Vergib mir
Im Flur des Schlosses ist es dunkel. Nur wenige, entfernte Kerzen werfen einen dämmrigen Schein auf die steinernen, kahlen Wände. Ein hellblaues Kleid mit entzückenden, detaillierten, handgefertigten Blumenstickereien umspielt ihren Körper. Ihr Rücken ist frei und leichte, kalte Windböen ziehen durch ein offenes Fenster in der Nähe, streifen ihre nackte Haut. Sie fröstelt, doch lieber ist sie hier, als zwischen all den tanzenden Leuten.
„Habt ihr mich vermisst, eure Hoheit?" Seine raue, dunkle Stimme würde sie überall erkennen. Langsam dreht sie sich um. Ihr Haar wird von einem weiteren Windstoß durchkämmt. Eine Gänsehaut überzieht ihren Körper, doch alles, worauf sie sich konzentrieren kann, ist sein, von finsteren Schatten bedecktes Gesicht. Sein weißes Leinenhemd ist zur Hälfte aufgeknöpft und man sieht den Ansatz seiner definierten, muskulösen Brust.
„Wir sollten uns nicht treffen", hauchte sie in die Dunkelheit. Er trat weiter vor. Der sanfte Schein der Kerzen erreichte endlich sein kantiges Gesicht. Narben zierten seine linke Wange und seine rechte Schläfe. Sein schwarzes Haar liegt unordentlich auf seinem Kopf. In seinen Augen glitzert ein verschmitztes, hinterlistiges Funkeln. Es verrät, irgendwann wird er ihr Tod sein, wenn sie nicht beendet, was sie haben. Doch es ist so schön. Jedes ihrer heimlichen Treffen versetzt ihr einen Adrenalinschub, den sie in ihrem Leben als Prinzessin zuvor nie verspürte. Es ist ihr untersagt, sich mit ihm zu treffen. Doch es fühlt sich so gut an, in seiner Nähe zu sein.
„Sollten wir", stimmt der Mann ihr zu, tritt einen Schritt näher. Seine großen, rauen Hände legen sich auf ihre Hüften. Er zieht sie dichter an sich heran, blickt ihr in die Augen. Sie spürt, wie ihr heiß und kalt zugleich wird. Seine Nähe macht sie verrückt. Sie möchte mit ihm sein, jede Sekunde ihres Lebens. „Es hätte niemals ein Wir geben dürfen", haucht er gegen ihre Lippen. Sie nickt zustimmend, legt ihre Hände in seinen Nacken. Behutsam stützt er seine Stirn gegen ihre, blickt für einen Moment auf ihre Lippen, die so gut auf seine passen. „Und doch stehen wir hier."
„Meine Eltern werden dich töten, wenn sie das herausfinden", haucht sie leise. Er nickt. Darüber ist er sich im Klaren, als er sie zum ersten Mal sah. Doch diese Prinzessin ist es wert, den Tod zu riskieren. „Sie werden dich in den Kerker werfen, dich foltern und hinrichten lassen."
„Und doch stehe ich hier und warte auf deinen Kuss."
„Aber warum?" Sie legt eine Hand auf seine Wange, blickt ihn verständnislos an. Auf seinen Lippen bildet sich ein wunderschönes, freches Grinsen. Er tritt einen Schritt zurück. Sein Blick gleitet über ihren Körper. Verlegen sieht sie weg, schlingt ihre Arme um ihren Oberkörper. Der Größere tritt wieder auf sie zu, umfasst zärtlich ihr Kinn und bringt sie dazu, ihn anzusehen.
„Ich habe meinen König enttäuscht und wurde vogelfrei, als ich dich nicht tötete. Ist ein Kuss da nicht das Mindeste?" Sie schmunzelt, legt ihre Hände auf seine Brust und blinzelt einige Male. Der Schwarzhaarige sieht auf sie hinab, ein Funkeln voller Liebe und Vertrauen in seinen dunklen Augen. Sanft knöpft sie auch die letzten Knöpfe des Hemdes auf. Er lässt es zu, genießt ihren Anblick, wie sie sich gänzlich auf seine Muskeln konzentriert. Sie fährt mit ihren Fingern jede definierte Linie nach, blickt ihm nicht in die Augen. Seine Hände liegen immer noch auf ihrer Hüfte, er zieht sie noch dichter an sich heran. Langsam sieht sie auf.
„Du wurdest darauf trainiert, skrupellos alle Befehle auszuführen. Und doch hast du dich widersetzt, als es um mich ging." Er nickt, lächelt sanft. Sie fühlt Reue, Verbitterung in sich aufkeimen. Doch sie macht weiter, fährt über seine entblößte Haut und streift ihm das T-Shirt von den Schultern. Ihre Hände fahren über die zahlreichen Narben an seinem Rücken. Jede von ihnen steht für einen Mord durch seine Hände. Er hat sich jeden der Peitschenhiebe selbst verpasst. „Wie kannst du zu all denen vor mir so grausam gewesen sein, aber nicht zu mir?"
„Ich sah dich und wusste, mein Herz würde brechen, müsste ich einen Peitschenschlag aushalten müssen, um deines Todes Willen." Eine einsame, kleine Träne rollt über ihre Wange. Überrascht zieht er die Augenbrauen hoch, wischt sie weg. Er umfasst erneut ihr Kinn, sieht sie besorgt an. „Was bekümmert dich, Teuerste?" Sie blickt weg, greift nach seinem Handgelenk und zieht seine Hand von ihr. Verwirrt legt er den Kopf schief. Sie atmet tief durch, sieht ihn an und küsst ihn. Sofort schlingt er seinen Arm um ihre Taille, vergräbt seine Hand in ihrem Haar.
Ihr Kuss wird jäh unterbrochen, als Wachen ihn von ihr wegziehen. Sie schluchzt auf, wirkt aber nicht überrascht. Er wendet sich unter dem starken Griff der Männer, sieht seine Herzensdame verzweifelt an. Doch sie wendet sich ab, senkt den Blick zu Boden. „Bitte verzeih mir." Sie verschwindet, jeder Schritt hallt gefährlich laut von den Wänden wieder. Er hingegen versucht sich von den Wachen loszureißen und ihr zu folgen. Seine lauten, flehenden Rufe jagen ihr auch mehrere Gänge weiter einen Schauer über den Rücken. Sie verspürt eine Gänsehaut. Ihr Herz schmerzt, sie bekommt nur schwer Luft. Mit letzter Kraft lehnt sie sich an eine Wand, rutscht sie langsam hinab. Sie vergräbt ihr, von Tränen benetztes Gesicht in ihren Händen, weint bitterlich.
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Hoffnungslos lässt er den Kopf hängen. Die letzten Sonnenstrahlen seines ersten Tages im Verlies fallen auf seinen, immer noch nackten Oberkörper. Von den kalten Steinwänden tropft Wasser, rinnt auf den Boden. Er will sich aufrichten, doch seine eisernen Ketten halten ihn am Boden. Er ist schon dankbar für die gewisse Armfreiheit, die ihm die Fesseln bieten.
Er lauscht gespannt, als die Tür zu den Kerkerräumen aufgeschlossen werden. „Eure Hoheit, ich halte Euer Vorhaben für keine gute Idee." In den Ecken hört er Mäuse am Boden kratzen, vor den Gittern sitzen Vögel, sehen ihn aus treuen Augen an. Er will gar nicht erst wissen, welches andere Ungeziefer in den dunklen Ecken lauert. Langsam blickt er zu dem Gitter. Seine Augen weiten sich, sein Herz rast. Seine Herzensdame, seine Prinzessin.
Der Kerkermeister schließt die Tür auf. Er überreicht ihr den Schlüssel. Schluckend sieht er dabei zu, wie sie in den Raum tritt und sich neben den Gefangen setzt. Wenn ihr Vater davon erfährt, wird er sich eine Zelle mit dem Schwarzhaarigen teilen müssen. Doch die Prinzessin hat einen sturen Kopf. Nichts hätte sie davon abhalten können, sich neben ihren Liebsten auf den kalten, dreckigen Boden zu setzen und ihr schönes Kleid zu ruinieren.
„Was tust du hier?" Der Schwarzhaarige sieht sie nicht an. Nicht einmal, als sie mit ihren Fingern seine Muskeln nachfährt ringt er sich dazu durch, ihr in die Augen zu sehen. Er weiß, sie hatte keine andere Wahl. Und doch verletzt es ihn, dass sie ihn so verraten hat. Er merkt nur nebenbei, wie der Stoff ihres Kleides über seine Beine gleitet, als sie sich auf seinen Schoß setzt. Behutsam greift sie nach seinem Kinn. Er sieht sie an. Sie schließt die Augen, presst die Lippen aufeinander.
„Bitte glaube mir. Alles, was ich dir in unserer Zweisamkeit sagte, war ernstgemeint", versichert sie ihm leise. Sie sieht seinen Schmerz, spürt, wie er zittert. Sanft legt sie eine Hand auf seine Brust, sieht ihn flehend an. Sie spürt sein wildklopfendes Herz unter ihren Fingerspitzen.
„Du hattest Angst, ich weiß. Ich hatte sie auch."
„Aber du hast dein Leben nie über unsere Verbindung gestellt." Er sieht die Reue in ihrem Gesicht, sieht wie sie, von sich selbst verletzt und enttäuscht die Augen schließt. Er hebt seinen, in Ketten gelegten Arm und berührt sanft ihre Wange. Langsam sieht sie auf. Tränen funkeln in ihren Augen, sie schnieft leise.
„Ich kann nicht von dir verlangen, dich für mich zu entscheiden, wenn dein Leben davon abhängt", haucht er leise. Sie versteht sein Verständnis nicht. Sie versteht nicht, warum er sie nicht zum Teufel schickt, warum er sie nicht verflucht und zur Hölle wünscht. Sie lehnt sich an seine Brust schließt die Augen und inhaliert seinen Duft. Sie spürt seine großen Hände und wie sie sich um ihren Körper schlingen.
„Du hast dein ganzes Leben für mich aufgegeben. Du warst Thronfolger, hast für deinen Vater getötet. Doch als du mich sahst, hat du keine Sekunde gezögert und all das hinter dir gelassen. Es wäre nur richtig, dasselbe für dich zu tun", haucht sie gegen seine kühle Haut. Er fährt durch ihre offenen, knotigen Haare. Ein Lächeln belegt seine Lippen. Er haucht einen Kuss unter ihr Ohr. „Mein Vater will dich hinrichten lassen." Sein Herz setzt einige Momente aus, bevor es schneller schlägt. Er hat mit nichts anderem gerechnet. Trotzdem hat er Angst. Doch er lächelt bloß tapfer, legt eine Hand auf ihre Wange und nickt verständnisvoll.
„Das ist schon okay."
„Nichts ist okay. Ich... wie soll ich ohne dich..." Sie lässt den Satz unvollendet. Ein leises Schluchzen erfüllt den Raum. Mitfühlend sieht er sie an, zieht sie näher an sich. „Es tut mir leid. Das alles ist meine Schuld." Er antwortet nicht, genießt nur ihre Nähe und die Wärme, die sie ausstrahlt. Er streicht über ihren Rücken, versucht ihr ein Gefühl der Sicherheit zu geben, solange er noch hier ist.
„Du solltest schlafen, Liebste", haucht er an ihr Ohr. Sie sieht ihn an, versucht den penetranten Schmerz in ihrem Herzen zu verdrängen. Sie legt sich neben ihn, platziert ihren Kopf auf seinem Schoß. Er fährt ihr durch das Haar, sieht ihr dabei zu, wie sie die Augen schließt und langsam einschläft.
Sie reckt sich, als die ersten Sonnenstrahlen durch das Gitter fallen und sie wecken. Ihr Rücken schmerzt, ihr Kopf dröhnt und es fällt ihr schwer, sich aufzurichten. Ihre Glieder sind steif vor Kälte. Sie blinzelt einige Male, bevor sie sich umdreht, in der Hoffnung, ihren Liebsten zu sehen. Doch sie sitzt alleine in dem kühlen Raum. Die Gittertür ist weit offen, Fußabdrücke zieren den Boden. Panik breitet sich in ihr aus. Sie will aufstehen und zum Hinrichtungsplatz laufen, als ihr auffällt, das ihr etwas fehlt. Der Schlüsselbund. Sie lächelt. Er konnte fliehen.
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