie Früchtetee?" Ich brauchte einige Sekunden, um meinen Fehler zu bemerken. „Entschuldigung, ich meine natürlich: hast du Früchtetee?" „Natürlich hat sie, sicher fünf Sorten." Langsam folgte ich Maggie in die Küche. Es hatte sich seit meinem letzten Besuch absolut nichts verändert. Allerdings lagen keine Papierkügelchen auf dem Boden herum, die auf eine Runde Mathebaseball hindeuten könnten.
Es war inzwischen etwa elf Uhr morgens. Jason wusste mit ziemlicher Sicherheit noch nichts von dem Kuss. Also dem von Kyle und Zoey. Von Cale konnte er es ja gar nicht wissen, gab es immerhin nur drei Leute die davon wussten. Zumindest glaubte ich das. Cale hatte es wahrscheinlich niemandem sonst erzählt. Und selbst wenn, wäre es wohl kaum zu Jason durchgekommen.
„Ja, Früchtetee ist da. Ich nehme einfach mal einen Beutel aus der offenen Packung, wenn das für dich okay ist." Ich nickte schnell; war ich mir doch ziemlich sicher, dass alle Tees fast genau gleich schmeckten. Mein ungeübter Gaumen sah jedenfalls keinen Unterschied. „Und du willst also keinen Tee, Jason?", fragte sie über das Rauschen des Wassers hinweg, dass sie in den Wasserkocher füllte. Er verdrehte die Augen und seufzte: „Also gut, dann trinke ich eben auch einen." Die alte Dame strahlte. Dann wandte sie sich mir zu: „Er ist nur so freundlich, weil du da bist. Ich fürchte, du musst ab jetzt öfter kommen."
Röte stieg mir ins Gesicht, aber bei einem unauffälligen Seitenblick stellte ich mit Genugtuung fest, dass es Jason offenbar nicht anders ging. „Mag, könntest du das lassen? Du verschreckst sie ja doch nur." Lächelnd schüttelte ich den Kopf: „Geht schon, meine Oma macht genau dasselbe, wenn wir jemanden mitbringen." Ich hatte geredet, bevor ich gedacht hatte.
Es war nicht Jason gewesen, der mich eingeladen hatte, auch wenn er der Grund gewesen war, weshalb ich mitgekommen war. Seine Großmutter hatte mich aufgegabelt, nicht er, aber in meinem Satz hörte es sich an, als wäre ich Jasons Date. Magarete schien es nicht aufzufallen, aber er sah mich an. Er hatte es genauso bemerkt wie ich. Na toll, da lief es endlich wieder besser zwischen uns und dann machte ich es kaputt. Gab es dafür einen Orden? Oder wenigstens einen Trostpreis?
Schnell sah ich zu Boden. Dann aber besann ich mich eines besseren; was ich gesagt hatte, war nicht mehr zurückzunehmen. Aber seine Reaktion darauf konnte vielleicht Aufschluss darüber geben, was genau er darüber dachte. Letzten Endes wusste er ohnehin, dass ich wegen ihm hier war. Auch wenn ich es niemals zugeben würde. „Wer seid ihr?" Die Betonung lag auf dem ihr. Hatte ich ihm wirklich nichts von meinem Bruder erzählt? „Simon, das ist mein Bruder, und ich. Aber ich habe um ehrlich zu sein sowieso noch nie jemanden mitgebracht. Er dagegen schon öfter."
Perplex sah Jason mich an: „Du hast einen Bruder?" Ich nickte: „Würdest du ihn kennen, kämest du sicher nicht mal auf die Idee, wir könnten verwandt sein. Aber ja, ich habe einen kleinen Bruder." Interessiert sah Magarete zwischen uns hin und her. „Versteht ihr euch gut?", fragte sie neugierig. Ich war mir fast sicher, dass sie es nur fragte, weil Jason und Zoey sich nicht sonderlich gut verstanden. „Früher war es besser, aber eigentlich verstehen wir uns schon recht gut." Mit einem Seitenblick zu Jason, antwortete seine Oma: „Im Gegensatz zu manch anderen."
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