Das Bild 2
Am nächsten Tag ist natürlich nichts besser, eher noch schlimmer. Alle sind furchtbar aufgeregt wegen der Hochzeit, wir Frauen verbringen den halben Tag beim Schneider und ich bin noch verstimmter, als ich es so schon war. Peter durfte nicht mit hinein, ich musste ihn vor dem Geschäft anbinden, sodass er nach den vier Stunden ziemlich genervt ist und ich erst einmal mit ihm laufen gehen muss. Ich spaziere, besser gesagt, denn Laufen liegt mir nicht. Dafür aber meinem Verlobten, er kommt mir entgegen. Die legere Kleidung steht Karol gut und er ist ziemlich verschwitzt. Peter springt ihn an und der hübsche Mann lacht.
„Guten Tag! Was macht ihr denn hier?"
„Spazieren. Nach vier Stunden Anprobe brauchten wir Bewegung."
„Ach, will deine liebe Mutter auch Peter in einen Frack stopfen?" lächelt Karol und wischt sich den Schweiß von der Stirn.
Seine Augen leuchten und plötzlich erinnere ich mich an den Traum.
„Das werde ich zu verhindern wissen." knurre ich, denn will ihm zeigen, dass ich immer noch nicht angetan bin!
„Naja, dann bis später." verabschiedet Karol sich und läuft weiter.
Ich seufze. Sehe ihm ein wenig nach und ertappe mich bei dem Gedanken, dass er für viele Frauen wohl ein Sahneschnittchen wäre. Groß, muskulös, und...ja, er kann auch witzig sein, wenn er nicht gerade über das Militär redet. Ich schüttele diesen Gedanken schnell ab und konzentriere mich wieder auf meinen Unmut. Da weiß ich wenigstens, woran ich bin!
Beim Abendbrot schwärmt Emma aufgeregt von ihrem Kleid. Sie freut sich, dass wir eine Doppelhochzeit abhalten werden, denn sie könne nicht einen Tag länger ohne ihren Leopold sein, plappert sie ungeniert. Ich stöhne auf und Karol, der mir tatsächlich Blumen mitgebracht hatte- anscheinend hat seine Mutter ihn dazu genötigt- stupst mich sanft an. Dann eröffnet uns Mutter, dass wir morgen einen Verlobungsball geben würden. Sie zählt die Generäle und Offiziere auf, die kommen würden, und Karol strahlt sie dankbar an. Ich dagegen überlege, ob ich den Abendspaziergang mit Peter in einem dünnen Sommerkleid machen sollte, damit ich mir bis morgen eine Erkältung zuziehe. Aber wie ich Mutter kenne, wird sie mich trotz Fieber in den Tanzsaal scheuchen! Also ziehe ich mir brav meine Jacke über. Peter kläfft freudig und plötzlich erscheint Karol im Foyer.
„Du willst noch hinaus? Ganz alleine?" fragt er überrascht.
„Ich gehe immer alleine spazieren."
„Ich habe es heute Nachmittag bemerkt. Es tut mir sehr leid, Martha, aber wir sind jetzt verlobt und ich möchte nicht, dass du herumläufst, wie Freiwild." sagt er ernst.
Ich atme scharf ein.
„Ich hätte niemals gedacht, dass du so wirst!" fauche ich. „Du hast dir mehr von Vater als von Onkel Pavel abgeguckt! Und ich gehe, wie und sooft ich will!"
Damit drehe ich mich um, doch Karol hält mich am Arm fest.
„Das wirst du nicht!" zischt er im Kommandoton.
„Wir sind hier nicht bei deiner Kompanie! Lass mich los!" brülle ich und Peter knurrt Karol an.
Der seufzt und reißt seinen Mantel von der Garderobe.
„Gut, ich komme mit. Bevor du hier noch das ganze Haus aufhetzt."
„Wer hat denn angefangen?" brumme ich.
„Du. Du solltest die Gepflogenheiten kennen, ich halte mich schließlich auch daran und mache keinen anderen Frauen schöne Augen." knurrt er zurück, während er mir die Tür aufhält.
Ich schieße hindurch und schimpfe:
„Das ist ja wohl die Höhe! Ich habe noch niemals beim Spazierengehen jemandem schöne Augen gemacht, geschweige denn, dass sich jemand ernsthaft für mich interessiert hätte. Deshalb muss ich ja dich heiraten!"
„Das glaube ich nicht. Du bist eine...hübsche Frau." murmelt Karol und zieht mich aus dem Weg, da eine Kutsche gerade durch eine Pfütze fährt.
Ja, es regnet, doch der Herr neben mir hat schon den Schirm aufgespannt. Er bietet mir den Arm an und ich hauche ein Dankeschön. Hake mich unter und wir gehen eine Weile schweigend.
„Peter ist wirklich schlecht erzogen." sagt Karol etwas später, da der Hund immer wieder im Zick- Zack läuft und jeder Fährte gleich nach rennt.
Ich bin versucht, die Augen zu rollen, doch ich lasse es.
„Du meinst, so, wie ich es bin?" bemerke ich spitz.
„Schlechter." entgegnet er und ich ziehe meinen Arm aus seinem.
Rufe Peter heran und beuge mich zu ihm runter. Er leckt mir über das Gesicht und ich kichere.
„Widerlich. Wehe, du machst das, bevor wir vor den Altar müssen." knurrt mein Verlobter.
„Du bringst mich auf eine Idee..." schmunzele ich und flüstere Peter ins Ohr: „Sei jetzt ein braver Hund und zeig, was du kannst, hörst du?"
Peter kläfft leise. Setzt sich hin und legt den Kopf schief. Ich greife in meine Tasche und halte ihm etwas vor die Nase, er hebt seine Pfote und macht „Bitte, bitte!" Ich schüttele den Kopf und deute, dass er sich drehen soll. Er tut es und Karol zieht imponiert die Luft ein. Ich deute nach unten und der Hund legt sich hin. Hebe die Hand und er springt auf und kläfft. Ich gebe ihm das Stück Wurst und lobe ihn.
„Zuckerbrot und Peitsche." brumme ich. „Hab ihm das mehr aus Langeweile beigebracht. Wenn ich will, geht er brav bei Fuß, aber ich finde, er soll sich ab und zu auch mal austoben dürfen. So, wie ihr Männer es doch auch tut, nicht wahr?"
Ich schaue Karol scharf an und er verzieht seinen Mund. Es hatte wieder zu regnen begonnen, und da er den Schirm zusammen geklappt hatte, kleben seine Locken nun an seinem Kopf und ein Tropfen rollt über seine Nase. Er wischt ihn weg.
„Ich finde nicht alles gut, was dein Vater- Gott hab ihn selig- getan hat." murmelt er. „Und gerade hatte ich mir vorgenommen, dir ein Kompliment zu machen, doch nun ist es mir wieder vergangen. Du stehst dir selbst im Weg, Martha."
Ich ziehe die Augenbrauen hoch. Der Regen prasselt auf meinen Kopf und Karol macht keine Anstalten, den Schirm wieder aufzuspannen. Ich drehe mich um und deute Peter, dass er folgen soll. Er läuft brav neben mir her. So, wie der große Mann, der nun doch den Schirm öffnet und ihn schützend über mich hält. Die Reimers kommen uns entgegen und grüßen uns lächelnd. Karol legt sanft seine Hand auf meinen Rücken und ich erschaudere. Doch wohl mehr aus Ärger über ihn, denn es ist eine eindeutige, besitzergreifende Geste. Zu aller Not fange ich auch noch an, zu frieren und Karol sagt sanft:
„Lass uns zurück gehen. Nicht, dass du an unserem Hochzeitstag krank bist."
Ich nicke und wir laufen schweigend durch die große Allee. Karol grüßt einige Soldaten, die sich vor mir verbeugen. Natürlich kennen sie mich und ich habe gelogen, ein paar Männer haben mir schon den Hof gemacht. Nicht viele, aber ich hätte mit meinen zweiundreißig Jahren bereits unter der Haube sein können, und vielleicht...ich seufze. Vielleicht hätte ich mit einem von denen mehr Glück gehabt. Ja, Karol hat Recht, ich stand meinem Glück selbst im Weg...
Zuhause nehme ich ein heißes Bad und Clementine schrubbt mich ab. Wir singen zusammen ein französisches Lied und ich fühle mich sofort besser. Eingekuschelt in mein Bett, in der einen Hand einen spannenden Roman und einen heißen Tee in der anderen, bin ich wieder ganz die Alte und verdränge meine Misere.
Auch der nächste Tag wird den Hochzeitsvorbereitungen geopfert und wir müssen langweilige Tischdekorationen und Hochzeitsmenüs aussuchen. Und ich kann mich noch nicht mal am Abend entspannen, weil der Ball statt findet! Clementine gibt sich mit meiner Frisur besonders viel Mühe und das Ballkleid ist eines meiner Lieblingskleider. Und eigentlich tanze ich sehr gerne. Ich mag es nur nicht, von allen Seiten dabei beobachtet zu werden. Vor einem Publikum in einem Schauspiel, wenn ich nicht ich selbst sein muss, wäre es etwas anderes. Karol wartet vor meiner Tür und ich laufe fast in ihn hinein. Er sieht wunderschön aus, muss ich feststellen. Er lächelt und macht mir das gleiche Kompliment. Ich hake mich bei ihm ein und zum Glück sind im Ballsaal so viele Menschen, dass wir kaum dazu kommen, uns miteinander beschäftigen zu müssen. Als dann zum Tanz gerufen wird, entpuppt sich mein fescher Soldat als vorzüglicher Tänzer und zaubert mir ein Lächeln auf die Lippen.
„Das steht dir sehr gut..." raunt er mir ins Ohr und mein Blick verdunkelt sich. „Egal, was ich sage, es ist alles nicht richtig, oder?" knurrt er dann und dreht mich energisch.
Ich halte die Luft an, es kribbelt in meinem Bauch. Jemand macht ein missbilligendes Geräusch, weil Karol und ich völlig aus der Reihe tanzen, im wahrsten Sinne des Wortes!
„Es tut mir leid!" rufe ich, sowohl zu dem Grafen, den ich angerempelt habe, als auch zu Karol.
„Das glaube ich nicht. Du geniesst es, mich zu hassen." zischt mein Verlobter und zieht mich eng an sich heran, obwohl das nun auch nicht zum Tanz gehört.
Jemand stöhnt und eine stark geschminkte Frau schüttelt den Kopf.
„Lass die jungen Liebenden doch..." höre ich jemanden sagen, während Karol mich anstarrt und sich nicht bewegt.
„Ich..." beginne ich leise.
Himmel, was hat dieser Mann schöne Augen! Er war ein süßer Junge gewesen und ich hatte ihn einmal furchtbar gern gehabt. Ich seufze.
„Ich hasse dich doch nicht. Nur die Idee, deine Frau zu sein."
„Was ist daran so schlimm?" knurrt er verärgert und beginnt, sich wieder im Takt zu bewegen.
„Oh, wo soll ich beginnen?" schmunzele ich. „Nun ja, erstens magst du mich nicht. Das spüre ich doch. Du heiratest nicht mich, sondern meinen Namen. Zweitens wird es so aussehen, dass ich brav das Gut hüte und du hier wilde Feste feierst, und dann irgend wo hin geschickt wirst, um zu kämpfen. Das ist nicht meine Idee von einer Ehe, wenn ich es schon tun muss, will ich mich wenigstens ab und zu mit meinem Ehemann unterhalten können. Und drittens...wäre ich lieber ledig und in Paris." seufze ich abschließend.
„Paris?" lächelt Karol.
„Oui, j 'adore la culture et les hommes de Paris. J'adore la France."
„Ich spreche kein französisch. Bin ja nur ein einfacher Junge vom Land." knurrt er nun wieder.
„Tut mir leid. Aber dafür kann ich kein tschechisch."
„Ich bin zweisprachig aufgewachsen, das ist kein Kunststück."
„Ich weiß. Ich auch, meine Gouvernante hat mit uns nur französisch gesprochen."
Karol seufzt.
„Ich kann mich gut daran erinnern, dass es auch auf Gut Czupran so war und Vater und ich uns beim Abendessen oft ausgeschlossen fühlten."
Er schaut mich ernst an. Ich nicke und blicke beschämt auf unsere ineinander gefalteten Hände.
„Ich verstehe." murmele ich.
„Aber...du, meine liebe Cousine..." schmunzelt er nun, „Hattest es einmal bemerkt und plötzlich auf deutsch geantwortet, dir dafür wiederholt den Tadel deiner Mutter eingefangen. Und ich denke, du hast es für mich getan."
Ich schließe die Augen.
„Ja. Ich habe so vieles für dich getan. Du warst mir lieber, als meine eigene Schwester." hauche ich und spüre, dass er mich näher heranzieht.
„Und nun ist alles anders? Nur, weil ich deinen Vater mochte?"
Ich nicke, dann schaue ich ihn wieder an und hauche:
„Du hast mich betrogen. Wir waren uns immer einig, damals, wir wollten frei sein und Spaß haben. Und dann kam dein erster Brief von der Militärschule und ich habe eine ganze Nacht lang geweint."
Karol guckt mich betroffen an. Lässt mich abrupt los und verschwindet in der Menge. Ich schüttele verärgert meinen Kopf und suche mir ebenfalls einen Weg durch die tanzende Masse, nun wieder sicher, dass Karol niemals mein Seelenverwandter sein wird. An diesem Abend tanzt er nicht mehr mit mir, ich habe noch etwas Spaß mit Leopold, was mir Mutter's Missbilligung einbringt. Meine Tante verabschiedet sich früh und mir ist aufgefallen, dass sie kränklich aussieht. Auch Karol geht, nachdem er sich mit ranghohen Generälen unterhalten hat, die ihn anscheinend sehr mögen. Ich suche meine Tante auf und entschuldige mich bei ihr für meine Ambivalenz ihrem Sohn gegenüber. Sie lächelt, ist aber sehr müde und so gehe ich schnell wieder.
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