Eins - Alexander
"Alexander, ich habe den Job angenommen." Langsam drehe ich mich zu Magnus und schaue ihn an.
"Welchen Job?" frage ich ihn irritiert. "Na den Job in Chicago. Hat dein Vater dir das nicht erzählt?" Ich schüttele den Kopf. "Nein. Aber du auch nicht."
Meine Gedanken überschlagen sich. Er hat den Job in Chicago angenommen? Ich erinnere mich daran. Vor ein paar Wochen hat er mir geschrieben, dass ihm ein Job in der Zweigstelle Chicago angeboten wurde. Er könnte befördert werden. Ohne Vitamin B. Einfach weil er gut in seinem Job ist. Ich hatte keine Zeit darauf zu antworten. Naja und keine stabile Internetverbindung.
Wir haben gerade miteinander geschlafen. So unglaublich guten Sex hatte ich schon lange nicht mehr. Eigentlich noch nie. Magnus weiß genau was er tut. Er führte mich, ich war noch nie der passive Part. Es war für mich das erste Mal, ich hatte den intensivsten und besten Orgasmus. Und jetzt kommt das Problem. Chicago, guter Sex und die Tatsache, das ich einen One-Night-Stand mit meinem besten Freund und Bruder hatte.
Wir kennen uns seit Jahren. Sind beste Freunde, haben den Großteil unserer Kindheit und Jugend miteinander geteilt. Jace, Magnus und ich. Magnus hat die meiste Zeit bei uns zuhause verbracht. Immer wenn es Ärger mit seinem Vater gab kam er zu uns. Und das ist oft passiert.
Meine Eltern mögen ihn sehr. Besonders meine Mum. Magnus lebte ein Jahr quasi durchgängig bei uns. Täglich war er da. Auch über Nacht. Er schlief immer bei mir im Zimmer, in meinem Bett. Bis sein Vater endgültig beschloss ihn raus zu werfen.
Danach haben meine Eltern ihn sofort bei uns aufgenommen. Er war ja schon wie ein Familienmitglied. Mein Vater gab ihm nach seinem Studium gleich einen Job in der Firma. Magnus liebt Zahlen. Jace wurde Lehrer, unterrichtet Musik und Sport und ich ging zum Militär. Seit 2 Tagen bin ich zuhause. Auf Urlaub. In 5 Tagen bin ich wieder im Einsatz.
Und jetzt verlässt er die Stadt. Ich verstehe es nicht. Warum jetzt? Warum schläft er mit mir und geht dann einfach?
"Ich verstehe es nicht Magnus."
Ich bin enttäuscht. Ich will gehen. Ich muss nachdenken. Aber Magnus hält mich am Handgelenk fest, zieht mich zurück in seine Arme. Sofort atme ich wieder den vertrauten Geruch ein. "Bitte bleib."
"Warte." Ich setze mich auf, schaue ihn an. "Ist das der Grund warum du mich heute den ganzen Tag so angesehen hast? Wieso du mit mir geflirtet hast?" Magnus senkt den Blick. "Du wolltest mich ins Bett bekommen. Und dann einfach verschwinden? Mich hier alleine lassen?" Ich bin sauer, ich bin laut, ich bin gemein zu Magnus. Aber das ist mir egal.
Magnus springt auf, verlässt das Bett, verlässt sein Schlafzimmer. Ich überlege kurz ob ich ihm folge. Stattdessen ziehe ich mir meine Boxershorts wieder an. Ich angele nach meiner Hose aber Magnus kickt sie weg. Wann ist er zurück gekommen? Ich habe es nicht bemerkt.
Ich schaue ihn an. Er hat Tränen in den Augen. Er hält mir ein Album entgegen. Ich erkenne es. Meine Eltern haben jedem ihrer Kinder ein solches Album geschenkt. Zum 18. Geburtstag. Auch Magnus hat eines bekommen.
Es enthält Fotos von uns als Kinder, Teenager, im Kindergarten, in der Schule, Geburtstage, Sportveranstaltungen, Ferien. Unser ganzes gemeinsames Leben.
"Sieh genau hin." Magnus Stimme ist klar und deutlich. Aber ich kann auch hören das er wütend ist. Ich sitze einfach nur da und schaue auf das Album. Soviele Gedanken rasen durch meinen Kopf.
"Sieh hin Alexander." Magnus schreit mich an. Er schlägt das Album gezielt auf. Das Foto zeigt Jace, Magnus und mich. Bei unserem Abschlussball. Ich weiß genau was er meint. Jace.
"Du wusstest immer das du ihn nicht haben kannst. Dabei stand dein Glück genau neben dir. Nur eben auf der anderen Seite." Seine Stimme ist laut und bricht zum Ende hin.
Ich erinnere mich noch genau. Das Foto wurde am Abend im Saal aufgenommen. Von Izzy, unserer Schwester. Mum hat mit ihrer schönen geschwungenen Schrift "proud brothers" darunter geschrieben. In Silber. Weil Magnus Silber liebt.
Ich stehe in der Mitte, überrage meine Brüder. Jace und Magnus sind beide adoptiert. Von meinen Eltern. Rechts im Arm halte ich Jace, links Magnus. Jace und ich strahlen in die Kamera, mein Kopf ist leicht in seine Richtung geneigt. So viel Nähe wie möglich, so unauffällig wie möglich. Magnus lächelt auch auf dem Bild. Nur gilt dieses Lächeln nicht Izzy hinter der Kamera. Es ist für mich. Auf dem Bild sieht Magnus mich an und ich erkenne Zuneigung in seinem Blick. Aber nicht die Art Zuneigung die ich meiner Schwester schenke. Es ist die Art wie ich immer Jace angesehen habe.
Und plötzlich ist es mir klar. Alles setzt sich zusammen, jedes einzelne Puzzleteil. Magnus. Magnus liebt mich. Magnus geht weil er mich liebt. Weil er es nicht mehr in meiner Nähe aushält. Dabei bin ich die meiste Zeit nicht hier. Aber die Erinnerungen an mich, an unsere Vergangenheit sind hier. Und werden es auch immer sein.
Aber diesen einen Moment, den konnte er sich nicht entgehen lassen. Er wäre dumm gewesen es nicht zu versuchen.
"Ich gehe duschen." sage ich, gebe Magnus das Album und gehe Richtung Bad. Natürlich kenne ich mich hier aus. War ich doch schon oft in Magnus Wohnung. Über Nacht. In seinem Schlafzimmer. In seinem Bett. Aber immer in Kleidung, nie nackt.
"Kann ich mitkommen?" Magnus bittet, seine Stimme ist fast flehend. "Nein." sage ich etwas zu harsch. An der Tür zum Bad bleibe ich kurz stehen, sehe über meine Schulter zu ihm. Er schaut auf das Album in seinen Händen, sein Blick ist traurig.
Magnus ist wirklich sehr schön. Für mich ist er einer der schönsten Menschen der Welt. Er ist mein Bruder und ich liebe ihn.
Eine Träne befeuchtet das Album als sie sich aus seinen schönen Augen löst. Sein Handrücken streicht über sein Gesicht, sein Körper bebt. Magnus weint. Ich hasse es wenn er weint. Es erinnert mich immer an früher. An die Zeit als er noch bei seinem Vater wohnte. Sein Vater der ihn nicht wie einen Sohn behandelte, der ihn schlug und aus seinem Leben verbannte. An Magnus als Kind der weinend und schluchzend in meinen Armen, in meinem Bett lag. Magnus den ich fest umklammerte und ihm sagte das alles wieder gut wird. Das ein Lightwood immer auf die Füße fällt und wir füreinander da sind. Das ich immer für ihn da sein werde. Für meinen besten Freund, meinen Bruder Magnus Lightwood-Bane.
Ich habe heute Abend zwei meiner wichtigsten Regeln gebrochen. Kein Sex mit Geschwistern. Kein Sex mit anderen Kerlen während einer Beziehung. Und nun stehe ich hier. In Magnus Schlafzimmer. Nach dem unglaublichsten Sex meines Lebens. Mit einem Schwert in meinem Rücken welches mich daran erinnert, dass zuhause jemand auf mich wartet. Aber will ich das er auf mich wartet?
Ich, Alexander Gideon Lightwood habe meine Prinzipien verraten. Ich habe nicht aus einem Trieb heraus mit Magnus geschlafen oder weil ich zu viel getrunken hatte. Meine Entscheidung für diese Nacht, für Magnus hatte ich bereits vor längerer Zeit getroffen. Nur war ich bisher zu feige es mir einzugestehen. Mit meiner Entscheidung habe ich zwei Menschen das Herz gebrochen. Und einen von beiden liebe ich mehr als mein Leben. Und diese Erkenntnis trifft mich hart.
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