Kapitel 72 - Schmerz vergeht nicht
~Das ist die Ruhe vor dem Sturm, Hermine.~
Hermines POV:
Es war bereits dunkel draußen. Hermine lag unruhig in ihrem Bett und starrte aus dem Fenster, während Draco neben ihr döste. Die hell funkelnden Sterne machten irgendetwas mit ihr und bevor sie realisierte was sie überhaupt tat schlich sie sich bereits nach unten, durchs Wohnzimmer und hinaus aus der Wohnungstür. Vor ihr erstreckte sich die unendliche Weite des Moors und in der Ferne schien sich der schwarze Horizont und das schattige Moor zu berühren. Ganz leicht, wie ein frisch verliebtes Paar. Hermine setzte sich, mit dem Rücken gegen die Hauswand, auf den gefrorenen Boden. Ihr Atem bildete kleine Wölkchen vor ihrem Mund und sie begann schon sehr bald zu frieren, doch der Anblick der Sterne, die so friedlich vor sich hin funkelten, fesselte sie. Hermine mochte die Vorstellung, dass jeder Verstorbene von einem Stern repräsentiert würde. Sie musste sich verstellen, wie Remus und Tonks von oben auf ihren Sohn Teddy hinab schauten, wie Sirius und James bloß Unsinn anstellten, wie in alten Zeiten. Wie Dumbledore zusammen mit Snape Tee trank und sich dieser endgültig mit Iily versöhnte. Hermine seufzte. Wie unbeschwert sie wohl lebten... Sie fühlte sich ihnen hier so nah, als stünden sie direkt vor ihr. Sie konnte förmlich Cedric lächeln sehen und Fred saß irgendwo da oben auf einer Wolke und wachte über seine Familie, insbesondere über George. Hermine seufzte. "Oh Fred.." Es war schrecklich, dass er und George nun getrennt waren. Das war nicht fair! Warum Fred? Plötzlich öffnete sich die Tür und eine Person mit orange roten Haaren ließ sich neben ihr nieder. Hermine brauchte gar nicht hinsehen, um zu wissen, wer sie mit seiner Anwesenheit beehrte. "Schön, nicht wahr?", hauchte Ginny und in ihren Augen spiegelten sich die funkelnden Sterne wieder. Hermine nickte stumm und ließ ihren Blick nicht von der endgültigen Weite. Ginny seufzte. "Ich geh gerne Nachts raus, weißt du?", murmelte sie und richtete ihren Blick für einen Moment auf Hermine, bevor sie sich wieder der finsteren Nacht zuwendete. "Siehst du den Stern da? Ich bin mir sicher, das ist Fred." Hermine schluckte schwer und folgte Ginnys Finger. Ihr Blick landete auf einem besonders hell funkelnden Stern. Und Hermine konnte ihre Meinung teilen. Es schien, als wäre er näher als die anderen und sein Funkeln gleichte einem freudigen Zwinkern. Intuitiv zwinkerte Hermine zurück. "Ich bin mir sicher, das ist er", meinte sie zu Ginny und die Freundinnen lächelten sich an.
Eine Weile saßen sie so schweigend nebeneinander und starrten in die Ferne; beide in ihre Gedanken vertieft. "Draco und ich wollen morgen Nachmittag wieder nach Hogwarts zurück", verkündete sie zögerlich. Natürlich würde sie auch gerne bleiben, aber sie machte sich wirklich Sorgen wegen Lucius. Ginny schenkte ihr einen strafenden Blick. "Ach komm, Hermine! Das ist doch wirklich nicht nötig. Morgen haben sich alle wieder beruhigt und keiner kümmert sich mehr um diesen dämlichen Knutschfleck. Hermine verzog das Gesicht zu einer Grimasse. Toll gemacht, Ginny! Ich hatte dieses Erlebnis gerade verdrängt.. "Darum gehts nicht", brummte sie. Ginny sah sie interessiert an und Hermine seufzte, während sich ihr Blick in der Dunkelheit des Moors verlor. "Lucius... ich will einfach sicher gehen", meinte sie kurz angebunden und sie konnte im Augenwinkel erkennen, dass ihre Freundin verständnisvoll nickte. "Ist vielleicht besser so." Ein weiterer kurzer Moment des Schweigens trat ein, bevor Hermine ihren Gedanken freien Lauf ließ. "Ich glaube, da draußen ist etwas", murmelte sie. Sofort erstarrte Ginny und sah sich wachsam um. "Wo?", wollte sie erschrocken wissen, doch Hermine verdrehte nur die Augen. "Generell mein ich. Ich hab da so ein ungutes Gefühl, dass irgendetwas auf uns zukommt. Etwas verdammt großes." Ginny entspannte sich ein wenig. "Ehrlich gesagt geht es mir genauso", flüsterte sie und der einsetzende Wind ließ ihr Gespräch nur noch tiefgründiger werden. "Das ist die Ruhe vor dem Sturm, Hermine."
Während Ginny noch draußen verweilen wollte, hatte sich Hermine entschieden hinein zu gehen. Sie war so durchgefroren! Ihre Finger spürte sie bereits nicht mehr und ihre Lippen waren leicht blau. Lautlos, um ja niemanden zu wecken, schlich sie die Treppen hinauf. Sie wollte gerade die Tür zu ihrem Zimmer öffnen und sich zu Draco unter die schön warme Decke kuscheln, als sie plötzlich ein leises Geräuch vernahm. Hermine verharrte auf der Stelle und hielt die Luft an. Ein leises, beinahe unhörbares Schluchzen war zu hören. Langsam tappte Hermine in die Richtung, aus der das Geräuch kam. Mit einem etwas flauen Gefühl in der Magengrube blieb sie vor der Tür zu Fred und George's Zimmer stehen. Lautlos und mit zitternden Fingern drückte sie die Klinke hinunter und schlüpfte hinein wie ein Schatten; ohne auch nur das winzigste Geräuch zu machen. Und dann sah sie ihn. George hockte - oder besser gesagt kauerte - vor dem leeren Bett seines verstorbenen Zwillingsbruder. Hermines Herz zerbrach in tausend Stücke bei dem Anblick. George so gebrochen zu sehen war grausam. Seine Hände krallten sich in die ordentlich gefaltete Decke, sein Kopf lag auf der Matratze und das Schluchzen klang verzweifelter als alles, was Hermine in ihrem Leben je gehört hatte. Neben ihm lag Freds Zauberstab. Ohne länger zu zögern ließ sich Hermine neben ihm fallen und er sah überrascht auf. Seine Augen waren rot und aufgequollen und Tränen kullerten hinaus und bahnten sich ihren Weg über seine nassen Wangen. Ein Schluchzen erklang aus seiner Kehle und Hermine zögerte keine Sekunde. Sie zog ihn dicht an sich heran. Mehr, als für ihm da zu sein und ihm Trost zu spenden konnte sie schließlich nicht. George vergrub sein Gesicht an ihrem Hals und sein mittlerweile verdammt dünner Körper wurde ununterbrochen von Schluchzern geschüttelt. "Schhhscht", meinte Hermine ein wenig aufgeschmissen, während sie gegen ihre eigenen Tränen ankämpfte. Andere Menschen traurig zu sehen war das schlimmste für sie. Sie strich ihrem Freund berühigend über den Rücken. Ihr Blick fiel auf einen zerschlagen Handspiegel ganz in der Nähe und sie schluckte. Wenn immer er in den Spiegel guckt, sieht er ihn...
Langsam beruhigte sich George. Die Schluchzer wurden immer seltener und am Ende erinnerten nur noch seine dicken, roten Augen daran, dass er gerade geweint hatte. Sie saßen sich nun direkt gegenüber und redeten einfach über Fred. "Er hätte nicht gewollt, dass du so leidest", flüsterte sie einfühlsam. "Dann hätte er mich nicht verlassen sollen", entgegnete George mit erstickter Stimme. Hermine lächelte leicht. "Er hat dich nie verlassen. Er ist immernoch bei dir und das wird er auch immer sein", flüsterte sie, griff nach seiner Hand und legte sie an die Stelle, wo sie sein Herz vermutete. "Dort lebt er weiter und solange wir an ihn denken ist er nie wirklich Tod", murmelte sie und sah ihm tief in die Augen. George schniefte und lächelte leicht. "Danke Hermine", meinte er und ein Augenkontakt entstand, der so viel mehr sagte, als es Worte je konnten. In dem Moment öffnete sich plötzlich die Tür und Hermine fuhr herum. Schlagartig wurde ihr heiß und kalt zugleich. Draco stand da und starrte Hermine verblüfft und enttäuscht an. Diese ahnte, wie das wohl aussehen musste. George und sie saßen schon ziemlich nah aneinander und dass ihre Hand auf seiner Brust lag machte es auch nich gerade besser. Draco nickte stumm. Er stand da wie versteinert. "Alles klar", stammelte er. "Ich will dann nicht weiter stören." Und mit diesen Worten verschwand er aus dem Türrahmen. Hermine stöhnte auf. So eine Scheiße! Sie warf George einen entschuldigenden Blick zu und folgte Draco in ihr Zimmer. "Draco", setzte sie an, doch er beachtete sie gar nicht. "Draco!", wiederholte sie nun etwas intensiver. "Was willst du", brummte Draco, sah sie jedoch nicht an. Langsam ging sie näher und wollte ihm die Hand auf die Schulter legen, doch er schlug sie energisch weg. "Lass!", zischte er. Hermine schloss kurz die Augen. Er hat es eindeutig in den falschen Hals bekommen. "Du hast das völlig falsch verstanden", flüsterte sie ruhig und suchte seinen Blick. Und tatsächlich drehte er den Kopf und fixierte sie mit einem Blick voller Abscheu, jedoch glitzerte eine Träne in seine Augenwinkel. "Was gibts denn da falsch zu verstehen?", brüllte er verzweifelt. "Du hast mich die ganze Zeit verarscht Granger!" Er lachte gekünstelt auf und sah wieder weg. "Und ich hab dir auch noch geglaubt." Diesmal war es Hermine die sauer wurde. "Das ist doch jetzt nicht dein Ernst, Malfoy!", zickte sie. "Denkst du wirklich, ich hätte das alles gemacht, wenn ich dich nicht lieben würde du Idiot? Denkst du, ich hätte mich von meinen Freunden und der ganzen Schule verurteilen lassen? Denkst du, ich wäre dich besuchen gekommen? Wäre zu dem Ort zurück gekehrt, wo deine verdammte Tante mich gefoltert hat? Wo ich fast von deinem Vater getötet wurde? Denkst du, ich hätte dich immer und immer wieder verteidigt, wäre für dich da gewesen? Denkst du, ich hätte mein verdammtes erste Mal mit dir gehabt, wenn ich dich nicht lieben würde?" Sie stockte und kämpfte gegen die Tränen an, die sich ihren Weg in Hermines Augen suchten. "Sorry Malfoy, aber so dumm kannst selbst du nicht sein." Ja, es tat gut ihm das alles zu sagen. Ihm indirekt ein riesen Liebesgeständnis zu machen und gleichzeitig ihre Wut rauszulassen. Draco sah sie unsicher und gleichzeitig so sehnsüchtig an, während eine vereinzelte Träne seine Wange hinunter kullerte. "Und.. was war das mit George gerade?", hauchte er und Hermine konnte von seinen Augen ablesen, wie fertig er gerade mit den Nerven war. Mitleid überkam sie. Sie legte ihre Arme um seinen Hals und sah ihm tief in die eisblauen Augen. "Der Junge trauert seinem Zwillingsbruder nach, du Idiot", murmelte sie. Sie hatte das dringende Verlangen, die Lücke zwischen ihren Lippen zu schließen. So ein Streit mit dem Partner war schon ganz schön nervenaufreibend. Draco wurde leicht rot und sah zu Boden. "Oh", brachte er heraus. "Tut mir so leid, Granger", flüsterte er ein wenig verschüchtert und sah sie unsicher an. "Ist doch egal", murmelte Hermine kaum verständlich und presste ihre Lippen auf seine, die wie immer so wunderbar warm und weich waren. Das war doch ein perfektes Ende für einen Streit. Wie viel an einem Abend so passieren konnte!
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