Must Have Been The Wind
[Warnung: Andeutung von häuslicher Gewalt]
Das erste Mal, dass Harry etwas aus dem Apartment über sich vernahm, war zwei Tage, nachdem er seine neue Wohnung bezogen hatte. Die Umzugskartons stapelten sich noch in jedem Raum, jeder einzelne war fein säuberlich mit schwarzem Edding für das richtige Zimmer und mit dem jeweiligen Inhalt beschriftet.
Er hörte ein lautes Poltern, kurz darauf eine laute Männerstimme, die etwas zu brüllen schien, doch kurz darauf war es wieder mucksmäuschenstill. Der Lockenkopf hielt in seiner Bewegung inne, in der er gerade die sicher verpackten Teller und Tassen aus dem Zeitungspapier wickelte, um sie in den Hängeschränken in der Küche zu verstauen. Er lauschte noch eine Weile, doch das Geräusch kam kein weiteres Mal. Schulterzuckend wickelte er seine Lieblingstasse aus dem Sportteil der letztwöchigen Tageszeitung - eine weiße Porzellantasse mit seinem Anfangsbuchstaben, einem golden H, die ihm seine Mutter von Zuhause für seine erste eigene Wohnung mitgegeben hatte - und stellte sie vorsichtig in die vorderste Reihe zu seinen anderen Tassen.
Das zweite Mal, dass Harry etwas aus dem Apartment über sich vernahm, war nur einen Tag darauf am späten Abend. Der Lockenkopf lag bereits schlafend im Bett, da er für seine Schichten in der Bäckerei bereits immer vor Sonnenaufgang aus den Federn musste. Zuerst dachte er, er würde träumen. Gedanklich war er nämlich gerade bei der Eröffnungsfeier seiner eigenen kleinen Bäckerei, ein Wunsch, den er sich irgendwann einmal selber erfüllen wollte. Doch er war mit seinen vierundzwanzig Jahren noch jung, hatte genügend Zeit über die nächsten Jahre hinweg allerlei Berufserfahrungen, Tipps und Tricks zu sammeln sowie an neuen Rezepten von kleinen Leckereien zu tüfteln, die er am liebsten selber kreierte.
In seinem Traum stieß er gerade mit seinen besten Freunden Niall und Liam sowieso seiner Familie mit einem Glas Sekt in der Hand auf die Neueröffnung an, als es mit einem Mal klirrte. Fast so, als hätten sie ihre Sektgläser zu heftig aneinander gestoßen und diese würden nun in etlichen Scherben auseinander splittern.
Langsam erwachte Harry ins Hier und Jetzt, befand sich in einem mit Nebel vergangenen Zwischenzustand von Traum und Realität, als das Geräusch von Glas, welches gegen einer Wand zerbarst, erneut den Raum erfüllte und er sich erschrocken in seinem Bett aufsetzte. Mit zusammengepressten Lippen legte er sein Ohr gegen die Wand hinter dem Kopfteil seines Bettes und lauschte. Eine leise männliche Stimme drang zu ihm durch, die unentwegt zu sprechen schien, doch Worte konnte er nicht verstehen. Jedoch klang es schwer danach, als würde er weinen.
Ein bedrückendes Gefühl machte sich in Harrys Brust breit und er kam nicht umher sich aufgrund der Situation zu sorgen. An Schlaf war nicht mehr zu denken. Er warf einen kurzen Blick auf die Uhr auf seinem Nachtschränkchen und stellte fest, dass es erst 23 Uhr war. War das schon zu spät, um bei fremden Nachbarn an die Haustür zu klopfen?
Jedoch würde er jetzt in Frieden kein Auge mehr zu bekommen, immerhin war das nicht das erste Mal, dass er laute Geräusche aus der Wohnung über sich hörte und irgendetwas schien offensichtlich nicht in Ordnung zu sein.
Leise tapste Harry mit nackten Füßen zu dem schwarzen Sessel in der Ecke seines Schlafzimmers, wo er sich vor ein paar Stunden seiner Klamotten entledigt hatte. Zog sich eine graue Jogginghose und einen dunkelblauen Kapuzenpullover über, bevor er in ein paar abgetretene Sneaker schlüpfte und sich mit den Fingern durch die vom Schlaf zerzausten Locken fuhr.
Herzhaft gähnte er, als er sich seinen Haustürschlüssel in die Bauchtasche seines Hoodies steckte, seine Wohnungstür hinter sich zu zog und mit dem Fahrstuhl eine Etage höher, in den 2. Stock fuhr. Er war hundemüde, in knapp vier Stunden klingelte sein Wecker und dann würde er sich mit müden Knochen auf sein Fahrrad schwingen und die 15 Minuten zur Bäckerei fahren müssen, egal wie viel Schlaf er diese Nacht noch bekam.
Ein leises „Ding" kündigte sein Ziel an und er schritt den langen Flur des Stockwerks entlang, welches identisch zu seinem eigenen war. Hinter der zweiten Tür rechts befand sich im ersten Stock seine Wohnung, musste hier also das Apartment sein, aus welchem er die Geräusche von zerbrochenem Glas gehört hatte.
Zaghaft klopfte er mit der Faust gegen die Haustür. Klingeln wollte er nicht, falls er sich doch geirrt haben sollte und die Bewohner schon schliefen. Harry las das Klingelschild, L. Tomlinson war neben dem kleinen runden Knopf an der Wand angebracht und bevor er sich fragen konnte, für welchen Vornamen das L wohl stehen könnte, wurde die Tür auch schon einen Spalt breit geöffnet, jedoch gerade so viel, dass er bloß eine zierliche männliche Gestalt dahinter ausmachen konnte.
„Ja, bitte?", fragte der Mann mit leiser, leicht kratziger Stimme und lugte durch den schmalen Türspalt zu Harry in den Flur hinaus. „Hi, ich bin Harry. Ich wohne eine Etage tiefer und wollte nur fragen, ob alles okay ist. Ich habe etwas zerbrechen hören und es klang, als hätte sich jemand verletzt." Die Tür wurde ein Stückchen weiter geöffnet und erlaubte Harry nun einen besseren Blick auf den jungen Mann, welcher nicht viel älter zu sein schien, als er selber.
Er war ein Stück kleiner, hatte braune verwuschelte Haare, klare blaue Augen, welche allerdings von dunklen Schatten geziert wurden und leicht geschwollen waren. Er sah müde aus. Seine Beine steckten in einer karierten Pyjama-Hose, darüber trug er einen grauen Kragenpullover, der Reißverschluss bis zum Kinn zugezogen. „Es ist nett, dass Sie sich sorgen, Sir, doch ihre Ohren müssen Ihnen einen Streich gespielt haben." Er versuchte sich an einem kleinen Lächeln, welches seine Augen jedoch nicht erreichte.
Hinter ihm ertönte ein Poltern in der Wohnung und kurz darauf eine strenge Männerstimme. „Louis, wer ist da an der Tür? Wie oft soll ich dir noch sagen, dass du nicht einfach aufmachen sollst." Ein panischer Ausdruck legte sich auf das Gesicht des jungen Mannes, Louis, und schnell zog er die Tür wieder einen Spalt weiter zu. „Tut mir leid, aber ich muss wieder rein. Ich wünschte ich könnte Ihnen etwas zu den Geräuschen sagen, doch ich habe nichts gehört. Muss wohl der Wind gewesen sein." Harry runzelte die Stirn, wollte widersprechen, doch Louis sah ihn mit flehenden Augen an, wünschte ihm schnell eine gute Nacht, bevor er die Wohnungstür schloss und im Inneren verschwand.
Kurz darauf drangen gedämpfte Stimmen hinter der Tür hervor, die alles andere als freundlich klangen und mit einem mehr als unwohlen Gefühl im Magen, stieg er wieder in den Fahrstuhl nach unten. An einen ruhigen Schlaf war nicht mehr zu denken, immer wieder schlich sich das Bild des zierlichen Mannes in seine Gedanken, welcher so traurig und zerbrochen wirkte. Harry hatte das Pflaster an seiner Stirn bemerkt, welches er unter seinem Pony zu verstecken versuchte und unweigerlich fragte er sich, ob der Mann, zu dem die andere Stimme gehörte, etwas damit zu tun hatte.
Harry lag mitten in seinem Wohnzimmer auf dem Fußboden und starrte an die Decke. Die Kälte des Betons kroch ihm unter das T-Shirt, legte ihm eine Gänsehaut auf den Körper, doch er war zu sehr in seine Gedanken vertieft. Louis ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Die vergangene Woche über waren sie sich zweimal im Treppenhaus und einmal vor der Haustür des Gebäudekomplexes über den Weg gelaufen, doch mehr als ein einfaches „Hallo" und ein Lächeln hatten sie nicht miteinander getauscht.
Sein Nachbar schien jedes Mal schnell den Blick abzuwenden, sobald er in Harrys Nähe war und eilte mit schnellen Schritten davon. Der Lockenkopf wurde das ungute Gefühl nicht los, dass mit Louis etwas nicht stimmte, dass es ihm nicht gut ging und er etwas verschwieg. Natürlich ging es Harry rein theoretisch nichts an, doch er machte sich Sorgen um den zierlichen Mann und würde es nicht dulden, wenn jemand Opfer häuslicher Gewalt wurde.
Er hatte keine Beweise dafür, bis auf die lauten Geräusche hin und wieder, die aber genauso gut auch auf andere Dinge zurückzuführen wären. Er wollte sich wirklich nicht in fremde Angelegenheiten einmischen, doch den Gedanken, dass er tatenlos zusah, falls jemand litt oder misshandelt wurde, konnte er nicht mit sich selber vereinbaren.
Kurzerhand stand er von seiner liegenden Position vom Fußboden auf, füllte in der Küche einen Teller mit süßen Leckereien, die er das Wochenende über gebacken hatte - Brownies, Cookies, Zimtschnecken und ein Stückchen Streuselkuchen - und fuhr damit mit dem Fahrstuhl in den zweiten Stock.
Er klopfte erneut gegen das dunkle Holz, anstatt die Türklingel zu betätigen und wurde schon nach wenigen Augenblicken mit Louis' Anwesenheit begrüßt. Er trug wieder einen dicken Pullover, den er bis zum Kinn verschlossen hatte - und das, obwohl sie schon fast vom Frühling in den Sommer übergingen -, dazu diesmal aber eine schwarze Jeans. „Oh, hallo", sagte er mit überraschter Miene, steckte kurz den Kopf aus dem Türrahmen und sah den langen Flur entlang, fast so, als würde er nach etwas oder jemanden Ausschau halten.
„Hi", lächelte Harry und streckte ihm dann den Teller mit dem selbstgemachten Gebäck entgegen. „Als kleines Willkommensgeschenk, da ich doch vor kurzem erst hier ins Haus gezogen bin." Louis zögerte sichtlich, sah von dem Teller zu Harrys Gesicht und wieder zurück, bis sich schließlich ein ehrliches Lächeln auf seine Lippen legte und seine Finger nach dem weißen Porzellan griffen. „Danke Sir, das ist wirklich nett von Ihnen."
„Harry", erinnerte der Lockenkopf ihn und erntete einen verwirrten Blick. „Mein Name ist Harry, du brauchst mich nicht zu siezen." Louis nickte leicht, warf einen weiteren schnellen Blick an Harry vorbei in den Flur und drückte den Teller mit den Leckereien fest gegen seinen Bauch. „Danke, Harry, aber ich muss jetzt wieder- du solltest..." Er zeigte erst mit dem Daumen in seine eigene Wohnung und dann den Gang hinaus, bevor er schon nach der Holztür griff und sie schließen wollte.
„Warte, Louis!" Schnell hatte Harry seine Hand gegen die Tür gestürzt und hinderte sie daran ins Schloss zu fallen. „Wegen der Geräusche, die stetig aus deiner Wohnung kommen. Geht es dir-" Hastig schüttelte Louis mit dem Kopf, unterbrach Harry noch bevor er seinen Satz zu Ende gesprochen hatte und startete einen vergeblichen Versuch von der anderen Seite gegen die Tür zu drücken.
„Ich habe nichts gehört, wie gesagt, deine Ohren müssen dir wohl einen Streich spielen. Es ist wirklich nett, dass du dich sorgst, aber das muss wohl wieder bloß der Wind gewesen sein. Mach's gut, Harry und danke nochmal." Ein kurzes Lächeln huschte über sein Gesicht, welches seine blauen Augen, die nun glasig schimmerten, jedoch nicht erreichte.
Seufzend ließ Harry seine erhobene Hand von der Tür gleiten und ging mit hängendem Kopf zurück zum Fahrstuhl. Gerade als sich die Türen des metallischen Gefährts öffneten und er hineingehen wollte, trat jemand anderes heraus und streifte seine Schulter. Leicht erschrocken sah Harry auf und blickte auf den Rücken eines groß gebauten Mannes, der ihn keines Blickes würdigte.
Er blieb vor der gleichen Tür stehen, vor der Harry eben noch stand und verschwand nach nur wenigen Sekunden im Inneren des Apartments von Louis. Harry wurde das ungute Gefühl nicht los, welches sich erneut schlagartig in ihm ausbreitete, doch bevor die Fahrstuhltüren sich vor seiner Nase schließen konnten, stieg er ein und fuhr zurück in den ersten Stock zu seiner Wohnung.
Kaum angekommen und auf dem Weg in sein Schlafzimmer, hallte plötzlich ein ohrenbetäubendes Krachen an den Wänden wider, welches Harry sichtlich zusammenzucken ließ. Sein Herzschlag und seine Atmung beschleunigten sich gleichermaßen und lieferten sich gegenseitig einen ungesunden Wettkampf. Harry wünschte sich so sehr, dass er etwas tun konnte, egal was, Hauptsache irgendetwas.
Plötzlich hatte er eine Idee. Mit eiligen Schritten betrat er sein Schlafzimmer, durchwühlte all seine Schränke und Kommoden nach dem gesuchten Gegenstand und als er seine Lautsprecherbox endlich gefunden hatte, wählte er auf seinem Handy das passende Lied aus, drehte die Musik auf volle Lautstärke, stellte sich auf sein Bett und reckte die Arme mit der Box in den Händen Richtung Zimmerdecke.
"Lean on me, when you're not strong and I'll be your friend, I'll help you carry on...", dröhnten die Worte von Bill Withers ‚Lean On Me' durch Harrys Schlafzimmer und hoffentlich auch hinauf in Louis' Wohnung. Er wollte ihm doch nur helfen, ihm zeigen, dass er für ihn da war, falls er jemanden brauchte. Dass er nicht alleine war!
Ganze drei Male ließ Harry das Lied hintereinander laufen und hoffte, dass er seinem Nachbar in irgendeiner Hinsicht beistehen konnte, ihm Mut machte, sich zu öffnen und um Hilfe zu bitten, falls er welche brauchte.
Er beschloss einen kurzen Brief zu schreiben und schob ihn noch am selben Abend neben Louis' Wohnungstür durch den Briefschlitz, in der Hoffnung, dass er derjenige war, der ihn als Erstes in die Finger bekam.
„Lieber Louis,
ich weiß nicht, was du gerade durchmachst oder ob du überhaupt etwas durchmachst, doch du wirkst nicht glücklich und das macht mich traurig. Falls du jemals jemanden zum Reden brauchst, einfach nur mal „raus" musst oder einen Freund brauchst, kannst du jederzeit vorbeikommen. Selbst, wenn es nur eine Stunde ist oder zwei. Ich verspreche dir, dass du immer willkommen bist und ich dir niemals etwas Böses wollen würde.
Wenn du irgendwann dazu bereit bist, über die Geräusche zu sprechen, die ich höre, bin ich jederzeit für dich da. Doch bis dahin behaupte ich einfach weiterhin, dass es wohl der Wind gewesen sein muss.
Harry Styles aus der 1D im 1. Stock"
Ganze 13 Tage strichen ins Land, in denen der Lockenkopf seinen Nachbar weiterhin nur flüchtig im Vorbeigehen sah, sie keine Worte wechselten. Doch Harry sah das ehrliche Lächeln, welches Louis ihm dabei jedes Mal schenkte und er meinte so etwas wie Dankbarkeit daraus lesen zu können.
Eines Freitagvormittags kam Harry völlig ausgelaugt von seiner Schicht in der Bäckerei nach Hause. Er wollte bloß nur noch ins Bett, so lange schlafen, bis sich seine schmerzenden Glieder erholt hatten und das Wochenende vor der Tür stand. Doch bevor er auch nur in die Nähe seines Bettes kommen konnte, hörte er ein schallendes Krachen aus dem Apartment über sich, gefolgt von einem schrillen Aufschrei und kurz darauf einer Tür, die lautstark ins Schloss fiel.
Jemand polterte die Stufen im Treppenhaus herunter und mit angehaltenem Atem und weit aufgerissenen Augen ging Harry zum Fenster, erhaschte gerade noch einen Blick auf die Kehrseite des Mannes, welchen er neulich vor Louis' Wohnungstür gesehen hatte und welcher diesmal in eiligen Schritten davoneilte.
Harry spürte, wie ihm das Herz bis zum Hals klopfte, er spürte das Blut in seinen Adern rauschen, merkte, wie die Wut in ihm aufstieg und dieses allmählich zum Kochen brachte. Gerade wollte er seine Wohnung verlassen, um nach seinem Nachbarn zu sehen, da er ziemliche Sorge um den kleineren Mann hatte, als er ein leises Klopfen an seiner Tür vernahm.
Harry sackte das Herz in die Hose, als er ebendiese öffnete und einen tränenüberströmten Louis vor seiner Wohnung vorfand. Seine linke Gesichtshälfte war gezierte von einem großen roten Fleck, welcher sich über sein Auge und seine Wange erstreckte und sich schon allmählich ins lilane verfärbte. In den zitternden Händen hielt er mehrere weiße Porzellanscherben, Harrys Teller, auf dem er ihm vor zwei Wochen das Gebäck nach oben gebracht hatte.
„Louis", hauchte Harry erschrocken, war regelrecht entsetzt über den Anblick des Kleineren, der sich ihm bot. „I-ich- e-es... es tut mir so l-leid", hikste er unter Tränen und streckte seine Finger mit den Scherben leicht nach vorne. „I-Ich kaufe dir einen n-neuen u-und mhh..." Louis unterbrach sich selber, zog sich die bebende Unterlippe zwischen die Zähne und senkte seinen Blick gen Boden.
„Vergiss den blöden Teller, Louis. Komm erstmal rein, hier drin bist du sicher. Hier kann dir nichts passieren." Er nahm die Scherben aus Louis' zitternden Händen, fasst ihn dann sanft am Arm und führte ihn in seine Wohnung und schließlich auf das Sofa im Wohnzimmer.
Dann entsorgte er schnell die Scherben im Mülleimer in der Küche, füllte seine Lieblingstasse mit dem H mit etwas Kräutertee, den er sich eben noch schnell gekocht hatte und einen Teller mit Blaubeermuffins, die er von der Arbeit mitgebracht hatte. „Ich stelle das hier ab, falls du etwas essen oder trinken möchtest", sagte Harry, stellte besagt Dinge auf dem Wohnzimmertisch ab und setzte sich dann neben Louis auf die Polster. „D-danke", flüsterte dieser und spielte nervös mit seinen Fingern.
„Ich werde dich zu nichts zwingen, aber wenn du darüber reden möchtest, höre ich dir zu", versprach Harry und musterte den gebrochenen Mann neben sich, der nicht nur äußerlich verletzt wirkte, sondern auch innerlich gebrochen schien. Louis wischte sich mit den viel zu langen Ärmeln seines Pullovers über die nassen Augen, trocknete den Rest seiner Tränenspuren und zischte leise, als er dabei seine geschwollene Wange streifte. „Du solltest das kühlen."
Schnellen Schrittes ging Harry erneut in die Küche, nahm ein Kühlpack aus dem Gefrierschrank, wickelte es in ein sauberes Geschirrhandtuch und nahm auf dem Weg zurück zu Louis noch ein Päckchen Taschentücher mit. „Hier", sagte er sanft und reichte dem Braunhaarigen beides entgegen. Louis' Blick hob sich einen kurzen Moment, seine Augen waren stark gerötet und sein linkes wies bereits jetzt eine leichte Schwellung vor.
„Danke." Lautstark putzte er sich die Nase, bevor er sich den kühlen Gegenstand vorsichtig gegen die Wange hielt und für einen Augenblick die Augen schloss. Harry wusste nicht, wie lange sie einfach nur schweigend nebeneinander gesessen hatten, bis Louis den Kühlpack zur Seite legte, einen Schluck von dem Tee nahm und schließlich zu sprechen begann.
„Du hattest die ganze Zeit recht, wegen der Geräusche", krächzte er mit belegter Stimme und räusperte sich einmal. „Mein Freund... Ex-Freund", korrigierte er sich, „ist kein guter Mensch. Er leidet unter Wutausbrüchen und weiß nicht mit dieser Wut umzugehen. Er hat sie ständig an mir ausgelassen, ist wegen den kleinsten Dingen ausgetickt, war von der einen auf die andere Sekunde auf einhundertachtzig." Nervös knibbelte Louis an seiner Nagelhaut herum, bis er schließlich nach dem Reißverschluss seines Pullovers griff und diesen mit zitternden Fingern zögerlich nach unten zog.
Was darunter zum Vorschein kam, ließ Harry das Blut in den Adern gefrieren und jegliche Luft aus den Lungen entweichen. Dunkel verfärbte Blutergüsse zierten seine Brust, seine Schlüsselbeine und seinen Hals und zeichneten sich in den verschiedensten Farbabstufungen auf der hellen Haut ab. Wenn man genau hinsah, sah man es. Fünf Fingerabdrücke auf seinem Hals, eine Hand, die sich auf seine Kehle gelegt und mit Gewalt zugedrückt haben musste.
„Louis", sagte Harry fassungslos, wollte die Hand nach ihm ausstrecken, doch traute sich nicht. Er wollte Louis nicht verschrecken. „Zuerst hat er nur Dinge nach mir geworfen. Seine Schuhe, Schlüssel, Geschirr... deinen Teller." Der Kleinere presste die Lippen fest zusammen und atmete einmal tief durch. „Doch in den letzten Tagen ist diese Wut immer körperlicher geworden. Erst gestern, da... da hat er mich mit so einer Wucht gegen die Wand gedrückt, ich... i-ich." Automatisch wanderten seine Hände zu seinem Hals, fast so, als würde er den Druck dagegen immer noch spüren. „Ich habe keine Luft mehr bekommen."
Ein markerschütterndes Schluchzen verließ Louis' Lippen und instinktiv rutschte Harry noch näher auf ihn zu. „B-bitte h-hilf mir, Harry. Bitte", weinte er und Harry hielt es nicht länger aus. Er zog den zierlichen Körper neben sich in seine Arme, hielt ihn einfach nur fest und strich ihm beruhigend über den Rücken. Louis' Hände krallten sich in den Stoff seines Shirts und er schluchzte gegen seinen Hals.
Beruhigend wiegte der Lockenkopf ihn sanft hin und her, er würde ihn so lange festhalten, wie er es brauchte und noch viel länger. „Ich helfe dir, Louis. Ich bin für dich da, du bist nicht alleine, okay? Ich helfe dir." Louis nickte leicht, vergrub sein Gesicht in der beschützenden Umarmung, das Gefühl der Geborgenheit, welches von dieser Geste ausging, schien ihn ein wenig zu beruhigen. „Okay", flüsterte er leise gegen die Halsbeuge des Lockenkopfs, presste seine Nase gegen die warme Haut seines Halses. „Okay", wiederholte auch Harry noch ein weiteres Mal und setzte einen sanften Kuss gegen den Scheitel des zierlichen Mannes in seinen Armen.
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Song: Must Have Been The Wind - Alec Benjamin
Wörter: 3.301
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