28 Januar 1938
Nico wurde sechs Jahre alt. Ich war acht, es war das erste Mal, dass ich mit ihm spazieren ging.
Ich erinnere mich, dass wir an seinem Geburtstag zum Markusplatz gingen, uns auf eine Bank setzten und den Trubel beobachteten. Ich schenkte ihm eine kleine Spielzeugeisenbahn. Ich weiß noch, dass er unglaublich glücklich war, mich fest umarmt, und in mein Ohr geschrien hatte dass ich die beste Schwester der ganzen Welt war.
Geschwister sind eigentlich nicht so nett zueinander, aber damals war Nico mein Spielkamerad, mein bester Freund, mein Kumpel. Und natürlich Amelia, aber sie war nicht physisch dar. Amelia war die kleine Stimme, die dir immer gutes ins Ohr flüsterte, aber sie war nicht die Person, die man einfach mal umarmen konnte. Nico war diese Person für mich.
Dieser Moment ist in meinem Kopf eingraviert, es war das erste Mal, dass Nico und ich wirklich etwas alleine unternommen hatten, ohne von den hysterischen Schreien oder der andauernden Traurigkeit unserer Mutter abgelenkt zu sein.
Die folgenden Wochen gingen wir immer öfter zusammen spazieren, oft um einfach nur aus dem Haus zu kommen. Eigentlich sollte ein achtjähriges Kind nicht alleine mit einem sechsjährigen Kind rausgehen, aber wir begegneten keinen Leuten, und Amelia flüsterte mir auch oft zu welche Straßen wir nicht nehmen sollten.
Un eines Tages, während einer unserer Spaziergänge durch Venedig, landeten wir auf einem Platz, in dessen Mitte ein großes, gelben Haus stand. Eigentlich würde ich dem Haus keine Aufmerksamkeit schenken, wenn auf dem Balkon nicht meine Cousine Persephone stände. Sie redete mit jemandem, er war groß und relativ schlank, er hatte dunkelblonde Haare, und strahlte die gleiche „Aura" wie Persephone aus.
Ich rief ihr zu und winkte, doch als sie meinen Bruder und mich bemerkte, wurde ihr Gesichtsausdruck schlagartig dunkel. Nico klammerte sich an meinen Arm. „Bianca, wer ist das?" fragte er ängstlich. Ich verstand seine Angst, Persephone war dunkeln gekleidet, ein dunkelrotes Kopftuch verdeckte ihre Haare, und sie redete auch scheinbar ziemlich streng auf den anderen jungen Mann ein. Nico kannte Persephone nicht, sie hatte uns auch nicht mehr nach Nicos Geburt besucht.
Sie ging vom Balkon weg und trat kurze Zeit später auf den Platz vor dem gelben Haus, doch diesmal begrüßte sie uns mit offenen Armen und einem warmen Lächeln. Ich lief auf sie zu, Nico immer noch an meinem Arm hängend.
„Tante Persephone!" rief ich und schloss sie in die Arme. „Nico, das ist Persephone, unsere Cousine. Sie ist super lieb, und hat voll schöne Blumen in ihrer Wohnung," erklärte ich meinem Bruder. Er nickte langsam.
„Kinder, was macht ihr hier, ganz alleine? Ihr solltet bei eurer Mutter sein!" sagte sie uns, besorgt klingend. Ich schaute auf den Boden. Ich wollte nicht zugeben dass ich Angst vor ihr hatte. Dass ich Angst hatte, sie würde Nico etwas antun. „Wir wollten nur ein bisschen spazieren gehen," antwortete ich ausweichend. Persephone strich mir über den Kopf und atmete langsam ein und aus.
„Bianca, bitte hör mir zu. Es ist jetzt gerade ziemlich gefährlich, besonders für Nico und dich, ja? Wenn dein Vater in den nächsten drei Monaten nicht kommt, reisen wir, deine Mutter, dein Bruder, du und ich nach Amerika aus, hast du verstanden? Aber ihr dürft auf keinen Fall mehr das Haus verlassen, etwas schreckliches kann passieren. Bitte, tue es für mich, okay, Bianca? Ich kann euch nach Hause bringen." redete meine Cousine auf mich ein. Meine Auge waren immer noch auf den Boden gerichtet.
Plötzlich sprach Nico das aus, was ich schon die ganze Zeit dachte. „Ich will nicht nach Hause," murmelte er leise. „Ich will zu Andrea." Ich drehte mich abrupt zu ihm um. „Wer ist Andrea?" fragte ich neugierig, doch bevor er mir eine Antwort geben konnte, redete Persephone weiter. „Warum willst du nicht nach Hause?" fragte sie, „Nico, was ist Zuhause los?"
Es dauerte etwas, bis die Antwort kam, aber ich wusste ganz genau was er sagen würde.
Ich schloss meine Augen. Ich wollte nie dass er das mitbekommt, aber man kann es nicht verstecken.
„Mama schlägt Bianca."
Mein Rücken brannte bei seinen Wörtern.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro