[40] XL. Epilog
Ein halbes Jahr später
»Vielleicht muss manchmal ein Chaos entstehen, damit sich Dinge verbessern können. Vielleicht muss das Leben manchmal so richtig durchgefickt werden, damit sich komische Knoten der Vergangenheit endlich lösen. Klar, ich hätte auch drauf verzichten können, ein Hypo-Opfer zu sein und Zeuge von Morden zu werden, aber wo wäre ich, wenn nichts passiert wäre? Ich wäre ein anderer Mensch.
Here comes the rain again
Falling from the stars
Drenched in my pain again
Becoming who we are
Das ist aus »Wake me up when september ends« und diese Zeile ist mir einfach im Gedächtnis hängen geblieben. Jede Narbe, jeder schlechte Tag und jeder Regen, der nicht aufhören will, zu fallen, prägt uns. Mich hat es geprägt. Ich weiß so viel mehr zu schätzen, was ich habe. Ich habe eine unglaubliche Mutter, die mich mehr als alles andere auf der Welt liebt und ich kann nicht oft genug sagen, wie dankbar ich dafür bin. Ich bin auch dankbar dafür, dass Heiner sie glücklich macht. Ich bin dankbar, dass mein Vater eine liebende Familie hat und dass ich eine Schwester habe. Ich bin dankbar für meine beste Freundin, für Natalie, die mich immer unterstützt hat und ich bin dankbar für Chris, mit dem ich so gut wie mit niemanden streiten kann. Heilige Scheiße, Mann. Long live, I've had the time of my life fighting Dragons with you. Danke Chris, danke für ... ich lasse die Details weg, denn ich schweife ab.«
Leises Gelächter ertönt, welches Johann allerdings nicht erreichte.
»Es gibt immer etwas, was besser sein kann, und es gibt immer Luft nach oben. Manchmal habe ich mich gefragt, ob ich diese Luft nach oben zum Atmen brauche. Diese Luft, damit ich mich wohl fühle, genau da wo ich bin. Wir brauchen diese Luft, um nicht zu ersticken. Ich bin dankbar für alles, was in meinem Leben passiert ist. Und ich glaube, jetzt habe ich den Rahmen für diese Rede sowieso schon gesprengt, denn eigentlich wollte ich gar nicht diese Rede auf mich beziehen.«
Bianca wandte sich an das glückliche Paar.
»Heiner, ich hatte meine Zweifel an dir und das tut mir leid. Vom ganzen Herzen. Aber ich bin so froh, dass du deinen Weg in das Leben meiner Mutter gefunden hast und ich wünsche dir alles Gute.
Mama ... ich liebe dich so sehr und ich bin froh, dass du mir deine Worte immer wieder mit auf den Weg gibst, damit ich etwas habe, was mir die Ungewissheit des Weges vor mir nimmt. Klar, so wie jedem pubertierenden Teenager fällt es mir schwer, deine Tipps umzusetzen und nicht genau das Gegenteilige zu machen, aber am Ende haben sie mir immer was gebracht und ... ich bin glücklich, wenn du es bist. Ich wünsche dir alles, alles Gute. Long live the walls we crashed through.«
Langes Leben. Lustig. Als die Rede vorbei war, stand Johann auf, um auf die Toilette zu gehen. Glück, Dankbarkeit. Für was genau? Für die zehn Höllenjahre seines Lebens? Schön, dass sie alle ihr glückliches Ende gefunden hatten. Schön für sie.
»Hey, alles gut?«, erkundigte sich Thomas. Er kam wohl gerade von einem Nebenraum.
»Ja, alles gut.« Johann drehte sich weg, um ihm nicht in die Augen schauen zu müssen.
»Sicher?« Thomas legte ihm eine Hand auf den Arm. »Ich bin für dich da, falls du jemanden zum Reden brauchst.«
Johann musste sich anstrengen, um ein bitteres Auflachen zu unterdrücken. Es war doch alles Thomas' Schuld. Warum sollte er sich ausgerechnet ihm gegenüber aussprechen?
»Eigentlich ... kannst du mir kurz helfen?«, bat Johann und zog Thomas in einen der vielen Räume. Er fragte sich, warum schon allein bei der Verlobung von Sarah und Heiner so viel Platz notwendig war. Vielleicht, weil Thomas jetzt seine eigene Familie hatte. Vielleicht, weil er trotz seinen hinterlistigen Machenschaften Freunde einladen durfte und überall willkommen war.
»Wohin gehen wir?«, fragte Thomas ein bisschen verwirrt, als Johann ihn durch weitere Türen führte.
»Ich muss mit dir reden.«
»Worum geht's denn?«, hakte Thomas nach. Johann schüttelte den Kopf. »Gleich.«
Die Stimmen der anderen waren immer weiter entfernt, nicht einmal die Musik konnte man noch richtig hören.
»Weißt du ... ich bin froh, dass du es geschafft hast, zu überleben.« Johann brach das Schweigen und blieb stehen.
»Ich hab alles dafür getan, dass Chris es da wieder lebendig heraus schafft«, erwiderte Thomas.
Von wegen. Es wäre ihm doch egal gewesen, wenn Johanns Sohn gestorben wäre. Es hat sich immer schon nur um Thomas gedreht.
»Es tut mir leid, Kumpel«, sagte Thomas. »Ich wollte nicht, dass du, wenn auch nur kurz, ins Gefängnis musst.«
Johann schloss die Augen. Er hatte immer noch das Messer in seiner Tasche. Eigentlich nicht einmal mit dem Vorhaben, es zu benutzen. Doch jetzt drehte er sich blitzschnell um und bohrte es in Thomas Brust.
Dessen Augen weiteten sich erschrocken. »Was ... wa-«
»Es tut dir nicht leid! Nichts davon. Du hast deine Tochter versklavt für diese Organisation, du hast sie alle denken lassen, du seist tot!
Weißt du, wie es mich zerstört hat? Wie es Chris und mich zerstört hat? Du hast Sarah zerstört, du hast Anke zerstört! Du hast die einzige lebende Verwandte meiner Frau zerstört! Und dann erwähnst du sie nie? Du erwähnst nicht, dass sie sich heldenhaft geopfert hat, um deinen Scheißhaufen zu retten? Nie hast du sie erwähnt! Dachtest du wohl, dass ich nicht dahinter kommen würde, dass sie auch noch gelebt hat? Dass ich dachte, sie sei wie meine Frau tot? Falsch gedacht! In ihrer letzten Minute des Lebens hat sie mich angerufen, verdammt! Denn sie war für mich wie Familie gewesen! Du hast sie da sterben lassen und sie nie erwähnt! Du bist so ein verlogener Idiot. Du hättest mir ein glückliches Leben schenken können, indem du dich geopfert hättest. Sarah hatte sowieso schon ihren Ersatz für dich. Niemand hat dich wirklich vermisst. Stattdessen kannst du nicht anders, als den Untergang von Hypocrita als dein Verdienst darzustellen. Du bist so ein Misthaufen.« Johann schüttelte verächtlich den Kopf, während sein ehemaliger bester Freund um sein Leben röchelte. Johann drehte das Messer ein wenig in Thomas Brust, was diesen zum Aufstöhnen brachte.
»Du hast nie darüber nachgedacht, wie es sich anfühlt, mit der Schuld zu leben, seinen eigenen Freund umgebracht zu haben. Aber wenn ich es zehn Jahre überlebt habe, dann schaffe ich das auch bis an mein Lebensende.«
Thomas sackte zu Boden, das Blut floss aus der Wunde. Färbte sein weißes Hemd dunkelrot.
»Ich ...«, hustete er. »Ich wollte dich und Chris beschützen.«
»Ach, natürlich! So wie du Bianca und Sarah schützen wolltest, indem du sie tausendmal um dich weinen lassen hast! Und deswegen hast du Anke nicht einmal erwähnt?«
»Damit ihr sie ... nicht noch einmal ... verliert.« Mit diesen Worten erstarrte Thomas in den Armen von Johann.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro