Kapitel 7
Liam:
Mit starrem Blick schaute er auf die weiße Decke über sich. Scott hatte ihn bei sich zu Hause abgeliefert und hatte morgen ein Rudeltreffen geplant. Eigentlich sollte Liam froh sein, dass er noch ein wenig Zeit hatte, bevor er reden musste, aber er wollte nicht darüber reden. Seufzend drehte er sich auf die Seite und beobachtete den Vorhang, der vom leichten Wind, der durchs offene Fenster wehte, aufgeblasen wurde.
***
Nachdem er ins Haus getreten war und bemerkt hatte, dass seine Eltern schon schliefen, war ihm eine große Last von den Schultern gefallen. Er hatte nicht gewollt, dass seine Eltern ihn in einem zerrissenem T-Shirt sahen, welches mit Blut vollgeschmiert war. Also hatte er sich einfach die Treppe hochgeschlichen und sich in seinem Zimmer verkrochen. Sein Oberteil hatte er achtlos in den Müll geschmissen. Das war nicht mehr zu retten. Höchstens als Halloweenkostüm wäre es noch zu gebrauchen.
Jetzt lag er in seinem Bett und konnte nicht schlafen. Seine Gedanken wirbelten und wollten keine Minute ruhen. Noch dazu kam, dass der Vollmond immer näher kam und Liam spüren lies, wie nervtötend Kontrolle sein konnte.
Inzwischen hatte er Kopfschmerzen vom Überlegen und stand auf, um etwas auszuprobieren. Er öffnete seine Schublade und holte sein Taschenmesser heraus. Vorsichtshalber schnappte er sich ein Taschentuch und legte es neben sich. Dann atmete er tief durch und klappte das Taschenmesser auf und schnitt sich ohne Nachzudenken in seine Handfläche. Der Schmerz war kurz, aber stechend. Jetzt hieß es warten.
Liam wartete eine Minute.
Drei Minuten.
Zehn Minuten.
Zwischendurch tupfte er immer wieder das Blut von seiner Hand, aber die Wunde wollte sich nicht schließen. Wieso heile ich nicht?! In den letzten Tagen hatte er sich das oft gefragt. Zu oft.
Dann dachte er nach, wie er geheilt war, als er im Wald war und schloss die Augen. Er konnte sich daran erinnern, wie der Schmerz Besitz von seinem Körper ergriffen hatte und ihn nicht mehr atmen lassen wollte. Und dann war da plötzlich eine wärme Gewesen. Er hatte nur nicht rausfinden können, woher sie gekommen war. Das nächste was er gespürt hatte, waren seine Stichwunden, die sich langsam zusammenzogen.
Langsam öffnete Liam seine Augen wieder.
Die Wärme! Ich muss mich auf dieses eine Gefühl konzentrieren! Das tat er dann auch. Er erinnerte sich an das Gefühl von Trauer und es fing an leicht auf seiner Haut zu kribbeln.
Plötzlich tauchte ein verschwommenes Bild in seinem Kopf auf. Es war eine Person in Rauch gehüllt, die immer näher auf ihn zu kam.
Langsam streckte die Person eine Hand aus und hielt sie ihm hin. Erst jetzt konnte Liam das Gesicht der Person erkennen. Es war Theo. Aber nicht die Version von ihm, die mit Augenringen und roten Flecken auf seinem Gesicht, neben ihm auf dem Waldboden gesessen hatte, sondern eine wunderschöne Version von ihm. Seine grün-blauen Augen strahlten ihn an und seine Lippen umspielte ein kleines Lächeln.
Liam schaute in seine Augen und versank ein wenig darin. Langsam nahm er die Hand, die ihm hingestreckt wurde. Doch in dem Moment, als sie sich berühren sollten, verflog der Rauch und Liam stand wieder in seinem Zimmer.
Wann bin ich aufgestanden? fragte er sich verwirrt und lies sich entkräftet auf sein Bett zurück fallen.
Erst da fiel ihm wieder seine Hand ein. Hektisch schaute er nach und war verwundert, als nur noch getrocknetes Blut an seiner Handfläche klebte.
Es hat funktioniert. Es hat wirklich funktioniert! Liam konnte sich nicht erinnern, in seinem Leben schon einmal so erleichtert gewesen zu sein. Eine große Last fiel ihm von den Schultern und er kuschelte sich tief in sein Kissen. Dieses Mal war er fast sofort eingeschlafen.
***
Müde streckte sich Liam und schaute sich in seinem Zimmer um. Die Sonne strahlte hell durch das Fenster und automatisch musste er lächeln. Als er aufstand sah er auf dem Boden das blutige Taschentuch. Nachdenklich hob er es auf. Er dachte daran zurück, wie komplett er sich in dem Moment gefühlt hatte, in dem er nach Theos Hand greifen wollte und wie verloren er sich einen kurzen Moment danach gefühlt hatte.
Schnell schüttelte er den Kopf und warf das Taschentuch gekonnt in den Mülleimer zu seinem T-Shirt. Da heute keine Schule war, zog er sich einfach eine Jogginghose an und einen Pulli darüber. Dann ging er die Treppe runter in die Küche.
"Guten Morgen mein Schatz" begrüßte ihn seine Mutter und küsste ihn auf die Wange. Sein Vater, der verschlafen am Herd stand, grummelte nur ein leises Guten Morgen. Er war Morgenmuffel, genau wie sein Sohn normalerweise.
"Guten Morgen" sagte schließlich auch Liam.
"Wir müssen dir etwas sagen" seine Mutter sah ihn an, wie sie ihn immer ansah, wenn etwas weltbewegendes anstand. "Was?" fragte Liam misstrauisch. Sein Vater drehte sich zu ihnen und begann: "Wir haben uns dazu entschlossen, dass du hierbleiben darfst. Zumindest bis du deinen Abschluss gemacht hast. Du hast uns in der letzten Woche davon überzeugt, dass du gut auf dich selbst aufpassen kannst."
Fast hätte Liam laut aufgelacht, weil die Situation gerade zu absurd wurde. Stattdessen schaute er seine Eltern nur ungläubig an.
"Ihr meint das ernst? Wirklich jetzt?"
Seine Mutter nickte lächelnd.
Liam konnte es nicht fassen. Er durfte tatsächlich allein in Beacon Hills bleiben!
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