Der letzte Flug/ letzter Teil
Ich höre eine Tür zufallen und schieße hoch. Nein, ich brauche keine Minute, um mich zu orientieren, ich weiß, was das zu bedeuten hat! Springe auf, verheddere mich in meiner Decke und stürze zu Boden. Rappele mich wieder auf und renne zur Tür, reiße sie panisch auf. Frau Meinhardt, meine alte Nachbarin, die gerade das Treppenhaus putzt, schaut mich erschrocken an. Mustert mich, als hätte sie eine Verrückte vor sich, was ja auch so ist. Eine Besessene!
„Ist er fort?" japse ich.
Ihr Blick wandert über meinen Körper. Wird mitleidig, und ich schaue auch an mir runter. Sehe nackte, faltige Haut, die schlaff über meinen Knochen hängt. Ich renne zurück in meine Wohnung, ins Bad. Der Spiegel wirft mir das Bild einer uralten Greisin entgegen und ich schreie. Schreie. Schreie.
„Schhhh...es ist alles gut." höre ich seine Stimme sagen.
Doch nichts ist gut! Dieser Traum ist mir so geläufig, wie das morgendliche Zähneputzen. Er wiederholt sich immer wieder, obwohl ich langsam begriffen habe, dass ich zu alt für Mark war! Also bitte, warum quält er mich noch? Plötzlich geht die Tür wieder auf. Ich öffne die Augen und Mark strahlt mich an. Ungläubig hebe ich die Hand, um nach seinem Gesicht zu greifen, das sich nun verändert. Um seine Augen bilden sich Falten, ich kann seinen Alterungsprozess wie in Zeitlupe beobachten und wieder beginne ich, zu weinen. Nein. Bitte! Du. darfst. nicht. alt. werden! Nicht du. Nicht, ohne mich! Mein Schluchzen erschüttert meinen Brustkorb und ich spüre, dass Mark meine Hand nimmt.
„Schhh...ruhig. Du bist in Sicherheit." sagt er.
Sicherheit? Das bringt mich nur noch mehr zum Weinen. Sicherheit hat uns umgebracht, Mark Salinger! Die Sicherheit, die ich mit meinem Job hatte, keine Angst haben zu müssen, die Miete nicht zahlen zu können! Wie in meinem Studium ständig jobben zu müssen, um irgendwie durch zu kommen. Wenn ich diese Sicherheit hätte aufgeben können, wäre ich nach England gegangen, hätte mir einfach einen Billigjob gesucht, bis ich die Genehmigung bekommen hätte, zu fliegen. Hätte alles aufgegeben, für eine Zukunft mit Mark. Ich hätte es tun müssen! Hätte, hätte, Fahrradkette, sagt Maren immer. Sie ist noch meine Freundin, nicht mehr meine Beste, weil sie es nie verstanden hat, was zwischen Mark und mir war. Und sauer wird, wenn ich das Thema anspreche. Doch ich habe jemanden gefunden, der ihren BFF- Platz eingenommen hat- Paul. Paul hat sofort kapiert, was Sache ist. Natürlich hat er mir immer wieder gesagt, dass ich Mark vergessen sollte, nach vorne blicken sollte, andererseits saß er manchmal einfach nur da und hat gelauscht, wenn ich von dem süßen Nerd erzählt habe. Von Mark's Lachen, seinen blöden Witzchen. Seinen Imitationen, seinen überzogenen Liebeserklärungen, seinen ernsthaften Ausführungen über die Struktur einer menschlichen Zelle. Nun, er hatte das damals gerade lernen müssen. Und selbst kleine Momente waren mir in Erinnerung geblieben, denn ich hatte ja nichts anderes. Keine gemeinsamen Urlaube oder erlebte Events, auf die ich zurückblicken konnte. Und ganz viele Sequenzen, die mir zu intim waren, um sie Paul zu erzählen, doch ich glaube, manchmal habe ich es doch getan. Wenn ich zu betrunken gewesen war, um es hinterher noch rekapitulieren zu können.
Ich halte immer noch Marks Hand. Merkwürdiger Traum, er will gar nicht enden? Ich drücke sie sanft und spüre ein Rucken, das durch die Matratze unter mir geht.
„Kommen sie schnell!" höre ich.
Ich öffne die Augen. Doch ich kann nicht atmen, da ist etwas in meinem Hals. Ich lasse Mark los und will hin greifen, doch er hält mich fest.
„Es ist nur der Beatmungsschlauch, Schatz. Bleib ruhig. Wir ziehen ihn gleich."
Beatmung? Wovon redet er? Habe ich...Unsinn gebaut? Ja, die erste Nacht nach Marks Abreise war hart gewesen und ich hatte zu viel getrunken. Doch bin ich nicht der Typ, der sich umbringt!
„Ich mach das." sagt Mark zu dem Weißkittel und dann wendet er sich mir zu.
„Schließe die Augen, Anna. Ich zähle bis drei, dann ziehe ich ihn raus, okay?"
Ich nicke. Ich muss husten und würgen, doch es geht zum Glück schnell vorbei. Mark nimmt mich sanft in den Arm.
„Die Kellnerin mochte das gar nicht." krächze ich.
Er guckt mich irritiert an.
„Damals...was...wann...welcher Tag ist heute?" flüstere ich.
Ich bin irgendwie immer noch in meinen Erinnerungen gefangen. Mark erklärt sanft: „Schatz...du hast vier Wochen im Koma gelegen. Nachdem wir abgestürzt sind. Paul und ich waren raus und ihr seid frontal in einen Baum gekracht. Ich dachte, ihr wäret tot, doch Chris muss dich irgendwie kurz vor dem Aufprall aus dem Cockpit gestoßen haben. Wir fanden dich zwischen Ästen verfangen, du hattest eine ernste Schädelprellung. Zum Glück hatte uns jemand auf dem Radar gehabt, wir wurden schnell gerettet. Du wurdest gerettet."
„Chris..." krächze ich.
„Tut mir leid." haucht Mark.
Ich weine leise und der süße Kerl tröstet mich. Ja, er ist immer noch süß, auch, wenn er seine Eierschalen hinter den Ohren schon lange abgelegt hat. Langsam kommt die Erinnerung an den Absturz wieder und ich ziehe scharf die Luft ein.
„Ich hätte eher abdrehen müssen!" sage ich.
„Du hast alles getan, was möglich war. Sie haben die Daten ausgewertet, Anna. Und du hast Paul und mir das Leben gerettet, in dem du rechtzeitig entschieden hast, dass wir Abspringen sollen."
„Nein, hör auf! Ich habe dieses Mal versagt. Und nur, weil ich so von dir besetzt war, mal wieder! Ich bin davor nur ein einziges Mal abgestürzt, nachdem du nach England gegangen warst. Danach nie wieder, und ich habe schon viele Blitzeinschläge erlebt, ohne, dass was passiert ist!"
Mark schaut mich verärgert an.
„Warum hast du es mir damals nicht erzählt?"
„Ich wollte dich nicht beunruhigen, du warst so fertig wegen deiner Mum. Und ich hatte ja auch nur ein paar Rippenbrüche, nichts ernsthaftes. War sauer, dass es mich wochenlang außer Gefecht gesetzt hat."
„Du hättest doch zu mir kommen können, Anna!"
Ich schüttele den Kopf.
„Du wolltest es doch nicht. Wegen deiner Mutter."
„Wir waren zu blöd. Einfach zu blöd." zischt er und ich streiche sanft über seine stoppelige Wange. Flüstere:
„Ich hätte es trotzdem tun sollen. Das Risiko hätte ich für dich aufnehmen müssen."
„Für uns. Anna...lass uns aufhören, unsere verpaßten Gelegenheiten zu bedauern. Das Einzige, was wir tun können, ist, es von jetzt an anders zu machen. Ich will dich und ich habe mir geschworen, dass ich alles tun werde, damit es klappt. Wenn du mir verzeihen kannst, dass ich so ein Lotterleben geführt habe und mit anderen Frauen Kinder habe..."
Ich ziehe die Augenbrauen hoch.
„Verzeihen? Dafür gibt es doch gar keinen Grund."
Mark lächelt.
„Doch. Ich habe den Satz „ich gebe dich frei" nie als richtige Trennung wahrgenommen, sondern eher als Freifahrtschein für's Fremdgehen."
„Na, super! Dann sind wir auf irgendeine verrückte Weise immer noch zusammen und du hast mich die ganze Zeit betrogen?" schmunzele ich.
„Ja. Wie du mich auch, mit diesem „ach so tollen Typ!"." grinst er.
„Dirk hat doch nur den Schmerz ein wenig gelindert. Hat mich heftig umworben und das habe ich genutzt, um endlich von dir loszukommen. Aber wir haben uns ständig nur gestritten, weil er wollte, dass ich den Job schmeisse. Er wollte Kinder, ich wollte fliegen."
„Ich weiß. Deshalb habe ich mich gewundert, dass du überhaupt geheiratet hast. Aber...würdest du es vielleicht noch einmal tun?"
Ich schaue ihn irritiert an. Oh, diese Augen, dieser Blick! Ich würde ihn so gerne küssen, aber mein Mund fühlt sich trocken und faulig an.
„Willst du mich heiraten, Anna?" fragt Mark sanft.
Wow, der romantischste Antrag ever! Ich liege im Streifenhemdchen in einem Krankenhausbett und dieser Typ, der sich zum absoluten Frauenschwarm entwickelt hat (ja, mir entgehen die sehnsüchtigen Blicke der Krankenschwestern nicht!) will mich heiraten. Mich! Ich lächle: „Weißt du, irgendwie habe ich gewußt, dass es so enden wird. Ich hatte es mir noch ein wenig dramatischer vorgestellt, dass ich unter dem Heli begraben liege und du mir deine Liebe gestehst, zum Beispiel. Aber so ist es auch okay. Natürlich will ich dich heiraten, Mark!"
Er bleibt ernst. Plötzlich glitzert eine Träne in seinem rechten Auge, sie läuft an seiner Wange hinunter und ich streiche sie sanft fort. Er haucht: „Es war der reinste Horror...ich dachte, ich hätte dich für immer verloren, als die Maschine gegen den Baum geknallt ist. In dem Moment habe ich gedacht, dass ich in einer Welt ohne dich nicht mehr leben will. Doch dann schrie Paul, er hatte dich in dem Baum entdeckt. War schon dabei, hochzuklettern, doch sein Arm war gebrochen. Dann bin ich hoch, zum Glück hatte ich nur eine Verstauchung und die haben mich nie vom Laufen abgehalten. Ich war überglücklich, dass du noch geatmet hast."
Er seufzt leise und beisst sich auf die Unterlippe. Ich ziehe ihn an mich und schaukele ihn sanft. Es scheint alles so unwirklich und ich denke, morgen werde ich nicht mehr wissen, dass ich ja gesagt habe. Oder es ist doch ein Traum...
Doch nichts dergleichen, kaum bin ich wach, muss ich wieder damit leben, dass ich einen Fehler begangen habe und Chris deswegen tot ist. Mark versucht, es mir auszureden, obwohl ich es nicht ein einziges Mal mehr ausspreche. Doch er weiß, was mich bedrückt, das wußte er schon immer. Genau wie ich beobachtet er Menschen sehr genau und sagt mir frei heraus, das der Chefarzt ein Verhältnis mit der Stationsschwester hätte. Wir lachen viel, trotz der wideren Umstände. Und Mark ist sehr geduldig mit mir, wenn wir Laufen üben. Schließlich kann ich auf die periphere Station und eine Woche später werde ich entlassen. Ich habe ja meinen privaten Hausarzt, der gleichzeitig eine prima Krankenschwester ist!
Mark steht mit einer dampfenden Kaffeetasse am Fenster und blickt raus. Ich lege meine Arme von hinten um ihn, meinen Kopf an seinen Rücken und seufze glücklich.
„Komisch, das zu sehen. Weckt alte Erinnerungen..." murmelt er.
Er meint die drei Hochhäuser, die man von meinem Penthouse gut sehen kann. Es sind Studentenwohnheime. In dem Gebäude, das meiner Wohnung am nächsten liegt, hatte er damals gewohnt.
„Genau deshalb habe ich diese Wohnung gemietet. Verrückt, nicht?" seufze ich. „Warum bist du schon auf?"
„Ich konnte nicht mehr schlafen, blöde Albträume. Und nein, ich habe genau so einen Unsinn betrieben, habe in meiner Wohnung überall Modellbau- Heli's herumstehen." antwortet er und ich kichere.
„Modellbau- Heli's?"
„Ja. Und...ich wollte dir noch sagen, dass ich nicht die ganze Zeit herum gevögelt habe, im Prinzip waren es drei Frauen, die ich hatte. Die Studentin, von der du wußtest. Dann Claude, sie hat mich so heftig an gebaggert, dass ich schließlich nach gegeben habe. Zwei Monate später sagte sie mir, das sie schwanger sei und ich konnte sie ja damit nicht alleine lassen. Ich war kurz davor, dich anzurufen und mich bei dir auszuheulen, aber ich war mir nicht sicher, ob es überhaupt noch deine richtige Nummer war. Und außerdem wollte ich nicht diesen Kerl dran haben- ich wäre ausgeflippt."
Ich seufze und küsse seinen Nacken.
„Dirk und ich sind nie zusammen gezogen, das fand er natürlich doof, klar. Wenn er mich besuchen kam, habe ich schnell dein Bild versteckt. Und die Kartenwand..."
Mark dreht sich um und legt seine Arme um meine Hüfte.
„Ja, hab sie schon gesehen." Er lacht leise. „Wirklich peinlich, was ich damals so verzapft habe, oder? Aber ich war so...Quatsch. Ich bin immer noch verrückt nach dir! Aber das muss ich dir ja kaum sagen, du hast alles schwarz auf weiß! Dass ich es von Anfang an auf dich abgesehen hatte...in deinen heißen Strapsen..." grinst er.
„Oh, ja! Und es mir auf eine sehr feuchte Art gezeigt hast!" kichere ich.
„Hab es doch gleich darauf wieder gut gemacht, oder?" lächelt er sanft und ich stöhne leise auf.
Ich erinnere mich an unser Geknutsche in dem Pub, als wäre es gestern gewesen. Und an unser erstes Mal. Ich habe mich in den ganzen Jahren oft gefragt, wie Mark jetzt wohl liebt. Meine Entlassung ist jetzt zwei Tage her und Mark benimmt sich ganz Gentleman- Like, er rührt mich nicht an, und im Krankenhaus gab's sowieso nur unschuldige Küsschen.
„Ich weiß. Ich weiß." kichert er weiter. „Ich war ein Stümper. Oh, Gott, war das peinlich! Ich hatte dir ja damals schon erzählt, dass ich im Pub ständig mit einer Latte kämpfen musste. Und dass meine „Schüchternheit" nur davon kam, dass ich am Liebsten sofort über dich hergefallen wäre und dauernd unanständige Bilder im Kopf hatte. Dieses Kleid...deine Brustwarzen, die durch die Kälte ständig hart waren, das alles hat mich wahnsinnig angemacht."
„Oh, ja." hauche ich und spüre, dass ich feucht geworden bin. „Mir ging es ähnlich, aber gerade weil du so schüchtern warst. Dass du nicht einfach deine Hand auf meinen Hintern gelegt hast, wie andere Kerle das machen. Und selbst, als ich dir freie Bahn gegeben habe, hast du dich zurückgehalten."
„Anna..." haucht Mark und streicht mir sanft über den Rücken.
„Und du fängst schon wieder damit an." murmele ich, während ich mich an ihn drücke, dann seinen Hals küsse.
„Bitte...du bist doch noch so schwach, und ich will dich nicht bedrängen..."raunt er.
„Genau das ist es doch. Du warst und bist der einzige Kerl, der das darf. Weißt du noch, als ich einmal furchtbar müde von der Schicht war und du aber so unter Dampf? Ich musste förmlich darum betteln, dass du mich nimmst, obwohl ich viel zu kaputt war, um auch was davon zu haben. Aber das war mir bei dir immer egal. Ich meine, ist ja nicht oft vorgekommen..." lächle ich.
„Ich möchte aber, dass unser zweites „erstes Mal" gut wird, will keinen schnellen, einseitigen Fick." flüstert er heiser und mir läuft ein Schauder über den Rücken.
Ich hauche:„Vielleicht waren sie manchmal...eher selten... einseitig, aber nie schnell. Ich musste dich so oft dazu zwingen, von ihr abzulassen."
Mark lacht leise.
„Oh, ja! Einmal hatte ich einen furchtbaren Zungenkrampf und konnte tagelang nur nuscheln. Und natürlich war da gerade eine mündliche Prüfung und alle haben sich über mich amüsiert. Habe denen gesagt, dass ich mich verbrüht hätte..."
„Selber schuld. Wie oft hatte ich gesagt, hör auf, das bringt heute nichts."
„Und dann bist du trotzdem gekommen, du kleine Lügnerin." grinst er schelmisch.
Ich stöhne leise. Mark raunt in mein Ohr: „Hm. Es wird Zeit, für's Frühstück, meinst du nicht? Natürlich nur, wenn du schon Appetit hast..."
„Ich verhungere." brumme ich.
Mark lacht und hebt mich hoch. Setzt mich auf den Küchentresen und guckt mich ernst an.
„Was?" frage ich leise.
„Ich liebe dich."
Prompt schießen mir Tränen in die Augen.
„Warum tust du das?" jaule ich. „Ich wollte deine Zunge und..."
Er küsst mich gierig, hm, anscheinend hat er einen anderen Umgang damit. Doch mich hat er damit zum Weinen gebracht! Er tröstet mich sanft:
„Hey...ich bin doch da. Und ich bleibe dieses Mal für immer, das verspreche ich dir!"
⚤
The End. Und bitte, spart nicht an Kommentaren und wenn jemand ein Sternchen da läßt, würde ich mich sehr freuen <3
Weiter geht es mit einer kleinen Geistergeschichte. Tom Hiddleston möchte ein altes Familienanwesen auf der Insel Gugh renovieren und bittet um die Hilfe seiner ehemaligen Nanny, die in Deutschland lebt. Die beiden waren sich einmal sehr zugetan, doch nun ist alles anders...Und dann noch die merkwürdigen Vorkommnisse in dem alten Herrenhaus. Viel Spaß beim Lesen!
Hiddlestoners forever!
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