Kapitel 16 ~ Hallo Brüderchen
Es hat sich noch nie so gut angefühlt, eine Runde zu laufen, wie mit Thalia. Das wurde zu unserem abendlichem Ritual. Seit dem waren anderthalb Wochen vergangen.
Thalia hatte jetzt täglich Training mit Finnegan und den anderen Kriegern. Die anderen nahmen es erstaunlich gut an, dass sie jetzt eine große Rolle im Rudel übernahm. Eine größere Rolle, als wenn sie nur die Luna gewesen wäre.
Aber sie machte sich auch sagenhaft gut als Werwolf. Sie war nahezu genauso stark und schnell wie einige meiner besten Krieger. Mal ganz davon abgesehen, dass ihr rein weißes Fell schon außergewöhnlich genug war. So etwas hatte ich zuvor auch noch nicht gesehen. Das hielt die Aufmerksamkeit auch nicht gerade fern von ihr.
Finnegan, Finnlay und meine Krieger waren auf alles vorbeitet. Es gab seit Thalias Verwandlung noch keinen Angriffsversuch, was mich etwas stutzig machte. Die Neuigkeit dürfte jetzt nahezu jeden Werwilf erreicht haben. Das war wohl die Ruhe vor dem Sturm. Fragte sich nur, wann der Sturm kam und wie stark er werden würde.
Gerade saß ich in meinem Büro und hatte ein paar Dinge zu erledigen. Das Training würde in wenigen Minuten vorbei sein und Harley sollte auch bald von der Schule kommen. Es hatte sich ein Alltag eingespielt. Vor allem, nachdem wir Thalias Sachen ins Haus geschafft hatten. Ihre Wohnung war auch schon gekündigt.
Es klingelte an der Tür. Da ja alle draußen waren und ich der einzige im Haus war, musste ich wohl oder übel zur Tür runter hasten. Erwartete Harley ein Paket? Es klingelte sonst nie jemand. Wir hatten keine Nachbarn, die nicht dem Rudel angehörten. Und selbst die würden eigentlich nie klingeln.
Mit Schwung öffnete ich die Tür, doch am liebsten hätte ich sie wieder zugeschlagen. War das etwa Teil des erwarteten Sturms?
"Hallo, Brüderchen."
Nein. Oh nein. Ich hatte es schon immer gehasst, wenn sie mich so nannte. Aber dass sie mich jetzt so nannte, nachdem sie sich fast acht Jahre lang nicht gemeldet hatte, machte ihre Rückkehr an sich noch schlimmer.
"Auch für dich heißt es Alpha Hunter.", zischte ich und wandte mich von ihr ab. Sie konnte bleiben, wo der Pfeffer wuchs. Da wo sie die letzten Jahre gewesen war zum Beispiel.
"Hunter! So begrüßt man doch nicht seine Schwester!" Thalia schlug mir gegen die Schulter, als sie auf mich zu kam. Dann war das Training wohl beendet. Warum musste es genau in diesem Moment sein?
"Komm' doch rein. Harper, richtig?" Warum musste sie nur auch zur ihr so freundlich sein? Manchmal war Thalia einfach zu gut für diese Welt. Harper hatte ihre Freundlichkeit nicht verdient!
Ich lief zurück in mein Büro und ließ die beiden Frauen alleine. Ich konnte es immer noch nicht glauben, dass sie einfach so nach all der Zeit hier rein spaziert, als sei das noch ihr zu Hause. Das Privileg hatte sie vor all den Jahren verloren.
Ich machte mich lieber wieder an die Arbeit, als an den schlimmsten Tag meines Lebens zu denken. Es gab im Moment Wichtigeres zu tun.
Doch bevor ich mich richtig in die Arbeit steigern konnte, wurde meine Zimmertür aufgerissen und eine wütende Thalia kam auf mich zu.
"Was fällt dir eigentlich ein, deine Schwester so zu begrüßen?!" Sie war außer sich vor Wut, das war deutlich. Aber ich war mindestens genauso sauer.
"Du hast keine Ahnung! Sie hat es nicht verdient, mit offenen Armen begrüßt zu werden!" Thalias Miene veränderte sich schlagartig. Sie ging wieder zur Tür, aber nicht um zu gehen, sondern um sie zu schließen. Dann kam sie wieder zu mir und setzte sich auf meinen Schoß.
"Erzähl's mir.", forderte sie mit einer ruhigen Stimme und wischte mir über die Wange. Weinte ich etwa? Na super.
Ich atmete einmal tief durch. Thalia wusste viel über mich, aber diese Geschichte hatte ich ihr noch nicht erzählt. Dann war es jetzt wohl an der Zeit dafür.
"Du weißt ja, dass meine Eltern tot sind. Meine Mutter wurde von Rogues getötet bei einem riesigen Angriff. Sie wollten den Alpha stürzen und so an die Macht kommen. Meine Mutter ist dazwischen geraten. Ich war damals gerade mal 17 kurz vor meinem 18. Geburtstag."
Thalia kuschelte sich an mich heran, während ich erzählte. Ihre Wut war wie verflogen. Meine ebenso.
"Ein Rogue hatte sie kaltblütig ermordert. Ich musste auf Harley aufpassen, der noch klein war. Mein Vater war am Boden zerstört. Er war zuvor bei seinem Cousin, der das andere Rudel der Familie im Süden leitete. Ich hatte mein Vater noch nie so gesehen. Er war immer nahezu emotionslos, zeigte nur Wut und Freude. Aber nie Trauer. Er lief blind vor Wut und Trauer in die Schlacht. Und kam nie wieder. Das war der schlimmste Tag meines Lebens, neben dem Tag, an dem du fast gestorben wärst."
Thalia drückte sich näher an mich und nahm meine Hand in ihre, um daran rum zu spielen. Das beruhigte mich etwas.
"Ich verlor an dem Tag meine Eltern und war plötzlich Rudeloberhaupt. Darauf war ich noch nicht vorbereitet. Mein Vater hatte damals vor kurzem erst angefangen, mich in die Aufgaben eines Alphas einzuweihen und mir alles zu zeigen. Ich war komplett überfordert. Zum Glück half mir der Beta meines Vaters. Finnegans und Finnlays Vater."
In dieser schweren Zeit war er wie ein Vater für mich. Finnegan und Finnlay wurden wie Brüder für mich.
"Da ich noch keine 18 war, konnte ich nicht der Vormund von Harley werden. Das wurde Harper. Sie kümmerte sich um Harley und mich, wie unsere Mutter es getan hätte. Wir schliefen all gemeinsam in einem Bett und trösteten uns gegenseitig. Harper nahm sogar eine Auszeit von ihrem Medizinstudium. Bis zu meinem 18. Geburtstag jedenfalls."
Das war der dritt schlimmste Tag meines Lebens. "Wir hatten zuvor abgemacht, dass ich Harleys Vormundschaft übernahm, sobald ich volljährig war, damit sie wieder an der Uni hier studieren konnte. Ich hatte da nichts gegen. Das Rudel würde mich immer unterstützen. Aber was ich damals nicht wusste, war, dass sie nicht die Absicht hatte, an der Uni hier weiter zu studieren."
Thalia schaute mich verwirrt an. "Wie meinst du das?" "Sie ist nach meinem Geburtstag und als alles Rechtliche geregelt war, wieder zur Uni gegangen. Sie sollte nach ihrem Studium Rudelärztin werden. Es war normal, dass sie für Wochen nicht nach Hause kam, wegen des Lernens und so. Sie hatte ein Zimmer im Wohnheim gemietet, um ihre Ruhe zu haben. Doch aus ein paar Wochen wurden Monate. Und aus Monaten Jahre."
"Warte mal. Sie hat euch einfach so ohne ein Wort, eine Verabschiedung oder sonst was verlassen. Nachdem eure Eltern gestorben waren?" Ich nickte. "Jetzt kann ich deine Reaktion verstehen."
"Ich hatte in der Uni nachgefragt, im Wohnheim ebenfalls. Man sagte mir, dass sie einen Antrag auf einen Universitätswechsel gestellt hatte. Ich war so wütend, dass ich nicht weiter nachgeforscht hatte. An dem Tag, an dem sie dieses Haus, dieses Rudel verlassen hatte, war sie für mich gestorben."
Ich verlor in der Kürze der Zeit drei Familienmitgleider. Seit dem steigerte ich mich in die Rudelführung. Ich hatte gerade mal meine Ausbildung geschafft und schrieb jetzt Bücher, um Geld dazu zu verdienen.
"Und dann besitzt sie doch tatsächlich die Dreistigkeit hier einfach wieder reinzustolzieren?!" Thalias Wut war wiederentfacht. Aber dieses Mal war sie wütend auf Harper, nicht auf mich.
Sie hüpfte von meinem Schoss und lief in den Flur. Oh Gott, das konnte nichts Gutes bedeuten. Ich lief ihr also hinterher.
"Thalia! Was hast du vor?", rief ich ihr hinterher. Sie hielt an der Treppe und drehte sich zu mir. "Ihr mal gehörig die Meinung geigen.", entgegnete sie und lief die Treppe runter.
Im Wohnzimmer machte sie halt. Harper sah sich gerade im Zimmer um. "Es sieht fast so aus wie früher.", murmelte sie. Thalia stand nun ganz ruhig im Raum und beobachtete Harper.
"Und doch hat sich so viel geändert.", fügte sie hinzu. "In acht Jahren kann viel passieren.", schnaubte ich. Harper ließ den Kopf hängen und ging aufs Sofa zu. "Da hast du recht."
Thalia setze sich zu ihr. Mal wieder schien ihre Wut wie weggeblasen. "Warum, Harper?", hauchte ich. Selbst nach so langer Zeit bereitete es mir noch Kopfschmerzen, wenn ich über ihre Gründe nachdachte. Ich verstand es einfach nicht.
"Warum hast du uns verlassen? Warum ohne Verabschiedung? Und warum kommst du erst jetzt wieder? Gott, ich habe so viele Fragen!"
Und als wäre es nicht schon schwierig genug, dass Harper jetzt hier war, hörte ich jetzt auch noch einen Schlüssel im Schloss. Harley bekam also direkt einen Platz in der ersten Reihe bei dem neuen Drama der Smiths.
Es ist mal wieder so weit; heute ist mein Geburtstag! Mein 20. um genau zu sein. Ich werde einfach zu schnell alt... 😂 Und deswegen wie immer mein Geschenk an euch heute, ein neues Kapitel.
Tja, die gute Harper. Könnt ihr euch vorstellen, warum sie ihre Familie verlassen hat? Lasst eure Vermutungen da.
Und zu guter Letzt kann ich euch endlich guten Gewissens verkünden, dass ich nächstes Jahr in die USA ziehen werde 🇺🇸 Zwar vorerst nur für ein Jahr, aber ein Traum wird wahr. ... Das hat sich gereimt 😌😂
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Stay in school, don't do drugs and eat your vegetables.
Joe 🐺
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