Ein Funke in der Dunkelheit
Jisung konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal so nervös war. Seit dem ersten Chemieunterricht mit Hyunjin war seine Welt ein einziges Chaos. Eigentlich war es ja nur ein einfaches Schulprojekt, aber das Gefühl, dass mehr auf dem Spiel stand, verfolgte ihn ständig. Hyunjins Worte aus dem letzten Unterricht hallten immer noch in seinem Kopf nach: „Es gibt nichts Schlimmeres, als etwas zu verbergen."
Was hatte er damit gemeint? Wusste Hyunjin irgendetwas? Oder war das nur eine seiner Spielchen?
An diesem Freitag fanden sie sich in der Bibliothek wieder, um an ihrem Projekt weiterzuarbeiten. Jisung war früher da und hatte bereits alles vorbereitet, als Hyunjin mit seinem typischen lässigen Gang eintraf. Er zog erneut alle Blicke auf sich, und Jisung konnte die bewundernden Blicke einiger Mitschülerinnen nicht übersehen.„Fleißig wie immer," bemerkte Hyunjin, als er sich neben Jisung setzte. „Du machst es mir echt schwer, cool zu bleiben, wenn du so viel Arbeit vorab erledigst."„Ich dachte, je schneller wir das hier hinter uns bringen, desto besser," erwiderte Jisung, ohne aufzublicken.
Hyunjin lachte leise und lehnte sich entspannt zurück. „Du bist wirklich etwas Besonderes, weißt du das?"
Jisung spürte, wie ihm das Blut in die Wangen schoss. „Was meinst du damit?"„Na ja," sagte Hyunjin und musterte ihn aufmerksam, „du tust so, als wäre es dir egal, was andere von dir denken, aber ich sehe, wie sehr du dich anstrengst. Es ist beeindruckend."Jisung versuchte, nicht zu sehr auf Hyunjins Worte einzugehen, aber es fiel ihm schwer. „Ich... ich mache einfach, was getan werden muss."Hyunjin schmunzelte und beugte sich ein wenig näher zu ihm. „Jisung, du kannst dir selbst ruhig mehr zutrauen. Ich weiß, dass du klug bist, aber es steckt noch mehr in dir, das weiß ich. Und weißt du was? Ich finde das ziemlich anziehend."Jisung erstarrte. „W-was?" Seine Stimme klang zittrig, und er konnte spüren, wie sein Herz in seiner Brust hämmerte.Hyunjin grinste, aber diesmal wirkte es weniger überheblich und mehr... ehrlich. „Du hast richtig gehört. Ich mag Leute, die mehr sind, als sie auf den ersten Blick scheinen. Und bei dir habe ich das Gefühl, dass du dich selbst noch nicht vollständig entdeckt hast."Jisung wusste nicht, wie er reagieren sollte. War das wieder nur ein Spiel von Hyunjin? Oder war da etwas Echtes, etwas, das er nicht einfach ignorieren konnte?Hyunjin sah ihn mit einem durchdringenden Blick an und sprach weiter, bevor Jisung seine Gedanken ordnen konnte. „Weißt du, ich habe gelernt, dass es nichts bringt, sich zu verstecken. Ich bin schwul, und die ganze Schule weiß es. Manche Leute haben mich dafür verurteilt, aber am Ende habe ich festgestellt, dass es besser ist, ehrlich zu sein – zu anderen, aber vor allem zu sich selbst."
Jisungs Hände begannen zu schwitzen, und er konnte das Kribbeln in seinem Magen nicht unterdrücken. Warum sprach Hyunjin plötzlich so offen mit ihm? Und warum fühlte er sich, als würde er gleich unter diesem intensiven Blick zerschmelzen?
„Ich... ich weiß nicht, worauf du hinauswillst," sagte Jisung leise, auch wenn er eine Ahnung hatte.Hyunjin lehnte sich wieder zurück, aber sein Blick blieb fest auf Jisung gerichtet. „Ich will nur, dass du weißt, dass du nicht allein bist, Jisung. Wenn du jemals reden willst... über irgendwas... dann bin ich da."Jisung schluckte schwer und versuchte, die aufkommenden Gefühle in sich zu sortieren. Da war
Wut, weil Hyunjin es wagte, so tief in seine Seele zu blicken. Aber da war auch... Erleichterung? Vielleicht sogar ein Hauch von Hoffnung? Es war, als hätte Hyunjin ein Licht auf etwas gerichtet, das Jisung tief in sich versteckt gehalten hatte.
„Danke," murmelte Jisung schließlich, unfähig, etwas anderes zu sagen.Hyunjin lächelte sanft, und für einen Moment schien es, als wäre die Spannung zwischen ihnen einem echten Verständnis gewichen. „Gern geschehen. Aber jetzt lass uns mit dem Projekt weitermachen. Wir müssen schließlich glänzen, oder?" Jisung nickte und zwang sich, sich wieder auf die Notizen vor ihm zu konzentrieren. Aber das Gefühl, dass etwas zwischen ihnen begonnen hatte – etwas, das er noch nicht ganz begreifen konnte – ließ ihn nicht los.
Er wusste, dass dies erst der Anfang war. Hyunjin hatte eine Tür geöffnet, durch die Jisung noch zögerte zu gehen. Aber das Flackern des Lichts auf der anderen Seite war zu verlockend, um es völlig zu ignorieren.
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