[35] Aufbruch
Die Prinzessin und ihre Gefolgschaft reisen in einer Kutsche. Hinter ihnen rappelt ein Wagen voller Geschenke für Baekjes Herrscher.
Die fünf begleitenden Hwarang reiten an deren Flanken.
"Warum bist du mitgekommen?", fängt Jinheung ein Gespräch an und lenkt sein Pferd näher an das von Miyu. Beide reiten als Schlusslicht hinter dem Wagen mit Geschenken.
"Was sollte mich hindern?", stellt Miyu die Gegenfrage, "Angst? Die habe ich nicht vor einem Prinzen."
Egal wie schlimm er ist, ich bin schlimmer. Möchte er kämpfen, habe ich keine Skrupel.
"Respekt auch nicht", ergänzt Jinheung, "nicht einmal vor einem König."
Miyu zieht belustigt die Augenbraue hoch und grinst ihn an.
"Verzeiht Majestät, habe ich Euch gekränkt?"
Sie lacht: "Du bist genauso sterblich wie ein namenloser Bauer auf dem Land und Baekjes Prinz ist von dieser Regel keine Ausnahme. Der einzige Unterschied ist die berufliche Ausrichtung und der damit verbundene soziale Status. Aber kein Status der Welt gibt Immunität. In der Dunkelheit sind wir alle gleich."
Jinheung hört ihr still zu. Er hat es vermisst, ihr Stimme zu hören und ihre Wärme in seiner Nähe zu wissen.
Ihre Zukunft liegt zwar als dunkle Kluft zwischen ihnen, doch Schritt für Schritt kehren sie zu einer ungezwungenen Normalität zurück. Warum sollten sie ihre Gegenwart trennen, bloß weil ihre Zukunft nicht die gleiche ist?
Doch auch die gemeinsame Gegenwart schreitet ihrem Ende zu. Jinheung und Miyu spüren es. Der Tag wird kommen, an dem Jinheung König werden soll und dann trägt er neue Verantwortungen.
"Ein Jammer, dass diese Geschenke an einen Nichtsnutz vergeudet werden", bemerkt Miyu irgendwann und besieht die Truhen voller Gold und Edelsteinen vor ihr.
"Hast du das also vor?", fragt der König, "Du fällst Silla letztendlich doch in den Rücken, weil du dich für das Gold mit Baekje verbündest?"
Miyu lacht.
"Eigentlich bin ich nur neugierig, wie sich Silla mit den Hwarang entwickelt hat. Aber jetzt wo du es ansprichst..."
Ihr Gesicht wendet sich zum König. Begeisterung blitzt in ihren Augen. Jinheung lächelt, als er das sternenhafte Funkeln darin erkennt.
"Wir könnten den Wagen plündern und gemeinsam abhauen. Ich habe mich schon immer gefragt, ob sich die Sonne wärmer anfühlt, wenn man in einem Federbett erwacht als von einer Holzpritsche aufsteht."
Jinheung sieht sie überrascht an: "Jetzt?"
Miyu lacht.
Der Gedanke ist verlockend, doch er läuft unweigerlich auf ihre vorbestimmte Zukunft hinaus.
Jinheung ist der König. Er wird niemals abhauen können - geschweige denn einen Krieg zwischen Silla und Baekje hervorrufen und stumm zusehen können.
Miyu ist eine japanische Samurai. Früher oder später wird Tennō Iname sie finden, wenn sie nicht von selbst zurückkehrt.
***
Bei einer Pause sitzen Banryu und Sooho an einem Fluss. Sie sprechen über ihren Auftrag. Während Sooho den Ernst der Situation kennt, grinst Banryu leicht.
Wäre er nicht mitgekommen, hätte er nicht das Geschenk Sooyeons bei sich tragen können.
Die geflochtene Haarsträhne im Inneren des rosafarbenen Stoffbeutels ist schön, aber viel eher erinnert ihn ihr Kuss an die schöne junge Frau, die zurück in der Hauptstadt wartet und auf seine Wiederkehr hofft.
Vielleicht ist ihr Bruder doch nicht so schlimm, wenn sie sich irgendwie das gleiche Erbgut teilen müssen. Doch in Banryus Augen bleibt Sooho zumindest der Angeber, den er besonders vor der weiblichen Gesellschaft vorgibt zu sein.
Ahro trifft eine weniger erfreuliche Erkenntnis.
Ihre Beziehung zu Sunwoo war noch nie einfach zu beschreiben, dennoch ist sie sich um ihre Gefühle sicher.
Nun jedoch findet sie ihren vermeintlichen Bruder nicht alleine vor. In seinen Armen hält er die Prinzessin.
Es treibt ihr Tränen in die Augen Was macht er da? Wegen wem ist er wirklich mit auf die Reise gekommen?
Miyu versucht währenddessen verzweifelt nicht zu stark zu grinsen, doch das Verhalten von Jinheung ist zu witzig.
Lachend lässt sie sich auf dem Boden fallen.
Ich wirke noch wie ein liebeskranker Trottel, denkt sich Jinheung, aber kann sein eigenes Grinsen nicht verhindern.
Viel zu lange wurde ihm diese gemeinsame Zeit mit Miyu vorenthalten, sodass er jetzt wie bei einer Droge nicht mehr genug davon bekommen kann.
Er legt sich erschöpft neben sie. Mit nun geringerem Abstand blickt er in ihr Gesicht.
Ihre Lippen sind durch das Lachen leicht geöffnet und ziehen sich bildhübsch nach oben. Ihre Wangen haben eine leichte Röte angenommen und ihre Augen strahlen so intensiv wie bei ihrer ersten Begegnung.
Erneut ist Jinheung von der Tiefe dieses Schwarzes überwältigt. Noch nie hat er in so eine facettenreiche Dunkelheit geblickt, dass selbst die grauen Punkte hell leuchten.
Automatisch legt Jinheung eine Hand auf ihre Wange, als ihr Augenkontakt länger geht. Nie mehr möchte er diesen Anblick vermissen müssen.
In ihren Augen spiegelt sich leichte Unsicherheit. Wie lange wird dieses Hin- und Her gehen, bis sich ihre Wege trennen?
"Ich weiß", flüstert der König wissend, "lass mich bloß diesen Moment genießen."
Miyu versteht.
"Baekje wird Silla auf die Probe stellen", sagt sie dennoch, "Die Schriftrolle wird sich bestimmt auch schon in deren Land herumgesprochen haben. Als Hwarang wird jeder einzelne von uns geprüft werden. Bist du bereit dafür? Bist du ein Hwarang oder ein König?"
Doch ehe Jinheung eine Antwort geben kann, schrecken sie auseinander, als Sooho und Banryu hastig um die Ecke eilen.
Sooho bleibt bei dem Anblick der am Boden liegenden Hwarang verwirrt stehen.
"Was macht ihr denn da?", fragt er.
Jinheung errötet leicht, doch Miyu zeigt mit einem Finger locker auf die Pferde neben ihnen.
"Wir bewachen sie."
Banryu runzelt die Stirn: "Hättet ihr nicht besser auf etwas anderes aufpassen können? Wir haben unsere Pferde alle festgebunden."
Nun schauen Jinheung und Miyu verwirrt.
"Sunwoo und Ahro werden bedroht, kommt."
Gemeinsam eilen sie an die Grenze ihrer Unterkunft. Dort steht Sunwoo alleine einer Gruppe mit Mistgabeln und Fackeln bewaffneter Menschen gegenüber. Er hat Ahro zur Prinzessin geschickt.
"Wer sind die?", fragt Sooho, "Sind das Mörder?"
Sunwoo weiß jedoch keine Antwort.
"Was glaubst du, wollen sie?", fragt Banryu und beobachtet die fremden Menschen. Keiner greift an, doch findet er auch keine Lücke in ihrer Barriere.
"Uns die Kehlen durchschneiden und Wertvolles rauben", bemerkt Sooho in ihrer Haltung.
"Die Kutsche!", ruft Sunwoo. Das einzig Wertvolle neben ihren Leben sind die Geschenke für Baekje.
Sooho zieht sein Schwert: "Sie dürfen die Geschenke nicht haben."
Doch ausgerechnet Jidwi stellt sich vor ihn und entwaffnet seinen Freund.
"Sie sind quasi unbewaffnet", verteidigt er die Bauern, "Tu ihnen nichts."
Nun beobachtet auch Sunwoo die Menschen näher. Ihre Körper sind dürr. Der Griff um die Mistgabel ist fest, aber in ihren Augen steht Angst.
"Sie hungern tagsüber und rauben nachts", erkennt er. Vor nicht allzu langer Zeit gehörte er selbst, Gaesae, zu den mittellosen Menschen. Hundevogel. Er weiß, dass diese Menschen es nicht freiwillig tun, doch ihr Überlebenswille ist größer als ihre Tugend.
"Bist du verrückt?", ruft Sooho entsetzt, "Wir verlieren die Geschenke für Baekje!" Er versteht nicht, wie jeder von ihnen kampflos die Geschenke an diese Bauern überlässt.
"Trotzdem dürfen wir sie nicht töten", widerspricht Jidwi eindringlich.
Tatenlos sehen sie zu, wie die Bauern im Wald verschwinden.
Das ist Hwarang, erkennt Miyu, Silla ist aufgeschmissen. Sie werden einen Krieg mit Baekje nicht überleben.
Als der letzte Fremde im Schatten verschwindet, schlägt Sooho Jidwi ins Gesicht.
"Wenn die Königin oder der König deswegen in Gefahr geraten, bist du auch nicht sicher", droht er.
Der Hwarang sieht ihn skeptisch an: "Unterstützt du den König weiter, nachdem du diese Leute gesehen hast? Er ist inkompetent, töricht und ein Feigling."
"Du kleiner...", knurrt Sooho, wird aber noch rechtzeitig von Sunwoo und Banryu aufgehalten, bevor er sich auf den Hwarang stützen kann.
***
Sooho wirft dem König noch immer giftige Blicke entgegen, als sie auf die Königsgarde bei der leeren Kutsche treffen.
Miyu ist neugierig, was sie nun im Namen von Silla machen werden, doch ein Teil sorgt sich um ihre Freunde. Werden sie einen Krieg auslösen?
"Wussten die Räuber von uns?", fragt Banryu in die Runde.
Sunwoo schüttelt den Kopf: "Sie kommen aus der Nähe. Es sind Bauern." Sie wissen nichts von der Delegation. Sie rauben jeden Wanderer aus.
"Bauern?", fragt Banryu nach. Wieso sollten Bauern so etwas tun?
"Die Bauern, die im Grenzgebiet leben", erklärt Sunwoo, "macht der Hunger zu Räubern."
Die Prinzessin kommt selbst zu ihnen und besieht sich den leeren Wagen. Nichts ist zurückgeblieben.
"Haben wir alle Geschenke und das Geld der königlichen Familie für Baekje verloren?", hakt sie sicherheitshalber nach.
Sooho verbeugt sich schnell: "Es tut mir leid. Ich werde sie sofort zurückbringen."
Aber Sunwoo hält ihn auf: "Es ist nutzlos. Sie haben kaum etwas zu essen und sicher schon alles verkauft."
Prinzessin Sookmyung schließt bei der Nachricht kurz die Augen. Es ist ihr Auftrag, in Baekje den Frieden zu sichern. Ohne die Geschenke wird sie versagen. Stumm schreitet sie zurück in das Innere des Gebäudes. Sie muss nachdenken.
"Ohne dich wäre nichts passiert", meckert Sooho zu Sunwoo und verlässt mit Banryu den Platz.
Mit einem Blick auf Sunwoo geht auch Miyu. Sie merkt, dass seine nächsten Worte nicht für sie bestimmt sind.
Erst als Sunwoo mit dem König alleine ist, spricht er: "Warum hast du das getan? Diese Leute haben nichts mit dir zu tun. Warum hast du sie leben gelassen?"
König Jinheung erinnert sich an Miyus Worte nur wenige Stunden davor. Bauern und Könige sind gleich. Doch für Jinheung sind sie nicht nur gleich sterblich. Als guter König sollte auch ihr Leben gleichwertig sein.
"Es sind nur Bauern, wie du sagtest", erklärt er daher, "Untertanen Sillas. Sie verdienen es nicht, für nichts zu sterben."
***
Sookmyung hat ihre Entscheidung getroffen.
"Ich werde nicht umkehren", verkündet sie.
"Aber wir können in Baekje nicht mit leeren Händen um Freundschaft ersuchen", wirft Sooho ein, "Das Essen ist auch weg. Wir können nicht weiter."
Doch die Prinzessin ist entschlossen: "Der König hat bald Geburtstag. Der Kronprinz ist sehr aggressiv. Was, wenn er zum Feiern Silla angreift? Wir müssen ihn aufhalten. Umgehend!"
Somit bricht die Gruppe ohne Geschenke und ohne Verpflegung für die Weiterreise auf. An einem Fluss halten sie.
"Es gibt keine Gasthöfe und wir haben kein Silber", erkennt Sunwoo, "Wir müssen heute im Freien schlafen."
"Und die Prinzessin?", wirft Banryu ein.
Doch auch dafür hat Sunwoo einen Plan: "Sammeln wir Feuerholz. Ich baue uns einen Unterschlupf."
Dann wendet er sich an die beiden königlichen Wachen: "Entschuldigung, könnt Ihr etwas zu essen besorgen?"
Gleichzeitig verbeugen sie sich vor den Hwarang und verlassen den Rastplatz.
Miyu sieht ihnen skeptisch nach, doch dann hört sie stumm die weitere Planung an.
"Gibst du die Befehle?", fragt Banryu, doch sofort gibt Sooho Widerworte.
"Hast du eine bessere Idee?"
Als Banryu stumm bleibt, zieht er ihn in den Wald zum Feuerholz sammeln.
Nun wendet sich Miyu an die letzten beiden Hwarang.
"Ich schätze ich sollte den beiden hinterher", und zeigt mit dem Daumen hinter sich zu der Stelle, an der die Wächter den Wald betreten haben, "sonst haben wir vielleicht kein Abendessen."
Während sie mit der Königsgarde flussaufwärts Fische fängt - was so viel bedeutet wie, dass sie im Fluss die Fische fängt und den beiden wartenden Männern nach und nach die Fische in den Schoß wirft - trifft Ahro auf Bewohner. Sie spricht mit ihnen kurz über das Leben an der Grenze und beginnt dann mit Geschichten aus der Hauptstadt. Geschickt fädelt sie ihr eigenes Leben und ihre verzwickten Probleme ein.
Sooho und Banryu haben genug Feuerholz gesammelt, als sie sich am Fluss eine Pause gönnen. Dabei rutscht Banryu der schicke Beutel seiner Geliebten aus dem Gewand.
"Was ist das?", fragt Sooho, doch er erkennt die Stickereien seiner Schwester.
Entsetzt sieht er Banryu an. Niemals hätte er geglaubt, dass Banryu Interesse an der Schwester seines Feindes hätte. Niemals hätte er geglaubt, dass Banryu generell Interesse an dem weiblichen Geschlecht hätte.
"Es kann nicht dazu kommen", erkennt Sooho die Feindschaft ihrer Familien, "Daher weist du sie ab, wenn wir zurückkehren."
Gemeinsam laufen sie zurück zu dem ausgewählten Rastplatz und entzünden die Feuer.
An einem der Lagerfeuer sitzt die Prinzessin und ihre Dienerin. Die Wärme schützt sie vor der Kälte der Nacht, doch schrittweise entwickelt sich ihre Reise zu einem persönlichen Desaster.
Erst als ihre Wächter und Hwarang Minho mit Fischen zurückkehren, bessert sich ihre Laune. Sogar Ahro kehrt mit einem großen Korb voller Essen zurück.
"Das hast du alles in den Bergen gefunden?", fragt Jidwi, als er den Inhalt des Korbes besieht.
"Es gibt überall großzügige Leute", erklärt Ahro, "Gute Menschen teilen immer, was sie haben."
Ahro reicht der Prinzessin etwas zu Essen und gibt anschließend den Hwarang an einem anderen Feuer etwas. Am Ende setzt sie sich allerdings selbst zu den drei Gefolgsleuten aus der königlichen Dienerschaft.
"Du scheinst gut darin zu sein, andere zu führen", bemerkt Jinheung, als er mit Sunwoo alleine am Feuer der Hwarang zurückbleibt.
"Du etwa nicht?", fragt er erstaunt.
"Was meinst du?", fragt der König, "Kann ich andere führen? Wenn du König wärst, wie würdest du Silla ändern? Der Hunger macht Untertanen zu Räubern. Was sollte ein König dagegen tun?"
Auch wenn es ihm missfällt, dass viele Sunwoo als König sehen, ist er auf seine Ansicht neugierig. Sunwoo denkt anders als die meisten aus der Hauptstadt.
"Du sagtest, du seist nicht der König", bemerkt dieser jedoch nur spitz, "Warum interessiert dich das?"
Unzufrieden seufzt Jinheung. Die Frau, die er liebt, ist eine Assassine, die den König töten soll, und sein Freund ist ein Kämpfer, der den König töten will.
"Du hast Recht", beendet er das Gespräch.
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