[39] Angriff
Die Sonne brennt in ihrem Nacken, als Miyu ihre Klinge hinabsausen lässt. Die Strahlen spiegeln sich in dem geschliffenen Stahl und blenden sie leicht, doch kann es nicht das Lächeln in ihrem Gesicht wegwischen.
"Was ist heute besonders, dass du so grinst?", schnauft Danse, während er sich knapp unter dem Schwert duckt. Schnell hebt er sein eigenes und die Klingen treffen aufeinander. Miyu zuckt zur Antwort mit den Schulter und dreht sich im Kreis. Genießend schließt sie ihre Augen und wendet ihr Gesicht zur Sonne.
"Nichts besonderes, schätze ich", antwortet sie wahrheitsgemäß.
Erneut treffen Miyu und Danse aufeinander.
"Nichts besonderes?", Danse runzelt belustigt die Augenbrauen, "So kenne ich nur Hansung."
Empört ruft dieser auch schon Widerworte. Doch als seine Augen dem Leuchten Miyus begegnen, lacht er und nickt seinem älteren Bruder grinsend zu.
Hansung weiß, dass er anders ist. Er ist weder so stark noch so mutig wie die anderen. Seine Stärke liegt in der Liebe für die kleinen Dinge. Unbändige Faszination lodert in ihm, selbst wenn sich nur ein Grashalm anders als die restliche Wiese im Wind dreht. Anfangs schämte er sich dafür, anders zu sein. Aber auch wenn Danse es nicht zeigt, weiß Hansung um seine Liebe. Er akzeptiert seinen Bruder, so wie er ist.
"Warum trainierst du nicht mit?", reißt ihn plötzlich eine Stimme aus den Gedanken. Überrascht blickt Hansung den Schüler an. Es stimmt. Seungho sitzt als Lehrling Minhos am Rand und soll dadurch lernen. Aber Minho kämpft gegen einen anderen Lehrling, anstatt gegen ihn, einen Hwarang, zu kämpfen.
"Ich bin nicht gut genug", stellt Hansung nüchtern fest und setzt sich zurück zu Seungho.
"Aber mein Bruder Danse ist ein besser Krieger und ein guter Trainingspartner", grinst er darauf hin wieder.
Er ist stolz, seinen Halbbruder zu haben.
"Minho", ruft eine entfernte Stimme nach dem Hwarang.
Zu viert drehen sie sich in die Richtung des Rufes und beobachten, wie der Hwarang sich ihnen nähert. Atemlos stützt sich der junge Mann auf seine Knie.
"Du wirst in den Palast gerufen. Die anderen, die mit in Baekje waren, warten schon am Tor."
***
Während Jidwi, Sunwoo, Sooho und Banryu an ihrem rot-schwarzen Gewändern zupfen, eilt Miyu in dem klassischen Blau-Weiß herbei.
"Du musst dich noch umziehen", stellt Sooho fest und blickt an ihr herab.
Überrascht bleibt Miyu stehen. Hätte ich jetzt nicht gedacht, denkt sie sarkastisch und wischt mit einem Handrücken über ihre Stirn. Schnell schüttelt sie die Schweißtropfen weg. Am besten sollte sie noch duschen, doch wahrscheinlich will die Königin nicht so lange warten wollen.
Während Miyu wieder ihre Freunde verlässt, um sich die offizielle Robe anzulegen, wischt sie erneut Schweiß weg, bevor er in ihre Augen tropfen kann. Warum kommt die Königin genau jetzt damit? Hat Madamme Hochwohlgeboren Miss Ich-Bin-Die-Königin fucking Jiso nichts besseres an einem warmen Nachmittag zu tun?
Miyus Körper hat sich von ihrem Sport soweit erholt, dass ihre Atmung und Schweißbildung normalisiert. Doch Jinheung kann ihre schlechte Stimmung spüren. Auch er wundert sich über die Einladung seiner Mutter.
Immer wieder öffnet er ein wenig seinen Mund, doch schafft er es nicht, Miyu anzusprechen. Lieber sieht er weiter stumm dem witzelnden Sunwoo und der lachenden Ahro vor ihnen zu. Warum kann unsere Liebe nicht so einfach sein?
Im Palast angekommen, ist die Belohnung ernüchternd. Sunwoo wurde auf ein privates Gespräch mit der Königin in ihre Räumlichkeiten geführt, während der Rest gelangweilt zurückbleibt und warten muss.
"Wo bleibt er denn?", murmelt Ahro und läuft ungeduldig auf und ab.
"Es ist lange her", stimmt Sooho zu, der mit Banryu an einem Tisch Platz gefunden hat, "Sie haben viel zu besprechen."
Miyu schaltet sich aus dem Gespräch aus, in das nun auch Banryu eingebunden wird. Die Japanerin blickt hingegen lieber aus dem Fenster, dass eine schmale Sicht auf den Aufbau des Gebäudes ermöglicht. Wie gerne würde sie den Palast erkunden, doch fürchtet sie, auf Jinheung zu treffen. Angeblich musste er auf Toilette, als er den Raum verlassen hat, aber Miyu weiß, dass er den Ort seiner Kindheit vermisst. Sie fürchtet allerdings, dass die neue Verbundenheit mit seiner Vergangenheit etwas zwischen ihnen verändern kann. Ein König und sein Mörder können nicht lange gemeinsam überleben.
Wie vermutet schreitet Jinheung durch die Gartenanlage, die nur der königlichen Familie vorbehalten ist. Wie in seinen Erinnerungen ist das kleine goldene Holzpferd noch am gleichen Ort, wo er es vor vielen Jahren versteckte. In Erinnerung schwelgend streicht er über das edle Holz, ehe eine Stimme ihn unterbricht.
Während der wahre König nach vielen Jahren der Trennung wieder mit seiner Schwester vereint ist, beendet der falsche König das Gespräch mit Königin Jiso.
"Wird auch Mal Zeit", kommentiert Miyu die Rückkehr sowohl von Sunwoo als auch von Jidwi. Beide waren für den offiziellen Grund ihres Verschwindens deutlich lange weg und Miyu sehnte sich mit jeder verstreichenden Minute mehr, endlich zurück ins Hwaranghaus in ihr Bett zu kehren. Vielleicht hätte sie nicht schon seit Sonnenaufgang erst alleine und dann mit Danse trainieren sollen. Die Pause, in der sie mit den anderen frühstückte, ist wohl nicht ausreichend gewesen, um Kraft für den restlichen Tag zu schöpfen.
Während sie gemeinsam durch den Palast zum Ausgang laufen, fasst Jinheung den Mut, Miyu anzusprechen. Seit der Zeit in Beakje liegen ihm mehr Worte auf dem Herzen, als er je sprechen kann. Doch mit jedem Schritt, den er näher an die Frau seines Herzens setzt, entfernt sie sich zwei weitere von ihm. Und das bloß, um ihren erholsamen Schlaf zu bekommen.
***
Als der nächste freie Abend im Hwaranghaus ansteht, ist es ruhig. Viele nutzen die seltene Zeit, ihre Familien zu besuchen. Sogar die Japanerin läuft durch die Straßen und genießt das einheimische Essen.
König Jinheung bleibt wie jedes Mal alleine zurück. Er hat Trost in den Worten seines Mentors gefunden. Wie so oft sitzt er mit Meister Wihwa alleine im Lehrzimmer und zweifelt an seiner Fähigkeit, König zu sein. Früher sah er da kein Problem, doch je näher es zur Realität wird, desto stärker werden seine Zweifel.
Auch Hansung und Danse verzichten auf einen langen Besuch bei ihrem Großvater. Es würde sowieso nur in einer Beleidigung gegenüber Danse enden und das wollen sie beide nicht. Stattdessen zwingt Danse seinen kleinen Bruder immer wieder zum Aufstehen. Hansung befolgt - zwar meckernd - die Aufforderung und hebt sein Schwert in die richtige Position. Wie lange wird es dauern, um aus Hansung einen richtigen Kämpfer zu machen?
Später am Abend kehrt Sunwoo von seinem merkwürdigen Besuch zurück. Hwikyung, der Bruder der Königin, solle sein Vater sein? Er, Gaesae, soll Anrecht auf den Thron haben?
Tief in Gedanken versunken trifft er auf den wahren König.
Stumm betrachtet er Jidwi. Der Hwarang steht an Rand des kleinen Teiches und blickt gedankenverloren in das Wasser. Ist es so schwer, ein König zu sein?
Skeptisch betrachtet Sunwoo seinen Freund. Insgeheim hat er es immer gewusst, aber nie wollte er es wahr haben. Sein Freund aus Hwarang ist der König. Sein Freund aus Hwarang ist der Mörder seines besten Freundes.
Schluckend tritt Sunwoo aus dem Schatten an die Seite des Königs heran. König? Sunwoo blickt hinab in die verzerrten Spiegelungen der beiden jungen Männer. Wer ist der wahre König? Ein Fisch durchbricht die Oberfläche und lässt die Spiegelung für Sunwoo verschwimmen. Welche Wahrheit befindet sich hinter unseren Masken?
"Du kehrst spät zurück", beginnt Jidwi das Gespräch holprig.
"Und du bist gar nicht erst gegangen", entgegnet Sunwoo.
Erneut kehrt Stille ein. Keiner der jungen Männer braucht Worte, um seinen Gegenüber zu verstehen.
Wie stark wiegt die Last eines Königs, denkt Sunwoo.
Wie viel Wert ist die Liebe zu einer Frau, überlegt Jidwi. Er ist vielleicht nicht der König, den alle von ihm erwarten. Denn sein Herz ist menschlich. Für die Liebe müsste er den Thron aufgeben. Wie viel Wert ist der Thron?
***
Es ist dunkel und still, als Miyu aufwacht. Zu still, wenn sie die schnarchenden Krieger in ihrem Zimmer beachtet. Im spärlichen Licht blickt sie um sich. Links liegt Yeowool und lächelt leicht im Schlaf. Das Bett zu ihrer Rechten ist leer.
Skeptisch zieht sie eine Augenbraue nach oben und beugt sich über den Rand des Hochbettes. Nur Sooho ist im Traumland.
Stumm landet sie in der Mitte des Zimmers auf dem Boden. Wo sind sie alle? Miyu geht zwei Schritte auf die Zimmertür zu, bevor sie sich umentscheidet. Mit flinken Fingern greift sie nach ihrem Schwert und öffnet erst dann die Tür. Etwas liegt in der Luft.
Draußen steht Sunwoo an der gleichen Stelle, an der Jidwi stundenlang über sein Schicksal gegrübelt hatte, und blickt die ruhige Spiegelung des Mondes auf dem Wasser an.
Etwas knackt hinter seinem Rücken, aber Sunwoo registriert es nicht. Zu sehr rasen seine eigenen Worte im Kopf.
Während Sunwoo unwissend am Teich steht, wächst das unangenehme Gefühl in Miyus Magen. Eilig läuft sie den hölzernen Gang entlang, der von den Schlafsälen nach draußen führt. Ob ihre Schritte dabei andere Hwarang wecken, bemerkt sie nicht einmal. Ihr Griff um das Schwert wird fester und ihre Schritte schneller.
Ein metallisches Klirren dringt zu ihr, als die Japanerin in den Schein des Mondlichts tritt.
"Was soll das?", ruft sie und bleibt für einen Moment stehen.
Sunwoo steht am Rande des Teiches und hält sein Schwert stolz fünf vermummten Krieger entgegen.
Miyu pfeift laut und läuft auf die Gegner zu. Wo sind Yeowool und Sooho? Besonders der Macho will diesen Kampf doch nicht verpassen.
Ihr Schwert trifft auf das eines Vermummten. Miyu beißt ihre Zähne zusammen und drückt mit aller Kraft gegen die Waffe. Ihre Augen treffen auf die dunklen Iriden ihres Gegenüber. Dann grinst die Kriegerin und tritt mit aller Kraft in dessen Weichteile.
"Schwachmat", kommentiert sie, während der Assassine zu Boden geht. Locker steigt sie über seinen Körper und widmet sich mit schwingendem Schwert ihrem nächsten Opfer.
Ein Pfeil schießt hinter Miyu hervor und trifft ihren Gegner am Arm. Neugierig blickt sie zum Ursprung des Schusses und nickt Danse zu. Ein würdiger Partner im Kampf. Danse hat eine bessere Position verdient.
Gemeinsam treten sie gegen die übrigen Assassinen an. Kurz darauf laufen auch Sooho und Yeowool zum Schauplatz und geben ihrem König mehr Deckung.
"Geht es dir gut?", fragt Sooho sicherheitshalber und baut sich zum Schutz vor Sunwoo auf.
"Das ist das Hwaranghaus von Silla!", ruft er den Assassinen entgegen, "Ihr wagt es, hierherzukommen?"
Kurz ist es still, als würden die Fremden über seine Worte nachdenken, doch dann fährt ein Ruck durch die Menge und die Schwerter treffen noch erbitterter aufeinander.
Trotzdessen, dass die Hwarang in der Überzahl sind, ist es ein ausgeglichenes Kräftemessen. Sooho spürt den Schmerz in seiner verletzten Schulter, aber für seinen König wird er jeden Schmerz durchstehen.
"Nicht nötig", meint Sunwoo, der den Schmerz seines Freundes wahrnimmt, "Die Kerle haben es auf mich abgesehen."
Doch genau das lässt Sooho an seinem Gedanken festhalten: "Die sind hier. Also greifen sie uns alle an!"
Miyu duckt sich unter einem Hieb, während Danse nun über ihrem Kopf freie Schussbahn hat. Einer der Angreifer geht zu Boden. Kurz darauf folgt der zweite. Wäre doch gelacht, wenn ich verliere. Miyus Kampfgeist ist geweckt und keiner der Angreifer wird die Nacht überleben, solange sie auf beiden Füßen steht.
"Gaesae!", ruft Sooho und reißt damit Miyus Aufmerksamkeit hinter sich. Sunwoo sinkt bewusstlos zu Boden, wird aber noch rechtzeitig von Sooho aufgefangen.
Miyu öffnet ihren Mund, um ihren Freunden etwas zu zurufen, als ein schneidendes Brennen an ihrem Oberarm sie unterbricht. Ihre Kleidung ist aufgerissen und saugt sich leicht mit frischem Blut voll.
"Stirb, du Scheißkerl!", ruft sie stattdessen und schlägt auf den Assassinen ein. Miyu bemerkt kaum, wie auch Danse mit seinem Schwert dazukommt und die restlichen Angreifer besiegt. Ihre Augen sind auf den Mann vor ihr fixiert. Selbst als dieser über das Dach flüchten möchte, sprintet Miyu hinterher. Den Sonnenaufgang wirst du nicht mehr erleben.
***
König Jinheung verlässt entspannt das Heim des Meister Youngshil. Um seinen Arm hängt das Armband, welches er schon fast aufgegeben hat. Das Zeichen des Königs ist wieder mit seinem Träger vereint. Er ist wieder vollständig.
"Was grinst du denn so?", unterbricht eine Stimme seine Gedanken. Verdutzt blickt er sich um.
Miyu steht blutverschmiert mit ihrem Schwert in einer Seitengasse.
"Was ist passiert?", fragt Jinheung sofort, "Bist du verletzt?"
Miyu lächelt leicht und packt ihr Schwert zurück. Langsam blickt sie in die Augen des Hwarang. Ehrliche Besorgnis kann sie daraus lesen. Ob ich diese Augen auch in Zukunft sehen kann?
"Was denkst du denn?", sie grinst, "Mich bringt so schnell nichts um."
Mit zwei Schritten ist sie bei Jidwi und greift nach seiner Hand.
"Komm", ihre Stimme wird augenblicklich ernster, "bei Sunwoo bin ich mir weniger sicher."
Mit schnellen Schritten führt sie den König zum Hwaranghaus, ohne zu wissen, welchen Effekt ihre Hand auf seiner Haut hat.
"Er scheint nicht verletzt", bemerkt Sooho, "Warum wacht er nicht auf?"
Miyu ist still. Sie weiß mehr über das Verletzen als das Heilen.
"Ich habe ihn mir angesehen", antwortet dagegen Yeowools sanfte Stimme.
"Er hat Verletzungen am ganzen Körper, aber keine davon sind schwerwiegend."
Miyu runzelt die Stirn und blickt auf den Bewusstlosen neben Yeowool.
"Warum wacht er dann nicht auf?", fragt sie.
Yeowool nickt mit einem Blick auf Sunwoo: "Es ist seltsam, dass er manchmal ohnmächtig wird."
Dann wendet er sich an seine Freunde und zieht leicht grinsend die Augenbraue hoch.
Was? Miyu folgt seinem Blick auf ihre Hand und lässt sofort Jidwis Arm los.
Erstarrt bleibt sie neben ihm stehen. Was zum...?
Doch glücklicherweise rettet Sunwoos Frage sie vor einem Kommentar: "Er wird ohnmächtig?"
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