David & Mila
Der Bass der Musik dröhnt in meinen Ohren, während ich stumm auf einer der Treppenstufen sitze und die tosende Menge beobachte. Es ist meine erste Party. Und wenn es weiterhin so langweilig ist, auch meine letzte. Ich hätte mir die Mühe sparen können, mich drei Stunden vor meinen Spiegel zu stellen und mich fertig zu machen. Es interessiert sich sowieso niemand dafür, wie ich aussehe.
Gerade, als ich anfange, mit dem Gedanken zu spielen, einfach nach Hause zu gehen, bleibt mir der Atem weg. Während mein Blick durch die Menge schweifte, sah ich ihn nicht. Doch jetzt wo ich aus Versehen in seine Richtung gesehen habe, raubt mir das Grün seiner Augen den Atem und den Verstand. Er stößt sich von der Wand ab, an der er bis gerade noch gelehnt hat.
Wie von selbst tragen meine Füße mich zu ihm. Etwa in der Mitte des Raumes treffen wir uns. "Hey." Als er seine raue, tiefe Stimme erhebt, scheint die Musik zu verstummen. Und mit ihr die laute Menschenmenge. Er sieht mich lächelnd an, hält mir seine Hand entgegen. Stumm nehme ich diese entgegen. Sein auftreten hat mir die Sprache verschlagen. Ich spüre seine weiche Handinnenfläche, die sich kraftvoll und schützend um meine legt.
"Hey", piepse ich schüchtern. Sobald meine Stimme in meinen Ohren klingelt, spielt die Musik wieder, um uns herum reden Menschen und der Moment scheint verflogen. Schnell schüttle ich den Kopf. Was ein Unsinn ich nur wieder denke. Wir hatten keinen gemeinsamen Moment. Ich habe bloß zu viele Romanzen gesehen.
"David", stellt der Braunhaarige sich vor.
"Mila."
"Mila. Ein schöner Name", lächelt David und streicht mir eine Strähne aus dem Gesicht, die sich frech an meine Lippen geklebt hat. Seine Finger berühren für einen Moment kaum spürbar meine Wange. Und doch jagt diese kleine Berührung mir einen angenehmen Schauder über den Rücken. Ich schüttle erneut ungläubig den Kopf. Vielleicht hat mir jemand was in mein Wasser gemischt? Oder werde ich einfach nur verrückt?
"Danke", hauche ich schnell. Mir ist nicht einmal aufgefallen, dass ich ihn einfach nur anstarre, bis er verwirrt hinter sich blickt. "Entschuldige. Ich... ich sollte wohl gehen. Mir ist nicht nach feiern zumute", stammle ich verwirrt. Meine Stirn hat sich in Falten gelegt.
"Mir auch nicht... um ehrlich zu sein. Wir könnten gemeinsam gehen. Also, von der Party. Was hältst du von einem Eis?" Überrascht blinzle ich einige Male. So direkt hätte ich nicht damit gerechnet. Er ist zwei Köpfe größer als ich, was mich aber nicht weiter stört. Solange ich in seine grünen Augen blicken kann...
"Ähm... natürlich. Wer sagt schon Nein zu einem Eis", lache ich nervös. Ob er wohl schon gemerkt hat, dass ich ihm auf den ersten Blick verfallen bin? Für einen Moment schließe ich die Augen und atme tief durch. Ich bin ihm nicht verfallen. Er ist attraktiv. Und freundlich. Aber vor allen Dingen ist er ein Fremder. Wahrscheinlich bin ich einfach nur verwirrt.
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David und ich sitzen auf der Ladefläche seines Pick-Ups. Während er ein Schokoladeneis schleckt, versuche ich, nicht jedes Mal zu erschaudern, wenn ich an einer der Vanilleeiskugeln lutsche. Der sternenklare Nachthimmel ist faszinierend, doch lange nicht so atemberaubend, wie Davids Geschichten, die er mir erzählt. Ich halte mir vor Lachen den Bauch, fange fast an zu weinen, oder erschaudere, wenn er mich plötzlich erschreckt. Er ist ein fantastischer Geschichtenerzähler. Ich hätte ihm die ganze Nacht zuhören können.
"Ich sollte dich wohl langsam nach Hause bringen", meint David lächelnd, während er das letzte Bisschen seiner Waffel aufisst. Ich bin zu sehr von seinem Unterkiefer fasziniert, als das ich ihm sofort hätte antworten können.
Kurz bevor es komisch geworden wäre, wende ich meinen Blick von ihm ab. "Wäre vermutlich besser." Seufzend stehe ich auf und setze mich auf die Beifahrerseite, auf der ich bereits auf der Hinfahrt Platz genommen habe. David setzt sich neben mich. Eine kühle Briese huscht ins Auto, bevor er die Tür schließt. Das angenehme Lüftchen treibt seinen intensiven Duft zu mir. Ich kann mich kaum davon abhalten, ihn zu inhalieren.
Er riecht nach Wald, Sommer und Lebensfreude. Am liebsten hätte ich mich ihm um den Hals geworfen und meine Nase in seinem Nacken vergraben. Doch das hätte uns wahrscheinlich in den Graben befördert. Denn David ist gerade dabei auszuparken und sieht konzentriert auf die Straße.
"Wo soll ich dich denn absetzen?", fragt David nach einer Weile grinsend. Ich nenne ihm verlegen meine Adresse. Daran hätte ich auch selbst denken können.
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Schon bald hat David mich vor meiner Hofeinfahrt abgesetzt. "Lustig", schmunzelt er, während er sich die Wohngegend ansieht. "Ich wohne ganz in der Nähe. Fünf Häuser weiter", erklärt er, fährt sich dabei durch die Haare. Wie gerne würde ich ihm zum Abschied dadurch fahren. "Hier hast du meine Nummer. Schreib mir doch Mal, wenn dir langweilig ist", grinst David, bevor er mich in eine kurze Umarmung zieht und dann wieder ins Auto steigt.
Verwirrt lässt er mich hier stehen. Seine Wärme hat mich nur kurz schützend vor der Kälte beschützt und doch bin ich gleich süchtig nach dem Körperkontakt geworden.
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Hey David. Hier ist Mila. Ich konnte nicht einschlafen und hatte Langeweile...
Hey Mila. Was hält dich vom Schlafen ab?
Seufzend lasse ich mich in mein Kissen fallen. Ich kann ihm schlecht sagen, dass seine Augen mich längst in seinen Bann gezogen haben, dass sein Duft mich in andere Welten befördert und seine Wärme mir ein schützendes Gefühl gab, wie ich es vorher noch nie verspürte.
Der ein oder andere Gedanke.
Antworte ich daher schnell. Ungeduldig tippe ich auf die Hülle meines Handys, während ich auf eine Antwort warte.
Und welche Gedanken? Vielleicht kann ich dir beim einschlafen helfen.
Lächelnd halte ich das Handy an meine Brust. Er will mir helfen. Mein Herz schlägt schnell, mein Blut schießt mir in die Wangen. Ich erröte, verstecke mein Gesicht in meinem Kissen.
Ich denke nicht. Trotzdem danke.
Scheinbar habe ich so lange zum Antworten gebraucht, dass David sich anderen Sachen gewidmet hat. Seufzend schließe ich mein Handy ans Ladekabel an und versuche wach zu bleiben bis David mir geantwortet hat. Doch lange kann ich nicht mehr gegen die Müdigkeit ankämpfen. Ich schließe für einen Moment die Augen. Ein großer Fehler. Es fühlt sich an, als würde ein Tsunami der Müdigkeit auf meinem Leib toben, mich mit sich reißen, in eine völlig andere Welt.
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"Papa? Ich bringe nach der Schule David mit", informiere ich meinen Vater Wochen später. Nacht für Nacht schreiben wir, bis ich einschlafe. Mit jeder Nachricht, die er mir schickt, wächst das kribbelnde Gefühl und die Vorfreude auf jedes Treffen. Ein dümmliches Grinsen belegt meine Lippen, wenn ich an ihn denke.
"Wer ist David?" Ich schließe seufzend die Augen, drehe mich langsam zu meinem Vater um. Interessiert streckt er den Kopf aus der Küche.
"Jemand, den ich auf der Party vor ein paar Wochen getroffen habe", erkläre ich lächelnd. Sein interessiertes Lächeln schwindet, sobald er hört, dass ich ihn auf der Party kennengelernt habe.
"Prinzessin, du weißt, dass du irgendwann die Firma übernimmst und dich auf die Schule konzentrieren sollst?" Endlich tritt er vollständig aus der Küche. Sanft legt er seine Hände auf meine Schultern.
"Lern ihn doch erst einmal besser kennen, Papa. Bitte." Ich befreie mich aus seinem Griff und sehe ihn eindringlich an. Er hält meinem Blick einige Sekunden stand, doch bald schon wendet er sich seufzend ab und nickt geschlagen.
"Schön. Aber wenn ich ihn nicht mag, schicke ich ihn weg."
"Du wirst ihn lieben, Papa. Versprochen."
Murrend öffnet mein Vater die Tür. Ein Schwall heiße Luft strömt mir entgegen und schnürt mir für kurze Zeit die Kehle zu. "Du kommst zu spät zur Schule. Viel Spaß", verabschiedet er sich, lässt sich von mir einen Kuss auf die Wange drücken.
"Wir sehen uns später. Ich hab dich lieb."
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"Papa? Wir sind da!", rufe ich durch das ganze Haus. David steht hinter mir, sieht sich staunend um. Meine Hand liegt in seiner, doch es scheint so, als würde er sich an mir festklammern wollen. Aus der Küche höre ich, wie Vater etwas aus dem Backofen holt. Kurz darauf umhüllt uns ein himmlischer Duft. Lächelnd drehe ich mich zu David um. In seinen Augen liegt ein unsicherer Glanz.
Ich kratze all meinen Mut zusammen, stelle mich auf die Zehnspitzen und küsse ihn auf die Wange. "Keine Sorge. Er wird dich mögen", spreche ich ihm leise Mut zu. Man merkt es kaum, doch David stellt sich aufrechter hin. Sanft lächelt er auf mich hinab und nickt mir dankend zu.
"Hey Papa. Darf ich vorstellen: David." Vater dreht sich um. Nur jemand, der ihn schon lange kennt, weiß, dass sein Lächeln nur aufgesetzt ist. Ein mulmiges Gefühl gibt mir für einen Moment das Gefühl, mich übergeben zu müssen. Ich hoffe inständig, dass das falsche Lächeln im Laufe des Tages echt wird.
"Hallo David. Schön dich kennenzulernen."
"Ich freue mich, Sie endlich kennenzulernen."
Erleichtert sehe ich dabei zu, wie das Lächeln auf Vaters Lippen echter wird. "Ich decke den Tisch. Setz dich doch schon einmal, David", schlage ich lächelnd vor.
"Sicher? Ich kann dir helfen", bietet David an. Doch ich schüttle bloß den Kopf.
"Setz dich ruhig. Wirklich."
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Erleichtert stelle ich fest, dass Vater während des Essens anfängt, David wirklich zu mögen. "Darf ich Sie was fragen?" David hat sich leicht entspannt, nimmt gerade ein weiteres Stück des köstlichen Nudelauflaufs und sieht dann in die Runde.
"Natürlich. Frag ruhig."
"Wo ist Ihre Frau?"
Augenblicklich herrscht eine beklemmende Stille am Tisch. Meine Mutter ist gestorben als ich zehn war. Mein Vater hat sich seitdem nur noch auf die Arbeit konzentriert. Er glaubt nicht daran, noch einmal jemanden zu finden, für die er das empfindet, was er für meine Mutter empfunden hat.
"Sie... sie ist gestorben. Vor sechs Jahren", erkläre ich leise.
"Oh... das... entschuldigen Sie. Ich wusste nicht..."
"Nein, alles gut", unterbricht mein Vater ihn schnell. "Das konntest du auch nicht wissen."
"Ich... ich könnte ein altes Fotobuch runterholen", schlage ich lächelnd vor. Ich blicke auf meinen Teller, damit niemandem meine Tränen auffallen, die sich langsam und brennend in meinen Augen sammeln.
"Eine gute Idee, Schatz", stimmt mein Vater mir nickend zu. Schnell springe ich auf und sprinte die Treppen hoch. Hektisch suche ich in meinem Zimmer, doch in keinem meiner Regale ist ein Fotobuch. Der Gegenwind schlägt mir ins Gesicht, als ich durch den Flur in das Schlafzimmer meines Vaters sprinte. Tatsächlich finde ich es auf seinem Nachttisch.
"Entschuldigen Sie, Sir. Ich wollte sie nicht verärgern." Ich runzle die Stirn, als ich die Treppen runterkomme und sehe, wie David seine Schuhe anzieht.
"David?" Verwirrt sehe ich zwischen meinem Vater und dem Größeren hin und her. "Was ist los?"
"Ich sollte besser gehen", erklärt mein Schwarm leise und geht auf mich zu.
"Bleib von Mila weg, junger Mann. Und wenn du gegangen bist, kommst du nie wieder in die Nähe meiner Tochter!"
"Papa! Hör auf! Was ist dein Problem?" Unachtsam lasse ich das Fotobuch fallen. Wütend funkle ich meinen Vater an. Doch er schenkt mir keine Beachtung. Stattdessen starrt er David in Grund und Boden. Ich gehe auch die letzten Stufen der Treppe runter. Meine Beine zittern, ich möchte auf ihn zugehen, doch mein Vater hält mich am Handgelenk fest.
"Ich wünsche euch noch einen schönen Tag." Ich höre den Schmerz in Davids Stimme, sehe die glitzernden Tränen in seinen Augen. Diese funkelnd-grünen Augen. Er öffnet die Tür, tritt über die Schwelle. Ich spüre, wie er mir entgleitet, wie ich ihn verliere, obwohl er mir nicht einmal gehört. Mein Herz zerspringt in meiner Brust.
Entschlossen reiße ich mich von Vater los und sprinte die Stufen zum Hof runter. "David! Bitte geh nicht! Ich flehe dich an. Bleib." Ich kann die Tränen nicht zurückhalten, die schnell und erbarmungslos meine Wangen hinabgleiten und an meinem Kinn kitzeln, bevor sie auf den steinigen Boden tropfen.
David dreht sich um, lächelt mich schwach an. Wie von selbst tragen meine Füße mich zu ihm. Schluchzend umarme ich ihn, inhaliere seinen betörenden Duft. "Du kannst nicht gehen bitte", flüstere ich leise. Vorsichtig blicke ich hoch. Ein angenehmes Kribbeln bildet sich in meinem Bauch, als sein Grün auf mein Braun blickt.
"Ich schreibe dir", haucht er leise gegen meine Lippen. Sanft streicht er mit seinem Handrücken über meine Wange. "Versprochen." Er überbrückt die letzten Zentimeter und küsst mich. Ein Feuerwerk all der Gefühle explodiert mit mir. Ich lächle in den Kuss hinein, während salzige Tränen meine Wangen benetzen und meine Hände sich in sein T-Shirt krallen. Ich will ihn nicht gehen lassen. Niemals.
Sobald er sich von mir löst, verschwinden die Glücksgefühle und die Trauer, die Wut und die Verzweiflung nehmen wieder Überhand. Tatenlos sehe ich dabei zu, wie er behutsam meine Hände ergreift und sie dann fallen lässt. Er hat sich aus meinem Griff befreit und ich habe es nicht einmal bemerkt.
Das Tor quietscht protestierend, als David hinausgeht. Er dreht sich nicht um, geht einfach die Straße entlang. Enttäuscht gehe ich wieder rein. Mit verschränkten Armen steht mein Vater vor der Treppe, doch er ist mir gerade egal.
"Damit das klar ist: du wirst keinen Kontakt mehr zu David haben", versucht er mir einzuschärfen. Doch ich schnaufe bloß abwertend. "Junge Dame. Sieh mir in die Augen und wiederhole meine Worte!", befiehlt mein Vater laut.
Wütend blicke ich auf. "Ich hasse dich", zische ich, drehe mich um und gehe die Treppen hoch. Mein Vater steht immer noch unten. Wir hatten immer ein wunderbares Verhältnis. Ich habe ihm nie gesagt, dass ich ihn hasse. Das war schon immer seine größte Angst.
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Tage später sitze ich in meinem Zimmer, höre Musik und schreibe Tagebuch. Etwas, was ich nur mache, wenn ich es nicht mehr aushalte und all die Gefühle, die in mir toben, loswerden muss. Andernfalls würde ich daran zerbrechen. Mein Vater klopft an die geschlossene Tür, doch ich reagiere nicht. Ich ignoriere ihn, seit er David weggeschickt hat.
"Mila? Mach bitte die Tür auf. Wir müssen reden." Stur sehe ich auf die Buchstaben, die auf den Seiten wild umhertanzen. Keinen Millimeter öffne ich meine Lippen, lasse meinen Vater einfach vor der Tür stehen. "Ich habe dir ein Treffen mit einem der Söhne von den Investoren meiner Firma organisiert. Heute Abend fahre ich dich ins Restaurant", erklärt er durch die Tür hindurch.
Ich reiße die Augen auf. Schnell stürme ich zur Tür und öffne sie. Mein Vater ist bereits dabei, wieder die Treppe runterzugehen. "Du hast WAS?" Wütend gehe ich auf ihn zu.
"Du wirst hingehen", meint mein Vater entschlossen. Er dreht sich auf der Treppenstufe um und sieht zu mir hoch.
"Du kannst mich Mal. In welchem Zeitalter lebst du? Arrangierte Beziehungen, ich glaube, du spinnst!"
"Jetzt reicht es, junge Dame! So kannst du mit allen anderen reden. Aber nicht mit mir! Und hättest du einen vernünftigen Typen angeschleppt, hätte ich damit kein Problem gehabt!" Auch er erhebt nun seine Stimme und sieht mich finster an. "Und jetzt geh in dein Zimmer. In zwei Stunden fahren wir los."
Ich lache falsch auf, mache auf dem Absatz kehrt und schließe mich in meinem Zimmer ein.
David, ich kann nicht mehr. Lass uns weglaufen. Mein Vater will mich mit einem Sohn der Investoren verkuppeln.
Tränen steigen mir in die Augen, während ich mir Nachricht immer und immer wieder durchlese.
Alles wird gut, Mila. Ich bin in fünf Minuten am Gartenzaun. Triff mich dort.
Ein angenehmes Kribbeln macht sich in mir breit und langsam beruhige ich mich wieder. Alleine der Gedanke, ihn wiederzusehen, beruhigt mich und schenkt mir neue Kraft.
Zwei Minuten später klettere ich aus dem Fenster die Leiter hinunter, die dort eigentlich steht, um den Weintrauben Halt zu geben.
Nach ein paar Minuten komme ich mit wackeligen Beinen unten an. Schnell laufe ich zum Gartenzaun, wo David bereits auf mich wartet. Er sieht sich immer wieder prüfend um. Doch als er mich erblickt, stiehlt sich ein Lächeln auf seine Lippen. "Hey", begrüßt er mich leise.
"Hey."
Er greift durch den Zaun nach meinen Händen und zieht mich näher an das Holz ran. "Ich wünschte, ich könnte etwas für dich tun", murmelt er leise. Sein Blick liegt fest auf meinen Lippen. Ich verfluche den Tag, an dem meine Eltern sich für einen Gartenzaun entschieden haben.
"Wir könnten weglaufen. Irgendwohin, wo niemand uns findet", schlage ich erneut vor. Doch David schüttelt sofort entschlossen den Kopf.
"Weglaufen ist keine Lösung, Mila. Ein paar Jahre, dann kannst du selbst entscheiden, mit wem du ausgehst."
"Ein paar Jahre sind ein paar Jahre zu viel", murmle ich leise, sehe hoch in seine grünen Augen. Lächelnd fährt er sich durch sein flauschiges Haar. "David, was mache ich denn jetzt? Ich will nicht auf ein Date mit einem der verwöhnten Schnöseln. Ich möchte zu dir."
"Ich verstehe dich. Halte durch." Er legt sanft eine Hand auf meine Wange. Gott sei dank ist der Zaun keine zwei Meter hoch.
"Mila? Mila, öffne die Tür!" Bis nach draußen hört man das Gebrüll meines Vaters, welches David und mich auseinanderschrecken lässt.
"Du solltest gehen", lächelt David sanft. Er zieht meine Hand über den Zaun und haucht einen Kuss auf meinen Handrücken. "Wir sehen uns." Ich nicke und wende mich von ihm ab. Als ich über meine Schulter zurückblicke, ist David schon weg.
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"Mila, bist du fertig?" Ich sehe auf die Uhr. Genau zwei Stunden später. Ich sitze in meinem Schlafanzug auf meinem Bett und schreibe mit David. Erschrocken verstecke ich mein Handy unter der Decke, als ich höre, wie Vater den Ersatzschlüssel in das Schloss steckt.
"Du bist im Schlafanzug!", stellt mein Vater fest, als er die Tür aufschließt.
"Wow. Ich bin begeistert, Papa. Bravo." Schnaufend lege ich mich hin und starre an die Decke. Soll er doch wutentbrannt in meinem Zimmer stehen.
"Junge Dame, du wirst mich nicht blamieren! Zieh dich an und komm runter. Ich gebe dir zehn Minuten. Und gib mir dein Handy." Entsetzt richte ich mich auf.
"Bitte was? Nein! Mein Handy bekommst du nicht!" Mein Vater sieht mich eindringlich an. Ich rühre mich keinen Zentimeter, weshalb er selbst mein Bett durchwühlt und schließlich selbst das praktische Gerät in die Finger bekommt.
"Du schreibst immer noch mit David?", fragt er, als mein Display aufleuchtet. Zischend sehe ich an die Wand. Wie rede ich mich da bloß raus?
"Nein! Ich... ich ignoriere ihn", schluchze ich. Meinen Vater anzulügen, fällt mir leichter, als es sollte. "Und jetzt raus hier!", schnauze ich wütend. Prüfend sieht mein Vater mich noch einmal an, verlässt dann aber tatsächlich den Raum.
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"Und dann habe ich mich mit diesem Mistkerl geprügelt", grunzt mein Gegenüber im Restaurant, während er etwas von seinem Steak isst. Angewidert blicke ich weg, als er den Mund aufreißt und man den zerkauten Inhalt sehen kann. Er heißt Tristan, benimmt sich wie ein Schwein und hat keine Ähnlichkeiten mit David.
"Entschuldige bitte. Ich muss einmal für kleine Mädchen", lächle ich gezwungen und gehe auf die Toilette. Am liebsten hätte ich David angerufen. Oder eine meiner Freundinnen. Sie hätten mich bestimmt abgeholt. Doch mein Vater holt mich um elf ab. Noch zwanzig Minuten, dann habe ich die Gruselshow hinter mir. Und doch erscheint es mir eine Ewigkeit, die es braucht, bevor ich frei von diesem Ekel bin.
Nachdem ich ein wenig Lippgloss aufgetragen und meine Haare gerichtet habe, gehe ich wieder an den Tisch zurück. Tristan isst gerade das letzte Bisschen seines Nachtischs auf. "Isst du den noch?", fragt er und weist auf meinen Pudding.
"Nein. Mir ist der Appetit vergangen", murmle ich leise, während ich versuche, den riesigen Puddingfleck auf seinem Hemd zu ignorieren. Er greift über den Tisch und nimmt auch meine Schüssel. Gierig schaufelt er sich einen Löffel nach dem anderen ein.
"Es war sehr schön mit dir. Vielleicht wiederholen wir das ja", verabschiedet Tristan sich grinsend, nachdem die zwanzig Minuten endlich vorbei sind.
Ich schüttle schnell den Kopf. "Nein, ich denke, dass lassen wir bleiben."
Schnell steige ich in den Wagen meines Vater und schließe die Tür. "Und?" Ich ignoriere meinen Vater, schnalle mich an und sehe stur auf die Straße. "Kannst du aufhören, dich wie ein trotziges Kleinkind zu verhalten?", fragt er frustriert, während er losfährt.
"Klar. Wenn du mich nicht mehr wie ein Kleinkind behandelst, fange ich vielleicht an, mich wie ein trotziger Teenager zu verhalten", schmeiße ich ihm zischend an den Kopf. Schnell mache ich das Radio an und zeige ihm somit, dass diese Konversation beendet ist.
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Monat für Monat verstreicht. Ich treffe mich abends heimlich mit David am Gartenzaun, anders würde ich es nicht aushalten. Mein Vater schickt mich auf einige Dates, die ich jedes Mal mit Freuden vermassle. Mal bin ich nicht pünktlich, Mal schlabbere ich den Traubensaft auf das weiße Hemd. Einmal habe ich den Typen sogar angespuckt. Es sah aus, wie ein Versehen, doch ich habe es genossen, mir seinen überraschten Blick anzusehen.
Ich erzähle David gerade von meinem letzten Schachzug auf dem gestrigen Date, als er sich räuspert. Sofort verstumme ich. "Mila, ich muss dir was sagen." Aufmerksam höre ich ihm zu. Er sieht unschlüssig auf unsere Hände. Eine gewaltige Angst baut sich in mir auf.
"Bitte. Mach nicht Schluss. Ich liebe dich. David, du kannst mich nicht alleine lassen!" Überrascht sieht der Größere auf mich hinab.
"Um Himmelswillen. Ich hatte nicht vor, mit dir Schlusszumachen. Mila, ich liebe dich auch. Nein, ich..." Er atmet tief durch. Sein warmer Atem in der kalten Winternacht lässt kleine Wölkchen aufsteigen. "Ich werde zum Militär gehen. Ich muss mich selbst finden." Mir stockt der Atem.
"Zum... zum Militär?" David nickt leicht, streicht mir eine Strähne aus dem Gesicht. "Zu dem Militär, das dir die Haare abrasiert und dich in den Krieg schickt?", frage ich leise. Meine Stimme bricht, meine Sicht verschwimmt.
"Genau das Militär", lacht David leise. Doch sein Lachen ist nicht echt. "Ich komme zurück, Mila. Versprochen. Ich hole dich zu mir, wenn du volljährig bist", meint er leise. Sanft streicht er mir eine Träne von der Wange.
Er wendet sich ab, doch ich greife durch den Zaun nach seinem Handgelenk. "Du hast mir versprochen, mich nicht alleine zu lassen", murmle ich mit tränenerstickter Stimme. David spannt seinen Unterkiefer an, sieht auf den Boden.
"Ich lasse dich niemals alleine", lächelt er, kniet sich hin und pflückt ein Gänseblümchen. "Wir können telefonieren, schreiben, videochatten. Du bist niemals alleine. Versprochen." Er steckt mir die kleine Blume ins Haar und holt sein Handy raus. "Lass mich ein Foto machen. Ich möchte dich immer bei mir haben." Schnell wische ich mir die Tränen weg und setze ein sanftes Lächeln auf. Doch sobald David das Handy wegsteckt, verblasst das Lächeln wieder.
"Ich schwöre dir, David: wenn du nicht wiederkommst jage ich dich in die Hölle und trete dort in den Arsch", murmle ich leise. Der Grünäugige lächelt leicht.
"Ich merke es mir." Sanft küsst er meine Stirn und geht. Schluckend sehe ich ihm hinterher, bis die Dunkelheit in verschluckt und ich alleine hier stehe. Leise Schluchzer durchdringen die Stille der Nacht. Es fühlt sich an wie ein Abschied.
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Kein Tag vergeht, an dem ich nicht mit ihm schreibe, nicht mit ihm telefoniere und keinen Kontakt zu ihm habe. Dafür vergehen unendlich viele Monate, in denen ich nicht seine Hand in meiner spüren kann, seine Lippen nicht die meinen berühren, er nicht verträumt mit meinen Haaren spielt. Ich verstehe mich auch nach fast zwei Jahren nicht besser mit meinem Vater. So gut es geht ignoriere ich meinen Vater. Nicht einmal meinen achtzehnten Geburtstag habe ich mit ihn gefeiert.
Ohne mich zu verabschieden verlasse ich das Haus. Mein Weg führt mich aufs Land. Mein Vater weiß, dass ich mich heute mit Jasmin treffe. Wir wollen einen Tag außerhalb der Stadt in einem kleinen, gemütlichen Dorf verbringen.
Vor einem Café treffe ich Jasmin und umarme sie lächelnd. Sie erwidert die Umarmung. Während wir den kleinen Laden betreten, fangen wir eine angeregte Unterhaltung an.
Gerade als wir bezahlt haben, bekomme ich eine Nachricht von David.
Komm aus dem Café raus.
Verwirrt zeige ich Jasmin die Nachricht sie zuckt nur mit den Schultern. Doch ihr wissendes Grinsen verrät sie. Schnell stehe ich auf und verlasse das Café. Mein Blick schweift über den Dorfplatz. Ein angenehmes Kribbeln macht sich in mir breit und ein verstohlenes Grinsen ziert meine Lippen. Dort steht er. Unter einem Baum, mit kurz rasierten Haaren, einer schicken Sonnenbrille und seiner Uniform.
Ein heller Ton entweicht mir, als auf ihn zulaufe und ihm um den Hals falle. David hebt mich hoch, dreht mich ein paarmal im Kreis und stellt mich dann ab. Meine Hände liegen auf seiner Brust. Ich spüre sein schnell schlagendes Herz, blicke in seine leuchtenden Augen und fahre ihm durch die kurzen Haare. "Ich habe dich so vermisst", hauche ich leise gegen seine Lippen, bevor ich ihn in einen langen, sanften Kuss ziehe.
"Ich dich auch", murmelt David gegen meine Lippen.
Schnell drehe ich mit zu Jasmin um, die uns grinsend ansieht. Als ich mich jedoch wieder zu David umdrehe, ist er nicht mehr da. Verwirrt sehe ich runter. Er kniet vor mir, hält eine weiße Schatulle mit Samt überzogen in der Hand. Ich schlage mir überrascht die Hände vor den Mund. Freudentränen sammeln sich in meinen Augen.
"Heirate mich, Mila. Bitte!" Überwältigt schaffe ich es nicht, mich zu rühren, geschweige denn, etwas zu sagen. "Uns steht nichts im Weg. Ich habe mit deinem Vater gesprochen. Er will nur, dass zwischen euch wieder alles wie früher ist. Bitte. Sag einfach Ja."
"Ja!"
Erleichtert lässt David die angehaltene Luft raus und sieht mich von unten freudig an. Er steckt mir behutsam den Ring an den Finger und steht dann auf. Ungeduldig ziehe ich ihn erneut in einen Kuss, dieses Mal leidenschaftlich. Das die Leute um uns herum klatschen, interessiert mich nicht. Ich bin in den Armen des einzigen Mannes, den ich immer weiter.
"Ich lasse dich niemals wieder alleine", haucht er schweratmend gegen meine Lippen, als wir uns voneinander lösen.
"Das will ich auch hoffen", grinse ich. Ein unbeschreibliches Glücksgefühl überkommt mich, Freude durchströmt meinen Körper, ich schmiege mich erleichtert an David. Bis jetzt war es nicht unbedingt leicht. Doch ab jetzt kann es nur noch bergauf gehen.
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