Tim

Am nächsten Tag hatte ich zum ersten Mal Unterricht. Es war ein Montag, da ich an einem Sonntagabend angekommen war. Somit konnte ich relativ gut in die Woche starten, in die Themen des jeweiligen Faches jedoch nicht ganz so gut. 

Es fing mit zwei Stunden Mathe an. Mathe war noch nie mein Fall gewesen. Da ich damals meine Konzentration auf das Training (wenn man es denn so nennen konnte) gerichtet hatte, hatte ich die Schule sehr vernachlässigt und verstand nun kein Wort. Das Thema war irgendwas mit Brüchen, welche ich eigentlich total einfach fand. Aber jetzt kam ich nicht mehr mit. 
Die Lehrerin, Frau Esser, merkte wohl, dass ich das Thema nicht verstand, denn nach der Doppelstunde rief wie mich nach vorne und versuchte mich so beruhigen: "Wir sind bald mit dem Thema durch. Danach kommt was neues, wo sie dann gut mit einsteigen können" 
Ich nickte nur und ging dann raus. Die Lehrer siezten einen, erwarteten dafü aber auch, dass man sie siezt. Das war jedoch noch nie mein Fall gewesen, und ich hatte auch nicht vor, dies jetzt zu ändern.

Vor der Tür warteten schon auf mich. Da wir jetzt eine Stunde Kunst hatten, und ich nicht wusste, wo der Kunstraum war, dackelte ich den anderen nur stumm hinterher, während diese Frau Esser nach machten. In Kunst war es einfach, rein zukommen. Wir sollten einfach ein Portrait von einer berühmten Person malen, sie musste nicht echt sein, also begann ich, Jeff the Killer zu zeichnen, da ich seine Story echt cool und interessant fand. Ich war nicht der Beste im zeichnen, aber ich würde trotzdem nicht sagen, dass ich es nicht konnte. Ich stellte schnell fest, dass Patrick und Rafi die letzten waren, die Kunst konnten. Ihre Portraits waren unerkennbar. Tobi malte wen, den ich nicht kannte, aber man konnte deutlich erkennen, dass es sich um einen Menschen handelte. Auch Freddie gehörte eher zu Rafi und Patrick. Stegi war eindeutig der Beste von uns, vielleicht sogar im ganzen Kurs. Er zeichnete deutlich ein Portrait von einer Sängerin und als ich fragte, wer es sei, schaute er nur erschrocken hoch und meine dann beruhigt: "Chrissy Costanza" Der Name sagte mir zwar nichts, aber sie schien eine echt gute Sängerin zu sein, so wie Stegi für sie schwärmte. 

Am meisten freute ich mich, als wir zur Sporthalle gingen. Tobi, der immer noch so viel redete, kam gerade wenigstens mit guten Nachrichten für mich: "Unser Thema ist Basketball, total cool! Ich bin nicht der Beste, aber es macht mir unglaublich viel Spaß! Rafi ebenfalls. Na, Freddie kann momentan nicht mit machen, hat was am Fuß. Patrick ist eher weniger begeistert, ist nicht sein Thema und Stegi.. Na ja, Sport ist nicht so sein Fall" - "Basketball ist cool", meinte ich nur. Ich hatte damals in einem Team gespielt, war auch immer der Beste gewesen. Irgendwann hab ich mich anscheinend zu sehr aufs Training konzentriert, bin jedenfalls nicht mehr hingegangen. Seitdem hatte ich es vermisst, Basketball zu spielen. Ich hatte immer nur Körbe im Garten werfen können, aber das wurde mit der Zeit halt einfach langweilig. 

"Herr Schulze ist noch nicht da. Musst wissen, er kommt immer zu spät, aber er ist eigentlich ganz cool", berichtete mir Tobi, bevor er fragte: "Erzähl doch mal Tim, wieso bistn' du eigentlich hier?" Ich kratzte mir verlegen am Hinterkopf, bevor ich log: "Ich hatte Stress mit meinen Eltern, bin dann abgehauen, zu meiner Tante. Wohnt n' bisschen was weg von hier. Da sie aber nicht so viel Geld und Zeit hatte, um sich um mich zu kümmern, hat sie mich hier reingesteckt. Joa" Tobi nickte langsam, dann begann er auch schon wieder, zu reden. Glücklicherweise kam Herr Schulze dann doch relativ schnell, sodass ich mir das Gelaber von Tobi nicht zu Ende anhören musste. 
In Sport konnte ich direkt viel mitmachen, und Herr Schulze war echt cool, wie Tobi schon gesagt hatte. Er informierte mich nach den zwei Stunden Sport, dass es hier am Internate verschiedene Aktivitäten gab, und darunter auch Basketball wäre. Er seie der Trainer, und er würde sich freuen, wenn ich mal vorbeischaue. Ich sagte ihm sofort, dass ich super gerne ins Team kommen würde und er gab mir bescheid, wann das Training immer war. (Mittwochs und Freitags von 17:00 - 18:30 Uhr). 

Nachdem wir in der sechsten Stunde, und somit in der Letzten für heute, den langweiligsten Politikunterricht hatten, gingen Patrick, Rafi, Stegi, Freddie, Tobi und ich in die Mensa, wo  wir Mittagessen aßen. Es gab Reibekuchen mit Apfelmus. Bevor ich jedoch anfangen konnte zu Essen, fing Tobi wieder an zu reden: "Tim, wir wissen rein gar nichts über dich, außer das du gut in Sport bist, und anscheinend 'ne Niete in Mathe", ich gab ein tonloses Lachen von mir bevor er fragte: "Willste uns nicht mal was über dich erzählen?" Ich seufzte und sah dann ein, dass es vielleicht auch besser für meinen Plan war. Vielleicht sollte ich nur nicht die genaue Wahrheit über mich erzählen, dass ich hier war, um ihren besten Freund zu töten. 

"Joa.. Also ich bin Tim, 18 Jahre alt und komme eigentlich aus Essen, kein Plan, ob ihr das kennt. Hab nicht die schönste Vergangenheit, und will auch nicht unbedingt darüber sprechen, bzw. nachdenken. Ich bin unter anderem hier, weil ich n' neues Leben starten will. Eins, ohne Fake-Freunde, die einen hintergehen, und ohne stressige Eltern", meinte ich. Der Teil mit meinen Eltern tat ein bisschen weh, da es kein bisschen stimmte, dass sie stressig waren. Sie waren es nie gewesen, sie waren wirklich tolle Eltern, und sie hatten es am aller wenigsten verdient, bei diesem Unfall zu sterben.

"Und ihr so? Wieso seit ihr hier?", fragte ich, nur um Stegis Antwort zu hören. Es war mit das Einzige, was ich nicht über den Blonden wusste. 

Tobi streckte sich und meinte nur knapp (es wunderte mich wirklich, dass er sich so knapp halten konnte!): "Stress mit Eltern und Freunden" 

Rafi zog kurz die Augenbrauen hoch, als ich ihn fordernd anschaute, antwortete dann aber doch: "Nachdem ich in 'nem Laden was geklaut habe, waren meine Eltern richtig enttäuscht von mir, und haben mich vor die Wahl gestellt: Entweder Internat, oder nie mehr raus dürfen. Ich kann dir sagen, dass meinten die ernst. Na, hab mich dann lieber hierfür entschieden, und bereuen tu ich die Entscheidung auch nicht wirklich. Is' nicht so übel, wie man denkt" Ich nickte und schaute dann zum nächsten, welcher dieses mal Patrick war. Er meinte nur: "Wie üblich, Stress mit meinen Eltern", bevor er weiter kaute. Freddie war gerade Nachschub holen, weswegen nun Stegi an der Reihe war. Er seufzte und meinte: "Kompliziert. Meine Eltern waren sich plötzlich ganz unsicher, ob sie sich wirklich um mich kümmern können. Hat private Gründe, wieso sie das dachten, die sind jetzt aber scheiß egal. Und joa.. Sie waren plötzlich ganz anders, und dann ist Tobi, wir waren schon damals Freunde, hierher gekommen und ich dachte mir, dass das vielleicht auch was für mich wäre" Ich nickte und nahm einen Schluck von meinem Wasser, bevor ich schon die Augen verdrehte, weil Tobi erneut anfing zu reden. Ich sollte mir bei ihm echt keine Hoffnungen machen, sondern ihm einfach den Mund zu kleben, dass er nicht mehr reden konnte. 

Joa, hallo :D