[44] Gunst
"Jetzt sind wir quitt", meint Sunwoo. Blut läuft langsam an dem Handgelenk des Königs herab, windet sich um seine Finger und tropft leise zu Boden.
Sein königlicher Armreif liegt zerschnitten unter dem Blut. Quitt, denkt Jinheung.
Seine Miene ist steinern, aber sein Herz zeigt ein wenig Dankbarkeit. Vielleicht muss er doch nicht alleine diese Verantwortung tragen.
***
Als der Morgen graut, treffen sich die Meister und beraten sich. Die Neuigkeit des vergangenen Tages liegt schwer in ihren Mägen. Meister Youngshil hat viele Jahre gebraucht, um die Königin in einen gebrechlichen Zustand zu bringen. So möchte er diesen Fortschritt nicht durch ein naives Kind, das unbedingt König spielen will, zerstört bekommen!
"Stattdessen setze ich einen Marionettenkönig ein, der ein Heiliger Knochen ist", murmelt Youngshil. Seine Gedanken wandern zu dem Lied, welches auf den Straßen gesungen wird. Sunwoo ist der König aller Könige.
"Wen meinen Sie?", fragt einer der Meister.
Youngshils Augen blitzen kurz zu ihm herüber, doch ist der das langsame Denken seiner treuen Meister gewohnt: "Den in Baekje König spielenden Hwarang. Er ist Prinz Hwikyungs Sohn Sunwoo."
Gemurmel wird unter den Meistern laut.
"Prinz Hwikyung? Der verleugnete Heilige Knochen?" "Ist er sein Sohn?"
Bloß einer wendet sich an Meister Youngshil: "Auch wenn die Königin krank ist, wird sie das nicht zulassen. Selbst nach dem Tod von König Bupheung beschützte die Königin ihren Sohn."
Auch ein anderer wendet ein, dass sie die Vormundschaft des Heiligen Knochen habe.
"Deshalb", verkündet Youngshil, "nehmen wir sie ihr weg. Das Geld, die Macht und die Position. Das bekam sie nicht umsonst."
Er hört auf, den Tisch langsam auf und ab zu schreiten und stellt sich vor den leeren Stuhl an dem Kopfende.
"Das Volk könnte es für Hochverrat halten", murmelt einer.
"Das Volk? Selbst wenn es nicht gut läuft, werden sich die Untertanen unterwerfen, denn sie wollen leben. Nur keine Sorge."
Meister Youngshil blickt in die Runde der amtierenden Meister.
"Machen wir uns Silla zu eigen. Das will ich damit sagen. Nur so könnt ihr euren Wohlstand sichern."
Zustimmendes Gemurmel wird lauter und die Meister nicken dem alten Mann zu.
Keiner von ihnen bemerkt den Schatten, der aus einer abgelegenen Ecke verschwindet.
***
König Jinheung betrachtet das durchtrennte Schmuckstück und wiegt es in der Hand. So viel hat er gegeben, um es zurückzubekommen, aber nach so kurzer Zeit verliert er es erneut. Dieser Armreif war sein Zeichen. Dadurch bestätigt er seine Thronfolge und sein Recht zu Herrschen. Doch nun ist es weg. Ist es ein Zeichen? Bin ich wirklich ein falscher König? Ein Niemand?
Wütend ballt er eine Faust um das zerbrochene Schmuckstück. Er wollte dieses System zerbrechen! Es muss ein Ende gesetzt werden, doch nun scheint alles dem Alten zu folgen. Das Rad seiner königlichen Amtszeit hat sich in Bewegung gesetzt und es rollt langsam aber stetig den gleichen Berg hinab, wie es die Räder der vielen Könige vor ihm taten. Aber er will es zerbersten! Die Zeit eines schwachen Sillas soll vorüber sein. Jinheung möchte doch nur sein Volk stärken, die alten Bräuche brechen und ein zersplittertes Land wieder vereinen.
Sein Blick wendet sich gedankenverloren zum Fenster. Die Abenddämmerung ist weit fortgeschritten und vereinzelt scheinen die Sterne durch den dunklen Nachthimmel.
Sterne. Das ferne Leuchten löst in ihm eine kleine Sehnsucht aus, seitdem er das erste Mal in Miyus Augen blickte. Ihre Iriden beherbergen einen wilden Sturm aus Sternen in finsterer Nacht. Seiner Nacht, so dachte er.
Wann hat er sie das letzte Mal gesehen? Wenige Tage sind seitdem vergangen. Was sie wohl gerade macht? Ob sie auch gerade an ihn denkt?
Jinheung schließt seine Augen und senkt den Kopf. Leicht kann er sich noch an ihre sanften Lippen erinnern. Es war ihr letzter Kuss und das letzte Mal, dass er ein Lebenszeichen von ihr vernommen hat.
Du bist für dein Schicksal selbst verantwortlich. Das hatte Miyu gesagt.
Ob du bereit bist, kannst du nur wissen, wenn du es versuchst.
Etwas in Jinheung sagt ihm, dass die Miyu, die er kannte, gestorben ist. Doch ihre Augen haben sich in seinen Kopf eingebrannt und ihre Worte hallen noch immer in seinem Ohr wieder.
Auch wenn er sie nie wieder sehen wird, möchte er, dass ihre Begegnung nicht grundlos war.
Miyu hat den König verändert und diese Veränderung wird er stets im Herzen tragen.
Er hat sie geliebt. Nun wird es Zeit, ihren Worten zu folgen.
***
Ahro sitzt wie so oft in letzter Zeit im Palast und blickt aus dem Fenster. Die Luft ist frisch, doch hebt der betörende Geruch nicht ihre Stimmung.
Nahezu überstürzt eilte Meister Paoh zu ihr und brachte sie hierher. Er meinte, es sei nicht sicher für sie, in diesen Zeiten ohne Schutz auf den Straßen zu sein.
"In diesen Zeiten", murmelt Ahro. Natürlich ist der Machtwechsel von Königin Jiso zu König Jinheung gemeint. Doch wurde er noch nicht gekrönt. Noch steht ihm ein Hwarang im Weg und genau um diesen drehen sich ihre Sorgen.
Während die Meister erfolglos nach einem neuen Druckmittel suchen, Sunwoo auf ihre Seite zu ziehen, macht dieser sich im Haus der Hwarang bereit.
König Jinheung steht in der Kriegesrobe vor der Eingangstür. Das Gold und Rot seiner weißen Kleidung glänzt in der Sonne.
Vor seinen Füßen sind die Hwarang aufgestellt und hinter ihnen stehen deren Schüler in ihrer orangenen Robe.
"Hwarang", befiehlt Wihwas Stellvertreter, "erweist dem König Respekt."
Langsam knien sich die jungen Männer hin. König Jinheungs Augen schweifen über die Menschen. Er begegnet den Blicken seiner ehemaligen Zimmergenossen, doch ein bestimmtes Augenpaar findet er nicht unter ihnen.
"Ich bin der Meister der Hwarang", ruft er, "König Jinheung."
Erneut suchen seine Augen die Hwarang ab. Miyu fehlt. Und Sunwoo.
"Als ich im Haus der Hwarang war, sah ich, wie faul und schwach ihr seid. Verwöhnte Kinder aus reichen Familien. Aber von nun an erfahren die Hwarang eine Wiedergeburt durch die Königsfamilie von Silla. Ihr werdet zu starken Kriegern!"
Die helle Robe der Lehrlinge blitzt hinter den Schülern hervor.
"Unterscheidet sich der König in irgendeiner Weise von euch?", hört er Sunwoos Stimme, als er zwischen ihnen hervortritt und sich seinen Weg zur vordersten Reihe der Hwarang bahnt.
Jinheungs Fäuste zucken, doch gerade kann er nichts gegen seinen ehemaligen Freund ausrichten. Er ist seiner Gunst ausgeliefert.
"Sie sind genauso schwach und machtlos wie die Hwarang. Eure Majestät?"
"Sunwoo", spricht der König ihn direkt an, "zeige Respekt."
Doch die beiden jungen Männer starren sich regungslos in die Augen.
"Ich sagte, zeige Respekt", befiehlt er lauter. Langsam neigt Sunwoo seinen Kopf.
Jinheung atmet tief ein. Es darf heute nicht eskalieren. Er braucht Verbündete für seinen Amtsantritt.
"In vier Tagen gibt es eine Abdankung. Als Gardisten und Hwarang des Königs sollt ihr eure Pflichten erfüllen."
Langsam dreht Jinheung sich ab. Doch Sunwoos Stimme gebietet ihm erneut Einhalt.
"Die Hwarang müssen frei sein!", ruft er.
"Die müssen frei entscheiden und handeln können, um ein neues Silla anzustreben", zitiert er den ursprünglichen Grund ihrer Gründung.
"Das kommt Ihnen sicher bekannt vor, Eure Majestät. Wir entscheiden selbst, ob wir Sie als unseren König akzeptieren! Zweifeln Sie daran, dass Sie gewählt werden?"
Ohne eine Antwort tritt Jinheung aus dem Tor und verlässt das Hwaranghaus. Er ist auf ihre Gunst angewiesen.
Auch wenn er außerhalb der Hörweite ist, kann er den Spott spüren, der unter den Hwarang gesprochen wird.
Halte dein Versprechen, Sunwoo! Lass uns gemeinsam ein besseres Silla errichten.
Aber als der König in den Palast tritt, schwebt nur noch ein Gedanke durch den Kopf.
Wo ist Miyu?
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